-------------------------------kein Bericht --------------------------------------------------------------
Es war ziemlich naiv zu glauben, dass Kaya es schaffen würde Anais zu überreden doch zu gehen. Ich hatte ja darauf gehofft, aber ich weiß auch wie Anais ist und ich bezweifle, dass sich in den letzten Jahren etwas daran geändert hat. Am Ende kann sie da niemand mehr umstimmen, auch wenn es mir anderes lieber wäre. Jetzt kann ich ja wirklich nur auf das Beste hoffen. Was aber auch sowieso die gesamte Nacht beschreibt. Will gar nicht zu viel darüber nachdenken. Je später es wird, desto fetter wird der Kloß in meinem Hals. Das ist doch alles scheiße.
Kaya hat für die anderen noch einmal ein paar Werwolfsachen wiederholt, über die wir schon gesprochen hatten, bevor die Hexe anbot zu prüfen, ob ich denn verflucht bin. Bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass es der Fall sein muss, was sonst sollte dieser Mist hier sein, aber konnte ja nicht schaden. Zwar ist es auch wieder irgendwelche Hexensachen mit meinem Blut, aber was habe ich da jetzt noch zu verlieren? Und Kaya hat auch nichts dagegen gesagt ... also naja. Ich hatte gehofft, dass nicht einmal das bisschen Rauch aufsteigt, was einen Fluch bestätigen würde, dass es gleich drei sind, oder das irgendwie alles zusammen gehört, macht es nicht besser! Kann ich für eine Sekunde mal ne Pause haben?! Ein Fluch alleine wär schon schlimm genug! Kaya erzählte zwar noch etwas über passive Flüche, aber wie sollte es das sein? Lycanthropie ist ein aktiver Fluch, und wäre es etwas vererbtes, müsste Anais es doch auch haben. Oder meine Eltern. Oder Simó und wenn Anais nicht irgendwelche Geheimnisse vor mir hat, ist das bei keinem von denen der Fall. Also auch nicht ...
Also hab ich einen beschissenen Superfluch am Hals? Und zu allem Übel hat Anais dabei ziemlich sauer dreingeschaut (ich hab keine Ahnung, wieso genau. Wegen dem Fluch? Wegen heute abend? Oh mann eh) und wo die Hexe ziemlich interessiert ausgesehen hat, ist Tiz vor mir zurückgewichen und ich glaube, das ist echt nicht so gut für mich. Die Leute, die jetzt sowieso potentiell auf meiner Seite sind, kann ich an zwei, wenn nicht sogar einer Hand abzählen und wenn Tiz jetzt auch nicht mehr dazugehört ... ja, dann steh ich so richtig blöd da. Dann bleibt mir eigentlich nur die Hexe, oder? Auch wenn ich das so gar nicht hören will.
So oder so war es dann irgendwann Zeit für mich. Ich half Kaya dabei die Kellertür zu einer Zellentür auszutauschen - wie sie an die gekommen ist, ist eine viel zu wilde Geschichte, aber irgendwie wundert es mich kaum. War ein komisches Gefühl in einer Zelle zu sitzen, aber es ist nun einmal die einzige Lösung. Anais wollte noch einmal mit mir sprechen. Sie sagte mir, dass ich ja nicht auf die Idee kommen solle zu sterben - duh, habe ich auch nicht vor? -, weil sie sonst nicht Thermmoor verlassen kann, so wie sie es mit Mika geplant hat. Ich würde ja gerne sagen, es überrascht mich und ich wusste nichts davon, aber da kommt wieder das blabla, wie ich es denn auch wissen sollte. Naja ... aber ja, also noch ein Grund mehr, das hier nicht zu versauen.
Danach war es nur noch ein Wartespiel. Ein ziemlich ätzendes, weil es mir zunehmend schlechter ging. Es war wie in der Nacht, als wir die Blume gesammelt haben. Erst wurde mir warm, dann begann alles wehzutun und irgendwann fühlte es sich an, als würde ich die schlimmste Grippe meines Lebens ausbrüten. Irgendwie war es damit ja nichts neues, auch wenn ich mich frage, wieso ich mich beim letzten Vollmond dann nicht verwandelt habe. Und es fühlte sich anders an als bei der Begegnung mit William. Da war es mit einem Schlag passiert. Zack und die Sache war durch gewesen. Jetzt war es wenigstens nicht so schmerzhaft. Zumindest anfangs nicht. Klar, mein Kiefer tat höllisch weh, ich fühlte mich insgesamt schlecht und dauernd hörte ich ein widerliches Knacken durch meinen Kopf hallen, weil sich irgendwelche Knochen verschoben. Aber schlimm war es eine zeitlang zumindest nicht. Je länger es sich zog, umso müder wurde ich dessen aber auch und irgendwann fühlte ich mich durch die vielen, langsamen und kleinen Veränderungen wie ein ausgehöhlter Stein und ich wäre wirklich froh, käme es mal zu einem Ende.
