Shields Erinnerungen Prose in Kjeru | World Anvil

Shields Erinnerungen

Du erinnerst dich.

Die Erinnerungen kommen nicht einzeln zurück, sondern wie eine Flutwelle. Du siehst dich in einer Halle voller unverständlicher Geräte das erste Mal dein Bewusstsein erlangen, orientierungslos und verwirrt. Doch du bekommst eine Richtung, wirst Stadtwache in Durkonia, dieser großartigen Stadt, die die Adiutores hevorgebracht hat. Und das, obwohl du partout nicht imstande bist, den Schwertkampf zu lernen. Irgendwann drückt dir der genervte Ausbilder einen zweiten Schild in die Hand und meint, du sollst dich einfach vor die anderen Leute stellen, wenn etwas passiert. So kommst du zu deinem Namen.

Hundert Jahre versiehst du diesen Dienst. Dann wirst du ehrenhaft entlassen. Und hast keine Ahnung, wohin mit dir. Ohne Befehle, ohne Anweisungen fühlst du dich verloren. Andere Adiutores, die die gleichen Erfahrungen gemacht haben, helfen dir, eine Anstellung zu finden. Ein Ortswechsel hilft, sagen sie. Als du in einer großen Taverne nach Arbeit suchst, spricht dich ein Rumenj an, er nennt sich Velkan. Er sucht Kämpfer gegen Untote in seinem Heimatland, meint er. Du sagst, du kennst keine Untoten, aber dass du Leute beschützen kannst. Er meint, das ist genau, was er braucht. Du fährst mit ihm nach Rumenja. In deiner Erinnerung siehst du dich schützend vor ihm, als ihr mit einer Reihe anderer Kämpfer ein Dorf vor einem Ansturm von Moroi, lebenden Leichen, beschützt. Velkan streicht dafür eine stattliche Belohnung ein. Als er dir deinen Anteil hinhält, fragst du wie immer, was du denn damit sollst.

Irgendwann ändert sich die Stimmung in Rumenja und die Leute beschließen, die Untoten und ihren usprünglichen Erschaffer endgültig zu beseitigen. Doch ihre Anführerin in diesem Kampf, eine Menschenfrau namens Drhazana, hasst Konstrukte. Du wirst immer mehr Anfeindungen ausgesetzt und irgendwann gibt dich Velkan an der Grenze zu Nablumyet an eine andere Söldnergruppe ab. Zu deiner eigenen Sicherheit, meint er, und dass die Lebenden immer noch gefährlicher seien als die Toten.

Nun jagst du nicht mehr Untote, sondern mutierte Tiere, Dogschin genannt. Dein Befehlsgeber heißt nicht mehr Velkan, sondern Tursun. Sonst ändert sich gar nicht so viel. Doch dann geratet ihr an ein Untier, dem ihr nicht gewachsen seid. EIn fellloses, graues Ungetüm, das mit seinen Kiefern erst Tursun zerreißt und dann mit einem Prankenschlag deinen Kopf abtrennt. Du bleibst in deinem Kopf am Leben und hast lange Zeit, das zu bedauern. Sehr lange Zeit.

Irgendwann hörst du Schritte. Du brauchst ein paar Sekunden, um dich daran zu erinnern, wie du auf dich aufmerksam machen kannst. Dann läuft eine kleine Frau in die Höhlenkammer, in der du liegst. Sie findet dich nicht nur, sie schafft es sogar, dich zu reparieren. Erst provisorisch, dann immer besser. Laura heißt sie. Als du aus der Höhle halb kriechst, halb torkelst, lernst du auch ihren Begleiter kennen, einen kleinen, gut angezogenen Mann namens Connor. Sie interessieren sich für dich, und als sie dich fragen, wie du in der Höhle gelandet bist, musst du selbst überlegen, so lange scheint es her. Als du schließlich fragst, welche Befehle sie für dich haben, lachen sie. Schließlich meinen sie: Gib dir Zeit, erstmal zurecht zu kommen. Und bis dahin komm doch einfach mit uns. Es klingt nicht wie ein Befehl, eher wie ein Vorschlag. Aber nahe genug.

