BUILD YOUR OWN WORLD Like what you see? Become the Master of your own Universe!
Sat, Nov 16th 2024 01:48   Edited on Tue, May 6th 2025 09:43

[19. Tag, vor dem Morgengrau] In einer sternenklaren Nacht

Die Nacht ist kühl und läßt Lua leicht frösteln. Über der Stadt funkeln die Sterne am wolkenlosen Nachthimmel, wie Brilliantsplitter auf mitternachtsblauem Samt. Es war seltsamer Abend gewesen, der Lua wohl noch einige Zeit beschäftigen wird. Als das kleine Palais in Sicht ist, verabschiedet sich der Diener des duftenden Gartens, der Lua geleuchtet hatte, mit einer ehrerbietigen Verbeugung, löscht seine Laterne und verschwindet in der Nacht. Es ist lange nach Mitternacht, aber im Palais sind ungewöhnlicher Weise viele Fenster beleuchtet und als sich Lua dem Eingang nähert, stellt sie fest, daß auch in der Einfahrt Licht brennt und statt der üblichen Nachtwache drei Soldaten den Zugang nicht nur bewachen, sondern absperren. Die Soldaten tragen zwar die blauen Thornhoff-Uniformen, aber im Licht der Lampen kann Lua erkennen, daß sie sich von den Uniformen der normalen Wache unterscheiden. Ein Soldat tritt ihr in den Weg, als sie das Palais betreten will. "Kein Zutritt, meine Dame! Befehl des Kommandanten!": sagt der Soldat knapp.  
Sun, Nov 17th 2024 08:25

In der Tat, der Abend ist seltsam gewesen. Zunächst hat Lua schon befürchtet, er würde zum Desaster werden, als Leif sich so schwer mit den Gegebenheiten im Duftenden Garten getan hat. Dann jedoch hat sich bewahrheitet, was Auris ihr ohnehin gesagt hatte, und zwar dass sie wohl mit Leif gerne ein Zimmer hätte nehmen können, wenn sie denn gewollt hätte. Und mehr noch, fast musste sie abwehren, um den Abend nicht weiter gehen zu lassen, wie sie eigentlich vor hatte. Und nun ist sie wieder einmal höchst unsicher. Sie hat den Abend ja eigentlich nur geplant, um sich bei Leif zu bedanken, ihr Leben gerettet zu haben. Nun ist ihr aber klar geworden, dass sie wohl mit Leif in sein neues, riesiges Haus ziehen könnte, wenn sie denn wollte. Auf der anderen Seite hat sie ja bei Meister Aurean ein neues Heim gefunden, das ihr mindestens ebenso zusagt, wo sie sich wohl fühlt. Und sie ist Meister Aurean dankbar dafür, so dankbar, dass sie ihn nicht verlassen möchte. Es ist ihr freilich klar, dass sie nicht an zwei Orten gleichzeitig wohnen kann. Und so schwirren die Gedanken geradezu in ihrem Kopf, während die Gänsehaut über ihren Rücken krabbelt.   Sie bleibt abrupt stehen, als sie die Wachen in der Einfahrt sieht, die sie dann auch recht direkt und unfreundlich ansprechen. Man gewöhnt sich schnell an Freundlichkeit, und so schaut Lua reichlich verdutzt, als ihr der Zugang verwehrt wird.   “Aber ich wohne doch hier!” entgegnet sie also ziemlich überrascht.
Zufall oder nicht, als Luas Stimme ertönt, tritt die muskulöse Soldatin mit dem kurzen blonden Haar, die Lua schon beim Empfang kennengelernt hat, hinaus in die Einfahrt. "Laßt sie durch!": befiehlt sie. Sofort weichen die Soldaten zur Seite und geben den Weg frei. "Kommt! Der Kommandant wartet schon auf euch.": sagt sie und geht voran. Im ganzen Haus schienen Lampen zu brennen und das Geräusch bitterlichen Weinens dringt aus der Küche, als Enessa Lua in den Salon führt. Hoch aufgerichtet steht Reland vor dem großen Bild der rothaarigen Frau, die Hände auf dem Rücken verschränkt, regungslos den Blick auf das Bild gerichtet. Enessa tritt zu ihm und legt ihm eine Hand auf die Schulter. Es ist eine Geste fürsorglichen Trostes, die man von der harten Offizierin wohl kaum erwartet hätte. "Sie ist da!": sagt sie knapp und tritt dann zurück. Erst nach einer kleinen Weile dreht sich Reland um. Das bleiche Gesicht ist ausdruckslos, aber den Ausdruck von Schmerz kann der Kommandant nicht aus seinen Augen verbannen. "Der Anlaß meines Hierseins ist kein erfreulicher.": sagt er ohne Gruß zu Lua. Seine Stimme ist kühl und beherrscht. "Aurelian ist heute Abend seiner Krankheit erlegen. Kommt!": sagt er knapp und geht voraus die Treppen hinauf in das Atelier, indem Lua so viele Stunden verbracht hat.      
Fri, Nov 22nd 2024 09:54

