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Thu, Oct 3rd 2024 07:57   Edited on Sat, Jan 18th 2025 04:28

[Tag 18, Abends] Ein kleines, unauffälliges Rendezvous

Das Blaue mit den weißen Punkten! Dieses Kleid sollte es wohl also sein. Lua zieht sich also das Kleid über, betrachtet sich im Spiegel. Es ist ein hübsches Kleid, einfach aber hübsch. Zwei zwei Finger breite Träger halten es auf ihren Schultern, am oberen Ende ist es fast gerade geschnitten, liegt eng am Oberkörper an. Ein Gürtel aus demselben Stoff verdeckt den Übergang in den weiten, glockenartigen unteren Teil, der eine Handbreit über dem Knie endet. Das Blau ist ein Kornblumenblau, und der Stoff ist über und über mit Fingernagel-großen weißen Punkten übersät. Das Blaue mit den weißen Punkten eben.   Aber Lua ist sich nicht sicher. Sie zieht das Kleid wieder aus und schlüpft in das rückenfreie Schwarze. Eng geschnitten von oben bis unten, aus festem nachtschwarzem Stoff geschneidert, reicht es ihr bis an die Knöchel, nur an einer Seite ist es geschlitzt bis fast zur Hüfte. Die Träger sind nur auf der Vorderseite befestigt und gehen um ihren Hals, der Rücken ist nackt bis fast zum Steiß. Rückenfrei eben. Wieder betrachtet sich Lua im Spiegel. Sie zieht das Kleid wieder aus und nimmt doch das Rote. Sie betrachtet den seidigen, glänzenden, dunkelroten Stoff, dann hängt sie das Kleid zurück und nimmt wieder das Blaue mit den weißen Punkten.   Lua ist unentschlossen. Vielleicht hilft ja ein Glas Wein. Sie verlässt also das Zimmer und geht in die Richtung des Salons. Da fällt ihr aber auf, dass sie ganz nackt ist, und wer weiß, vielleicht kommt ja wieder ein unerwarteter Gast. Lua geht in ihr Zimmer zurück und nimmt wieder das blaue Kleid. Wie hat der Meister gesagt? “Wenn du dir nicht sicher bist…” Nun ist sich Lua freilich nicht sicher, in welche sich der Abend entwickeln wird. Dass sie die alleinige Kontrolle über den Fortgang des Abends hat, da ist sie sich sicher, dass der Meister sich irrt. Sie ist schließlich ein einfaches Mädchen, freilich nicht mehr arm, aber auch nicht so reich wie Leif, der sich gerade ein riesiges Haus baut, größer als das des Meisters, und der ist in Luas Augen ja geradewegs ein Krösus. Nun ist sie sich aber nicht einmal mehr sicher, wie sicher oder unsicher sie ist. Es ist zum Verrücktwerden.   Sie legt also die Kleider auf das Bett und beginnt mit einem Abzählreim, den die Kinder in Pelorn immer wieder verwenden:   “Es wa-ren zwei Zwill-in-ge, Die sah-en drei Drill-in-ge, Und guck-ten sie ko-misch an Da sag-ten die Zwill-in-ge Zu den Drill-in-gen: ‘Das steht so nicht, Das geht so nicht, Ihr seid ei-ner zu viel. Ei-ner der muss weg im Nu, Eins zwei drei und das bist du!”   Luas Finger zeigt nun wieder auf das Blaue mit den weißen Punkten. Nun, der Meister hat es eigentlich vorgeschlagen, irgendwie kommt es Lua auch am besten vor, und der Finger sagt es auch. Sie zieht das Kleid also an. Dann steckt sie sich die Haare hoch, gibt so ihren schlanken Hals und die wohlgeformten Schultern frei. Sie schlüpft in leichte Sandalen. Soll sie sich noch schminken?   Lua ist wieder unentschlossen. Den Meister zu fragen bringt wohl nichts, der würde wieder etwas von natürlicher Schönheit und jeden zum Dahinschmelzen bringen faseln. Auf der anderen Seite muss Lua zugeben, dass sie selbst es ja gar nicht ordentlich kann, und Rikka schläft tief und fest. Lua will Rikka nicht wecken, also lässt sie das mit dem Schminken bleiben. Lua holt tief Luft. Sie verlässt das Zimmer, verabschiedet sich von Auris und tritt hinaus auf die Straße.   Es ist ein warmer Tag, die Sonne scheint noch. Lua nimmt das gar nicht richtig wahr. Lua ist aufgeregt. Noch nie hat sie in einem Restaurant gegessen, noch nie hat sie das Geld dafür gehabt. Noch nie hat sie einen Mann eingeladen. Sie weiß nicht, wie Leif reagieren wird, wenn er sie sieht, ob sie sich überhaupt zu benehmen weiß in so einem noblen Gasthaus. Ob der Türsteher… Oh nein! Auris’ Brief!   Lua rennt noch einmal die Treppe hoch, in ihr Zimmer, nimmt das Stück Papier und rennt wieder hinunter. Sie geht nun in die Richtung, in der Leifs kleines Häuschen liegt. Die zahlreichen Blicke, die ihr folgen, bemerkt sie nicht. Die vereinzelten Pfiffe hört sie nicht. Sie ist sich nicht bewusst, wie hinreißend sie eigentlich aussieht, mit ihren großen, so klaren und reinen Augen und diesem Kleidchen, das auf dem ersten Blick unschuldig aussieht und ihre so reine, natürliche Schönheit unterstreicht, auf der anderen Seite jedoch knapp genug ist, um mit ihren Reizen nicht zu geizen.   Irgendwann steht sie also vor dem Häuschen mit der grob gezimmerten Tür. Vor einigen Tagen hat sie hier Zuflucht gefunden, ohne Geld, eigentlich praktisch ohne Kleider. Nun hat sie ein schönes Kleid, schöne Schuhe und ein Schreiben in der Tasche, der ihr die Pforten zu einem der angesehensten Etablissements der Stadt öffnet. Damals hat Leif ihr Suppe gekocht, und ohne mit der Wimper zu zucken hätte sie sich ihm hingegeben dafür, wenn er danach gefragt hätte, so nötig war sie für sie gewesen. Nun steht sie wieder vor der Tür. Nun lädt sie ihn ein.   Lua holt noch einmal tief Luft. Dann klopft sie an die Tür.  
Thu, Oct 3rd 2024 09:35

"Ja, Harold hat mich wieder untergekriegt. Für ein paar Tage." Andeth grinste, während er dem alten Mann einen Fili zusteckte. Der verschwand sogleich in dessen zerlumpten Taschen. Als eine junge Frau, adrett gekleidet und mit einem Lächeln, das die Sonne verblassen ließ, an ihnen vorbeischwebte, konnte Andeth seinen Blick nicht von ihr abwenden. Ihre Figur, besonders ihre Kurven, zogen ihn magisch an.
Thu, Oct 3rd 2024 03:00

