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Wed, Jan 3rd 2024 12:07   Edited on Thu, Apr 25th 2024 11:29

Die Bibliothek

Als Theomer sich der Anlegestelle in der Nähe des Skriptoriums nähert, kämpft er die Müdigkeit in sich mit Gewalt nieder und richtet sich zu ganzer Größe auf. Die letzte Nacht war überaus lang gewesen. Überaus lang und überaus erfolgreich. Er hatte Leifs Familie am Lachenden Zwilling in Empfang genommen, die Mädchen auf die Zimmer verteilt und Leifs Vater und Bruder zu dem alten Fischerhaus gebracht, das er vorher kurzerhand selbst in Besitz genommen hatte. Er hatte keine großen Unkosten gehabt, daher hatte er die Miete für die Hütte auch nicht allzu hoch veranschlagt. Bei dem Gedanken daran musste er immer wieder grinsen. Demnächst würde man im Lachenden Zwilling das Haruland-Bier passend zum Haruland-Fisch bekommen. Leif hatte es sehr eilig gehabt, ins Thornhoff-Gebiet zurückzukehren. Möglicherweise war er sogar jetzt schon auf dem Weg zu Reland. Theomer war von sich selbst überrascht, als er ein Stoßgebet an Eru richtete, dass er seine schützende Hand über den armen Tropf halten möge. Es half alles nichts, wider besseres Wissen mochte Theomer den Kapitän irgendwie. Es war schwer, ihn nicht zu mögen.   Er hatte kaum ein paar Stunden Schlaf bekommen, als er mit Mari in die alte Bibliothek seines Großvaters ging, dort eine der zahlreichen Stadtkarten raussuchte und die ehemalige Kellerrate die Position der Anomalien eintragen ließ. Die Karte lag nun gut versteckt in seiner kleinen Kammer in der Brauerei. Sie hatten dann noch etwas durchgefegt und gelüftet und zum Schluss hatte er das dürre Ding noch mit einer dicken Decke und einer alten Steppweste seiner Mutter überrascht, die ihr zwar viel zu weit, dafür aber auch zu kurz war. Das hatte Mari sich immerhin mehr als verdient.   Als er an der Anlegestelle die Gestalt von Gregorian Vellez ausmacht, ruft er sich ins Gedächtnis zurück, was er über den Mann mit den seltsamen Augen in Erfahrung gebracht hat. Er nimmt sich vor, misstrauisch zu bleiben. Auch wenn er bislang keinen Anlass hat, in ihrer Beziehung etwas anderes als das rein Geschäftliche zu vermuten.
Fri, Jan 5th 2024 01:39

Überschwenglich dankt sie Theomer für die warme Kleidung und die Decke. Er konnte wahrscheinlich nicht ermessen, wieviel es ihr bedeutet. Wie sie es ausgemacht hatten, war sie gleich darauf aus der Brauerei verschwunden und streift aufmerksam durch die Umgebung. Zum ersten Mal in diesem Winter friert sie nicht im Freien und beschwingt summt sie eine kleine Melodie, während sie sich die Örtlichkeit einprägt.
Fri, Jan 5th 2024 02:44

Erst auf den zweiten Blick fällt es auf, daß die einfache Kleidung, die Gregorian trägt, aus hochwertigen Stoff geschneidert ist, nur die weichen Halbstiefel offenbaren schon beim ersten Hinsehen den Wohlstand ihres Besitzers. Am Gürtel trägt er ein schmuckloses Langmesser mit abgegriffen Heft. Seine Begleitung ist nicht die, die Theomer erwartet haben mochte. Statt der atemberaubenden Ostin steht neben ihm ein älterer Mann in einem langen Reiseumhang mit dem Wappen des Skriptoriums, der in der Rechten einen großen, abgedeckten Korb trägt. Grüßend hebt er die Rechte als Theomer anlegt. “Guten Morgen wünsche ich euch.”: ruft er Theomer zu. “Nicht ganz der Morgen den man sich wünschen wollte, aber jeder Morgen an dem man noch die Augen aufschlagen kann ist ein Guter.”: sagt er gut gelaunt. “Ihr erlaubt doch?”: erkundigt er sich und besteigt leichtfüßig Theomers Boot und die sichere und geschmeidige Art mit der er sich bewegt, läßt ihn nicht mehr ganz so sehr als verweichlichten Gelehrten aussehen. Dem älteren Mann nimmt er den Korb ab, bevor er in das Boot stiegt. Erst als er sicher im Boot steht reicht er ihm den Korb zurück. “Darf ich euch vorstellen.”: er deutet auf den Mann der sich sichtlich nicht sehr wohl fühlt, in dem schwankenden Kahn. “Meister Tertulio, einer meiner besten Schreiber, Spezialist für legistische Texte und der Literatur der späteren Kaiserzeit. Er wird die Vorprüfung eurer Bestände vornehmen während wir uns ein wenig stärken werden. Ich habe nicht auf unsere Abmachung vergessen.”: sagt er schmunzelnd.  