Lua schluckt, als sie Enessa erblickt. Wohl ahnt sie nicht, was sie gleich erwarten wird, aber ihr schwant trotzdem Ungemach. Schließlich hat der Kommandant ja eine Gegenleistung eingefordert, und diese Gegenleistung ist nun wohl fällig. Sie zögert, bevor sie an den Wachen vorbeigeht und dann die Treppe empor steigt. Sie hört das Schluchzen, und dieses Schluchzen verwandelt ihre Unruhe in Angst. Vergessen sind die eben erlebten Stunden mit Leif. Die Welt um sie herum verschwimmt beinahe. Lua spürt, wie sich Schweißtropfen auf ihrer Stirn bilden. Schließlich sind sie im Salon angekommen. Lua nickt zum Gruß, dann deutet sie halbherzig Rikkas Knicks an. Sie ist jedoch viel zu aufgeregt, als dass dieser irgendwie anmutig erscheinen mag. Dann hört sie zu.   Das Blut verlässt Luas Gesicht, sie erbleicht. Ihr Blick wird starr, das Zimmer scheint sich um sie zu drehen. Der Meister tot? Das darf nicht sein, das kann doch nicht sein, er musste doch das Gartenbild fertig malen! Ein Schleier legt sich über die junge Frau, und teilnahmslos folgt sie Reland in das Atelier.
Es sind nur zwei Lampen, die in dem großen Atelier brennen. Eine, in dessen Schein Auris bis zum letzten Atemzug gearbeitet hat und die immer noch sein nahezu fertiges letztes Bild beleuchtet und eine auf dem großen Tisch, auf den man Auris gebetet hat. Ihr Lichtkreis ist eine Insel in der Dunkelheit, der kaum mehr als Auris Gesicht in Licht taucht. Schon die gefalteten Hände mit den langen knochigen Fingern, die immer noch Farbspuren tragen, verschwimmen im Zwielicht. Friedlich ist dieses faltige Gesicht mit der orangenen Farbschliere im Bart und fast scheint es, als würde Auris lächeln. Seinen Kopf hat man auf seinen Farbkasten gebetet und ihm einen Pinsel auf die Brust gelegt und unter die gefalteten Hände geschoben.   Die fast leere Weinflasche steht neben der Staffelei, an ihrem Platz, die Palette mit den immer noch feuchten Farben liegt auf dem Hocker daneben und auch der Lappen, mit dem Auris die Farbe von Luas Arm gewischt hat, hängt an der Staffelei, wie es immer gewesen ist. Doch schon kann man eine Leere fühlen, die sich in den Räumen ausbreitet, in denen soviel Lachen, Geschrei, Streit, Freude und herzliche Gastlichkeit geherrscht hat, die voll von Leben gewesen waren. Stumm steht Reland am Ende des Tisches in der Dunkelheit, nur als Silhouette wahrnehmbar und erst nach einer Weile sagt er mit gepresster Stimme. "Wir haben viel zu bereden, doch morgens. Jetzt werde ich für meinen alten Freund die Totenwache halten. Ihr seid willkommen, wenn ihr es wünscht." Nach einer kleinen Weile fügt Reland noch etwas hinzu. "Er hat euch mehr geliebt, als ihr ahnt."
Wed, Nov 27th 2024 11:10