Die Art und Weise, wie Andeth der jungen Frau hinterherschaut, scheint wohl ziemlich auffällig zu sein. Wenigstens bleibt ein Mann stehen, schaut ebenfalls kurz Lua hinterher und beginnt zu lachen. Der Mann ist wohl nicht reich, aber scheint doch zu denen in der Stadt zu gehören, die sich wenig darum Sorgen machen müssen, am folgenden Morgen des Hungers zu sterben. Vielleicht ist es ein Handwerker, vielleicht auch ein kleiner Händler, wenn der Körperbau wohl auch eher zu ersterem tendieren lässt. Wissen kann es wohl niemand.   “Jaja,” sagt er dann lapidar, “Pelorn hat doch noch immer gewisse Schönheiten zu bieten, nicht wahr? Doch wenn man bedenkt, dass genau diese Frau noch vor einem halben Jahr jeden Morgen am Arsenal gestanden ist, abgerissen wie ein Sack Flöhe, so ist es doch ziemlich bemerkenswert, dass sie nun anscheinend gar zu den Reichen der Stadt gehört, jedenfalls wenn man mal das Kleid anschaut.”   Der Mann schaut Andeth nun in die Augen, legt eine Hand auf seine Schulter.   “Ja, Junge,” sagt er dann mit einem Grinsen, “da bist du ein halbes Jahr zu spät gekommen. Ich glaube kaum, dass die sich um Leute wie uns überhaupt noch kümmert. Da müsstest du wohl mit Fleisch und Wein und Schmuck auffahren, und, mit Verlaub, ich kann mir nicht vorstellen dass du dir etwas davon leisten könntest.”
Fri, Oct 4th 2024 08:33

Andeth erwidert kurz den Blick, um ihn dann wieder zu der Frau an der Türe schweifen zu lassen. Mit seufzender Stimme murmelt er hoffnungsvoll: „Irgendwann…!“ mit einem leichten Schulterzucken, entgegnet er zu zu dem alten Begleiter, dem er das Geld zu geschoben hat: „Komm, lass uns weitergehen.“, danach wirft er einen Seitenblick zu der Mann, der sich zu Ihnen gesellt hat. „ Danke, für die aufklärenden Worte.“ Schließlich trottet Andeth mit dem alten Bettler die Gasse hinunter.
Leif kam gerade von der Arbeit zurück, erschöpft und schmutzig. Die Sonne war schon tiefer gesunken, doch ihre letzten Strahlen fielen durch die Fenster seines kleinen Häuschens und beleuchteten den Raum in einem warmen, goldenen Licht. Der Geruch von brennendem Holz erfüllte die Luft, während das Feuer in der Ecke leise knisterte und das Wasser für seine geplante Wäsche langsam erwärmte. Es war still, abgesehen vom gelegentlichen Knacken des Holzes und dem tiefen Atemzug, den Leif tat, als er die Tür hinter sich schloss.   Schweiß perlte noch auf seiner Stirn, mischte sich mit dem Staub und Dreck, der sich während des Tages auf seinem Gesicht und seinen Händen angesammelt hatte. Seine Haut glänzte feucht in der warmen Luft, die Muskeln seines Oberkörpers hoben sich unter den Bewegungen seiner Arme und des Atems, als er schwerfällig zur Waschschale ging. Die Arbeit an der Akademie hatte ihm wie immer alles abverlangt, doch das war nichts, was er nicht gewohnt war. Sein Körper war daran gewöhnt, lange Stunden schwerer Arbeit zu leisten – jede Sehne, jeder Muskel straff und gestählt von Jahren auf See und an Land.   Seine starken, braungebrannten Arme waren das Werk harter Jahre als Fischer, und auf seinem Oberkörper zeichneten sich nicht nur Muskeln ab, sondern auch eine Reihe kleiner, heller Narben. Es waren Brandnarben, die von den Tauen stammten, die über die Jahre hinweg mit schneller Wucht über seine Haut geglitten waren und wie brennendes Metall ihre Spuren hinterlassen hatten. Diese Narben erzählten von gefährlichen Augenblicken auf dem Deck eines Schiffes, von Momenten, in denen ein falscher Schritt oder eine Unachtsamkeit den Unterschied zwischen Leben und Tod hätte bedeuten können.   Leif atmete tief durch und streckte die Arme kurz in die Höhe, die Bewegung ließ seine Schultern knacken und den Dreck, der sich an den Rändern seiner Hände gesammelt hatte, leicht rieseln. Sein Blick fiel auf das dampfende Wasser, und für einen Moment erlaubte er sich, die Müdigkeit des Tages abzuschütteln. Doch noch hatte er sich nicht gewaschen – der Schmutz, die Spuren der Arbeit, klebten noch an ihm wie die stummen Zeugen eines weiteren Tages, den er überstanden hatte. Er ging mit schweren Schritten zur Waschschale, nahm eine Handvoll des warmen Wassers und ließ es durch seine Finger rinnen. Der Dreck löste sich langsam von seinen Händen, vermischte sich mit dem Wasser und hinterließ auf seiner Haut das Gefühl von Erleichterung. Leif schloss für einen Moment die Augen, der leise Klang des Wassers und das Knistern des Feuers waren die einzigen Geräusche in der Stille seines Hauses. Doch bevor er sich vollends entspannen konnte, hörte er plötzlich ein Klopfen an der Tür.   Er öffnete die Augen, seine Körperhaltung wurde sofort wacher. Lua war sein Gedanke. Jetzt schon?   Mit einem tiefen Atemzug stellte er die Schale zur Seite, griff nach einem Tuch und wischte sich hastig die Hände trocken. Sein Herz begann schneller zu schlagen. Mit schnellen Schritten ging er zur Tür, das Haar zerzaust und der Oberkörper frei. Seine Hand umfasste den Griff, und als er die Tür aufschwang, war er völlig unvorbereitet auf das, was ihn erwartete.   Dort stand Lua.   Leifs Atem stockte, und seine Augen weiteten sich unwillkürlich. Der Anblick traf ihn wie ein Sturm auf hoher See – unvorhersehbar und überwältigend. Lua sah so unglaublich schön aus, dass es ihm beinahe den Boden unter den Füßen wegzog. Das blaue Kleid mit den weißen Punkten umschmeichelte ihre schlanke Figur auf eine Weise, die gleichzeitig unschuldig und betörend wirkte. Ihre Haare waren kunstvoll hochgesteckt, sodass ihr schlanker Hals und die wohlgeformten Schultern vollkommen zur Geltung kamen. Die Abendsonne, die noch immer durch die Straßen Pelorns schimmerte, legte einen goldenen Schein auf ihre makellose Haut. Ihre klaren, reinen Augen blickten ihn mit einer Mischung aus Aufregung und Nervosität an, doch Leif war viel zu überwältigt, um das zu bemerken.   Für einen Moment stand er einfach nur da, die Tür halb offen, und starrte sie an, als hätte er jede Fähigkeit zur Bewegung verloren. Seine Lippen öffneten sich, doch kein Wort kam heraus. Er wusste, er sollte etwas sagen – irgendetwas – doch alles, was ihm durch den Kopf ging, waren leere Gedanken, die keinen Sinn ergaben. Seine Kehle war trocken, seine Zunge schien schwer wie Blei. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, brachte er etwas hervor, das mehr ein raues Krächzen als eine tatsächliche Stimme war. „Du...“, begann er, schluckte schwer, versuchte es noch einmal. „Du bist so... unglaublich schön.“   Die Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, doch sie schienen die Luft zwischen ihnen zu erfüllen, als wäre es das einzige, was er im Moment aussprechen konnte. Leif, der sonst immer ruhig und gefasst war, fühlte sich plötzlich wie ein unerfahrener Junge, der nicht wusste, wie er auf diese plötzliche Welle von Schönheit und Eleganz reagieren sollte.
Fri, Oct 4th 2024 11:06

