Nachdenklich sieht Lua Auris an, dann jedoch, als er ihr sagt, wie sie stehen soll, tut sie es. Ihr Gesichtsausdruck verändert sich, und schließlich beginnt er zu malen. Sie steht brav, sie steht regungslos, genau so, wie er es sich gewünscht hat. Freilich bilden sich irgendwann kleine Schweißtropfen auf ihrer Stirn. Freilich ist es nicht ganz einfach, so lange in einer bestimmten Haltung auszuharren. Dann jedoch ist Auris fertig mit Malen, und Lua verlässt das Podest wieder. In disem Moment verändert sich jedoch ihr Gesichtsausdruck. Plötzlich hat sie wieder die skeptische, leicht missmutige Miene, diese Falte auf der Stirn, die bei ihrem Aufenthalt hier fast komplett abhanden gekommen ist.
“Meister,” sagt sie nun, und es ist ein ernsthafter, aber nicht schüchterner, gar unterwürfiger Tonfall, “Ihr sagt mir immer, ich soll mich nicht unter den Scheffel stellen. Ihr sagt, Ich könnte eine vorneheme Lua sein, ich könnte eine majestätische Lua sein. Aber dann beginnt Ihr zu reden, und ich verstehe gar nichts. Das zeigt mir, dass ich doch die Gossen-Lua bin, mit der Ihr Euch nicht zufrieden geben wollt. Ihr habt schon wieder ein wahnsinnig schönes Bild von mir gemalt, es ist dies eine Lua, die über allem schwebt, die alles weiß, zu der man aufblicken muss. Aber auch diese Lua bin nicht ich, genauso wenig wie die majestätische Lua. Auch wenn mir Egor gezeigt hat, wie man die Welt der Zahlen auf Teller aufteilt, macht dies aus mir keinen klugen Menschen.”
Sie geht nun zu Auris hin und nimmt seine Hände in die ihre.
“Versteht mich nicht falsch, Meister,” fährt sie dann fort, “ich bin Euch ewig dankbar, dass Ihr mich hier aufgenommen habt, Ich schätze Euch als Maler als auch als Mensch, vielleicht habe ich Euch irgendwie lieb gewonnen, aber bitte, lasst mich sein, was ich bin. Ich bin ein Mädchen von der Straße, die noch nie irgendetwas richtig auf die Reihe gekriegt hat.”
Ihr Blick geht nun fort dem seinen und geht beinahe beschämt in Richtung Boden. In dem Moment füllen sich auch ihre Augen mit Tränen, die auch alsbald über ihre Wangen zu kullern beginnen.
“Ich habe es geschafft, sogar meine Geschwister zu verlieren, und sie waren der einzige Reichtum, den ich je hatte. Und für sie ist es weit besser, wenn sie weg von mir sind, denn nun haben sie genug zu essen, sie lernen, was sie für ein glückliches Leben brauchen, sie haben so viel mehr, als ich ihnen geben konnte. Bitte Meister, es schmeichelt mir ja, wenn Ihr sagt, ich wäre so viel mehr als ich bin. Aber ich bin nun halt einmal ich, vielleicht habe ich süße Tittchen, aber ich bin nicht mehr als das.Es ist nicht Eure Schuld, wenn ich nicht verstehe, was Ihr sagt. Es ist die meine, weil Ihr klug und gebildet seid, und ich einfach ein dummes Straßenmädchen. Da könnt Ihr so oft Ihr wollt einen grünen Himmel über einem roten Okeanos malen, aber am Ende sind trotzdem beide blau.”