Kurz bleibt Lua stehen. Sie beachtet weder den Wein auf dem Tisch, noch das Bild auf der Staffelei, und Reland, der sich ins Halbdunkel zurückgezogen hat, schon gar nicht. Sie schaut nur auf den alten Mann, der da liegt, als würde er friedlich schlafen, als würde er einen schönen Traum träumen, friedlich und irgendwie fröhlich, so wie er gelebt hat, wie sie ihn kennengelernt hat. Tränen rinnen über ihre Wangen, dann bricht sie in Schluchzen auf, stürzt auf Auris zu und kniet sich vor dem Tisch auf den Boden. Sie greift mit beiden Händen nach den seinen, hält sie ganz fest, die Stirn gegen die Tischplatte gelegt und weint. Gar einige Minuten verharrt sie dort, kaum ist es anzunehmen, dass sie Relands Worte überhaupt registriert.   Und doch, nach einer endlos scheinenden Zeit schaut sie wieder auf, sieht zu Reland. Tieftraurig ist freilich ihr Gesicht, die feinen Züge erscheinen zerbrechlicher denn je. Aber sogar mit diesen verweinten Augen, dem zitternden Kinn, den bebenden Schultern erscheint sie immer noch anmutig, ja, sogar schön.   “Ich ihn auch,” antwortet sie, wenn ihr das Sprechen auch schwer fällt. “Er hat mir gezeigt, dass ich jemand bin, er hat mir Hoffnung gegeben, er hat mir Le…”   Weiter kommt sie nicht. Die restlichen Worte ersticken in lautem Schluchzen, die Stirn prallt mit lautem Klopfen wieder gegen die Platte. Krampfhaft hält sie Aureans Hand. Es dauert wieder gar einige Zeit, bis sie wieder aufsieht.   “Ich hätte ihm so gern so viel zurückgegeben,” fährt sie dann fort. “Ich hätte ihm so gerne einen solchen Ga…”   Ihr Blick fällt nun doch auf das Bild, doch als sie es sieht, bricht sie erneut in Schluchzen aus.   “Er hat es nicht mehr geschafft, es fertig zu malen,” stößt sie kaum verständlich hervor. “Und es hat ihm doch so viel bedeutet…”
by Gregorian
  Eine ganze Weile sagt Reland nichts, doch als er dann die Stimme erhebt, ist all die unpersönliche Kälte und Distanz verschwunden. "Seht euch das Bild an.": sagt er leise. "Es ist eine einzige Liebeserklärung an das Leben, an die Schönheit und an eine lang verlorene Geliebte. Dieser helle Glanz, der alles durchdringt, das zarte Glühen der Farben, das alles habt ihr ihm zurückgegeben und nicht nur das. Ihr habt seine letzten Tage mit Freude, Schönheit und Liebe vergoldet. Das werde ich euch nie vergessen. Er war nicht nur ein großer Künstler, der das Leben geliebt hat, er war auch einer der aufrechtesten und tapfersten Männer, denen ich in meinem Leben begegnet bin, mein Lehrer, in vielen Dingen mein Vorbild und vor allem war er mein Freund. Die Welt und ich sind um einiges ärmer geworden, seit dem er den Pinsel aus der Hand gelegt hat." Dann schweigt er und für einen Moment ist es so still, daß man von untern herauf leise Weinen hören kann.  
Sat, Nov 30th 2024 07:27