Auch Lua stockt, als Leif die Tür öffnet. Auch ihre Augen weiten sich, auch ihre Kinnlade fällt herunter. Sie wird rot im Gesicht, der Körper spannt sich unwillkürlich an.   “Oh,” sagt sie zunächst. Es folgt eine Pause, doch scheint Lua augenblicklich selbst zu merken, wie peinlich diese Pause wohl auch für Leif sein muss.   “Bin.. bin ich zu früh?” fragt sie also erschrocken. “Natürlich bin ich zu früh. Ich bin so ein dummes Ding und denke gar nicht daran, dass du ein so vielbeschäftigter Mann bist. Aber ich gehe wieder, wenn du willst, und komme später noch einmal vorbei. Entschuldige, Leif, ich wollte dich nicht überrumpeln, ich habe einfach nicht genügend nachgedacht. Sag mir nur, wann ich wieder kommen soll. Es soll doch ein schöner Abend sein, und ich fange schon so dumm an. Entschuldige bitte!”   Sie schaut betreten vor sich auf den Boden, dann erst scheint sie wohl zu realisieren, was Leif eigentlich gesagt hat. Beschämt schaut sie ihn also von unten herauf an, und nun tritt doch ein zaghaftes Lächeln auf ihre Lippen.   “Ich muss mich doch hübsch machen, wenn ich schon einmal mit dir in ein Gasthaus gehe,” fügt sie etwas kleinlaut hinzu.
Leif blinzelte, als Lua sprach, und merkte erst nach ein paar Sekunden, dass er ihr nicht geantwortet hatte. Ihre Unsicherheit berührte ihn, und plötzlich spürte er, wie sein Herz vor lauter Schuldgefühlen schwer wurde. Er war derjenige, der das Timing vergessen hatte. Sie hatte sich so viel Mühe gemacht, und hier stand er – verschwitzt, verschmutzt und überrascht, sie so früh zu sehen.   Er hob die Hand, eine einladende Geste, die sie ermutigen sollte, näherzutreten. „Nein, Lua... du bist nicht zu früh“, sagte er leise, seine Stimme diesmal fester, klarer. „Ich wusste einfach nicht, wann du kommen wolltest. Es... es ist meine Schuld.“ Ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen, während er die Tür weiter öffnete und einen Schritt beiseitetrat, um ihr den Weg frei zu machen. „Bitte, komm rein. Du... du musst nicht gehen. Ich will nicht, dass du gehst.“   Sein Blick glitt kurz an ihr vorbei, und im Augenwinkel sah er etwas, das seine Aufmerksamkeit fesselte. Ein Mann stand nur wenige Meter entfernt. Diese schmächtige Gestalt beobachtete Lua. Unverfroren starrte er ihr nach, als wäre sie das einzige, was in diesem Moment existierte. Der Mann war schlank, fast schon hager, und obwohl er von mittlerer Größe war, wirkten seine langen Arme unverhältnismäßig zum restlichen Körper. Seine Haut hatte einen leicht bräunlichen Ton, und seine Haare – kurz und dunkel – betonten die Pickelnarben auf seiner Stirn. Die schmalen Lippen waren fest zusammengepresst, und er schien sich nicht bewusst zu sein, dass Leif ihn bemerkte. Leif prägte sich das Gesicht des Mannes genau ein. Irgendwo hat er ihn schon einmal gesehen. Die Art, wie er Lua anstarrte, ließ seine Nackenhaare aufstellen. Doch jetzt war nicht der richtige Moment, darauf einzugehen. Später würde er darüber nachdenken.   Sein Blick kehrte zu Lua zurück, und sein Gesicht wurde wieder weicher. „Es ist wirklich schön, dass du da bist“, fügte er hinzu, während er sie fast sanft in das warme Haus hineinführte. Der Raum war erfüllt vom Geruch des brennenden Feuers, und der Schein der Flammen tanzte auf den grob behauenen Wänden.
Fri, Oct 4th 2024 03:04

Die Röte entweicht nun aus Luas Gesicht, und das zaghafte Lächeln wird nun wieder breiter, freundlicher und damit auch ungemein gewinnender.   “Nein, Leif,” antwortet sie. “Es ist nicht deine Schuld. Wie konntest du wissen, wann ich komme, wenn ich es dir nicht gesagt habe? Aber sie werden uns nicht wegschicken, wenn wir etwas später kommen. Wir haben also alle Zeit der Welt.”   Es ist nun ganz egal, ob Leif Lua nun fast oder ganz sanft in sein Heim führt, sie wird ihm bereitwillig folgen. Sie erinnert sich an die Lektionen, die Rikka ihr erteilt hat, und so schwebt sie fast neben Leif ins Haus. Auch in dieser Beziehung ist wenig mehr übrig von dem kleinen Trampel, der vor wenigen Tagen ohne Geld und ohne Zukunft in genau diesem Raum die Suppe gelöffelt hat, nachdem Leif sie aus höchster Not gerettet hatte. Sie schaut sich in dem einfachen, aber überaus gemütlichen Raum um, und je länger sie schaut, desto glückseliger scheint sie zu werden.   “Es ist wirklich schön, wieder hier zu sein,” sagt sie und sieht nun Leif in die Augen. “Genau hier hat mein Glück begonnen, ein Glück, so groß, dass ich es irgendwie noch nicht begreifen kann. Und jetzt, wo ich wieder hier bin, fällt mir immer mehr auf, dass das kleine Abendessen viel zu wenig ist, um meine Schuld bei dir auch nur im Entferntesten auszugleichen.”   Sie geht zu einem der Stühle, nimmt ihn an der Lehne und schaut Leif wieder an.   “Hier habe ich gesessen,” fährt sie fort, “du hast mir Kleidung gegeben, du hast mir zu essen gegeben, du hast mir einen Schlafplatz gegeben. Und besonders, ich bin hier gesessen und du hast mir Hoffnung gegeben. Und nun… Leif, ich hatte Fleischpastete zum Frühstück!”
Leif konnte nicht anders, als Lua anzusehen, wie sie dastand, so strahlend und voller Freude. Sein Herz schlug schneller, und er fühlte eine Wärme, die weit über das hinausging, was das Feuer in seinem Haus bewirken konnte. Sie war glücklich, und das allein machte ihn glücklich.   Als sie von ihrem Glück sprach, davon, dass hier alles begonnen hatte, spürte Leif eine sanfte Erleichterung in sich aufsteigen. Er hatte nicht nur etwas Gutes getan, er hatte etwas Gutes für jemanden getan, der ihm mehr bedeutete, als er je zugeben könnte. Ihr Lächeln war für ihn Dank genug, ihre bloße Anwesenheit erfüllte ihn mit Zufriedenheit. „Lua, das, was ich für dich getan habe…“ Seine Stimme war ruhig, sanft, während er sprach. „Es war mir eine Ehre. Du musst dich nicht weiter entschuldigen oder dir Sorgen machen. Dass du hier bist, dass du dich mit mir abgibst, das ist mehr als genug. Dein Lächeln…“ Er hielt inne, nicht sicher, ob er es aussprechen sollte, aber die Worte kamen ihm doch über die Lippen. „...das ist alles, was ich brauche.“   Er deutete dann auf die Waschschüssel, die dampfend am Feuer stand. „Ich wollte mich gerade fertigmachen,“ sagte er zögernd, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. „Hast du etwas dagegen, wenn ich mich wasche? Es dauert nicht lange.“   Es war ihm egal, ob sie blieb oder ging – ihre Anwesenheit störte ihn nicht, im Gegenteil, sie war angenehm. Wenn sie sich dabei unwohl fühlte, konnte sie natürlich warten, aber für Leif war das kein Problem. Lua sollte sich ganz frei fühlen.   Leif ließ das warme Wasser über seinen Oberkörper laufen, das Gefühl der frischen, sauberen Haut brachte ihm eine tiefe, fast meditative Ruhe. Die Dreckschicht, die den Tag über an ihm geklebt hatte, verschwand, und mit jedem Wassertropfen fühlte er sich leichter, klarer. Nachdem er sich fertig gewaschen hatte, ging er zu der Truhe am Rand des Raumes und öffnete sie. Die frische Wäsche lag sorgfältig zusammengelegt darin. Er nahm eine lange Hose aus robustem Stoff heraus, wohl Wolle oder Leinen, und zog sie an, gefolgt von einem schweren, aber dennoch weichen Hemd, das er sich über die Schultern gleiten ließ.   Der Duft von Kräutern und Blumen hing noch immer in der Luft, ein Überbleibsel von dem Wasser, das er verwendet hatte. Der vertraute Geruch von Fisch, der ihn so oft umgab, war jetzt verschwunden. Stattdessen verströmte sein Körper nun diesen frischen, fast beruhigenden Duft. Es war ein seltsames Gefühl, beinahe ungewohnt, doch eventuell gefällt es Lua.   Langsam ging er auf sie zu, jeder seiner Schritte war ruhig und bedacht. Als er vor ihr zum Stehen kam, konnte er ihren sanften Atem hören. Sie wirkte so nah, und dennoch spürte er eine unermessliche Tiefe zwischen ihnen, die er mit keinem Wort hätte füllen können. Für einen Moment sagte er nichts. Er wollte einfach nur diesen Augenblick einfangen, ihn festhalten, als wäre es etwas Zerbrechliches.   Leif sah Lua tief in die Augen, und für einen Herzschlag schien die Welt um ihn herum stillzustehen. Ihre Augen, die ihm so viel mehr erzählten, als Worte je könnten, zogen ihn magisch an. Eine einzelne Strähne hatte sich aus ihrem sorgfältig hochgesteckten Haar gelöst und fiel ihr leicht über das Gesicht. Mit einer sanften, langsamen Bewegung hob er die Hand und strich die Strähne hinter ihr Ohr. Seine Finger verweilten einen Moment länger, als es nötig gewesen wäre, während sein Blick weiterhin unverwandt auf ihr ruhte.   Es war ein einfacher Akt, aber in diesem Moment schien es mehr zu bedeuten, als alles, was er hätte sagen können.
Thu, Oct 10th 2024 04:38