Du bleibst bei den Hevvyhearts, Laura und Connor. Als Räuber sie auf der Straße überfallen wollen, erkennst du den Hinterhalt und schlägst die Angreifer in die Flucht, obwohl du mit einer Hand deinen lockeren Kopf dabei festhältst. Die Hevvyhearts danken dir, doch irgendetwas fühlt sich nicht richtig an. Du erkennst, dass du selbst entschieden hast, zu handlen. Niemand hat dir einen Befehl gegeben. Als du den Hevvyhearts davon erzählst, scheinen sie Mitleid zu haben, was du seltsam findest. Als sie dich in der nächsten Stadt fragen, was du weiter tun möchtest, fragst du, ob sie weiter einen Leibwächter brauchen. Connor fragt zurück: Möchtest du bei uns bleiben? Ja, sagst du.

Connor ist Diplomat, Laura eine Ingenieurin. Sie reisen von Verhandlungspartei zu Verhandlungspartei und auf dem Weg repariert Laura für allerlei Leute allerlei Dinge. Und immer wieder mal dich. Du kämpfst weniger gegen den Feind, sondern ringst nun häufiger mit dir. Was möchte ich? Wer will ich sein? Was ist mir wichtig? Du hast dir solche Fragen vorher nie gestellt.

Nach ein paar Jahren bei den Hevvyhearts bahnt sich bei den beiden Nachwuchs an. Doch die Geburt setzt deutlich früher ein als geplant, ihr schafft es nicht mehr in eine Siedlung. Es gibt Komplikationen. Connors medizinische Kenntnisse sind oberflächlich, deine ohnehin. Das Kind, es wird Marla heißen, überlebt, doch ihre Mutter stirbt am Tag nach der Geburt. Connor verliert in der ersten Zeit seiner Trauer beinahe den Verstand. Immer wieder sagst du ihm eine alte Parole aus deinen Söldnertagen vor: Aufgeben ist keine Option. Dabei fühlst du dich selbst schrecklich. Bald spricht Connor es mit: Aufgeben ist keine Option. Du unterstützt ihn, wo du kannst. Und ihr schafft es, irgendwie. Eine Weile wohnt ihr fest in einem Dorf, um eine Amme in der Nähe zu haben. Das Ersparte der Hevvyhearts hält euch über Wasser. Ihr lernt die Gebärdensprache, denn Marla stellt sich als taubstumm heraus.

Als das Geld knapp wird, nehmt ihr zu zweit, dann zu dritt Connors diplomatische Missionen wieder auf. Das Verhältnis zwischen Nablumyet und Durkonia verschlechtert sich, seit die Nablumyeẑ auch an Luftschiffen bauen. Connor ist bald gefragter denn je. Marla wächst auf Reisen heran, wird ein lebhaftes, neugieriges Kind. Und dann kommt der schicksalhafte Tag auf dem Schiff nach Durkonia. "Diplomaten werden nicht mehr gebraucht", hörst du noch, bevor ein Mann, der ein normaler Matrose zu sein schien, Connor ersticht. Du brauchst keine Sekunde, um den Angreifer zu töten, doch Connor stirbt in deinen Armen und bringt nur noch "Marla-" heraus. Die ist zu diesem Zeitpunkt unter Deck. Du kommst nicht mehr zu ihr, bevor die übrige Crew dich übermannt und irgendwie ausschaltet. Dann erwachst du auf dem Schrottplatz der Stadt.

Du erinnerst dich. An Durkonia, Rumenja und Nablumyet. An Glück. An Schmerz. Und daran, dass du nie wirklich aufgehört hast, zu kämpfen.


Der Text wurde zu Beginn der letzten Session der Kampagne "Rum & Ähre" vorgelesen, nachdem Shield zum Ende der vorhergehenden repariert worden war.


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