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Sat 29th Mar 2025 08:24

Risse

by Segu

Steine geschlagen und ausgelegt, Boden umgegraben, sodass die Explosion hoffentlich nur in Richtung des Ganges geleitet und die Kaverne verschont bleiben würde, legten wir eine relativ lange Lunte in den Schacht. Kirra konnte uns nicht versichern, ob die Explosion ausreichend oder gar zu zerstörend wäre, ihr Schulterzucken offenbarte jedoch eher freudige Ungewissheit denn Sorge, also blieb uns nichts übrig, als auf ihre Anweisungen und ihr Wissen zu vertrauen. Wir warteten noch einige Stunden, denn das nächste Nachlassen von Hammer- und Spitzhackenschlägen würde bedeuten, dass die Mineure für die Nacht zu arbeiten aufhören und sich zur Ruhe in ihr Dorf begeben würden, wo sie vorteilhafterweise auch noch von den schlimmsten Auswirkungen der Sprengung verschont bleiben würden. Sodenn schickte Salaîne die Flamme aus der Laterne, die ihr Bruder war, zur Lunte, um diese zu entzünden. Wir hatten einige Momente Zeit, also trabten wir voran Richtung Ausgang, wobei Grauer und ich hintanliefen, um sicherzustellen, dass es alle Kobolde aus dem Berg schafften. Sekunden später schwappte ein Beben und ein Donnern durch den Berg, und die durch die Sprengung verursachten Risse im Gestein rasten wie die Verzweigungen eines Blitzes schnell in unsere Richtung. Schneller, als eigentlich angedacht war. Als die ersten Brocken Fels um uns herum auf den Höhlenboden prasselten, schauten wir alle auf Kirra, die nur ein nervöses "Oh-oh" herausbringen konnte, bevor wir alle anfingen, panisch schneller zu rennen.
 
Das Warten auf das Schichtende der Bergleute erwies sich nun als zweischneidiges Schwert, denn als wir durch den Schacht sprinteten, gelangten wir an den ersten (oder letzten, je nach Perspektive) Wächter-Bannkreis, der offenbar wieder eaktiviert war. Wir wollten schon hindurchspringen, aber die Hexe wies uns auf, zurückzutreten. Nur wenige von herabfallendem Staub erschwerte Atemzüge später sprach sie mehrere arkane Silben, deutete dabei auf drei verschieden Runen des Bannkreises und schaltete diesen offenbar wieder aus. Zu jeder anderen Gelegenheit hätten wir sie zu so einem schnellen Ergebnis sicherlich gratuliert, aber die Risse in den Wänden wurden breiter, die herabfallenden Steine schwerer, und so rannten wir lieber weiter. Es wurde nun ein Wettrennen zwischen uns Sterblichen und dem Geröll und den Rissen, die uns der Berg hinterhersandte, und es sah nicht gut für uns aus.
Bevor wir den nächsten Bannzauber erreichten, taten dies die schwarzen, ab und zu silbrig schimmernden Blitze im Gestein neben uns und zerrissen das Gebinde der Runen, das daraufhin aufleuchtete. Wiatt sprang voran, wir anderen hinerher, aber Salaîne war zu langsam, und so bildete sich eine Nebelwolke, die aus den Runen sickerte und versuchte, sich Zugang zu Salaînes Lungen zu verschaffen. Vielleicht erwies sich nun der ganze Staub als Segen, denn die Hexe hustete mehrfach schwer, was dem Nebel den Eintritt verwehrte, was dieser wohl mit einer magischen Entladung quittierte, der Salaîne wohl auch körperlich hart traf. Nichtsdestotrotz, der Berg würde sich darum kümmern, also wirkte sie einen Zauber und tauchte plötzlich einige Schritte vor uns auf, um uns voranzutreiben. Wiatt, der noch versuchte, der Nebelwolke einen Schlag zu versetzen, um ihr zu entweichen, wurde eine kleine Strecke von Grauer mitgezerrt, und schon waren wir nur wenige Längen von dem Bannkreis bei der Abzweigung entfernt. Ich rief den anderen vor mir zu, dass dieser Gang uns verschlingen würde und der behauene Schacht, der dort abzweigte, der einzige Ausweg wäre, da dieser möglicherweise durch die Verstrebungen stabiler sein müsste.
Wäre ich nicht auf Grauers Rücken, hätte der Husten, der mich durchrüttelte, als ich beim Rufen eine Handvoll Staub einatmete, dafür gesorgt, dass ich hier zusammenbrechen und begraben werden würde, aber so konnte ich den anderen in den künstlichen Gang folgen. Aus der Erde des von uns an dieser Stelle gebrochenen Bannsiegels erhob sich ein riesiger Golem ganz aus Silber, hoch wie der gesamte Gang, aber bevor er auch nur einen Schritt machen konnte, um uns zu folgen und anzugreifen, brach die Decke über ihm ein, und er verschwand so wie der Schacht hinter einem Vorhang aus Geröll. Obwohl wir alle aus dem Weg sprangen, wurden wir doch noch von herabfallendem Gestein erwischt, aber der Einsturz schien sich in dieser Abzweigung allmälig zu verlangsamen, wenn auch noch nicht ganz zu stoppen, und so stolperten wir - mit Blutergüssen und aufgerissener Haut und staubbelegten Lungen - weiter den behauenen Gang entlang.
 