Wieder verändert sich ihr Lächeln, wirkt nun geradezu belustigt, und auch die nach wie vor strahlenden, fast schwarzen Augen werden etwas schmaler, lustiger.   “Aber Leif,” antwortet sie, “warum sollte ich etwas dagegen haben, wenn du dich wäschst? Ich würde dich zwar auch ungewaschen zum Essen einladen. Du hast mich ja auch ungewaschen und wohl nicht wenig stinkend bei dir aufgenommen. Schließlich bin ich an jenem Nachmittag eine ganze Weile lang bewusstlos in der Gosse gelegen. Aber ich glaube, die anderen Leute in dem Gasthaus würden wohl gewaschene Gäste vorziehen.”   Sie nimmt den Stuhl und dreht ihn herum, setzt sich darauf und schlägt die Beine übereinander. Oh ja, Rikkas Unterricht hat wohl gewirkt. Früher wäre Lua wohl mit offenen Beinen dagesessen und hätte damit wohl mehr offenbart, als es für irgendeine Dame denn sittlich wäre. Doch nun hat sogar der einfache Vorgang des Sich Setzens eine gewisse Eleganz in sich, die in eigenartigem Kontrast steht mit Luas Gesichtsausdruck. Dieser ist einfach, offen, ehrlich und rein durch und durch. Vielleicht, oder fast sicher, ist es gerade dieser Gesichtsausdruck, dieses Wesen, mit dem sie auf dem Empfang des Barons doch einiges Aufsehen erregt hat und der auch Meister Aurean dazu zu verleiten scheint, auf sie zu achten, wie auf eine kostbare Perle.   “Aber ich glaube nicht,” fährt sie dann fort, “dass es so etwas besonderes ist, wenn ich mich gerne mit dir abgebe. Ich bin mir sicher, wenn ich dich nicht eingeladen hätte, hätte es wohl jemand anderes getan, und wer weiß, vielleicht sitzt du ja schon morgen zu Mittag mit jemandem zusammen, die viel interessanter ist, als es die gute Lua je sein kann.”   Nun ist Leif auch schon fertig, und Lua nickt.   “Du siehst gut aus,” sagt sie. “Ich wette, die anderen Damen in dem Lokal werden mich wohl um meine Begleitung beneiden!”   Wieder lächelt sie belustigt, dann streckt sie ihre Hand aus.   “Komm! Ich hoffe, es gefällt dir!”   Sie verlassen nun Leifs gemütliches, kleines Haus. Kaum sind sie auf der Straße, hängt Lua sich an Leifs Arm ein. So führt sie ihn nun ein kleines Stück die Prena hinauf, in die Richtung des Tempels der Zwillinge. Sie gehen an der Residenz des Barons vorbei, dann biegt Lua links ab. Dies ist wohl das beste Viertel der Stadt, und wenig ist von dem Zerfall zu spüren, dem Pelorn seit vielen Jahren preisgegeben ist. Schließlich bleibt Lua stehen und lässt Leif los.   “Warte hier,” sagt sie lächelnd, “ich bin gleich wieder hier.”   Eine ordentliche Gruppe Leute steht hier auf der Straße, und gar einige davon könnten, wenn sie denn wollten, wohl Leifs Häuschen kaufen, und die Seewind noch dazu, ohne mit der Wimper zu zucken. Sie alle warten hier auf Einlass. Sie stehen schließlich vor dem “Duftenden Garten”, und dieses Lokal ist mit Sicherheit eines der teuersten und angesehensten der Stadt. Allerdings ist der “Garten” gemeinhin als Bordell bekannt. Freilich nicht eines jener schmutzigen Liebeshäuser, in der sich das gemeine Volk verwöhnen lässt - und nicht selten danach mit den Folgen des Besuchs zu kämpfen hat. Der “Garten” ist bekannt dafür, dass nur die schönsten und elegantesten Dirnen darin arbeiten dürfen, dass stets ein Heiler zugegen ist, der diese Dirnen auch auf Krankheiten untersucht. Und dass bei der Preisverhandlungen mit diesen Dirnen Filis keine Rolle mehr spielen. Nun denn, Lua geht also einfach an der Menschenmenge vorbei. Die Blicke, die ihr freilich folgen, scheint wohl Leif mehr wahrzunehmen als sie selbst. Schließlich sind ja die meisten nur aus einem Verlangen hier, und Lua ist hübsch genug, dieses Verlangen noch zu steigern. Sie bleibt schließlich beim Türsteher stehen. Dieser ist ein Berg von einem Mann und schaut Lua zunächst an, als würde er sie in Bälde ungespitzt in den Boden rammen. Lua jedoch holt ein Stück Papier aus ihrem Kleid hervor, zeigt es dem Mann. Dieser wird urplötzlich überfreundlich, schaut zu Leif herüber, dreht sich um. Und auch Lua dreht sich um und kommt zu Leif zurück.   “Komm, lieber Leif, unser Tisch steht bereit!”   Sie hängt sich wieder bei Leif ein, und nun gehen sie zu zweit an der Menge vorbei. Die Blicke treffen nun auch Leif, mustern ihn äußerst abschätzig, aber wohl äußerst neidvoll. Neben dem Türsteher erscheint nun eine Dame. Mit ihren wohl 45 Jahren hat sie sicher die Blüte der Jahre hinter sich, ist aber nach wie vor eine auffallend schöne Frau. Glänzendes, schwarzes Haar fällt in leichten Locken über ihre Schultern, und strahlendblaue Augen bilden einen schönen Kontrast dazu. Der wohlgeformte, weiblich gerundete Körper steckt in einem halbtransparenten, engen, seidenen Kleid und lässt Wäsche aus feinster Spitze durchscheinen. Die Frau begrüßt Lua und Leif elegant und freundlich.   “Meine Dame, mein Herr, es ist uns eine Ehre, Euch hier begrüßen zu dürfen,” sagt sie. “Wir haben uns bemüht, Euch den schönsten Tisch in unserem Garten bereit zu halten. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt!”   Sie gehen nun durch einen prächtigen Flur. An den Wänden hängen zahlreiche Gemälde von äußerst spärlich bekleideten, dafür umso hübscheren Frauen - und es ist nun auch nicht so schwer zu erraten, woher der Gefallen wohl kommen wird, den die Besitzerin, der sie nun wohl folgen, dem Meister schuldet. Sie betreten jedoch keinen der Räume voller frivoler Wollust, sondern kommen in einen prächtigen, im Innenhof gelegenen Garten. Und dort steht, unter einer ausladenden Glyzinie, ein Tisch, mit feinstem Porzellan eingedeckt, geradezu zerbrechlich wirkenden Kristallgläsern. Ein Leuchter in der Tischmitte erfüllt den Tisch mit warmem Licht.   “Ich hoffe, der Tisch ist zu Eurer Zufriedenheit!”
Thu, Oct 10th 2024 05:48

