Auf Slaînes Versicherung hin, dass sich der Bannkreis zwar wieder aktivieren würde, das allerdings etwas Zeit benötigte, trat ich über die leicht glühenden Symbole und - nichts passierte. Zufrieden gebot ich auch den anderen Kobolden, uns weiterhin zu folgen. Auf der anderen Seite des Ganges besah ich meine Gefährt*innen und befand, dass wir zunächst einmal ausruhen und unsere Wunden verarzten sollten, bevor wir weiterziehen. Auch Grauer war mitgenommen durch mir unbekannte Verletzungen, die äußerlich an Erfrierungen erinnerten, also riet ich ihm, seine ständig im Flux befindliche Elementarität erst einmal auf die augenscheinliche Kälte auszurichten. Erfrischt und einigermaßen erholt ging es dann weiter den klammen, pilzbewachsenen Gang entlang, bis wir auf einen weiteren Bannkreis stießen, der dem ersten ähnelte - den Schöpfern dieser Zauber war es offensichtlich wichtig, dass niemand - absolut niemand - in die Nähe des magischen Gefängnisses im Zentrum dieses Berges gelangt. Umso wichtiger, dass wir Informationen darüber und über den Insassen erlangen und die Minenarbeiter*innen daran hindern, durch den Berg an diesen Siegeln vorbei zu diesem Gefangnis zu graben.
Diesmal gelang der Hexe die Entschärfung des Kreises - sie hatte wohl ihre Lehren aus dem ersten Misserfolg gezogen - und wir konnten weiter, wobei sich im Licht der Laterne etwas Besorgniserregendes aus der Dunkelheit schälte: Offenbar wurde kürzlich ein Minenschacht bis in diese Stelle des Gangen hineingegraben. Der Schacht zweigte hier ab und eine zwar gut abgenutzte, aber von Spuren des Zerfalls (der in so einem feuchten Ort schnell eintreten würde) noch unberührte Spitzhacke lag nur wenige Schritte von Bannkreis entfernt auf dem Boden. Entweder war man hier also mit Neuigkeiten über den neuen Gang zurückgelaufen (wobei man da sicher nicht sein Werkzeug liegenlassen würde) oder was auch immer im Bannkreis eingeschlossen war, hat den neugierigen Mineur erwischt. Was auch immer es war, die bloße Existenz dieses Schachtes an dieser Stelle ließ darauf schließen, dass durchaus in die Richtung des gesuchten Bannkreises gegraben wurde und man früher oder später dorthin gelangte, selbst durch hunderte Meter Gestein und... ah, Silber... hindurch. Angetrieben von dieser bestärkten Sorge eilten wir also weiter dem unbehauenen Gang entlang, bis wir auf eine runde Kammer mit vier Säulen stießen. Die Säulen waren je aus unterschiedlichen Materialien hergestellt worden (Silber, Gold, Stein, Kupfer) und hatten je zwei ringförmige Aussparungen, in die wohl die am Rand liegenden Ringe aus (je zweimal) denselben Materialien passen würden. An die Wand der Kammer waren wieder altertümliche Zeichen geschrieben worden, die an die auf der alten Schriftrolle erinnerten, und Salaîne übersetzte etwas für uns, das wie ein Rätsel klang. Vielleicht eine Art Schließmechanismus, versperrte doch ein weiterer Zauber das Weiterkommen durch die Öffnung am anderen Ende des Raumes, wobei hier die Runen darauf schließen ließen, dass Salaînes Auflösung nicht so erfolgreich sein würde wie beim vorangegangenen. Also brüteten wir über die Worte, ein Kobold leckte an der Goldsäule und befand, dass es nur ein Überzug war und nicht etwa eine massive Goldsäule, bis Salaîne endlich aufschrie und offenbar auf des Rätsels Lösung gekommen war. Flugs befolgten wir ihre Anweisungen, wie die Ringe zu platzieren wären, und mit einem tiefen Läuten schien sich der Zauber auch hier zu deaktivieren, sodass wir weiterziehen konnten.