Das ärgste Schluchzen vergeht, aber noch immer rinnen die Tränen ununterbrochen über Luas Wangen. Sie sieht Reland an hört zu, und während er spricht, schüttelt sie immer wieder den Kopf.   “Kommandant, ich habe gar nichts gemacht,” sagt sie schließlich. “Der Meister war schon voller Liebe, bevor ich gekommen bin. Wir alle, die wir hier wohnen, wir alle haben schon alle Hoffnung verloren, unser Glück zu finden. Der Meister hat uns nicht nur die Hoffnung zurückgegeben, sondern auch gleich das Glück dazu. All das, was Ihr sagt, ich hätte es ihm gegeben, all das habe ich von ihm erhalten.”   Sie schaut nun wieder zum toten Auris.   “Nur in einem habt Ihr recht: Diese Stadt hat heute viel verloren. Sie hat vielleicht den besten Bürger verloren, den diese Stadt je hatte.”   Sie steht nun auf, beugt sich über Auris und gibt ihm einen Kuss auf die Wange.
Seine Stimme hat wieder ihren gewohnten kühlen, unpersönlichen Klang als Reland ihr antwortet: "Wie auch immer! Aurelian hat es so gesehen und das ist für mich maßgeblich." Doch bei seinen nächsten Worten kann er die Trauer und den Schmerz nicht ganz aus seiner Stimme verbannen. "Er war weit mehr als nur ein guter Bürger, er war ein guter Mensch im wahrsten Sinn des Wortes, loyal, aufrecht, tapfer und mitfühlend. Er wird mir an jedem meiner Tage, die mir noch zugemessen sind, fehlen." So als er hätte er damit schon zu viel gesagt, schweigt Reland. Aufrecht in soldatischer Haltung steht er vor dem aufgebahrten Maler und die Dunkelheit verbirgt die Tränen, die ihm über die Wange laufen.      
Mon, Dec 2nd 2024 09:48

Der Kommandant schweigt nun, also schweigt auch Lua. Nur, Auris alleine zu lassen, das schafft Lua auch wieder nicht. Und so hockt sie sich wieder vor den Tisch, nimmt Auris’ Hand, legt den Kopf wieder an die Tischkante. Eine Weile lang wird Reland nun wieder ein leises Schluchzen vernehmen, irgendwann jedoch verstummt das Schluchzen. Regungslos hockt sie nun vor ihm. Irgendwann lässt der Griff um die Hand des Meisters nach, und schließlich kippt Lua seitlich um. Sie stöhnt kurz auf, sollte Reland nun jedoch um den Tisch herumgehen, um vielleicht nach Lua zu sehen, wird er sie schlafend auf dem Boden finden. Vielleicht ist das Kleid zu weit nach oben gerutscht, um es noch als sittlich zu bezeichnen, ansonsten jedoch wirkt sie weitestgehend friedlich und unschuldig wie eh und je.
Reland hält Wache und erweist seinem verstorbenem Freund die Ehre. Soldatisch stramm steht er im Dunkel, das seine Tränen verbirgt, die er still weint. Seine Gedanken wandern zurück zu dem Gespräch, daß sie noch gestern Vormittag geführt hatten und als Lua schlafend zur Seite sinkt und auf dem Fußboden schläft, geht er zu dem Stuhl, über dem das große Tuch hängt, daß Auris so oft als Hintergrund oder Drapierung verwendet hat, nimmt es an sich und breitet es über der Schlafenden aus. Dann bezieht er wieder seinen Posten am Fußende der provisorischen Bahre. Als das Morgengrau die Dunkelheit zu verdrängen beginnt, nimmt Reland Haltung an und legt grüßend die zur Faust geballte Rechte auf die Herzgegend, bevor sich abwendet und die Treppen hinunter in die Küche geht, trägt Rikka auf in einer Stunde Tee für ihn zu kochen, dann Lua zu wecken und alle Bediensteten im Salon zu versammeln. Zurück im Salon setzt er sich in den bequemen Stuhl, in dem Auris zu sitzen pflegte, schließt die Augen und ist in wenigen Augenblicken in Dämmerschlaf gefallen, wie es Soldaten im Feld zu tun pflegen, wenn sich Gelegenheit dazu ergibt.  
Fri, Dec 6th 2024 10:05