Sat, Jan 6th 2024 10:33

Da Theomer durch Maris Enthüllungen aufmerksam geworden ist, fällt ihm gleich Gregorians Messer auf, das abgetragen aussieht und ganz und gar nicht wie der Zierrat, die ein Gelehrter möglicherweise tragen würde, um sich wichtig zu machen. Meister Tertulio wiederum wirkt ganz genau so, wie man sich einen gelehrten Bücherwurm vorstellen würde und der Gedanke beruhigt Theomer irgendwie. Nicht, dass er einen Grund gehabt hätte, Gregorian tatsächlich zu misstrauen, aber zwei potentiell kampferprobte Männer zu sich nach Hause zu transportieren, würde ihn dann doch nervös machen.   Er begrüßt die beiden Männer mit einem festen Händedruck. "Wir werden vielleicht in einen kleinen Regen geraten, aber ich glaube nicht, dass er lange anhält." Er stößt den Kahn wieder vom Anleger ab, als die beiden sich gesetzt haben, dreht ihn stromaufwärts und stakt zurück Richtung Brauerei. Nach dem gestrigen Markttag ist der Fluss weitaus weniger befahren als sonst. Die meisten Transporte waren schon gestern erledigt worden, die Waren bereits verkauft und die Geschäfte abgewickelt. Nur Waren des täglichen Bedarfs werden heute noch flussabwärts geschafft und die paar größeren dickbauchigen Flusskähne halten sich in der Mitte des Flusses und kommen Theomer nicht in die Quere, der sich am östlichen Ufer hält. Als sie das große Kontor passieren, sieht Theomer mit Absicht nicht auf das große Gebäude, dessen große Anlegestelle immer noch zeigt, dass hier früher größere Mengen Waren abgeladen worden sind und dem immer noch das Wappen der Harulands prangt. Der Giebel des vierstöckigen Gebäudes ragt weit nach vorne und der daran befestigte Flaschenzug schaukelt im Wind. Als Kind hatte er sich mit Freunden manchmal als Mutprobe von dort oben abgeseilt. Das war lange her.   "Ich muss euch vorwarnen, meine Herren" erklärt er, als die Brauerei schließlich in Sicht gerät. "Das alte Wohngebäude ist nicht mehr in sehr gutem Zustand." Er geht längsseits der Anlegestelle, wirft geschickt eine Schlinge um den Poller, zieht den Kahn ran und macht ihn fest. "In der Bibliothek ist aber noch alles unberührt und die alten Bände sind unversehrt. Ich habe heute morgen noch etwas nach dem Rechten gesehen." Sie gehen über den Hof auf das ehemals prächtige und nun zusehends verfallene Wohngebäude zu. Im Tor des Brauereigebäudes steht Herubrand und winkt gut gelaunt.