Zwei weitere, von der Beycillerin temporär aufgelöste Bannkreise später konnten wir durch die Wand zu unserer Seite dumpfes Hämmern und Picken hören - hier in der Nähe gruben also die Mineure und würden wohl hier herauskommen, wenn wir sie nicht davon abhielten, denn die Bannkreise, die nun hinter uns lagen, würden es nicht. Beunruhigend, aber nicht annähernd so besorgniserregend wie die Kaverne, die sich vor uns aufmachte, als wir endlich aus dem Gang traten. Trotz des Lichts vom leuchtenden Stein in Kirras Hand konnte man die Decke und das andere Ende der Höhle in der Dunkelheit nicht ausmachen, was es als schwierig gestaltete, das gesamte Ausmaß des Bannzauber auszumachen, der scheinbar über fast deren gesamte Höhe, Breite und Länge in den Stein gewirkt worden war. Salaîne warf den Stein, so weit sie konnte, und tatsächlich landete dieser so, dass man erkennen konnte, dass die Höhle auf der gegenüberliegenden Seite sich nicht wieder in einen anderen Gang öffnete. Zumindest würden wir bislang also nur einen Zugang unzugänglich machen müssen. Grauer flog hinauf und - nach den Instruktionen der Hexe - genau außerhalb des Bannkreises entlang und erreichte auch bald die Decke, wobei er unsere hier unten angestellte Beobachtung teilte, dass alles, was in diesem Zirkel war, unbeschädigt blieb. Kein Staub war hier gefallen, die Risse der Erosion endeten abrupt, kein Moos- oder Pilzbewuchs störte das Innere dieses uralten Gefängnisses. Dass es ein Gefängnis war, bestätigte Salaîne nach einiger Zeit des Studiums der Runen (immer wieder von Stirnrunzeln, erstauntem Keuchen, oder wertschätzendem Raunen begleitet), denn anders als die kleinen, weniger komplexen Bannkreise war dieser nicht dazu gedacht, Eindringlinge draußen zu halten, als vielmehr alles und jeden, der den Kreis betrat, drinnen gefangen zu halten. Genau im Zentrum der Kaverne befand sich ein Knochenhaufen, den ich durch den geworfenen Lichtstein als eine Ansammlung von Humanoiden mit diversen metallenen Ausrüstungsgegenständen erkannte. Salaîne, die schon dabei war, die Runen minutiös abzuschreiben, meinte daraufhin, dass es sich wahrscheinlich um Personen handelte, die geopfert werden mussten, um einen Zauber von derlei Macht und Ausmaßen zu wirken. Was auch immer hier - und nach der Schriftrolle auch anderswo - eingesperrt war, musste also wahrlich stark, grausam und mächtig sein, um so ein Opfer zu rechtfertigen. Immerhin stark oder untötbar genug, um es nicht einfach aus dem Weg zu räumen, statt es zu bannen.
Wiatt war die meiste Zeit über ruhig geblieben und hat oftmals nur dann das Wort erhoben, um seine Unzufriedenheit auszudrücken mit der Umgebung, dem Ziel dieser Exkursion, Salaînes Arbeit an den Bannkreisen, der Lächerlichkeit des Säulenrätsels, der Dunkelheit, aber auch der Anmaßung der Hexe, zunächst einen seiner getragenen Gegenstände entgegen ihrer Abmachung mit ihrer Magie zum Leuchten zu bringen... eigentlich schien er immer unzufrieden zu sein, aber hier schien er nicht einmal zur Ruhe zu kommen, um in seinen nicht vorhandenen Bart zu grummeln, denn die Wände - oder vielleicht noch eher das Silbererz darin - machten es ihm schwer, sich auch nur anzulehnen. Also beschränkte er sich zumeist darauf, seine eigene Unzufriedenheit mit uns zu teilen, indem er Salaîne ständig über die Schulter blickte, während diese versuchte, sich auf ihre arkane Arbeit zu konzentrieren. Da er selbst keine Lösung anbot, sondern nur unsere Versuche kritisierte, blieb es also am Rest von uns hängen zu überlegen, wie wir die Bergleute davon abhalten könnten, an diese Kaverne zu gelangen. Zuerst war es unerlässlich, den physichen Zugang zu versperren, wobei der Blick auf die zufrieden grinsende Kirra und ihre Sprengstoffe fiel. Mit genügend Zündschnur, die mit ölgetränkten Seilen nocht verlängert werden könnte, würden wir vielleicht den Eingang zur Höhle sprengen und den Gang einstürzen lassen können, ohne selbst vom Berg begraben zu werden - was, wie ich ihr gegenüber betonte, meinem Versprechen gegenüber Tosch, alle Kobolde lebendig zu ihm zurückzubringen, zuwiderliefe. Allerdings hieße das nicht, dass die Mineure nicht einfach anderswo weitergraben würden und schlussendlich doch hier herauskämen, also mussten wir sie irgendwie vertreiben oder zum Gehen überreden, bis das Herzogshaus den gesamten Berg zur Todeszone erklären könnte, wie beim Vergessenen Wald.