Sie ging noch ganz flott Futter ausliefern und holte neues Futter. Da schaute sie um die Hausecke und sah eine Dame im blauen Kleid mit blauen Punkten, und der große Mann, ihre Begleitung, sah ziemlich gut aus. Als sie aber den Mann erkannte, schaute sie schockiert ihn an. Es war Leif. Sie machte sich Gedanken: Wieso tut er mir das an? Waren die Worte von heute Morgen etwa nicht ernst gemeint? Naja, sie machte sich wieder auf den Nachhauseweg und nahm sich vor, ihn morgen beim Mittagessen zu fragen, wer die Dame war. Nein, sie war nicht eifersüchtig. Sie war nur enttäuscht, dass er ihr nichts gesagt hatte, weder dass er eine Freundin hat noch dass er keine hat, sondern nur eine Bekannte aus früheren Zeiten. Sie machte sich wieder auf den Heimweg und ging in die andere Richtung, ohne dass sie ihn gesehen hatte.
Als Leif und Lua das Haus verließen, nahm er ohne zu zögern ihren Arm. Es war eine vertraute Geste, die ihn auf eine seltsame Weise beruhigte. Die Straßen von Pelorn waren ihm vertraut, doch die Stimmung des Abends war anders. Vielleicht lag es an Lua, die mit ihrem strahlenden Lächeln und der unbeschwerten Art einen solchen Kontrast zu der Welt um sie herum bildete.   Je weiter sie gingen, desto mehr fiel Leif jedoch auf, dass sie sich in ein Viertel bewegten, das er sonst mied. Als sie an der Residenz des Barons vorbeigingen, begann ein mulmiges Gefühl in ihm zu wachsen. Er fühlte sich unwohl, und als sie schließlich vor dem "Duftenden Garten" – einem Freudenhaus – stehen blieben, versteifte sich Leif unwillkürlich. Der Gedanke, an einem Ort wie diesem gesehen zu werden, ließ ihn nervös werden. Und doch versuchte er, sich nichts anmerken zu lassen. Er zwang sich, ruhig zu bleiben und sich zu entspannen, doch Lua konnte es sicherlich spüren.   Die Menschen, die hier standen, reiche, gut gekleidete Bürger, musterten ihn abschätzig. Ihre Blicke schienen ihm förmlich durch die Haut zu dringen, und er spürte, wie sich seine Schultern leicht anspannten. Der Geruch von teuren Parfums und der Anblick der eleganten Kleidung der Wartenden verstärkten sein Unbehagen nur noch mehr. Leif war sich bewusst, dass er hier fehl am Platz wirkte, auch wenn er sich frisch gewaschen und ordentlich gekleidet hatte.   Er kannte den Türsteher flüchtig, hatte ihn schon einmal gesehen, doch der große Mann wirkte heute bedrohlicher als zuvor. Als Lua jedoch das Stück Papier vorzeigte und der Türsteher plötzlich freundlich wurde, kam ihm das Ganze nur noch unwirklicher vor. Es war, als wäre er in eine Welt eingetreten, die ihm vollkommen fremd war. Eine Welt, die er bisher nur von weitem gesehen hatte.   Die Blicke, die auf ihn und Lua fielen, machten ihm zu schaffen. Er mochte es nicht, im Mittelpunkt zu stehen, und jetzt, da er neben Lua die Aufmerksamkeit der Menge auf sich zog, fühlte er sich mehr als unwohl. Die neidischen und abschätzigen Blicke trafen ihn härter, als er zugeben wollte.   Doch als die schwarzhaarige Frau sie höflich und nett begrüßte, schaffte er es, ein freundliches Lächeln aufzusetzen und sie respektvoll zu grüßen. Ihre Eleganz und Anmut beeindruckten ihn, doch sie erinnerte ihn auch daran, wie weit er von dieser Welt entfernt war.   Der Luxus des Ortes, die prächtigen Flure und das kostbare Porzellan, überwältigten ihn. Er hatte nie zuvor so viel Reichtum auf einem Fleck gesehen, und obwohl er versuchte, ruhig zu bleiben, fühlte er sich fehl am Platz. Lua führte ihn sicher weiter, und er ließ es geschehen, doch innerlich war er hin- und hergerissen. Dieser Abend war anders, und während er sich bemühte, den Wohlstand um sich herum nicht zu sehr an sich heranzulassen, wusste er, dass Lua seine Unsicherheit spürte.   Lua merkt ziemlich schnell das dieser überwältigende Eindruck es für Leif erstmal unmöglich macht auf die Frage zu antworten.
Fri, Oct 11th 2024 09:27