Sun, Jan 7th 2024 05:45   Edited on Sun, Jan 7th 2024 05:46

Allem Anschein nach scheint Gregorian ganz im Gegensatz zu Meister Tertulio die Flußfahrt zu genießen. Der Schreiber hat sich vorsichtig niedergesetzt und klammert sich mit beiden Händen fest. “Ach das tut nichts zur Sache.”: sagt Gregorian als Theomer den Zustand des Wohngebäudes erwähnt. “Auch bei mir im Skriptorium ist ein Teil noch in bedauerndswerten Zustand. Aber es freut mich natürlich, daß eure Bibliothek gut erhalten ist. Dieser Tage kümmert sich kaum noch jemand um Bücher oder Schriftrollen. Soviel vom alten Wissen ist bereits verloren gegangen, daß jedes beschriebene Blatt wertvoll sein kann. Aber die Leute wissen einfach nicht womit sie Feuer machen oder sich in Schuhe stopfen, wenn sie einmal so eine Kostbarkeit finden.” Interessiert sieht er sich um als Theomer längseits geht und den Kahn fest macht.   “In seinen guten Tagen muß dieses Anwesen sicher beeindruckend gewesen sein und ein deutlich sichtbares Zeichen des Wohlstandes seines Besitzers.”: sagt er als er sich kurz umgesehen hat. Dann nimmt er mit einem Schmunzeln den Korb an der Seite des Schreibers, dem die Erleichterung über das Ende der Fahrt ins Gesicht geschrieben steht, steigt aus dem Kahn und hilft Tertulio beim Aussteigen bevor er ihm den Korb wieder in die Hand drückt. Er folgt Theomer über den Hof der Brauerei und hebt grüßend die Hand als Herubrand ihm zuwinkt. “Bei dieser Ähnlichkeit vermute ich das der Mann im Tor euer Bruder ist, oder?”: erkundigt er sich. “Ihr seid ja schon eine beeindruckende Gestalt, aber euer Bruder ist wahrlich respekteinflößend.”  
Mon, Jan 8th 2024 02:29   Edited on Mon, Jan 8th 2024 10:20

Theomer erwidert kurz den Gruß seines Bruders, verlangsamt aber nicht seinen Schritt. "Herubrand ist eigentlich der ältere und sollte die verbliebenen Geschäfte führen. Er hat sich aber nie richtig von einem Unfall erholt und spielt heutzutage am liebsten mit den Kindern im Viertel." Er stößt die zweiflügelige Tür des Wohngebäudes auf und sie betreten den großen Eingangsbereich. Es fehlte nicht viel, und man hätte die Diele wohl als Saal bezeichnen müssen, aber so riesig sind die Ausmaße dann auch wieder nicht. Er führt die beiden Männer die breite Treppe mit dem kunstvoll geschnitzten Handlauf hinauf in den ersten Stock. An vielen Stellen blättert die Farbe von den Wänden oder der Putz hat sich in großen Flecken gelöst. Der dicke Teppich dämpft ihre Schritte, ist jedoch wurmstichig und teilweise schimmlig geworden. Durch die zerbrochenen Fensterscheiben weht der Wind und an verschiedenen Stellen liegt Vogeldreck. Theomer seufzt. Vielleicht sollte er Gregorian gleich die ganze Bibliothek überlassen, bevor sie verrottet und wertlos wird. Immerhin wäre sie dann in Sicherheit und in der Obhut von jemandem, der sie zu schätzen wüsste.   Im ersten Stock geht es an einigen Zimmern mit zersprungenen Scheiben vorbei, dann in einen kleinen Gang in dem rechts das alte Arbeitszimmer seines Großvaters liegt und ihm gegenüber die Bibliothek. Theomer sperrt sie mit einem altertümlich großen Schlüssel auf und öffnet die schwere Eichentür. Bibliothek ist wahrlich nicht untertrieben. Die Wände sind komplett mit Regalen bedeckt, in denen effektvoll die fast 50 Bände seines Großvaters arrangiert sind. Die Regalböden sind aus massiver, dunkler Eiche und mit Laubenranken verziert. Viele Bände liegen auf Podesten, um aufgeschlagene Kalligraphien oder prächtige Einbände zu präsentieren. Neben einer Reihe mit Nachschlagewerken über die Brau- und Brennkunst liegen auf Hochglanz polierte Ventile und ein mit dem Schriftzug "Thornhoff" verzierter Schraubenschlüssel, den Theomers Großvater zum Geburtstag bekommen hat. Neben einigen großen Folio-Bänden über die Tier- und Pflanzenwelt des Kontinents liegen die Schädel eines Bären, eines Hundes und einiger kleiner Nagetiere. In einem Setzkasten unter Glas werden einige Dutzend Dolden verschiedener Hopfenarten präsentiert. Neben