[Der Vergessene Wald war ein großer, grüner Fleck auf der Landkarte Monedas, dessen Rand gut kartografiert, aber dessen Inneres noch immer unerkundet blieb. Augenscheinlich wurden mehrere Aufklärungstrupps hineingeschickt, wie man an der zurückgelassenen Ausrüstung genau am Waldrand entnehmen konnte, die hier und da immer wieder von benachbarten Bewohnern oder Reisenden entdeckt wurden. Genau wie bei den Hinterlassenschaften von Zivilisten wusste seltsamerweise allerdings niemand, wer die armen Seelen waren, die nun im Schatten der Bäume umherstreifen mussten. Eltern fanden eines Tages ein Kinderzimmer in ihrem Hause vor, von Kindern, die sie nach eigenen Aussagen nie hatten. Kommandeure der monedaer Armee und der Späher hatten keine Aufzeichnungen von den Trupps, deren Waffen und Rüstungen man am Rand gefunden hatte. Wer auch immer in den Wald ging, schien dort drin für immer zu verschwinden und - gemessen an der Außenwelt, die diese Personen einfach zu vergessen schien - nie wirklich existiert zu haben. Schon vor Generationen hat das Herzogshaus Monedas das gesamte Gebiet des Waldes zur Todeszone erklärt und es somit jedem untersagt, es zu betreten. Eine Strafe musste nie festgelegt werden, da das Schicksal der Zuwiderhandelnden als schrecklich genug empfunden wurde.]
Wenn doch nur Isma hier wäre! Sie würde sicherlich einen Drachen von solcher Gewaltigkeit als Illusion beschwören können, der jeden in die Flucht schlüge. Auch würden sicherlich weitere Grabungen in den Hort eines größeren Drachen vom Herzogshaus untersagt werden, wenn sich das herumspräche. Allerdings war Isma nicht hier, und Salaîne rümpfte nur pikiert die Nase, als ich nicht weiter darauf einging, dass sie ja selbst gute Illusionsmagie beherrschte. Sicher, ihr Zauber, der uns wie hiesige Wachen hat wirken lassen, hatte tadellos funktioniert, aber sie würde nie an die Kreativität Ismas heranreichen, ihr Detailreichtum, ihr Verständnis von der Natur ihrer Subjekte... Ich musste mich konzentrieren, denn während die Hexe noch an ihrem Verständnis für den Bannkreis arbeitete, waren Kirra und die Kobolde schon dabei, ihren Sprengstoff an strukturell wichtigen Punkten am Höhleneingang zu platzieren, und einer musste Kirras Enthusiasmus um unser aller Leben Willen zügeln.