Lua ist die letzte, die den Raum betritt. Und sie sieht reichlich jämmerlich aus. Das Kleid, das sie immer noch trägt, ist zerknittert, die Augen rotgeweint, das Gesicht blass. Auf der Stirn hat sie eine noch sichtbare Druckstelle von der Übernachtung auf dem harten Boden. Ihr Blick schwirrt fahrig umher - wohl ist sie physisch anwesend, aber man hat nicht den Eindruck, als wäre sie imstande, einen ordentlichen Gedanken zu fassen. Sie stellt sich also zwischen Rikka und Egor und vervollständigt dabei perfekt das Bild einer typischen trauernden Familie.  
Neben dem Kommandanten, der man die, nur durch eine Stunde Schlafes unterbrochene, durchwachte Nacht nicht ansieht, steht eine ältere Frau mit kurzem grauen Haar, die das Wappen am linken Ärmel ihrer Jacke als Bedienstete des Hauses ausweist. Als nun auch Lua den Salon betritt, richtet Reland das Wort an die Anwesenden. Seine Stimme klingt wie immer, kühl und distanziert:   "Ich habe die Ehre und die Verpflichtung, die Abhaltung würdiger Trauerfeierlichkeiten und die Erfüllung des letzten Willens meines verstorbenen Freundes zu vollziehen. Einige von euch werden wissen, daß Aurean oder Auris Laetus nur der Künstlername von Aurelian Othranes Thornhoff gewesen ist, dem als Angehöriger des Herrscherhauses alle Ehren nach der Tradition des Hauses zustehen. Am morgigen Tag von Sonnenaufgang bis Untergang wird der Verstorbene hier aufgebahrt und jedem, der es wünscht, Gelegenheit gegeben werden, Abschied zu nehmen. Abends wird eine Trauerfeierlichkeit im engen Familien und Freundeskreis abgehalten. Am darauffolgenden Tag erfolgt die feierliche Einäscherung und das Übergeben seiner Asche an Anais. Doch nun zu euch. Der Tod eures Brotherrens ist auch das Ende eurer Tätigkeit hier im kleinen Palais. Heute Mittag werden Bedienstete des Hauses beginnen, das Palais für die Trauerfeierlichkeiten herzurichten. Ich muß euch daher ersuchen, euere persönliche Habe zu packen und bis Mittag das Palais zu verlassen. Für angemessene Unterkunft und Unterhalt ist gesorgt und Bedienstete des Hauses werden euch beim Umzug unterstützen. Kammerschreiberin Melchorin steht euch für alle Fragen und Wünsche zur Verfügung und wird euch auch die ausstehende Entlohnung auszahlen. Am Tag nach der Einäscherung um die Mittagszeit ersuche ich euch hier zur Bekanntgabe des Teiles des letzten Willen Aurelians, der sich auf euch bezieht, zu erscheinen. Danke!"   Als er geendet hat, wendet er sich Lua zu: "Ihr kommt bitte mit.": sagt er kurz angebunden und geht voraus.  
Sat, Dec 7th 2024 11:29

