Mon, Mar 4th 2024 08:03
Edited on Mon, Mar 4th 2024 09:25
Lua lacht nicht über Auris neckende Ermahnung. Sie fühlt sich ertappt. Im Endeffekt hat Auris recht, sie ist ein Ignorant. Wohl bemüht sie sich, nicht unangenehm aufzufallen, doch gutes Benehmen wurde ihr noch nie richtig beigebracht. Sie ist zäh wie ein alter Lederlappen, aber im Endeffekt auch nicht viel eleganter. Aber vielleicht glaubt Auris ja, einen ungeschliffenen Diamanten gefunden zu haben.
Den Klaps auf den Hintern lässt sie über sich ergehen, als wäre es das Natürlichste der Welt. Wohl hat sie der Künstler ermahnt, sich nicht kleiner zu machen als sie ist. Aber es ist in den Köpfen der meisten der Armen Pelorns, dass man eben weniger wert ist als die Reichen. Und so lässt man sich eben in stoischer Gelassenheit an den Busen fassen, wenn einem Reichen danach ist, oder aber an den Hintern. Meist ist dies mit weniger Ärger verbunden, als den Grapscher anzugreifen. Zumahl es Auris ja auch noch irgendwie nett und elegant macht.
Lua geht also hinter Auris zurück in den Speisesaal. Hier folgt sie erneut staunend den Monologen des Künstlers, und irgendwie kommt es ihr vor, dass es für sie immer besser wird, je länger sie in dem Haus des Malers verweilt. Schließlich bekommt sie jetzt die 8 Filis schon für eine ganze Woche im Voraus. Auris erntet also zum wiederholten Mal einen erstaunten, freudigen Blick seines jungen Modells.
Der Aufenthalt im Speisesaal ist nur kurz, und es geht schon wieder weiter, den Flur entlang, bis eben zu ihrem Gemach. Wie soll Lua sich nur die ganzen Wege in dem riesigen Haus merken? Aber sie findet zusehends Gefallen an dem etwas altertümlichen Gebäude, und irgendwie kommt ihr die Idee, selbst irgendwann einmal so ein riesiges Heim zu haben, gar nicht mehr so surreal vor wie noch am Vortag. Vielleicht hat Auris ja Recht, und sie kann es wirklich schaffen, zu Reichtum zu gelangen. Oder ist es nur der Alkohol, der ihre Gedanken etwas übermütig werden lässt?
Elsi sperrt nun das Zimmer auf und Lua tritt ein. Hier soll sie wohnen? Sie, das Straßenmädchen, dessen einziges Verdienst um dieses Paradies es ist, ansehnliche Brüste zu haben? Ihr Blick schweift durch den Raum, vom ausladenden Bett, über den Teppich am Boden hin zum Waschtisch, zu dem Tisch mit der brennenden Öllampe, zurück zum Bett…
Lua stößt einen überraschten, freudigen Schrei aus. “Such dir aus, was dir gefällt und passt!” Freilich, der Fischer vom Vorabend hat dies auch gesagt, und vielleicht ist es für ihn weit großzügiger gewesen als für den reichen Maler. Aber diese Kleider! Es sind Kleider der reichen Leute, aus besten Stoffen, in schönen Farben, elegante, weiche Schuhe. Besonders ein Kleid hat es Lua angetan, sie kann gar nicht die Augen davon lassen.
“Darf ich gleich eines anprobieren?” fragt sie Elsi.
“Wenn Ihr wollt, aber beeilt Euch, der Meister wartet,” antwortet die Dienerin und verlässt den Raum.
Lua streift sich blitzschnell ihre Kleider vom Leibe, rast zum Waschtisch, kippt Wasser hinein und rubbelt sich das Gesicht sauber, dann springt sie zum Bett und nimmt das Kleid. Es ist dunkelrot, fein tailliert, mit kurzen Armeln und weitem Dekolleté, knöchellang, nicht zu eng und nicht zu weit. Sie kann den Blick nicht davon lassen. Aber sie soll sich beeilen! Sie will den Maler, den Wohltäter, nciht warten lassen. Sie streift sich das Kleid über den Kopf, schließt es. Da fällt ein Haarband aus dem gleichen Stoff zu Boden. Sie nimmt es auf, bindet die Haare damit nach hinten. Sie streift sich ein paar der eleganten Schuhe über ihre Füße. Gut, sie sind etwas zu groß, aber sie schafft es, darin zu gehen, ohne sie zu verlieren. Sie schaut in den Spiegel über dem Waschtisch, und wieder könnte sie vor Freude aufjauchzen.
Dann beeilt sie sich, aus dem Zimmer zu kommen, sperrt ab, steckt den Schlüssel ein, nicht ohne ihn vorher zu küssen. Es ist das erste Mal, dass einen Schlüssel in ihrer Tasche trägt!
Wenig später ist sie wieder im Speisesaal angekommen. Aber welch Metamorphose hat Lua durchlaufen! Aus dem unbeholfenen Straßenmädchen, barfuß und in zu engen Kleidern, ist eine elegante Dame geworden, freilich ohne Schmuck und ohne Schminke. Die freudestrahlenden Augen, das breite, gewinnende Lächeln lassen Lua plötzlich auffällig erscheinen. Eigentlich hat es Lua geschafft: Sie isst in einem schönen Kleid, in einem schönen Haus ein köstliches Essen. Und wenn sie nicht will, muss sie nicht einmal alles aufessen.
Lua kommt also zum Tisch.
“Vielen Dank,” antwortet sie ihrem Gast- und Auftraggeber. “Das Zimmer ist herrlich. Ich hatte noch nie ein so herrliches Zimmer.”
Sie setzt sich auf den ihr angezeigten Stuhl. Das dauert eine Weile, weil sie sehr darauf bedacht ist, sich so hinzusetzen, ohne das Kleid zu zerknittern. Und so ein Kleid hat sie auch noch nie angehabt. Dann fällt ihr Blick auf den Haufen von Münzen, und Lua stockt der Atem. Und das alles soll ihr gehören? Ungläubig schaut sie Auris wieder einmal an, und wieder scheint es so, als würde sie sich zusammenreißen, dem Alten nicht um den Hals zu fallen. Sie will ja nicht wieder ignorant erscheinen. Aber jetzt muss sie erst einmal zählen.
Wie war das gleich? 8 Filis am Tag für eine Woche. Also 8 mal 7. In Gemütsruhe zählt Lua also 8 Münzen ab und gibt sie auf einen Stapel. Das ist Tag 1. Dann zählt sie wieder 8. Das ist Tag 2. Und so geht es weiter, bis sie sechs Stapel vor sich stehen hat. Nun kommt der letzte Tag: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben… Kurz schaut sie zu Auris, dann zählt sie noch einmal: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Lua wird rot im Gesicht. Sechs Stapel sind gleich hoch, der siebte ist etwas kleiner. Also hat der weniger Münzen. Ein, zwei Mal schaut sie zwischen Auris und den Münzen hin und her. Dann sagt sie leise: “Ja, das stimmt so.”
Soll sie diesen ihr gegenüber so großzügigen Mann wegen einem Fili vergraulen, wo sie doch gerade so viele Filis erhalten hat?