Natürlich ist der Fortgang der Selektion des Gemüts der Lua Aetaya nicht zuträglich. Doch sie bemüht sich, die Verzweiflung nicht ankennen zu lassen. Niemand soll etwa denken, dass sie es gewohnt sei, eben nicht genommen zu werden. Dass sie eben nicht geeignet für den Knochenjob mit den Salzsäcken sei. Doch all die Schauspielerei nützt nichts. Als die Thronhoff-Leute kommen, weiß sie, dass sie keinen Auftrag bekommen wird. Doch sie ist nicht zum ersten Mal hier, und so weiß sie auch, dass dann die Fischpacker kommen werden, die nun unter den armen Seelen aussuchen, die noch immer ohne jegliche Einkünfte sind. Wahrlich, niemand mag unter denen sein, die sich ihnen anvertrauen müssen. Lua hat es schon oft gemacht. Sie ist schon im Fieber gelegen, sie hat schon oft umsonst gearbeitet. Aber mit der Zeit wird man besser. Mit der Zeit lernt man, wie man den Fisch anfassen muss, um sich nicht in die Finger zu schneiden. Mit der Zeit weiß man im Schlaf, wo sich der After des Fisches befindet, an dem es sich so gut ansetzen lässt. Mit der Zeit hat man den Dreh raus mit dem Schuppen. Und doch bleiben drei Unbekannte, die man leider nicht ausschalten kann: Zum Ersten die Qualität des Messers. Keiner der Leute am Kai besitzt wohl ein Messer, das gut genug ist, um einen Fisch ordnungsgemäß auszunehmen. So wird das wohl meist gestellt - niemand weiß jedoch, wie genau es die Fischhändler mit dem Schleifen nehmen. Und mit einem stumpfen Messer hat man eigentlich eh schon verloren. Zum Zweiten natürlich die Größe der Fische. Ein Fass ist immer gleich groß, und natürlich geht es viel schneller, wenige, große Fische auszunehmen als viele kleine. Und zum Dritten natürlich die Uhrzeit, zu der man beginnt. Und diese Uhrzeit hat ganz gehörig damit zu tun, wie viel beim Salztragen los ist. Aber kaum jemand hat eigentlich eine wirkliche Wahl. Kaum jemand unter den armen Schluckern kann sich aussuchen, wie er jetzt gerade sein Geld verdienen will. Zumal man, wenn man denn in einem Beruf einfach so anfangen will, es schnell mit irgendeinem der großen Häuser zu tun bekommt.
Lua sieht zu den Bewaffneten in ihren schmucken Uniformen, mit den Wappen auf der Brust. Ja, die haben es gut. Die brauchen sich keine all zu großen Sorgen machen, wie man denn zu der Grütze kommt, die einem das Überleben sichert. Sie sind sich sicher, dass immer irgendetwas zum Verbrennen im Haus ist, um diese Grütze eben zuzubereiten. Lua weiß nicht, wie man es denn schaffen könnte, in so einer Uniform zu landen. Sie weiß nicht, wie man es schaffen könnte, zu denen zu gehören, die die Arbeiter aussuchen. Freilich weiß sie, wo das Haus Thornhoff liegt. Würde sie aber einfach so anklopfen, um sich vorzustellen, um sich zu bewerben, sie würde im besten aller Fälle für ordentliches Gelächter sorgen. Oder es würde für sie schmerzhaft werden. Denn dass ein solch armseliges Bündel wie sie ins Haus gelassen würde, das wagte sie in den kühnsten Träumen nicht zu hoffen.
Und so würde es wohl wieder so sein, dass sie am Abend vor Schmerzen in den Händen nicht einschlafen können würde. Dass sie morgen am Arsenal ihre Hände so gut wie möglich verstecken würde, um nicht etwa den Eindruck zu erwecken, sie könne deswegen nicht anpacken. Und wenn es dann nicht einmal die so ersehnten drei oder vier Filis geben würde... Halt! Hatte sie gerade richtig gehört? 5 Filis? Nun wie gesagt, es war nicht sehr früh, aber eben auch nicht ausgesprochen spät. Und wenn nun das Messer nicht stumpf sein würde, und die Fische nicht allzu klein... 5 Filis! Das hieß für sämtliche Geschwister ordentlich satt zu werden. Das hieß, ein Feuer in der Nacht zu haben und nicht zu frieren. Das hieß, am Ende noch einen Fili für den Folgetag über zu haben. Vor ihren Augen erschien schon der dampfende Kochtopf mit der Grütze, vielleicht sogar einer Ratte darin, einigen Zwiebeln oder was immer ihre Geschwister aufzutreiben imstande wären. Oder vielleicht einigen achtlos weggeworfen Fischköpfen, Innereien... Aber da wurde sie doch recht unsanft aus ihren Träumen gerissen.
"Klar, auf jeden Fall!" Luas dunkle Augen blicken in die kalten Seelenspiegel der Frau. Und ihre Augen sind keineswegs von Kälte gezeichnet, ganz im Gegenteil. Nur schwer kann Lua die Begeisterung verbergen.