Tue, Apr 23rd 2024 01:08
Edited on Tue, Jun 25th 2024 08:25
Nachdem er den improvisierten Kriegsrat in der Brauerei verlassen hat, geht Theomer zu dem Schneider auf der anderen Flussseite, bei dem er morgens die Kleidung zum Ändern abgegeben hatte. Er hat Glück und findet die ersten Stücke bereits fertig vor.
Da er es eilig hat, zieht er sich noch in der Schneiderei um und macht sich dann neu und um einiges wertvoller gewandet als vorher, auf seine Werbetour. Er hat Jahre davon geträumt, wie es wohl wäre, all die Wirtschaften, Gasthäuser, Eckkneipen und Spelunken wieder zu besuchen, in denen er als Kind und Jugendlicher oft gewesen war, um seinen Großvater zu begleiten oder um einfach nur hoch oben auf dem obersten der gestapelter Fässer thronend wie ein Kaiser alter Tage durch Pelorn zu reiten.
Er hatte die meisten der Wirtschaften schon seit Jahren nicht mehr besucht und wäre an einigen auch fast vorbeigegangen, so sehr hatten sie sich im Laufe der Zeit verändert. Einige existieren auch gar nicht mehr und er steht vor verrammelten Türen oder komplett anderen Geschäften.
Umso mehr freut es ihn und erfüllt es ihn mit Stolz, dass er tatsächlich an einigen Fassaden noch das verblasste Wappen der Harulands entdecken kann. Auch, wenn die Wirte ihm in der Regel unbekannt sind und keine Ahnung haben, was zum Henker ein Haruland ist.
Seine Stimmung verdüstert sich zusehends, denn außer abgelaufenen Schuhen scheint bei aber dieses Ausbleiben jeglichen Erfolgs, frustriert ihn dann doch.
Erst gegen Ende seiner Wanderung, recht weit im Süden Pelorns, hat er endlich Glück. In der altehrwürdigen Gaststätte „Avennas Becher“, sieht ihn eine verwitterte, gebeugte Gestalt misstrauisch an, bis sich plötzlich die Mine aufhellt und der Wirt mit einem Freudenschrei nach vorne.
„Der kleine Theo!“, jubelt der weißhaarige Wirt und einige Gäste kucken verwundert, als er den viel größeren Theomer umarmt und dann auf Armeslänge von sich weghält, um ihn gebührend zu bestaunen. „Du bist ja ein richtiger Brocken geworden!“, lacht er schallend. Trotz seines schlohweißen Haares erfreut Radmir sich offenbar immer noch jugendlicher Vitalität und Theomer kann sich noch gut an das laute Lachen des Wirtes erinnern. Er war mit seinem Großvater oft in Avennas Becher gewesen und während er selbst unter den Tischen herumgekrabbelt war, hatte sein Großvater sich meistens mit Leuten unterhalten, die zu wichtig waren, um den Weg in den Lachenden Zwilling oder die Brauerei zu finden.
„Du siehst gut aus, mein Großer!“, lacht Radmir, als er Theomer endlich an einem kleinen Tisch gegenübersitzt und eine Kanne Tee zwischen ihnen steht. Radmir hat sichtlich erleichtert gewirkt, als Theomer das angebotene Bier abgelehnt hatte, denn er hatte den Verfall von dessen Vater aus nächster Nähe beobachten können und ist froh, dass sein Sohn diesem Laste offenbar nicht frönt.
„Ich habe gehört, dass dein Vater das Zeitliche gesegnet hat und du die Brauerei übernommen hast. Wie laufen die Geschäfte?“
Theomer kratzt sich nachdenklich den Bart und meint: „Die Geschäfte laufen wahrscheinlich noch schlechter, als du vermutet hast. Aber in letzter Zeit ist ziemlich viel in Bewegung geraten und ich habe die Produktion von Harulands Hellem wieder aufgenommen. Und ich habe Bernwart aufgetrieben, um mir zu helfen.“
„Harulands Helles?“ Radmir grinst breit. „Ja, das war ein guter Tropfen, aber ich wusste gar nicht, dass du das Rezept kennst?“
„Ziemlich genau sogar. Aber Bernwart ist der eigentliche Braumeister von damals und wird es sicher noch besser hinkriegen, als ich es könnte. Jedenfalls bin ich schon den ganzen Tag unterwegs und klappere die alten Kunden ab, bislang ohne Erfolg.“
„Aaah… verstehe…“ Radmir lehnt sich zurück, spielt mit seinem Becher und lässt Theomer ein bisschen zappeln. „Also ich nehme für den Anfang schonmal vier Fässer. Der Laden läuft zwar auch nicht mehr so gut, wie früher mal, aber alles in allem kann ich mich nicht beklagen. Außerdem ist meine Kundschaft wahrscheinlich besser betucht, als die Hungerleider am anderen Flussufer. Da kann ich schonmal ein, zwei Filis mehr verlangen. Und ich sollte vielleicht das alte Haruland-Wappen draußen neu ausmalen lassen?“, er grinst verschmitzt. „Zumindest werden die Leute dann neugierig werden.“
Theomer grinst breit. Vier Fässer hatte er noch nie an nur einen Abnehmer geliefert und er hatte seinen Absatz soeben um ein Drittel gesteigert. Nicht viel, nach den Maßstäben seines Großvaters, aber sehr viel nach seinen eigenen.
„Weißt du was?“, fragt Radmir nach einer Weile „eigentlich solltest du auf den Empfang in der Thornhoff-Residenz gehen! Da werden viele wichtige Leute sein, ein paar kennst du vielleicht noch. Wenn du dort in Umlauf bringst, dass die Haruland-Brauerei wieder ernsthaft im Geschäft ist, werden viele der alten Garde hellhörig werden.“ Als er Theomers verblüfften Gesichtsausdruck sieht, winkt Radmir ab. „Alles halb so wild. Der Salzbaron selbst wird nur kurz da sein, es sind hauptsächlich Geschäftsleute der, sagen wir mal, mittleren Kategorie da. Ich selbst steh wahrscheinlich nur noch auf der Gästeliste, weil irgendwer vergessen hat, meinen Namen durchzustreichen.“
„Wird Reland da sein?“, fragt Theomer nachdenklich.
„Der Kommandant? Vermutlich schon, aber was hast du mit dem zu schaffen?“ Radmir sieht plötzlich sehr besorgt aus. „Dem steht der Sinn nicht nach Geschäfte machen, der hat andere Sachen im Kopf. Sieh dich vor ihm vor!“
„Keine Angst, ich passe auf mich auf“ beschwichtigt Theomer den alten Wirt. „Aber wie komme ich da rein?“
„Du kannst meine Einladung haben. Es wird sicher kein Mensch drauf achten, ob du auch wirklich „ich“ bist. Wenn der Salzbaron nicht da ist, sind die Sicherheitsvorkehrungen nie sehr streng.“
„Das wäre sicher sehr hilfreich, ich danke dir!“, sagt Theomer inbrünstig und schüttelt dem Alten kräftig die Hand.
Nach er Avennas Becher verlassen hat, wendet Theomer seine Schritte gut gelaunt zu Meras Stall. Er würde seine Verpflichtungen etwas jonglieren müssen, aber er ist guter Dinge, dass er sich die Zeit für den Empfang irgendwie herausschinden kann.
Als er den Stall erreicht, ist die Tür verschlossen und Theomer klopft kräftig.