[Wiatt fiel nach einiger Zeit auf, dass Salaîne wohl nicht mehr ganz bei der Sache war, denn ihre Abskizzierung der Runen war immer fahriger und ungenauer geworden und sie schrieb selbst dann weiter, als die Spitze ihres Stiftes abgebrochen war und nur noch ein unebener Stummel übrig blieb. Die Hexe würde ihrerseits in ihrem Geist von einer unheimlichen, tiefen Stimme als "Schwester der Dunkelheit" angesprochen. Sie versuchte, es sich äußerlich nicht anmerken zu lassen, und begann ein telepathisches Gespräch mit der Kreatur, die wohl dieselbe war, die hier eingeperrt worden war und die in den Visionen, die sie während des letzten Kampfes zerrüttet hatten, möglicherweise dieselbe war, die gegen Venxaroncas und seine Truppen gekämpft und für die visionäre Zerstörung Mitverantwortung zu tragen hatte. Das Wesen schien tief in Salaînes Seele blicken zu können, denn geschickt nutzte es deren Wünsche nach Macht und der Wiederherstellung ihrer Familie, um die Hexe zu umgarnen und ihr die Erfüllung ihrer wildesten Träume im Austausch für die Befreiung aus diesem Gefängnis anzubieten. Salaîne selbst versucht mehrfach, die Kontrolle über das Gespräch an sich zu reißen, indem sie es bei seiner angeknacksten Würde ob seiner Situation packte. Das Wesen schien unbeeindruckt, hatte es doch Äonen Zeit gehabt, diese Wut zu zügeln und zu einem leichten sieden herabkühlen zu lassen. Schließlich beendete das Eingreifen Wiatts das Gespräch, dem das seltsame Verhalten der Hexe und die Schwärzung ihrer Iris Sorgen bereitet hatte, woraufhin er sie grob auf dem Boden schubste, um sie aus ihrer Trance zu holen. Salaîne rang noch immer mit sich, denn die Versprechen der Kreatur waren verlockend, auch wenn sie ihr weder ausreichend zusichern konnte, diese auch einzuhalten, noch sie ihr die Sorge nahm, dass sie nicht von der ungeheuren Macht dieses Wesens überwältigt und/oder zerstört werden würde.]
Schließlich wiederholte Salaîne ein Ritual, welches sie auf dem Hexenkonvent schon einmal gewirkt hatte, um die Geister des Ortes zu befragen. Aus ihrem Buch stieg erst ein unförmiger Schatten, der sich dann in eine junge Elfe verwandelte, die in eine Rüstung gekleidet war, wie man sie aus uralten Gemälden aus dem Zeitalter der Magie kannte. Interessiert wegen des Gerangels und des Rituals, deswegen nun eine Miniatur einer Kriegerin des Bronzewyrms vor uns stand, wandte ich mich von den Sprengungsvorbereitungen ab und dieser Befragung zu. Die Hexe stellte genaue, präzise formulierte Fragen, da die Antworten knapp bis vage ausfallen würden, und doch bekamen wir sicherlich für Salaîne hilfreiche Informationen:
Ja, der Kampf gegen die hier eingesperrte Kreatur war objektiv notwendig gewesen. Nein, Venxaroncas und seine Truppen waren nicht zuerst von dem Wesen angegriffen worden. Ja, neben der Gefolgschaft unter dem Drachen gab es noch weitere gute Gründe für den Kampf gegen diesen Widersacher.
Immer noch stirnrunzelnd, aber etwas zufriedener, löste Salaîne das Ritual auf und begann damit, Steine aufzusammeln und in regelmäßigen Abständen um den Bannkreis aufzutürmen. Auf unsere Nachfrage hin bestätigte sie, dass sie den Bannzauber nun stärken würde, und meine Sorge um die Kobolde beruhigte sie, indem sie mir versicherte, dass für ihren Zauber höchstwahrscheinlich keine Seele geopfert werden müsste. Nachdem sie den gesamten Kreis so umschlossen hatte, schloss sie ihre Augen und murmelte viele arkane Worte, woraufhin die Luft in der Kaverne kurz brumte und waberte. Als dies Aufhörte, nahm ich nun an, dass ihre Verstärkung des Bannzaubers erfolgreich war und wir uns nun wiederum um die Sprengung des Zugangs und dem Vertreiben der Bergleute kümmern müssten.