einem Standardwerk der Geologie liegen fein säuberlich mit kleinen Schildchen beschriftet Brocken von Granit, Schiefer, Marmor, Basalt und zwei Dutzend weiteren Gesteinsarten. Die offensichtlich antiken Büsten alter Dichter überblicken ein gutes Dutzend Gedichtbände in prächtigen Einbänden. Daneben wirken die Rechtstexte samt Kommentaren abgegriffen und oft benutzt. Eine vollständige mehrbändige Darstellung der Geschichte der späten Kaiserzeit wird von großen Kartenwerken flankiert, dem folgen einige Bände religiösen und philosophischen Inhalts. In einer Vitrine hinter Glas finden sich die exotischeren Bücher. Hier stehen Dinge wie "Die Protokolle der Weisen von Saguz", "Der Parasit - eine Phänomenologie der Hermetiker" und - seltsam Fehl am Platz - zwei Mappen mit Zeichenstudien aus der Kaiserzeit, in denen ein später berühmt gewordener Maler über Seiten nur Kniegelenke, Augenbrauen oder Fenstersimse geübt hat. Ein seltenes Zeugnis des Reichtums jener Tage, denn heutzutage würde niemand mehr auf diese Weise kostbares Papier verschwenden. Diee der Tür gegenüberliegende Wand wird von zwei hohen Fenstern dominiert, vor denen ein großes Lesepult und zwei bequemere Sessel stehen. In der Mitte des Raumes steht ein großer Tisch, die Stühle jedoch fehlen.   Theomer breitet die Arme aus und erklärt. "Seht euch um, Meister Tertulio." Ein plötzlichen Eingebung folgend fügt er hinzu: "Falls ihr etwas über Eru entdeckt, würde ich das allerdings gern behalten."
Fri, Jan 12th 2024 01:58   Edited on Fri, Jan 12th 2024 02:17

Aufmerksam sieht sich Gregorian um, als sie das Gebäude betreten, dessen Ausstattung immer noch eine Ahnung des vergangen Prunks vermittelt. Einen Moment bleibt er auf der Treppe stehen und betrachtet das geschnitzte Geländer kurz, bevor er sich wieder Theomer anschließt. Meister Tertullio, der augenscheinlich froh ist, den Fluß hinter sich gelassen zu haben, läßt der verblichene Prunk kalt. Als sie jedoch die Bibliothek betreten, ändert sich dieses Verhalten schlagartig. Die Bücher scheinen einen magischen Reiz auf ihn auszuüben. Achtlos stellt er den Korb auf den großen Tisch und es hätte der Einladung Theomers nicht bedurft, denn mit ein paar Schritten ist er bei den Podesten mit den aufgeschlagenen Büchern. Mit einem leisen Ausruf des Erstaunens beginnt er in einem der Bände zu blättern.   Auch Gregorian ist sichtlich beeindruckt von Theomers Bibliothek. “Ich muß gestehen, ich bin überrascht.”: sagt er an Theomer gewandt. “Für gewöhnlich wird jede Sammlung die mehr als ein Buch oder Schriftrolle enthält, heutzutage als Bibliothek bezeichnet. Aber dies hier verdient diese Bezeichnung in der Tat. Ihr erlaubt doch?” Gregorian sieht sich um und mit einem Lächeln nimmt er einen der Gedichtebände heraus und öffnet ihn. “Rede dir ein, du liebst, wo du flüchtig begehrst. Glaub es dann selbst. Aufrichtig liebt, wem's gelang, sich selbst in Feuer zu sprechen.“: liest er laut. “Die Sonetten Corelians! Er hat über ein dutzend Dramen und andere Stücke geschrieben. Aber nur diese kleine Sammlung von Gedichten und Aphorismen.” Lächelnd stellt er den Band zurück. “Nicht nur materiell wertvoll.” Dann bleibt er noch bei der Vitrine stehen. “Ah, die Protokolle!”: sagt er mit hintergründigem Schmunzeln. “Man sagt es sei eine Fälschung, aber wer auch immer es gefälscht haben sollte, eine grundsätzliche Einsicht in die Natur der Politik und der Kunst der Verschwörung ist dem Schreiber nicht abzusprechen.” Er wirft noch einen Blick auf die anderen Stücke der Sammlung und wendet sich dann an Theomer. “Lassen wir Meister Tertullio in Ruhe seine Arbeit tun. Wir können in der Zwischenzeit frühstücken. Ich habe mein Versprechen nicht vergessen.”: sagt er und deutet auf den Korb. “Wenn ihr wollt, dann holt die Mitglieder eures Haushaltes dazu, es ist mehr als genug da. Und erlaubt mir noch eine Frage. Woher das Interesse an Eru? Der Göttervater wurde selbst in den goldenen Tagen des Reiches kaum verehrt.”  