Nach etwa zwehundert Metern hörte die Decke auf, uns mit Steinen zu bewerfen, und das Donnergrollen des Berges verklang zu einem lauten Grummeln, das sich langsam setzte. Die Kobolde waren wohlauf, auch wenn Kirra eine Platzwunde am Kopf von einem herabgefallenen gesteinsbrocken davongetragen hatte, aber Salaîne sah ganz und gar nicht gut aus, also ließ ich eine große Portion meiner Heilmagie durch sie fahren, was in Kombination mit der Energie, die sie magisch aus den umliegenden Flechten und Pilzen (und vielleicht geringeren Erd-Elementaren und Kriechtieren) zog, zumindest die gröbsten Wunden schloss.
Gerade wollte ich mich umwenden, um dem Rest der Gruppe zu folgen, als ich etwas in einer Nische glitzern sah, die wohl eben gerade durch die Bewegungen der Erdschichten um uns herum freigelegt worden war. Die Nische öffnete sich zu einem kleinen Hohlraum, in dem ein humanoides Skelett saß, gekleidet in den zerfallenen Überresten einer Rüstung ähnlich derer, die der Geist trug, den Salaîne in der Kaverne beschworen hatte. Am Beckenknochen war ein Kurzschwert angelehnt, das vollkommen unbefleckt von Zeit und Elementen war, mit einem bronzenen Griff mit Schuppenmuster und einer knisternden Energie, die meinen Blick und meinen gesamten Fokus auf sich zog. Nun... dieser edle Ritter Venxaroncas' würde keinen Nutzen mehr von seiner Waffe haben, und mit ihr würde ich dem Bronzewyrm vielleicht besser dienen können... also zog ich das Schwert mitsamt seiner zu Staub zerfallenden Scheide an mich, wobei das poröse Rückgrat des toten Kriegers nach- und die Klinge freigab. Erst trat ich an Grauer heran, der mich schief anguckte und mir sagte, dass ich mich für ihn seltsam anfühlte; als ob ihm in meiner Nähe Haare zu Berge stünden, wenn er welche hätte. Ich erzählte ihm von meinem Fund, was er vorerst als Erklärung akzeptierte.
 
