Wieder verändert sich ihr Lächeln, wirkt nun geradezu belustigt, und auch die nach wie vor strahlenden, fast schwarzen Augen werden etwas schmaler, lustiger.
“Aber Leif,” antwortet sie, “warum sollte ich etwas dagegen haben, wenn du dich wäschst? Ich würde dich zwar auch ungewaschen zum Essen einladen. Du hast mich ja auch ungewaschen und wohl nicht wenig stinkend bei dir aufgenommen. Schließlich bin ich an jenem Nachmittag eine ganze Weile lang bewusstlos in der Gosse gelegen. Aber ich glaube, die anderen Leute in dem Gasthaus würden wohl gewaschene Gäste vorziehen.”
Sie nimmt den Stuhl und dreht ihn herum, setzt sich darauf und schlägt die Beine übereinander. Oh ja, Rikkas Unterricht hat wohl gewirkt. Früher wäre Lua wohl mit offenen Beinen dagesessen und hätte damit wohl mehr offenbart, als es für irgendeine Dame denn sittlich wäre. Doch nun hat sogar der einfache Vorgang des Sich Setzens eine gewisse Eleganz in sich, die in eigenartigem Kontrast steht mit Luas Gesichtsausdruck. Dieser ist einfach, offen, ehrlich und rein durch und durch. Vielleicht, oder fast sicher, ist es gerade dieser Gesichtsausdruck, dieses Wesen, mit dem sie auf dem Empfang des Barons doch einiges Aufsehen erregt hat und der auch Meister Aurean dazu zu verleiten scheint, auf sie zu achten, wie auf eine kostbare Perle.
“Aber ich glaube nicht,” fährt sie dann fort, “dass es so etwas besonderes ist, wenn ich mich gerne mit dir abgebe. Ich bin mir sicher, wenn ich dich nicht eingeladen hätte, hätte es wohl jemand anderes getan, und wer weiß, vielleicht sitzt du ja schon morgen zu Mittag mit jemandem zusammen, die viel interessanter ist, als es die gute Lua je sein kann.”
Nun ist Leif auch schon fertig, und Lua nickt.
“Du siehst gut aus,” sagt sie. “Ich wette, die anderen Damen in dem Lokal werden mich wohl um meine Begleitung beneiden!”
Wieder lächelt sie belustigt, dann streckt sie ihre Hand aus.
“Komm! Ich hoffe, es gefällt dir!”
Sie verlassen nun Leifs gemütliches, kleines Haus. Kaum sind sie auf der Straße, hängt Lua sich an Leifs Arm ein. So führt sie ihn nun ein kleines Stück die Prena hinauf, in die Richtung des Tempels der Zwillinge. Sie gehen an der Residenz des Barons vorbei, dann biegt Lua links ab. Dies ist wohl das beste Viertel der Stadt, und wenig ist von dem Zerfall zu spüren, dem Pelorn seit vielen Jahren preisgegeben ist. Schließlich bleibt Lua stehen und lässt Leif los.
“Warte hier,” sagt sie lächelnd, “ich bin gleich wieder hier.”
Eine ordentliche Gruppe Leute steht hier auf der Straße, und gar einige davon könnten, wenn sie denn wollten, wohl Leifs Häuschen kaufen, und die Seewind noch dazu, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie alle warten hier auf Einlass. Sie stehen schließlich vor dem “Duftenden Garten”, und dieses Lokal ist mit Sicherheit eines der teuersten und angesehensten der Stadt. Allerdings ist der “Garten” gemeinhin als Bordell bekannt. Freilich nicht eines jener schmutzigen Liebeshäuser, in der sich das gemeine Volk verwöhnen lässt - und nicht selten danach mit den Folgen des Besuchs zu kämpfen hat. Der “Garten” ist bekannt dafür, dass nur die schönsten und elegantesten Dirnen darin arbeiten dürfen, dass stets ein Heiler zugegen ist, der diese Dirnen auch auf Krankheiten untersucht. Und dass bei der Preisverhandlungen mit diesen Dirnen Filis keine Rolle mehr spielen. Nun denn, Lua geht also einfach an der Menschenmenge vorbei. Die Blicke, die ihr freilich folgen, scheint wohl Leif mehr wahrzunehmen als sie selbst. Schließlich sind ja die meisten nur aus einem Verlangen hier, und Lua ist hübsch genug, dieses Verlangen noch zu steigern. Sie bleibt schließlich beim Türsteher stehen. Dieser ist ein Berg von einem Mann und schaut Lua zunächst an, als würde er sie in Bälde ungespitzt in den Boden rammen. Lua jedoch holt ein Stück Papier aus ihrem Kleid hervor, zeigt es dem Mann. Dieser wird urplötzlich überfreundlich, schaut zu Leif herüber, dreht sich um. Und auch Lua dreht sich um und kommt zu Leif zurück.
“Komm, lieber Leif, unser Tisch steht bereit!”
Sie hängt sich wieder bei Leif ein, und nun gehen sie zu zweit an der Menge vorbei. Die Blicke treffen nun auch Leif, mustern ihn äußerst abschätzig, aber wohl äußerst neidvoll. Neben dem Türsteher erscheint nun eine Dame. Mit ihren wohl 45 Jahren hat sie sicher die Blüte der Jahre hinter sich, ist aber nach wie vor eine auffallend schöne Frau. Glänzendes, schwarzes Haar fällt in leichten Locken über ihre Schultern, und strahlendblaue Augen bilden einen schönen Kontrast dazu. Der wohlgeformte, weiblich gerundete Körper steckt in einem halbtransparenten, engen, seidenen Kleid und lässt Wäsche aus feinster Spitze durchscheinen. Die Frau begrüßt Lua und Leif elegant und freundlich.
“Meine Dame, mein Herr, es ist uns eine Ehre, Euch hier begrüßen zu dürfen,” sagt sie. “Wir haben uns bemüht, Euch den schönsten Tisch in unserem Garten bereit zu halten. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt!”
Sie gehen nun durch einen prächtigen Flur. An den Wänden hängen zahlreiche Gemälde von äußerst spärlich bekleideten, dafür umso hübscheren Frauen - und es ist nun auch nicht so schwer zu erraten, woher der Gefallen wohl kommen wird, den die Besitzerin, der sie nun wohl folgen, dem Meister schuldet. Sie betreten jedoch keinen der Räume voller frivoler Wollust, sondern kommen in einen prächtigen, im Innenhof gelegenen Garten. Und dort steht, unter einer ausladenden Glyzinie, ein Tisch, mit feinstem Porzellan eingedeckt, geradezu zerbrechlich wirkenden Kristallgläsern. Ein Leuchter in der Tischmitte erfüllt den Tisch mit warmem Licht.
“Ich hoffe, der Tisch ist zu Eurer Zufriedenheit!”