Sat, Jan 13th 2024 04:05

"Mein Großvater war leidenschaftlicher Sammler und ich glaube, dass er ein paar der Gedichtbände sogar selbst kopiert hat. Viele davon sind wohl auch Gesetzestexte und praktische Handbücher?" Er kuckt etwas verlegen zum eifrigen Tertullian, der im Gegensatz zu ihm selbst direkt lesen kann, worum es im jeweiligen Buch geht.   Theomer hört das Gedicht, das der Gelehrte liest, mit nicht wenig Irritation. Für ihn ist Sprache ein Werkzeug, mit dem man ein Bier bestellen oder sich lautstark Luft machen kann. Eine Verwendung, wie bei diesem Dichter - den Namen vergisst er sofort wieder - ist ihm völlig neu. Obwohl es ihn irgendwie fasziniert, ist es auch verwirrend und unverständlich. Und was sind Dramen? Als Gregorian von Fälschungen spricht, merkt Theomer alarmiert auf. "Was meint ihr? Was sind Fälschungen?" Seinem Großvater waren die Bände in dieser Vitrine besonders wichtig gewesen, aber er selbst wusste nichts Näheres darüber.   "Es hätte wenig Sinn, Herubrand zu holen." Er wirft einen Blick aus dem Fenster. "Um diese Zeit kommen meistens die Kinder aus der Nachbarschaft zum spielen." Er zuckt mit den Schultern. "Er hat einen sehr einfachen Verstand, aber er ist ein guter Kerl. Außer ihm gäbe es nur noch meine Schwester, aber Eru allein weiß, wo Theahild steckt." Er lächelt schelmisch. "Anscheinend bleiben nur wir übrig, um uns auf das Essen zu stürzen."   Zu Eru will er nicht mehr sagen, als nötig. Sein Kontakt mit den Kellerratten und sein Besuch im Tempel sind nichts, was Gregorian gleich wissen muss. Stattdessen zuckt er etwas entschuldigend mit den Schultern. "Nur etwas Neugier aufgrund der Erzählungen eines Betrunkenen. Obwohl mein Großvater viel wusste" er macht eine vage Bewegung mit der Hand, die den ganzen Raum umfasst, "hat er über Eru nicht gesprochen. Ich frage mich einfach, warum."
