Lua folgt der Frau in das Zimmer. Verstohlen gehen ihre Augen auf die Reise durch das Zimmer. Ja, es ist einfach eingerichtet, doch für das arme Mädchen aus den Außenbezirken strotzt es geradezu von Luxus. Weißes Linnen auf einem richtigen Bett! Was für ein Unterschied zu ihrem Heuhaufen, den sie mit ihren Geschwistern teilt, mit der einen, fleckigen, löchrigen Decke, die für alle herhalten muss! Würde sie in Kürze auch so wohnen können, zusammen mit ihren Geschwistern? Sie setzt sich leise auf den ihr angebotenen Stuhl, sitzt ganz vorne, am Rand darauf, als hätte sie Angst, ihr Allerwertester könnte dem Möbel Schaden zufügen. Die Frau geht zu dem Wandschrank, und stellt ihr Milch vor die Nase, Milch, dieses in den Außenbezirken so exotische Getränk! Man findet wohl Früchte, man findet Gemüse, man findet Kartoffeln, vielleicht sogar einmal ein kleines, verlassenes Getreidefeld. Man findet Ratten, und wenn man ganz viel Glück hat, einen verendeten Hund. Kühe stehen in den Außenbezirken nicht herum, darauf wartend, von einem der armen Schlucker gemolken zu werden. Ehrfürchtig riecht Lua an dem Becher. Ihr Blick beginnt zu strahlen, sie schaut nun Nefri plötzlich gerade in die Augen, begeistert, fröhlich, dankbar.
"Vielen Dank!" sagt sie leise, und ein Tauber, dem man die Ohren abgeschnitten hat, hätte die Aufrichtigkeit dieses einfachen Dankes hören können. Sie setzt den Becher an die Lippen, kostet zaghaft. Setzt ab. Eine ganze Weile bleibt die Milch im Mund, dann erst schluckt sie sie hinunter, schließt genüsslich die Augen. Die Spuren, die die Milch an der Oberlippe hinterlassen hat, vergisst sie wegzuwischen. Dann hört sie einfach nur stumm und aufmerksam zu. Schließlich sinkt sie in sich zusammen. Ihr Blick geht auf die Tischkante vor sich, sie sitzt da, stumm, und doch merkt man, dass irgendetwas von dem, das Nefri gesagt hat, sie unheimlich betrübt. Schließlich schließt sie die Augen, einige Augenblicke lang, seufzt und beginnt doch zu sprechen.
"Ich bedanke mich außerordentlich für Eure Güte," sagt sie dann leise, mit zitternder Stimme. "Es wäre eine große Ehre für mich, Eure Gäste zu bewirten, die Zimmer der Mehras zu putzen. Wenn mir gestern jemand gesagt hätte, ich würde heute so ein Angebot kriegen, ich hätte es nicht geglaubt. Also bitte, haltet mich nicht für undankbar, haltet mich nicht für gierig. Aber ich habe fünf Geschwister, für die ich sorgen muss. Ich selbst brauche kein Geld, wenn ich hier schlafen und essen kann. Aber sie, sie müssen doch irgendwo etwas herkriegen, und sie können nicht sieben Tage ohne Essen auskommen, bis ich zum ersten Mal mein Geld bekomme."
Sie sieht Nefri nun wieder an, und es glänzt feucht in den Augen. "Hättet Ihr denn Verwendung für sie? Lonya und Laraya sind 12 und 10, sie können Euch auf jedem Fall zur Hand gehen, beim Kochen, beim Putzen. Rondur, Harkas und Arcus sind zwar erst 8, 7 und 6, aber sie können den Hof fegen, sie könnten Geschirr abspülen, kleinere Besorgungen machen. Sie müssen auch nichts verdienen, sie könnten bei mir im Zimmer schlafen, nur um eine Mahlzeit. Es sind liebe Kinder, sie sind fleißig, sie brauchen nicht viel. Besonders Arcus ist ein sehr kluger Junge, er könnte es zum Schreiber bringen, wenn er nur einen Lehrer hätte. So gerne würde ich für Euch arbeiten, wirklich, das müsst Ihr mir glauben, aber, Ihr müsst doch verstehen, ich kann sie doch nicht so einfach ihrem Schicksal überlassen. Ich bitte Euch, für die erste Woche, bis ich meinen ersten Lohn bekomme. Dann verfügt über mich, wie immer Ihr es wollt. Ich wäre Euch auf ewig zu Dank verpflichtet..."
Sie schaut sie nun flehend an, noch immer mit glänzenden Augen, mit verzweifeltem Gesichtsausdruck, sich an einem Strohhalm klammernd.