Das wünschte ich mir aber auch nur solange, bis es dann soweit war. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich einen Funken Mondlicht noch wirklich aktiv gesehen habe, bevor es mich einfach verschluckt hat. Vielleicht war es auch der Schimmer Licht, den ich sehen konnte, während ich mich in einem dunklen Loch befand. Ganz weit hinten befand ich mich in meinem Kopf, in irgendeinem kleinen, dunklen Loch und selbst da spürte ich noch, wie schmerzhaft es war, als sich der Körper verwandelte. Vorher habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, wie es in meinem Kopf aussah. War eben da, Gedanken, innere Stimme, blabla. Nie wäre mir eingefallen, dass es sich nach einem wirklichen Vorne und Hinten anfühlen konnte. Bis jetzt. Und ich war ziemlich weit hinten. Ich konnte noch immer so ein bisschen was hören, einzelne Bilder sehen, riechen und schmecken und all das, aber es brauchte so lange, bis es bei mir war. Als würde ich mindestens drei Sekunden hinter der Gegenwart herhinken und dann zusätzlich noch alles durch Watte hören. War schon beschissen. Dann doch fast lieber nichts mitbekommen.
Würde gerne sagen, ich hab mit vielem gerechnet, aber nein, eigentlich das auch nicht. Am ehesten habe ich damit gerechnet zu blinzeln und es wäre morgen, der Spuk vorbei. Aber nicht, dass ich plötzlich Tiz in meinem Kopf höre. Und das tatsächlich höre und nicht aufschnappe. Verrückterweise - ich habe keine Ahnung, wie das ging - hat es mich aber in meinem Kopf wieder nach vorne geschoben. Und plötzlich bekam ich wieder alles mit wie sonst auch, konnte sehen, hörte alles klar und deutlich, war nur jetzt pelzig. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, wie ich das finde. War ein komisches Gefühl. Eigentlich bin ich mir ziemlich sicher, dass ich es nicht mag. Bin mir nicht sicher, ob sich der Körper wie ein Fremdkörper anfühlt, oder mein Bewusstsein der Fremdkörper ist.
Aber Tiz - und später die Hexe - stellte mir Fragen. Verdammt frustrierend, dass ich die nicht beantworten konnte, außer mit einem Nicken oder Kopfschütteln. Aber ja, ich bekam etwas mit, nein, ich war nicht alleine. Zwar war ich vorne, aber der Wolf ... das Ding... was weiß ich, saß mit jetzt im Nacken und ich konnte seinen Unmut hören und spüren, der wie eine Welle an mich heranschwabbte. Nein, ich hatte nicht vor jemanden zu verletzen. Hatte ich vorher nicht, jetzt auch nicht. Aber das galt nur für mich. Noch während ich den Kopf schüttelte, wurde mir das noch einmal sehr deutlich gemacht. Der Wolf hatte da schon Lust drauf, ziemliche Lust. Ich spürte, wie für einen Moment Wut und Hunger in mir hochkam. Es war aber nicht meine Wut. Nicht mein Hunger. Das fühlt sich anders an. Wie verrückt bin ich mittlerweile, wenn ich so unterscheiden muss? Zwischen den Sachen, die ich fühle und die nicht zu mir zu gehören scheinen? Oder zumindest würde ich das so behaupten.
Der Versuch von Kaya mich auf den Silberdolch reagieren zu lassen ... war rückblickend vielleicht keine gute Idee darauf einzugehen und das auch noch mit der Schnauze. Zu meiner Verteidigung (!!): ich hab in dem Moment wirklich nicht zu intensiv darüber nachgedacht. War eigentlich nur froh wieder irgendwie die Kontrolle zu haben. Ja... und dann-
Schwupp, war ich auch schon wieder weg. Kaum das Silber berührt, gerade noch das Brennen davon an der Haut gespürt, da war es auch schon wieder vorbei mit dem Ausflug nach vorne ins aktive Bewusstsein. Und es brauchte ziemlich lange, bis ich mehr mitbekam. Also akkustisch.
Das meiste konnte ich mir schon zusammenreimen. Der Geschmack von Blut schwemmte ziemlich schnell und intensiv zu mir durch und auch die Zufriedenheit von dem Wolf dazu ('tschuldigung, Kaya). Ja, scheiße. Klar, da war noch der Schmerz vom Silber. Das konnte sogar ich spüren, hat mich einmal gut durchgeschüttelt. Aber das war es auch. Dann wieder nur die Dunkelheit und die dumpfen Gespräche, aus denen ich mir mühsam das zusammenpuzzlen muss, was gerade passiert. Ich hinke etwas hinterher, aber ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass es nicht gut für mich aussieht...Shit.