Sun, Jan 14th 2024 09:52

“Euer Großvater war ein Mann mit vielerlei Interessen wie es aussieht. Der Kodex, das Standardwerk der Kaiserzeit über alle Aspekte des Rechtes findet sich hier genauso wie technische Texte, aber auch Literatur wie die Sonetten. Mit einem Wort, eure Bibliothek ist sowohl vom Inhalt als auch von der Anzahl der erhaltenen Werke bedeutend.”: sagt Gregorian. Als Theomer bei seiner Bemerkung über Fälschung der Protokolle nervös wird, lacht er kurz auf. “Keine Sorge, es war nicht in dem Sinne gemeint, daß dieses Werk eine Fälschung ist, wie ein falsche Münze oder ein kopiertes Bild, das als Original ausgegeben wird. Den Kurus wird in diesem Buch unterstellt, daß sie nach der Herrschaft über die Menschheit streben. Es ist natürlich Unsinn. Wie sollte eine Rasse nach der Herrschaft streben, die in den Hermetikerpogromen und in den Jahren danach ausgelöscht wurde? Aber die Protokolle gehen nicht nur davon aus, daß die Kurus überlebt haben, sondern das sie auch eine mächtige Geheimorganisation geschaffen haben, die ihr Netzwerk über ganz Meras ausgebreitet hat.” Gregorians amüsiertes Schmunzeln hat für einen Moment etwas Zynisches an sich. “Kompletter Unsinn also, aber das tiefe Verständnis über die Kunst der Verschwörung, der politischen Verführung und Konspiration ist mehr als beeindruckend. Im diesem Sinne habe ich von Fälschung gesprochen.”   Als Theomer erklärt, daß nur sie beide frühstücken werden, antwortet Gregorian gut gelaunt: “Dann laßt uns beginnen. Mir knurrt schon der Magen.” Gregorian breitet das Tuch, mit dem der Korb zugedeckt war auf dem Tisch aus. Statt Tellern nimmt er einfache Holzbretter aus dem Korb, dann einen ganzen Schinken, den er aus einem Leinentuch schält, zwei geräucherte Flußfische, einen gar nicht so kleinen Laib Käse, ein Körbchen mit gut einem Dutzend gekochten Eiern, ein dünnes Säckchen gefüllt mit getrockneten Früchten und Nüssen, einen Tiegel mit Honig, frische Butter, einen Tiegel mit roter Paste und zwei duftende, frische Brote. “Ich wußte nicht ob ihr Rot- oder Weißwein bevorzugt, also habe ich beide mitgebracht.”: sagt er vergnügt. “Vorsicht mit der roten Paste! Es ist eine Spezialität aus meiner Heimatstadt und höllisch scharf. Ihr erlaubt doch?” Ohne jede Umschweife bricht er sich ein Stück Brot vom Laib, reißt es in zwei Hälften, säbelt sich mit seinem Messer eine ordentliche Scheibe vom Schinken ab, den er mit der Paste bestreicht und obendrauf eine Scheibe Käse, packt alles zwischen die Brothälften und beißt herzhaft hinein. Genüßlich kaut er auf dem Bissen herum. “Euer Großvater…”: sagt er und schluckt den Bissen hinunter, bevor er weiterspricht: “Wird nichts von Eru gesagt haben, weil es kaum etwas über ihn zu sagen gibt. Viel mehr als im Goldenen Buch über ihn steht, findet man auch nicht in den zahlreichen Schriften der religösen Haarspalter. Er wurde kaum verehrt und in der späten Kaiserzeit war sein Kult erloschen. Aber seit kurzem soll es wieder einen Tempel geben der ihm geweiht ist. Das neu erwachte Interesse am Göttervater macht mich einfach neugierig. Deshalb habe ich gefragt.” Genüßlich beißt er wieder in sein Brot.  