Mit traurigen Gesichtern hören die bisherigen Bewohner des Palais zu. Erst als Reland zu dem Punkt kommt, an dem er ihnen das Ende ihrer Anstellung verkündet und sie zum Verlassen des Hauses auffordert, bricht die gesamte Belegschaft wieder in Schluchzen aus. Schließlich hat jeder von ihnen ihr Bündel zu tragen gehabt, bevor Aurean ihnen ein neues Heim geboten hat - und Lua hat dabei wohl nicht einmal das Meiste mitgemacht. Nun ist die Zukunft der Leute wieder unsicher. Wer würde eine verunstaltete Hure verdingen? Wer eine in die Jahre gekommene Torwache? Es ist dies, neben dem Verlust des allzu geliebten Herrn, der zweite Grund, der sie zum Verzweifeln bringt. Und Aurean hat es geschafft, aus dieser Gruppe auf der Straße aufgelesener Individuen eine Gemeinschaft, eine Familie zu formen, die nun auseinandergerissen werden soll. Dies ist der dritte Grund, der die Niedergeschlagenheit fast bis zum Unerträglichen steigert.   Lua antwortet nicht auf Relands Aufforderung, ihm zu folgen. Sie nickt wohl kaum merklich. Sie macht wohl auch einige Schritte auf ihn zu. Sie schleppt sich mehr weiter als dass sie geht. Von Rikkas Schule ist freilich nichts mehr zu sehen. Spätestens jetzt sollte für Reland jeder letzter Verdacht der Spionage seitens der anscheinend von Imeria ausgestoßenen Lua ausgeräumt sein. Denn so gut vermag wohl nicht einmal der beste Schauspieler der gesamten bekannten Welt spielen.  
Ihr kurzer Weg führt sie in ein Zimmer, das Auris wohl als Arbeitszimmer für alles gedient hat, was nicht mit Malerei zu tun hatte und das Lua nie betreten hat. "Setzt euch bitte.": sagt Reland und weist auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch hinter dem er Platz nimmt." Ich weiß es ist nicht leicht für euch, aber ich kann euch versichern, daß es für niemand leicht ist, der Aurelian nahe gestanden ist. Doch in einer Hinsicht kann ich euch beruhigen. Er hat für euch und alle Anderen hier Vorsorge getroffen. Niemand landet auf der Straße und muß Not leiden." Er beugt sich etwas vor und sieht Lua über den Tisch hinweg direkt an. "Er war erst gestern fast einen halben Tag bei mir und wir haben über diese Situation und alle daraus entstehenden Implikationen ausführlich gesprochen. Er hat gewußt, daß es mit ihm zu Ende geht und er hat mir ein Versprechen abgenommen, daß ich hiermit erfülle. Ihr schuldet mir nichts und braucht nicht zu befürchten von mir zu irgendwelchen Dienen gezwungen zu werden. Doch nun zum Prozedere der nächsten beiden Tage. Ab Morgen wird Aurelian hier, seinem Rang entsprechend, öffentlich aufgebahrt werden. Dazu hat jeder Zutritt den ganzen Tag über Zutritt. Die Trauerfeier am Abend dagegen wird ausschließlich im engsten Familien- und Freundeskreis abgehalten. Aber ihr könnt, wenn es euer Wunsch ist, an der feierlichen Einäscherung, zu der nur geladene Gäste zugelassen sind und die am darauf folgenden Tag erfolgt, teilnehmen. Alle dazu notwendigen Schritte habe ich bereits veranlaßt. Ich habe mir auch die Freiheit genommen, eure persönlichen Sachen schon packen zu lassen. Ein Kammerbediensteter wird euch und euer Gepäck in eure Wohnung bringen. Dort habt ihr Gelegenheit, euch etwas auszuruhen. Abends ersuche ich euch, wieder ins kleine Palais zu kommen. Es gibt einige Fragen für die Aufbahrung zu klären, für die ihr vermutlich die kompetenteste Person seid. Für diese Unterstützung wäre ich euch dankbar." Damit schließt Reland seine Worte ab und wartet auf Luas Antwort.      
Wed, Dec 11th 2024 11:28

Wie ein Häuflein Elend sitzt Lua nun vor Reland. Ihr leerer Blick ist auf die Platte des Schreibtisches gesenkt, ihr Oberkörper in sich zusammengesunken. Die Worte, die Reland nun an die junge, bildschöne Frau richtet, scheinen an ihr abzuprallen wie die Regentropfen an einer Glasscheibe. Als Reland schließlich geendet hat, sitzt Lua immer noch da, den Blick auf den Schreibtisch gerichtet, schweigt. Vielleicht glaubt Reland schon, sie hätte gar nicht zugehört, vielleicht erwacht in ihm das Verlangen, ihr das Tintenfaß an den Kopf zu werfen, um sie aus ihrer Lethargie zu holen. Es dauert schließlich eine ganze Weile, bis sich dieser Blick langsam, ganz langsam nach oben richtet, bis sie Reland schließlich in die Augen schaut.   “Ich möchte alles tun, damit der Meister einen Abschied bekommt, der seiner gebührt,” antwortet sie. “Und ich möchte alles tun, um ihm so nahe wie möglich zu sein, so lange es irgendwie geht.”   Dann schweigt sie wieder, schaut ihm in die Augen ohne zu sehen, während die ihrigen sich wieder mit Wasser füllen und schließlich in stillem Weinen über die Wangen rinnen.  
Ruhig wartet Reland, dann nickt er und sagt: "Denn bekommt er! Darauf könnt ihr euch verlassen." Für einen Moment überlegt er dann fährt er fort: "Ich denke, ich kann es einrichten, daß ihr morgen nach der offiziellen Feier noch ungestört von ihm Abschied nehmen könnt. Aber ihr werdet warten müssen, bis die Gäste das Haus verlassen haben. Ich erwarte euch heute Abends hier.": sagt Reland, erhebt sich und verläßt mit einem knappen Gruß das Zimmer. Nur einen Augenblick später tritt ein älterer Bediensteter des Hauses ein. "Mein Beileid.": sagt der Mann mit einer Verbeugung. "Ich bin Karil Ostian, Dritter Schreiber. Ich soll euch in eure Wohnung begleiten und euch die Schlüssel und Urkunden übergeben. Euer Gepäck ist bereits auf dem Weg dorthin.": stellt sich der ältere Mann mit der typischen leicht vorgebeugten Haltung altgedienter Schreiber vor. "Wollt ihr aufbrechen oder euch noch ein wenig sammeln?": erkundigt sich der Schreiber höflich.      
Sat, Dec 21st 2024 10:17