Weiter vorne im Gang standen die anderen in einer Gruppe und beratschlagten, wohin es wohl nach draußen ginge, da der Gang hier in einen anderen, größeren mündete. Viele Spuren waren hier in den Staub gegraben, aber die frischesten führten nach rechts, also folgten wir diesen vorsichtig. Immer wieder trafen wir auf andere Durchgänge, aber die Spuren zeigeten uns, dass wir wohl im Hauptschacht waren, da sie hier immer zahlreicher wurden und immer öfter verschiedenste Gerätschaften zum Bergbau herumstanden und -lagen. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis wir dem Fackelschein des Ausganges vor unseren Augen hatten. Zwei Sprüche später war deren Helligkeit gedämpft und unsere Schritte leicht genug, um selst das trockenste Blatt nicht zum knistern zu bringen, wenn man darauf träte, und so konnten wir unbemerkt an den wenigen hier verbliebenen Leuten vorbeischleichen. Ich musste mich nur wenige Male umdrehen, um sicherzugehen, dass die anderen mir folgten, schienen sie mich doch mehr als einmal gänzlich aus den Augen verloren zu haben. Auf dem Weg zur Klamm, in dem die Kobolde rasten würden, kamen wir noch an der Stelle vorbei, durch die wir in den Berg gekommen waren. Ganz bis hierher war der Einsturz nicht propagiert worden, also würde ich ihnen später davon berichten müssten, damit sie nicht versehentlich in einen der Bannkreise traten, die das Ganze vielleicht überstanden hatten.
In der Höhle hinter dem Efeuvorhang fanden wir die anderen Kobolde vor, auch Tosch schien sich wieder einigermaßen erholt zu haben, empfing er uns doch im Stehen. Sein erster Blick gebührte den kobolden, die er mit uns geschickt hatte, und eine große Sorge schien von ihm zu fallen, als er sie vollzählig erblickte. Unsere Verletzungen und der Gesteinsstaub waren wohl Anzeichen genug zu sein, gemeinsam mit dem sicherlich bis hierher hörbaren Donnern des Berges Eins und Eins zusammenzuzählen. Ich berichtete trotzdem von unseren Kämpfen, dem Bannkreis und dessen Stärkung durch Salaîne, und unserer abschließenden Detonation und Flucht durch den Berg. Physisch war es nun um einiges schwieriger, die Grabungen wieder aufzunehmen, und die Gesichter der Leute am Mineneingang zeugten von Angst und Unsicherheit, aber um entgültig sicher zu sein, erwähnte ich, dass ich den Vanjaróns empfehlen würde, den Berg zu einer Todeszone zu erklären. Bis hierhin hat Tosch interessiert und beinahe stolz zugehört, aber bei der Erwähnung der Herzogsfamilie hielt er meine Schnauze zu, als wenn man die Flamme an einem Kerzendocht ersticken wollte - etwas, das er seit unserer Kindheit nicht gewagt hatte! Ein Stirnrunzeln und ein mildes, nostalgisches Lächeln huschten über sein Gesicht, dann wurde er wieder todernst. Er wollte mit mir unter vier Augen sprechen, wie er mir vor unserer Abreise in den Berg versprochen hatte, also bat ich meine Gefährten, uns allein zu lassen.
 
Mit gesenkter Stimme fragte Tosch mich allen ernstes, ob ich mich noch an den Tag, an dem Trasque brannte, den Tag, an dem unsere Eltern und all die anderen Kobolde unseres Dorfes starben, erinner würde, was ich natürlich tue. Jeden Abend vor dem Schlafengehen, jeden Tag in Begleitung anderer Späher und jedes Mal, wenn ich an Tosch dachte. Die Schreie, das Feuer, das Gesicht des rotgewandten Magiers. Über diesen wollte mein Bruder mit mir sprechen, denn er und Clal hatten nach Informationen über ihn geforscht und tatsächlich seine Identität in Erfahrung gebracht - was sofort ein Feuer der Rachsucht in mir entfachte. Was wohl meinen Augen anzumerken war, denn erst besah Tosch mich mit einem Nicken, dann seufzte er, denn Rache an ihm würde uns wohl verwehrt bleiben, da er bereits tot war. Gefallen im Krieg gegen Ascaria im Osten, unter dem Banner Monedas. Er hatte Ländereien nicht weit von Trasque besessen, wer seine Gefolgschaft in der Nacht des Untergangs unseres Dorfes war, blieb aber unklar. Ich nickte nachdenklich - vielleicht ein Verräter oder ein von Moneda gekaufter Adliger, möglicherweise mit magisch veränderter Gestalt (wie das Gesicht der Hofhexe Alcina), sodass Jamin oder Semanca ihn nicht wiedererkannt hatten. Bei all diesen Überlegungen verlor Tosch allmählich das Verständnis, das er meiner ersten Reaktion noch entgegengebracht hatte, dann sagte er, dass Alarico eine Tochter in Toschs Alter hätte. Wie er mit ihr verfahren würde, mochte er davon abhängig machen, inwiefern sie ihres Vaters Kind ist, und ich glaube fast, er wollte mir ihren Namen nennen, bis ich mich eingeschaltet hatte, um zu erwähnen, dass sie der Gerechtigkeit des Herzogs überstellt werden müsste. Sie zu finden, war nun sein nächstes Ziel, für das ich ihm viel Erfolg wünschte, ihn aber mahnte, dass er sich nicht in übermäßige Gefahr wie in diesem Bergwerk zu begeben und daher lieber um meine Hilfe zu bitten, wenn es soweit käme. Außerdem vereinbarten wir ein Postfach in einem Gasthof außerhalb Colveras, bis er wieder zuhause sein würde. Fürs Erste würden sich unsere Wege allerdings am nächsten Morgen trennen, bis dahin könnten wir noch bei den Kobolden nächtigen und unsere Wunden versorgen.
 