Tue, Jan 16th 2024 01:17

Staunend verfolgt Theomer, was Gregorian alles aus seinem Korb nimmt. Einen solchen Schinken hat er seit Jahrzehnten nicht mehr zu Gesicht bekommen. Dieses Frühstück allein würde ausreichen, ihn und seine Familie zwei Tage satt zu machen. "Das Skriptorium läuft wohl gut?", fragt er mit einem Grinsen und schneidet sich selbst eine Scheibe ab. Die rote Paste ist wirklich nicht ohne und er zieht scharf die Luft ein, als er ein wenig davon probiert. "Wie heißt diese Stadt, in der man so scharf isst?" Er schnuppert etwas an dem Wein, naturgemäß versteht er nicht viel davon und würde normalerweise auch nichts trinken - vor allem nicht so früh am Tag - aber er hat das unbestimmte Gefühl, dass es nicht schadet, wenn Gregorian ihn für einen Mann hält, der einem frühen Tropfen nicht abgeneigt ist. Er schenkt sich einen ordentlichen Schluck Rotwein ein und probiert. Eine gute Wahl. "Ihr könnt euch denken, dass ich mehr von Bier verstehe, als von Wein. Früher hat die Haruland-Brauerei eine ganze Palette verschiedener Biere produziert. Manche hatten auch fast so viel Alkohol wie der hier" er nimmt noch einen Schluck. "Heutzutage braue ich nur noch eine recht dünne Brühe, fürchte ich. Es wäre schön, irgendwann wieder richtiges Harulands Helles zu verkaufen."   Er lauscht Gregorians Erläuterungen zu den Protokollen der Weisen von Saguz und mustert währenddessen die Miene des Gelehrten. "Von Kurus und Hermetikern habe ich gehört, aber mehr im Sinne von Sagen und Gruselgeschichten." Er zuckt mit den Schultern. "Selbst wenn es noch welche geben sollte, können es nicht viele sein, sonst wüsste man doch von ihnen."    Den Ausführungen über Eru hört Theomer aufmerksam zu. Er glaubt Gregorian jedoch nur zur Hälfte und hält es für sehr unwahrscheinlich, dass Gregorian nicht ganz genau über den Tempel Erus im Imeria-Gebiet Bescheid weiß. Eine Weile essen sie stumm. Theomer trinkt vorsichtig von dem Wein, denn er weiß, dass er nicht allzuviel verträgt. Er hat gesehen, was der Alkohol aus seinem Vater gemacht hat und außer gelegentlichen Schlucken zur Verkostung trinkt er so gut wie nie.
Thu, Jan 18th 2024 05:01

“Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden, aber Geschäfte könnten immer besser gehen.”: schmunzelt Gregorian und füllt sich seinen Becher wieder. “Ich bin in Saguz aufgewachsen. Dort hat jeder Haushalt sein eigenes Rezept für die Paste. Aber in einem ist sie immer gleich, sie ist scharf.”: beantwortet er Theomers Frage. Er nimmt noch einen kräftigen Schluck aus seinem Becher. “Bei mir verhält es sich genau umgekehrt, ich neige weit mehr dem Wein zu als dem Bier. Daher verstehe ich auch nicht viel von Bier und vom Brauen schon gar nichts.”: gibt er freimütig zu. Als die Rede auf Hermetiker und Kurus kommt verändert sich der heiter enstpannte Gesichtsausdruck nicht, nur in den hellen Augen glitzert es einen Augenblick. “Ja, die Priester haben ganze Arbeit geleistet und jene ausgelöscht, die es möglich gemacht hatten, daß der Riß geschlossen werden konnte. Ohne Kurus und Hermetiker wären die Strahlenden heute die unumstrittenen Herren von Meras. Aber das Gedächtnis der Leute ist kurz und der Bedarf an Sündenböcken groß.”: sagt er leichthin um sich noch einen kräftigen Schluck zu gönnen.   Bevor er noch etwas sagen kann, mischt sich Tertulio an Gregorian gewandt ein. “Entschuldige, ich bin so weit.”: sagt er. “Das meiste Material hier haben wir bereits in der einen oder anderen Ausgabe in den Archiven. Interessant sind meiner Meinung nach die vier Bände die ich zur Seite gelegt habe und das hier.” Er reicht Gregorian ein dünnes Bändchen in fleckigem Einband. “Sie es dir selbst an. Dein Karisch ist weit besser als das Meine. Von den anderen Bänden wären drei kopierenswert, den Vierten würde ich an deiner Stelle kaufen. Es ist eine vollständige Ausgabe der Anmerkungen zur Kriegskunst von Mertelen.” Überrascht zeiht Gregorian eine Augenbraue hoch. “In der Tat interessant.”: sagt er und beginnt dann in dem dünnen Bändchen zu blättern. Für eine ganze Weile scheint er völlig auf seine Umgebung zu vergessen. Erst als sich Tertulio räuspert hebt er wieder den Kopf. “Interessant, aber schwer zu lesen diese Handschrift. Es handelt sich um einen spagyrischen Text, eher ein Arbeitsbuch als ein fertig ausgearbeitetes Werk in altertümlichen Karisch.” An Theomer gewandt fährt er fort: “Es ist ein Spezialgebiet der Alchemie. Der Verfasser hat mit verschiedenen Pflanzenaschen bei der Metallherstellung experimentiert und seine Versuche hier festgehalten. Kein ungefährlicher Text. Wenn er in falsche Hände gerät könnte man euch der Ausübung hermetischer Künste bezichtigen. Ich muß euch ja nicht sagen was das bedeutet.” Bei den anderen Bänden scheint sich Gregorian voll auf Tertulio zu verlassen, denn ohne sie auch nur anzusehen, sagt er zu Theomer: “Gut, dann laßt uns Nägel mit Köpfen machen. Für das Recht die drei Bände zu kopieren und dieses Arbeitsbuch hier bilde ich euch ohne weitere Kosten zum Schreiber aus und für die Anmerkungen lege ich noch 30 Lamen drauf. Was sagt ihr dazu?”  