Lua lächelt Leif freudig an, während die Dame ihnen den Tisch zeigt. Sie hat wohl auch allen Grund dazu, ist dieser Tisch unter der blühenden Glyzinie doch fast schon kitschig schön. Nun ist Lua weder ein Kind der Oberschicht, noch besonders gewandt in irgendwas, aber trotzdem hat sie Feingefühl genug, Leifs Unsicherheit zu erkennen. Sie übernimmt also das Antworten.   “Dankeschön,” sagt sie zu der Frau, “dieser Tisch passt ganz wurnderbar.”   Dann macht sich freilich wieder Rikkas Schule bemerkbar, wie sie darauf wartet, dass die Dame ihr den Stuhl unter den Hintern schiebt, danach dasselbe bei Leif macht - wenigstens insofern, als dass dieser sich nicht schon nach gemeinem Pelorner Brauchtum einfach schon auf den Stuhl draufgesetzt hat. Schließlich ist Leif nicht unbedingt kultivierter als Lua, aber dass der Zweck eines Stuhls einzig und allein darin besteht, sich darauf zu setzen, das hat sich ihm wohl erschlossen. Auch ist er Manns genug, dies auch ohne fremde Hilfe hinzukriegen.   “Dies erfreut mich außerordentlich,” entgegnet die Dame in vornehmem Flöten. “Ich werde sogleich ein Mädchen schicken.”   Die Dame entfernt sich also von dem Tisch. Lua sieht zu Leif, lächelt und legt den Kopf etwas schief.   “Ich weiß, was in deinem Kopf vorgeht, Leif,” sagt sie dann. “Ich habe genau dasselbe gefühlt. Aber der Meister, der sagt immer, all diese Leute, die müssen sich hinter ihrem Geld und ihrem Getue verstecken, damit niemand sieht, wie dumm sie eigentlich sind. Ich habe dich nicht hier her eingeladen, weil du hier nachher die schönsten Frauen Pelorns haben kannst, oder um dir zu zeigen, dass ich mit Auris’ Hilfe hier hereinkomme. Der einzige Grund ist, dass der Meister gesagt hat, dass das Essen hier sehr gut ist. Naja, und der Garten, der ist schon schön. Das habe ich aber vorher gar nicht gewusst.”    
Leif ließ sich vorsichtig auf den Stuhl sinken, bevor die Dame überhaupt Gelegenheit hatte, ihm diesen galant anzubieten. Solche Feinheiten waren ihm fremd, und es schien ihm unnötig, auf eine solche Geste zu warten. Die ganze Szenerie – die blühende Glyzinie über ihnen, der sorgfältig gepflegte Garten, die elegante Atmosphäre – war weit entfernt von seiner alltäglichen Welt. Er spürte, wie die Unbehaglichkeit wieder an ihm nagte, doch als Lua sprach, ließ er die Worte auf sich wirken.   Er hörte ihrem weichen Lächeln und der warmen Art zu, die sie stets mitbrachte, egal wo sie waren. Sie schien genau zu spüren, was in ihm vorging, und das war eine Erleichterung. Ihre Worte – einfach, ehrlich und ohne jegliche Fassade – erreichten ihn auf eine Weise, die die Pracht um sie herum nicht vermochte.   Leif sah zu Lua, seine Stirn in leichter Nachdenklichkeit gefaltet, und nickte. „Es ist ... anders hier,“ murmelte er, als würde er versuchen, seine Gedanken zu ordnen. „Aber du hast recht. All das ... Getue – ich glaube nicht, dass ich je verstehen werde, warum sie so tun müssen.“ Er warf einen kurzen Blick auf die reiche Gesellschaft, die sich um sie herumbewegte, bevor er wieder zu Lua sah.   „Ich habe nie so viel Prunk gesehen. Aber wenn du sagst, dass das Essen gut ist, dann vertrau ich darauf,“ fügte er hinzu, wobei ein schwaches Lächeln über sein Gesicht huschte, das für einen Moment die Nervosität verbarg.   Leif mochte es nicht, sich schwach oder unsicher zu fühlen, schon gar nicht in Gegenwart anderer, aber bei Lua war das anders. Sie konnte seine Unsicherheiten sehen, und statt sie auszunutzen, half sie ihm, sich nicht darin zu verlieren. „Der Garten ist wirklich schön,“ gestand er schließlich leise, als er die rankenden Glyzinien betrachtete, die sanft im Wind wehten.   Leif lehnte sich ein wenig zurück, die Hände auf die Lehnen des Stuhls gelegt, und betrachtete für einen Moment den prachtvollen Garten. Die Glyzinien über ihnen, das fein gedeckte Porzellan auf dem Tisch und die wohlgepflegten Wege – es war alles unglaublich schön. Doch dann wandte er den Blick zu Lua, die ihm gegenüber saß, ihr schelmisches Lächeln und die schief gelegte Kopfhaltung. Ihr schlichtes, ehrliches Wesen stach heraus, egal wie elegant ihre Umgebung war.   Ihm wurde plötzlich klar, dass all dieser Prunk – der Garten, die edlen Gläser, die reiche Gesellschaft – verblasste im Vergleich zu Lua. Hier, in diesem Ort voller Pracht und Reichtum, war sie das Einzige, was wirklich strahlte. Ihr Lächeln, ihre Art, ihn zu beruhigen, ohne große Worte. Es gab hier nichts, das schöner war als sie.   Er atmete tief durch, ließ die Gedanken in seinem Kopf für einen Moment ruhen. „Weißt du,“ begann er langsam und ließ den Blick noch einmal umherschweifen, bevor er wieder bei Lua hängen blieb, „all das hier ... der Garten, die Blumen, das ganze Drumherum – es ist schön, keine Frage. Aber ich glaube nicht, dass es hier etwas Schöneres gibt als dich.“ Er sagte es leise, fast beiläufig, aber seine Worte waren ehrlich, ohne jede Übertreibung.   Ein leichtes Lächeln spielte um seine Lippen, während er sie ansah. Lua mochte nicht die Eleganz der reichen Damen haben, aber genau das machte sie aus. Sie war echt, ehrlich und lebendig – und das war für Leif wertvoller als jeder Wohlstand, den dieser Ort bot.
Fri, Oct 18th 2024 02:41

Die ganze Zeit lang, in der Leif nun etwas unbeholfen herumstammelt, sitzt Lua nur da und lächelt ihn aufmunternd an. Keine Spur von Überlegenheit ist darin zu spüren, alles was da ist, scheint wenigstens pure Freude zu sein, mit Leif diesen Abend zu teilen. Erst bei seinem letzten Satz weicht das Lächeln einem leisen, hellen Lachen. Und es dauert eine ganze Weile, bis sie sich wieder so weit beruhigt hat, dass sie antworten kann.   “Leif, du musst mir wirklich keinen Honig ums Maul schmieren,” antwortet sie. “Du hast mich aufgenommen, als ich schmutzig und stinkend war, ich weiß, dass es dir egal ist, wie eine Frau aussieht. Aber es ist schon beruhigend, dass du lieber mit mir hier sitzt als mit einem Strauß Blumen.”   Nun ist die Sitzordnung freilich auch in diesem Lokal die, die in den meisten Restaurants mit peinlicher Genauigkeit eingehalten wird. Und zwar genau die, dass die Frau sich wohl gemütlich umsehen kann, wenn sie denn will, auch alle möglichen Leute kritisieren, der Mann jedoch nur die Frau und die Wand, oder, wie in diesem Fall, die Frau und die Glyzinie sieht. Doch tut Lua Leif den Gefallen, nicht über Leute zu reden, die er nicht sieht, sondern schaut ihm einfach in die Augen, bis, ja bis sie trotzdem an ihm vorbeisieht.   “Das mit dem Schönsten hier, hat sich übrigens gleich erledigt,” schmunzelt Lua.   Nun sind Geschmäcker so verschieden wie die Ohrfeigen, und spätestens seit dem Empfang beim Baron beginnt auch schon das Gerücht die Runde zu machen, dass der Meister Aurean sich eine gerade betörende Schönheit als Muse geangelt hätte. Die Dame, die nun jedoch an den Tisch tritt, macht Leifs Begleitung jedoch unzweifelhaft gehörige Konkurrenz. Wobei freilich ihr Aufzug gehöriig dazu beiträgt, ihr verführerischer Blick, das Haar, das in vollen Locken über die Schultern fällt, und das weiße, enge Seidenkleid, gerade transparent genug um zwar nichts zu zeigen, doch alles erahnen zu lassen.   “Guten Abend,” sagt die Frau nun, “mein Name ist Freya, und es ist mir eine Ehre, Euch heute zu Diensten zu sein. Wünscht Ihr die Speisekarte zu lesen, oder zieht Ihr es vor, wenn ich Euch die Speisen erkläre?”
Leif starrte für einen Moment auf den leeren Tisch, während Lua leise lachte, und ein leichtes Gefühl der Verlegenheit kroch in ihm hoch. Er hatte nicht vorgehabt, übertrieben zu klingen, aber offenbar war ihm das nicht ganz gelungen. Als Lua schließlich wieder zu ihm sprach, war ihr Ton sanft, ohne Spott, und das beruhigte ihn. Ihr Lächeln und die Art, wie sie ihn ansah, waren echter als all die falschen Höflichkeiten, die hier in diesem noblen Etablissement herrschten.   "Honig ums Maul schmieren?" Leif lachte leise, dann schüttelte er den Kopf. „Das liegt mir gar nicht. Und du weißt, wie sehr ich direkte Worte mag. Aber du hast recht, das mit den Blumen war vielleicht ein bisschen viel.“   Als sie fortfuhr und ihm dann doch einfach direkt in die Augen sah, fühlte Leif sich für einen Moment ganz wohl. Lua machte es ihm leicht, obwohl sie in dieser fremden Umgebung waren, und obwohl er sich alles andere als sicher fühlte. Ihr Blick hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn. Doch dann bemerkte er, wie ihre Augen leicht an ihm vorbeiglitten und er hörte ihr leises Schmunzeln.   Leif drehte sich leicht um und sah die Frau, die auf sie zutrat. Ihre Ankunft veränderte die Atmosphäre um sie herum schlagartig. Freya war ... atemberaubend. Ihr seidiges Kleid schien wie gemacht, um Aufsehen zu erregen, und jeder Schritt, den sie tat, war geschmeidig und selbstbewusst. Leif musste sich zwingen, den Blick nicht zu lange auf ihr ruhen zu lassen, aber es fiel ihm schwer, seine Augen von der Szenerie loszureißen. Das war eine Welt, in die er nicht gehörte, das spürte er mehr denn je.   "Guten Abend," sagte die Frau mit einer Stimme, die so seidig wie ihr Kleid war. Leif räusperte sich kurz, versuchte, sich wieder zu sammeln. „Ähm, ich glaube, es wäre ganz gut, wenn Ihr die Speisen erklärt,“ antwortete er, bevor er Lua einen kurzen, unsicheren Blick zuwarf. Bei ihr fühlte er sich sicherer, aber diese Freya ... sie brachte ihn aus dem Gleichgewicht.   „Was meinst du, Lua?“ fragte er.
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Wed, Oct 23rd 2024 01:57

