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Wed, Apr 17th 2024 01:19   Edited on Thu, May 30th 2024 05:58

[14. Tag, Mittag] Bauernopfer

Gegen Mittag bietet sich im Coveani-Viertel ein Anblick, den es dort schon lange nicht mehr gegeben hat. Aus den Verliesen unter den Grandafratoj begiebt sich ein eigentümlicher Zug auf den kurzen Weg zum Hafen. Zuerst vier Mann der Wache in voller Einsatzausrüstung. Ihnen folgt ein Karren, der von zwei Männern in ehemals weißen, aber jetzt von allerlei Unrat und unaussprechlichen Dingen verunzierten Kitteln, gezogen wird. In diesem Karren liegen - scheinbar jedes Willens beraubt - der ehemalige Luanto und der ehemalige Herr der gräflichen Münze, deren Namen längst Schall und Rauch geworden sind. Beide sind nackt und offenbar schwer verprügelt worden. Dem Karren folgen nochmal fünf Mann der Wache und sichern den Zug nach allen Seiten. Rumpelnd und polternd nähert sich der Karren dem Hafen und zieht dabei einige Aufmerksamkeit auf sich.  Auf einer größeren Freifläche, wo sich in früheren Zeiten wohl Waren und Güter aus dem ganzen Reich und von den Frenischen Inseln gestapelt hätten, ist in der vorangegangenen Nacht ein hölzernes Podest errichtet worden, auf dem sich drei hohe Pfähle erheben. Es fehlen jedoch Querbalken oder Richtblock, also Hängen oder Köpfen scheiden als übliche Hinrichtungsarten aus.   Seit langem hat es unter der Herrschaft von Gräfin Alessandrina keine Hinrichtungen mehr gegeben. Zumindest keine öffentlichen. Es verschwinden natürlich gelegentlich Unruhestifter, Diebe und sonstiges Gesindel von den Straßen, aber niemand weiß so ganz genau, was mit ihnen passiert. Und der Okula geht seiner Arbeit ohnehin im Verborgenen nach und was hinter seinen Mauern geschieht, weiß man nicht.   Als der Karren am Fuß des hölzernen Gerüstes hält, hat sich bereits eine neugierige Menge versammelt, die immer noch größer wird. Obwohl normalerweise nichts aus dem innersten Kreis der Macht hinausdringt, haben sich Gerüchte vom Wutanfall der Gräfin verbreitet und obwohl natürlich niemand Einzelheiten kennt, sind alle gespannt, wie sich er Zorn ihrer Herrin entladen wird.   Die beiden nackten Straftäter werden von den Wachen unsanft vom Karren gezerrt und auf das Podest gescheucht, wo man sie unsanft wieder zu Boden stößt. Seile werden an ihren Köcheln befestigt und bald baumeln die beiden kopfüber mit gespreizten Beinen zwischen den Pfählen.   In dieser unwürdigen Position sind sie dem Hohn und den Schmähungen der versammelten Menge ausgesetzt. Gelächter brandet auf, vereinzelt fliegt vergammeltes Gemüse oder sonstiger Abfall auf das Podest. Als die beiden Männer in den weißen Kitteln jedoch mit einer langen Zweimannsäge neben die deiden Delinquenten treten, tritt Stille ein.   Eine der Wachen tritt vor, er hat ein Schreiben in der Hand, aus dem er die Verfehlungen der beiden verkündet. Es ist die Rede von Verrat, Schwächung der Wirtschaft, Unterwanderung der gräflichen Autorität und anderen Dingen, die sich sehr gewichtig anhören. Wem es bis dahin noch nicht klar geworden ist, dem wird am Schluss die Strafe verkündet: Die Säge.   Verwirrung macht sich breit. Die Säge? Was soll das bedeuten? Als die beiden Männer in den Kitteln die große Säge je an einem Ende packen und sich vor und hinter den Verurteilten aufstellen, wird klar, was nun folgt. Von dieser Hinrichtungsmethode hat man noch nie gehört. Die entsetzten Schreie der Verurteilen hallen weit über den Platz und Menge murmelt nervös und aufgeregt. Hängen war eine klare Sache, Köpfen auch. Auch von den Pfählungen des Hauses Thornhoff hat schon jeder gehört und viele haben es auch schon gesehen. Keine schöne Art zu sterben, ganz und gar nicht. Aber die Säge?   Als das Werkzeug zwischen den Beinen des ersten Mannes angesetzt wird, geht ein Raunen durch die Menge und ein klägliches, entsetztes Heulen ist zu hören.   Die beiden Henker spannen die Muskeln und führen den ersten Schnitt. Das Geräusch, das der Verurteilte von sich gibt, ist kaum mehr menschlich zu nennen. Ein hoher, wimmernder Schrei, ein tiefes, tierisches Stöhnen und Heulen, das sich zu einem entsetzlichen Crescendo steigert, je tiefer das Sägeblatt dringt. Das reißende Geräusch der Säge geht in ein nasses Schmatzen über und schließlich in ein knirschendes Mahlen, als der Gefangene endlich verstummt. Blut, Schleim, Gedärme und Kot  klatschen auf das hölzerne Podest und die aufgestellten Wachen machen einen angewiderten Schritt zurück, während die ersten Reihen der versammelten Menge verstummen und erstarren. Einige Zuschauer müssen sich übergeben.   Als die beiden Henker den ersten Verurteilten zerteilt haben, ist der andere neben ihm vor Entsetzen fast ohnmächtig. Urin beschmutzt ihn in einem gelben Bach seinen Körper hinab. Er zappelt und schreit halb wahnsinnig vor Angst, als die beiden Henker die Säge zwischen seine Beine heben.   Gräfin Alessandrina Coveani steht indes an das Geländer des Dachgartens gelehnt und sieht in Richtung des Hafens, der Menschenmenge und des Podestes. Sie kann die Schreie des zweiten Mannes deutlich hören, als die Säge ihre Arbeit verrichtet und lächelt still in sich hinein. Dann dreht sie sich um und wendet sich Adama Corvu zu, der in einem der Stühle vor ihrem Schreibtisch sitzt und äußerst unglücklich dreinschaut. Zwar ist der Leiter des Okula Gewalt gewohnt und Morde bereiten ihm keine schlaflosen Nächte, aber schön muss er diesen Teil seiner Arbeit deswegen nicht finden.   Die Gräfin lacht hell auf, als sie seinen Gesichtsausdruck sieht. "Seien sie nicht so griesgrämig, Adama. Es ist doch alles ganz nach Plan verlaufen!"   Corvu lächelt und nippt an einem Glas Wasser. "Zugegeben: Es ist ein voller Erfolg. Thornhoff wird denken, wir würden nach seiner Pfeife tanzen, in Wirklichkeit war er nur der Strohmann, ein Vorwand, um einen unfähigen Meister der Münze los zu werden und Druck auf die Luantos aufzubauen. Es war eine sehr schlaue Idee, diese Gerüchte in Umlauf zu bringen."   "Der Fischhändler denkt, er hätte mich durch seinen Druck dazu gezwungen, durchzugreifen. Dabei hat er genau das getan, was ich erwartet habe." Die Gräfin lehnt sich zufrieden zurück und blinzelt in die Sonne. In der Ferne steigern sich die Schreie des Verurteilten zu einem kreischenden Höhepunkt, bevor er endgültig verstummt.