Ein sehr zaghaftes Lächeln, das kaum gegen die tiefe Traurigkeit im Gesicht der jungen Frau ankommt, legt sich auf Luas Lippen, und das “Danke!” ist mehr gehaucht als denn gesprochen. Mehr bekommt Reland nicht zum Abschied von dem noch immer tief getroffenen, schockierten Mädchen. Regungslos sitzt sie da, als Reland den Raum verlässt, und noch immer regungslos sitzt sie, als Karil Ostian denselben betritt. Erst als er zu sprechen beginnt, geht ihr Blick zu ihm. Sie nickt leise, und langsam steht sie auf. Der Blick geht zurück zu dem Schreibtisch, zu dem Stuhl, auf dem eben noch Reland gesessen ist, und der vorher wohl der des Meisters gewesen ist.   “Was soll ich schon sammeln,” antwortet sie dann leise. “Alle meine Sachen sind schon weg, und alles, was ich sonst noch gerne mitnehmen würde, kann ich nicht mitnehmen.”   Langsam, ganz langsam, dreht sie den Kopf wieder zu Karli. Dieser Blick, dieser Glanz in ihren Augen, der bisher wohl fast jeden in seinen Bann gezogen hat, der imstande war, gute Laune zu verbreiten, wo immer Lua auch gewesen ist, ist so gut wie erloschen. Sie seufzt tief, schließt kurz die Augen.   “Wir können gehen,” sagt sie schließlich.
Mon, Dec 23rd 2024 11:12

[Schreiber Ostian] "Verzeiht, meine Dame, aber der Verstorbene war Angehöriger des Hauses und Blutsverwandter seiner Hoheit und es sind daher gewisse Sicherheitsbestimmungen einzuhalten. Ich kann euch versichern, daß euch nichts von euren persönlichen Gegenständen vorenthalten wird. Sollte etwas nicht gepackt worden sein, dann erhaltet ihr das Fehlende nach der Einäscherung. Wenn ihr mir bitte folgen wollt.": sagt der Schreiber höflich.   Rücksichtsvoll tritt der Schreiber Lua nicht zu nahe auf dem kurzen Weg zu einem der renovierten Wohnhäuser mit Blick auf die westliche Rückseite der Residenz, die von Angehörigen des Hauses und höheren Bediensteten bewohnt werden, die nicht prominent genug sind, um in der Residenz Platz zu finden. Er bringt Lua in den ersten Stock, öffnet eine der massiven Türen und führt sie durch einen Voraum in das helle, möblierte Wohnzimmer. Alles hier zeugt von der Hand Auris, die Farbgebung, die Möbel und nicht zuletzt das große Portrait Luas an der Wand. Er entnimmt seiner Mappe eine gesiegelte Urkunde und einen Schlüsselbund, die er Lua reicht. "Hier die auf euren Namen ausgestellte Pachturkunde. Die Jahrespacht ist für siebzig Jahre entrichtet. Das Haus wird bewacht und die Eingangstüre bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen. Der große Schlüssel hier sperrt die Eingangstüre, die anderen Wohnung und die Türe zum Innenhof. Die Wohnung hat fließendes Wasser, Kachelofen und einen kleinen Balkon. Lebensmitteln und Feuerholz für ein paar Tage befinden sich in der Küche beziehungsweise im Vorratsraum. Ich zeige euch gerne alles, aber wenn ihr lieber alleine sein möchtet, ziehe ich mich selbstverständlich zurück.": erklärt der Schreiber höflich.  
Tue, Dec 24th 2024 09:37