Lua bemerkt sehr wohl die Wirkung, die Freya auf Leif hat. Aber wer könnte es ihm schon verdenken? Freilich ist es ganz im Interesse der Wirtin des Duftenden Gartens, wenn die Gäste des Restaurants danach noch einiges Geld im Bordell liegen lassen. Was würde da also näher liegen, als die Bedienungen recht aufreizend daher marschieren zu lassen? Wieder geht wohl ein Schmunzeln über ihre Lippen, sie belässt es aber dabei bleiben. Sie will Leif schließlich einen schönen Abend bereiten, und da ist es keineswegs abträglich, wenn ihm die Bedienung gefällt. Stattdessen antwortet sie natürlich direkt auf seine Frage.   “Ich danke dir für deine Rücksicht, lieber Leif,” antwortet sie und schaut ihm dabei in die Augen, bevor sie sich an die Bedienung wendet. “Leider ist es mit meinen Lesekünsten nicht weit her, deshalb wäre es mir wirklich lieb, wenn Ihr es mir erklären würdet.”   Dabei sieht sie nun auch die Bedienung aus treuherzigen Augen an, worauf diese nicht anders kann, als einfach freundlich zu Lächeln. Sie beginnt nun mit einer ganzen Reihe von wohl äußerst wohlschmeckenden, aber auch mit reichlich komplizierten Namen ausgestatteten Gerichten. Nun, die hübsche junge Dame in dem dünnen Seidenkleid trägt die Auswahl an Speisen eloquent und freundlich vor, aber wenigstens Lua ist danach praktisch gleich schlau wie vorher. Kurz geht ein etwas unsicherer Blick zu ihrem Gegenüber. Was, wenn er genauso wenig verstanden hat wie sie? Was, wenn er sich nun wieder unwohl fühlt? Lua muss reagieren. Sofort.   “Ach, liebste Freya,” sagt sie dann wieder mit treuherzigem Blick und ebensolcher Stimme, “bei dieser Auswahl fällt mir die Wahl einfach zu schwer. Sagt doch dem Koch, er soll uns eine Auswahl zusammenstellen, ganz wie es ihm beliebt! Und könnt Ihr uns noch einen Rotwein Jahrgang 99 bringen?”   Nun ist es an Freya, etwas erstaunt zu schauen. Sie hätte Lua wohl nicht zugetraut, dass sie sich mit den Jahrgängen der Weine auskennt - und zugegebenermaßen weiß sie ja auch nur, dass dieser Jahrgang 99 geradezu legendär ist. Sie nickt aber erneut, lächelt dann wieder freundlich und tänzelt auch schon wieder - natürlich mit aufreizendem Hüftschwung - in Richtung Küche.
Leif spürte, wie sich ein Knoten in seinem Magen bildete, während Lua geschickt die Situation übernahm und mit der Bedienung sprach. Sie war elegant, gewandt, und es schien ihr nichts auszumachen, dass sie vor ihm glänzte, während er sich wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlte. Irgendwo in seinem Inneren schlich sich der Gedanke ein, dass dies alles nur dazu diente, ihm zu zeigen, wie weit sie es gebracht hatte – und wie weit er zurückgeblieben war.   Während Freya die Gerichte aufzählte und Lua mit einer Leichtigkeit reagierte, die ihn nur noch unsicherer machte, wurde ihm klar, dass er hier nichts zu suchen hatte. Er fühlte sich wie ein Eindringling, als ob dieser ganze Abend nur eine Erinnerung daran war, dass er nicht in diese Welt passte. Und selbst wenn Lua ihn ansah und versuchte, ihn mit einem sanften Lächeln zu beruhigen, blieb das mulmige Gefühl. Er fühlte sich vorgeführt, als ob sie ihm zeigen wollte, wie weit sie sich von ihrem alten, schmutzigen Ich entfernt hatte – und wie weit er zurückgeblieben war.   Er sagte nichts, schluckte seine Gedanken und das unangenehme Gefühl einfach herunter. Es war besser so. Leif wusste, dass, egal wie falsch sich das anfühlte, er keinen Grund hatte, sich zu beschweren. Lua sah fantastisch aus, sie hatte es weit gebracht – sie hatte mehr erreicht, als er sich jemals hätte träumen lassen. Aber er konnte nicht anders, als sich in ihrer Gegenwart verloren zu fühlen. Sie hatte ihn eingeladen, ihm einen schönen Abend bereiten wollen, aber alles, was er spürte, war, wie unpassend er in dieser Umgebung war.   „Lassen wir den Koch entscheiden“, murmelte er schließlich, ohne wirklich zu wissen, was er sagte. Seine Stimme klang leer, fast mechanisch. Er würde den Abend einfach über sich ergehen lassen. Es war nicht an ihm, Lua seine Unsicherheit oder sein Unwohlsein zu zeigen. Stattdessen hielt er es aus, wie er es immer tat – mit einem steinernen Gesicht und einem noch härter werdenden Herz.
Thu, Oct 24th 2024 04:08