Am nächsten Morgen, kurz vor unserer Abreise, versuchte ich noch Kirra in einem Gespräch davon zu überzeugen, ihre Fähigkeiten in Colvera bei den Vanjaróns gegen gute Bezahlung, Ansehen, ein Dach über dem Kopf und Material für ihre Experimente zu tauschen. Sie schien es zu erwägen, würde aber mit Tosch darüber reden wollen, bevor sie über ihr Schicksal und das ihres Stinktiers Trouble entscheiden würde. Mehr oder weniger zufrieden konnten wir uns also wiederum auf den Weg nach Skander machen, um erneut ein uraltes Übel daran zu hindern, die Welt zu vernichten. Unterwegs geselte sich Salaîne für einige Momente an meine Seite, wohl um mein Befinden zu eruieren, aber jetzt gerade war mein Kopf noch voll von den Geschehnissen unter dem Berg und den Neuigkeiten von Alarico, dem Mörder meiner Eltern. Ich glaube, sie wollte herausfinden, wie sich dies auf meine Meinung den Vanjaróns gegenüber auswirkte, aber bis ich selbst mehr herausfinden würde, könnte ich auf das Wort zweier Kobolde genauso viel geben wie auf das Semancas - egal, ob einer davon mein Bruder war, der ja eh keinen allzu großen Glauben besaß, gerade in die Vanjaróns. Sie ließ mich allein weiter grummeln über Tosch und seine Undankbarkeit, seine Paranoia und so weiter...
Einige Tage später - es war fast Vollmond und wir im Grenzgebiet zu Skander - wurden wir uns der Notwendigkeit bewusst, irgendwie mit Wiatt verfahren zu müssen. Da wir keine Silberwaffe hatten, suchten wir danach, mussten aber feststellen, dass es hier draußen so etwas nur auf Bestellung gab, und uns mit einer langen Kette begnügen, um ihn die Nacht hindurch wenigstens sichern zu können. In einem Garten entdeckten wir Eisenhut und nahmen drei Büschel mit, da wir das (nach ausgiebiger herbologischer Beratung mit Salaîne, die Wiatt zähneknirschend verfolgte) vielleicht als Waffenöl als geringere Substitution einer Silberwaffe gebrauchen könnten. Die Ortschaften hier waren offensichtlich von den zurückliegenden Kriegen gezeichnet. Wir kamen an einem alten, halb verfallenen Grenzturm vorbei, der nun Wanderern und Berufsreisenden als Handelsposten diente. Die Leute hier waren stärker den hiesigen Aberglauben verfallen und insgesamt sehr feindselig gegenüber Fremden (zumindest aber Kobolden gegenüber, wie mir die Blicke und die kalte Behandlung zeigte). Sie hatten auch sehr polarisierte Meinungen Moneda und Skander gegenüber; während einige offen ihre Verachtung Skanders, Monedas oder dem Beycillischen Imperium gegenüber verkündeten, gab es nicht wenige, die glücklich darüber waren, dass die Gedenktafeln der Gefallenen Monedas und Skanderns - die oftmals denselben Friedhof teilten - nicht noch weitere Namen würden erhalten müssen. Salaîne schien hier auch nicht glücklich zu sein, denn obschon sie sich in (für ihre Verhältnisse) einfaches Reisegewand gelkeidet hatte und so nicht als Hexe zu erkennen war, schienen die vielen Hexenmale, Knoten, Abwehrkräuter und sonst auch viele unscheinbare Dinge ihr schwer zu schaffen zu machen.
Einen Boten konnte ich noch nach Colvera abschicken, um Ihrer Hoheit Madalena von unseren Erfahrungen im Berg zu berichten - wobei ich darauf achtete, jeden Hinweis auf meinen Bruder zu verschleiern - und ihnen dringlichst anzuraten, den Berg zur Todeszone zu erklären und eine Untersuchung des Dorfschulzen einzuleiten, um seine fehlende Einsicht zum Schutze Monedas und den daraus resultierenden Verlust von Menschen- und Koboldleben angemessen zu bestrafen.
 
So waren wir alle zufrieden, die Ortschaften hinter uns zu lassen und die skanderische Grenzwildnis zu betreten, wo wir die Vollmondnacht ungestört hinter uns bringen könnten. In einem dichten Eichenhain suchten wir uns den dicksten, festesten Baum mit den tiefsten Wurzeln aus und banden Wiatt für die Nacht mit dem Gesicht zur Rinde an ihn. Ich für meinen Teil würde die Nachtruhe aufgeben, um ein Auge auf ihn zu haben. Sollte er aus den Gliedern entkommen oder sich sein Bein abkauen, um zu entkommen, würde ich das aus meinem Versteck im Wipfel eines in der Nähe (aber aus dem Wind) stehenden Baumes sehen und schnell reagieren können.