Theomer kratzt sich nachdenklich den Bart, als Mari von Gregorian erzählt. "Immerhin hat er sich bislang wie ein fairer Geschäftspartner benommen. Trauen werde ich ihm sicher nicht, aber es gibt auch keinen Grund, ihn sich im Voraus zum Feind zu machen. Es klingt eher so, als könnte es hilfreich sein, ihn zum Freund zu haben." Er grinst Mari an. "Aber eins nach dem anderen. Erstmal bringt er mir Lesen bei, alles andere wird die Zeit zeigen."
Er sinnt noch eine Weile über Gregorians Erzählungen über die Hermetiker nach, während er mit Mari durch die dunkler werdenden Straßen geht. Er hatte amüsiert geklungen, als er über die Protokolle der Weisen von Saguz gesprochen hatte. Oder war es eher Galgenhumor gewesen? Es war schwer zu sagen, auf jeden Fall ließ sich aus Gregorians Verhalten nicht schließen, dass er tatsächlich ein Hermetiker war. Aber war das nicht gerade ein Hinweis darauf, dass er einer war? Theomer hätte nicht sagen können, was ein Zirkelschluss war, aber diese Art der Argumentation kommt ihm sofort selbst verdächtig vor.
Er beschließt, dass das ein Problem für einen anderen Tag ist, wendet sich wieder Mari zu und mustert sie abwägend.
"Es wäre natürlich eine Möglichkeit, Stafan einfach verschwinden zu lassen. Aber ich glaube, wir brauchen etwas Öffentliches für ihn. Entweder die Schlangenmänner von Imeria oder ich sollten ihn aus dem Verkehr ziehen."
Am Ufer angekommen steigt er in den Kahn, löst ihn vom Poller, packt die lange Stange und stößt sich von der Anlegestelle ab. Sie fahren eine Weile auf den breiten Fluß hinaus, ehe er das flache Gefährt stromabwärts wendet und sich mittreiben lässt.
"Es gibt eine handvoll Brauereien auf Imeria-Gebiet." Erklärt er dann. "Alle bekommen ihre Rohstoffe über den Olifern geliefert, auf einem Schiff mit so viel Tiefgang, dass es nur an dem alten Kontor festmachen und entladen werden kann, das früher mal meiner Familie gehört hat." Er grinst Mari breit an. "Alle außer mir. Denn die Brauerei hat ihre eigene Anlegestelle. Ich habe meine Lieferung schon gestern bekommen." Er deutet voraus in die Dunkelheit, wo sich die Umrisse des Kontors schwarz vor den Sternen abzeichnen. Davor im Wasser liegt das Transportschiff vertäut. Es ist kein großer Lastkahn, wie er zu früheren Zeiten hier festgemacht hätte, aber er hat so viel Tiefgang, dass er an den normalen Anlegestellen den Olifern hinab nicht anlegen kann. Sein Ziel ist letztlich der von Thornhoff kontrollierte Hafen, wo er Güter für das Landesinnere aufnehmen und sich wieder auf den Weg zurück machen wird.
"Heute Abend verknappen wir das Angebot..." raunt er und geht längsseits.
Das Wasser plätschert nur leise, als er sich an der Bordwand des größeren Schiffes hochzieht und Mari - die eigentlich kaum Hilfe gebraucht hätte - anschließend zu sich hinaufzieht. Das Schiff ist leer und dunkel. Durch eine Luke am Boden erreichen sie Unterdeck, wo sich Säcke mit Hopfen stapeln, der Geruch ist so intensiv, dass einem fast schwindlig wird. Theomer öffnet einen der Säcke und holt eine handvoll Dolden heraus. "Knochentrocken!", kommentiert er leise und grinst.
"Sie erwarten nicht, dass der Ladung irgendwas passiert," erklärt er und holt seine Zunderbüchse aus der umgehängten Tasche. "Wir sollten uns trotzdem beeilen." Er schlägt geschickt ein paar Funken in den geöffneten Sack und es dauert nicht lange, bis die ersten Flammen an der kostbaren Fracht züngeln. Dann eilt er gefolgt von Mari wieder die Leiter hinauf aufs Oberdeck.
"Theo?", fragt jemand verwundert aus der Dunkelheit, gerade als Theomer sich aufrichtet. Er kann sich gerade noch beherrschen, zusammenzuzucken, denn er kennt den Mann. Er dreht sich langsam um und seine Hand gleitet in seine Hosentasche "Gilad, mein Alter! Ich hab dich doch nicht erschreckt?"
Der Mann mustert ihn mit verwirrtem Gesicht. "Natürlich! Bei Aneshs haarigem Arsch: Was tust du hier?" Er ist untersetzt und kräftig und sieht nicht aus wie jemand, der sich leicht übertölpeln lässt. Sein Blick fällt auf Mari, die gerade im Begriff ist, die Leiter hinaufzusteigen. Er runzelt die Stirn und öffnet den Mund, aber die kurze Ablenkung ist alles, was Theomer gebraucht hat. Krachend trifft seine Faust das Gesicht Gilads und der Schlagring zertrümmert ihm den Kiefer. Bewusstlos sackt er zusammen und Theomer fängt ihn gerade noch auf, bevor sein Fall noch mehr Lärm gemacht hätte. Hastig sieht er sich um, aber bislang ist wohl niemand sonst aufmerksam geworden. "Bei Irmuns blutiger Waage, Gilad. Warum musst du ausgerechnet heute Nacht einmal nüchtern sein?"
Er braucht einige Sekunden, um eine Entscheidung zu fällen. Aus dem Unterdeck kräuseln sich schon Rauchfahnen in die Dunkelheit der Nacht, aber Theomer lässt den bewusstlosen Mann auf die Planken sinken und statt zu seinem Kahn zu eilen und sich davon zu machen, geht er zum Heck. Dort steht am Ruder eine Holzkiste, auf der der Rudermann sitzen kann und in der Werkzeug für kleinere Reparaturen aufbewahrt wird. Theomer öffnet die Kiste, sucht und findet einen Zimmermannshammer und eilt zurück zu Gilad.
Er kauert sich neben den bewusstlosen Mann, der nur stockend und flach atmet. Theomer zögert nur kurz. Gedanken und Erinnerungen tauchen in seinem Geist auf, aber er drängt sie energisch beiseite. Dann hebt er den Hammer und mit einem wütenden Knurren schmettert er ihn in Gilads Gesicht. Mit jedem Schlag löscht er die Erinnerung an den Mann aus, den er von Kindesbeinen an gekannt hat und tilgt die Spuren des Schlagrings, die viele Leute am Fluss sofort erkannt hätten. Dann packt er den leblosen Körper an den Armen, stemmt ihn in die Höhe und lässt ihn mit einem traurigen Platschen in den Pelorn fallen. Man würde Gilads Leiche finden und erkennen, dass ein Hammer ihn so zugerichtet hatte.
Nach getaner Arbeit richtet Theomer sich auf und wischt sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Sein Blick trifft den von Mari und er nickt ihr müde zu. Wenige Augeblicke später sind sie wieder in den Kahn hinabgestiegen und Theomer steuert ihn so schnell und leise wie möglich in die Mitte des Flusses. Dort endlich lässt er den Hammer fallen, der mit einem endgültigen Geräusch im Strom verschwindet. Am Ufer ist mittlerweile Chaos ausgebrochen. Menschen schreien und Flammen schlagen hoch in den dunklen Himmel.