Fri, Jan 19th 2024 02:29

Theomer verfolgt die Erläuterungen Tertulios neugierig aber ratlos. Es fühlt sich an, als würde er Einblick in eine unbekannte Welt bekommen, zu der er keinen Zugang hat. Zumindest noch nicht. Einerseits fühlt es sich seltsam an, etwas herzugeben, was für seinen Großvater so wertvoll gewesen war. Andererseits hätte er das Ziel dieser Transaktion sicher gut geheißen. Nicht zum ersten Mal fragt Theomer sich, warum er als Kind nicht gleich Lesen und Schreiben gelernt hat. Im Nachhinein war es ein großes Versäumnis seines Großvaters gewesen, die Ausbildung seines Enkels nicht selbst überwacht zu haben. Es macht ihn stutzig, dass Gregorian ihn einerseits darüber aufklärt, dass der Besitz dieses Arbeitsbuches gefährlich sein könnte, andererseits aber für sich selbst diese Gefahr ohne zu Zögern in Kauf nimmt. Und 30 Lamen waren ein Vermögen! Eine solche Summe in Aussicht zu haben, fühlte sich beinahe unwirklich an. Vielleicht wäre es sogar möglich, noch ein paar Lamen mehr aus Gregorian zu kitzeln, wenn er das Buch so gerne haben wollte. Aber Theomer wollte es auch nicht übertreiben und nicht zu gierig erscheinen. Das wäre keine gute Grundlage für ihre zukünftige Beziehung und er hatte das Gefühl, dass er mit dem Besitzer des Skriptoriums auf gutem Fuß stehen sollte. "Ich sage: einverstanden!", er und der Gelehrte schütteln sich die Hand und besiegeln das Geschäft.
Sun, Jan 21st 2024 06:48

Freudig ergreift Gregorian Theomers Hand und schüttelt sie. “Freut mich, daß wir zu einer schnellen Übereinkunft gekommen sind. Macht euch keine Sorgen wegen des Werkbuchs. Meine Archive sind weniger zugänglich als eure Bibliothek. Ich schlage vor ihr nehmt die Anmerkungen zu eurem ersten Unterricht mit und ich zahle euch aus. Wenn ihr die Summe oder einen Teil davon in Filis haben wollt, dann sagt es bitte meiner Bediensteten am Empfang, sie wird es regeln.” Er wendet sich an Tertulio: “Hast du noch etwas?” Dr Gelehrte schüttelt nur den Kopf. “Nun denn! Ich schlage vor, wir beginnen euren Untericht morgen nach der Mittagsstunde. Plant etwa zwei Stunden ein. Mitzunehmen braucht ihr nichts, das Skriptorium stellt alle Materialien zur Verfügung. Die Kopierarbeit wird mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Mein Schreiber wird sich nach euch richten, aber es wäre von Vorteil wenn er jeden Tag hier bei euch arbeiten könnte. Das Essen lasse ich euch da. Wenn ihr daran denkt, könnt ihr mir den Korb und das Geschirr mitnehmen wenn ihr zum Unterricht kommt. Wenn ihr nichts mehr zu besprechen habt, dann schlage ich vor, ihr bringt uns zurück. Auf mich wartet eine Menge Arbeit.” Das säuerliche Gesicht des Schreibers zeigt deutlich was er von derAussicht auf eine neuerliche Flußfahrt hält.