Lua sieht Leif an. Zunächst noch freudig erregt, mit einem Strahlen in den Augen, das seinesgleichen sucht. Aber je länger ihr Blick auf Leif ruht, desto mehr erlischt dieses Strahlen, desto mehr verschwindet das Lächeln. Das Gesicht wird ernst, und irgendwann ist die Unsicherheit, ja Traurigkeit in dem hübschen, fein geschnittenen Gesicht unübersehbar. Es wirkt, als würde sie in ihrem Sessel zusammensinken, schaut jedoch Leif nur stumm an. Dann sagt sie, kaum hörbar: “Es gefällt dir hier nicht, richtig?”
Leif hob den Kopf, überrascht von der plötzlichen Sanftheit in Luas Stimme. Er sah in ihre Augen, die nun nicht mehr vor Begeisterung strahlten, sondern von einer leisen Traurigkeit erfüllt waren. Ihr Ausdruck war fast schon verletzlich, und das rührte etwas in ihm, das er bis jetzt hartnäckig unterdrückt hatte.   Für einen Moment wusste er nicht, was er sagen sollte. Seine Worte blieben ihm im Hals stecken, und der Kloß in seinem Magen schien schwerer als zuvor. Lua hatte ihn durchschaut, und das brachte ihn ins Wanken, ließ ihn sich noch kleiner fühlen, als er ohnehin schon glaubte, in diesem gehobenen Umfeld zu sein. Die Pracht, die Eleganz – all das fühlte sich an wie eine unsichtbare Mauer, die ihn von ihr trennte, als wäre sie in eine Welt aufgestiegen, die ihm immer fremd bleiben würde.   „Es...“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Es ist nicht so, dass ich undankbar bin, Lua. Aber...“ Er sah weg, sein Blick glitt über die Blumen, die teuren Tischdecken, das edle Besteck, bis er schließlich wieder bei ihr landete. „Ich gehöre einfach nicht hierher. Ich verstehe, dass du es verdient hast, dass du diesen Ort genießen kannst, aber... ich fühle mich... verloren.“   Er seufzte, wollte etwas mehr sagen, seine Gedanken in verständlichere Worte fassen, doch stattdessen blieb er einfach nur stumm, den Blick auf seine Hände gerichtet. Leif hielt kurz inne, holte tief Luft und sah Lua wieder in die Augen, diesmal mit einem entschlossenen Ausdruck. „Es liegt nicht an dir, Lua,“ sagte er sanft und tastete mit seiner Hand kurz nach ihrer, als suche er darin Halt. „Versteh mich nicht falsch – ich genieße es, bei dir zu sein. Mehr, als du wahrscheinlich ahnst. Das hier...“ Er warf einen Blick auf die prunkvolle Umgebung, die schönen Lampen und die perfekte Tischdekoration. „Es ist dieser ganze Ort, diese Atmosphäre... sie passt einfach nicht zu mir.“ Er lächelte schwach, fast entschuldigend, und fuhr fort: „Ich will nichts anderes, als diesen Abend mit dir zu verbringen, wirklich. Nur fühl ich mich hier wie...“ Er rang nach Worten, dann schüttelte er leicht den Kopf. „Wie ein Fisch, der plötzlich fliegen soll. Bei dir fühl ich mich wohl – aber hier, an so einem Ort…“   Seine Stimme brach ab, doch in seinen Augen lag der stille Wunsch, dass sie ihn verstand. Lua sah ihm immer noch tief in die Augen, und er wusste, dass sie das meiste, was er fühlte, längst gespürt hatte.  
Wed, Oct 30th 2024 11:29

Unschuld. Unschuld ist das, was in Luas Lächeln erkennbar ist. Unschuld, Zuneigung, und, und das in gehörigen Maße, auch Verständnis.   “Leif, ich weiß nicht, ob du mir das jetzt glauben kannst,” entgegnet sie also, “aber ein Fisch kann nicht fliegen. Und du wirst in deinem ganzen Leben keinen Fisch finden, der dir weismachen will, dass er fliegen kann. Er wird das nicht tun, weil er ein Fisch ist, und weil ein Fisch zufrieden ist, durch das Wasser zu schwimmen und Algen, andere Fische oder was weiß ich noch was zu fressen. Es sind die Menschen, die dir weismachen wollen, sie seien Fische, die fliegen können. Sie fühlen sich dann besser, wenn du so tust, als seist du beeindruckt von dieser so unvorhergesehenen Fähigkeit. Es gibt aber weder Fische noch Menschen, die fliegen können. Fische schwimmen, Menschen gehen. Und all die Leute, die du heute hier in diesem Restaurant siehst, sie werden alle nach Hause laufen. Keiner von ihnen wird nach Hause fliegen. Wenn du nun also Angst hast, ich würde dir heute davonfliegen - nein, ich laufe ebenso wie du. Ganz im Gegenteil: Die meisten Leute, die du hier siehst, die meinen fliegen zu können, tun das, weil viele, ganz viele Leute für sie laufen. Wir laufen selbst. Du musst dir also stets vor Augen halten, dass du selbst hier hergelaufen bist. Du holst die Fische selbst aus dem Wasser, und das so viele, dass du nun eines der größten Häuser Pelorns baust. Die alle hier, die wissen gar nicht, was Wasser ist, sie kennen nur die Filis, die Fische abgeben. Leif, du bist den ganzen Pappnasen hier überlegen. Genieße also dein Abendessen, denn ohne Leute wie dich würde es Leute wie die gar nicht geben.”   Lua greift nun nach Leifs Hand und hält sie ganz fest, während sie ihn aus ihren strahlenden, reinen, großen, dunklen Augen ansieht.
Leif spürte, wie die Anspannung aus ihm wich, während Lua sprach. Ihre Worte durchdrangen die Unsicherheit, die ihn umklammerte, und hinterließen etwas wie einen ruhigen, warmen Glanz in seinem Inneren. Es war, als hätte sie ihm mit ihrer sanften Entschlossenheit den Spiegel vorgehalten und die Schwere aus seinem Herzen genommen.   Er sah sie an, fest in ihre großen, dunklen Augen blickend, und dieses Mal ohne das mulmige Gefühl, das ihn zuvor ergriffen hatte. Sie hielt seine Hand fest und strahlte eine Unschuld aus, eine Zuneigung, die so ehrlich war, dass er ihr nichts anderes entgegenbringen konnte als ein schwaches, aber aufrichtiges Lächeln.   „Danke, Lua,“ murmelte er schließlich, seine Stimme leise, aber voller Aufrichtigkeit. „Manchmal... vergess’ ich das. Dass ich... dass wir beide... unseren eigenen Weg laufen. Und dass das reicht.“
Tue, Nov 5th 2024 05:08

“Weisst du,” antwortet Lua, mit immer dem gleichen warmen, strahlenden Blick und ohne Leifs Hand loszulassen, “ich habe meinen Vater viel zu kurz gekannt, aber eines ist mir im Gedächtnis geblieben. Er hat immer gesagt, wenn du dein Bestes gibst, dann reicht das, denn mehr kannst du nicht geben. Ich habe mein ganzes Leben lang mein Bestes gegeben. Ich habe Kisten getragen, bis das Blut über meine Schultern geronnen ist. Ich habe Fische ausgenommen, bis meine Hände nur mehr Haut zwischen den Rissen aufwiesen. Und dann, eines Tages, war ich einfach nur da, und das Glück ist gekommen. Ich glaube, dass jeder, der einfach nur daran glaubt, der einfach nur jeden Tag sein Bestes gibt, irgendwann das Glück finden kann.”   Sie wird nun unterbrochen, denn die laszive Schönheit kehrt zurück und bedeckt den Tisch mit allerlei raffinerten Köstlichkeiten: rohen, mariniertem Fisch, Garnelen in scharfer Soße, kaltem Braten mit Pilzen undsoweiter undsofort, Dinge, die die beiden wohl definieren können, andere, die vom Anschauen her einfach undefinierbar bleiben. Eines haben die Gerichte jedoch gemeinsam, und zwar eine Explosion der Geschmäcker zu verursachen, die dem normalen Bürger Pelorns wohl auf ewig verborgen bleiben. Die Wirtin schenkt derweil den Wein ein, dessen Geschmack nun Lua wohl eher bekannt sein dürfte als Leif. Lua wartet nun, bis der Service sein Einde gefunden hat, bedankt sich artig. Dann fügt sie hinzu: “Wenn du mich fragst, wenn ich morgen noch meine Geschwister in die Arme schließen könnte, dann, ganz erhlich, dann wäre mein Glück absolut vollkommen.”