Lua schüttelt den Kopf. Sie schaut den Schreiber an, schüttelt noch einmal den Kopf.   „Nein,“ antwortet sie dann, „so habe ich das nicht gemeint. Alles, was Ihr mir in die Wohnung gebracht habt, das habe ich von Auris. Es ist mir gar nicht so wichtig, ob da etwas fehlt oder nicht. Es ist nur, es ist so plötzlich. Ich hätte noch gerne viele Bilder mit Auris gemalt. Ich hätte ihm gerne den Garten gezeigt, nachdem ich ihn hergerichtet habe, damit er einen neuen Garten hat, nicht nur den, den er zuletzt gemalt hat. Ich wäre gerne noch viele Male mit ihm zusammengesessen, hätte mit ihm über Kunst geredet, über Wein, über Essen, über all die Dinge. Aber das ist jetzt vorbei, und das kann ich auch nicht mitnehmen.“   Sie trottet dann hinter dem Schreiber her. Nun, weit ist es nicht, doch sie könnte es nicht sagen. Wie ein Schleier geht die Welt um sie herum vorbei. Sie bemerkt die Blicke nicht, die ihr und Ostian folgen – dem älteren Herrn, der vorausgeht, das niedergeschlagene, weinende Mädchen in dem zerknitterten Kleidchen, das ihr folgt. Noch hat das Gerücht über Auris‘ Tod nicht die Runde gemacht, noch ist der Raum offen für alle möglichen Theorien. Schließlich sind sie da.   Ostian spricht, Lua hört zu. Aber es ist nicht dieses begierige In-Sich-Aufsaugen der Worte, das man von ihr gewohnt ist. Teilnahmslos lässt sie die Worte in ihr Ohr rinnen, und erst die Antwort verrät dem Sprecher, dass das Zuhören wirklich stattgefunden hat.   „Nein danke,“ sagt sie schließlich und nimmt Schlüssel und Pergament. „Ich finde schon allein zurecht. Wann darf ich wieder zu Auris gehen?“   Nun erst hebt sie zum ersten Mal den Blick, seit sie in der Wohnung ist, nun erst nimmt sie sie wahr: die lichtdurchflutetenden Räume, das ausgeklügelte Spiel der Farben, und schließlich das riesige Porträt. Lua hat es noch nie gesehen. Auris muss es wohl heimlich gemalt haben, in den Stunden, in denen Lua geschlafen hat. Ehrfürchtig schaut sie zunächst auf das Gemälde, dann jedoch bricht es wieder aus ihr heraus. Sie geht auf die Knie und beginnt wieder zu schluchzen.
Wed, Jan 1st 2025 09:09

[Schreiber Ostian] "Der Tod eines geliebten Menschen kommt immer zu früh, meine Dame.": sagt der Schreiber mitfühlend. "Aber eure Erinnerungen an diese Person und die Zeit mit ihm bleibt euch, niemand kann euch das nehmen. In Herzen bleiben uns geliebte Menschen immer nahe, auch nachdem sie den Weg zum Schloß über den Wolken angetreten haben." Mit einer leichten Verbeugung geht er auf den Wunsch Luas ein. "Wir ihr wünscht meine Dame. Soweit ich weiß, erwartet euch der Kommandant heute Abend im kleinen Palais und ich bin sicher, daß ihr bei der Gelegenheit auch den Verstorbenen sehen könnt. Ich weiß, daß Worte euch nicht den Schmerz nehmen können, aber wenn ihr mir diese Bemerkung gestattet, ihr hattet das Privileg einem großen Künstler und außergewöhnlichen Menschen nahezustehen. Ich hoffe, ihr könnt daraus Kraft schöpfen, um diese schwierige Zeit zu bewältigen. Mögen die Zwillinge euch beistehen." Nochmals verbeugt sich der Schreiber und verläßt dann leise Luas Wohnung.  
Thu, Jan 2nd 2025 07:51

So ist Lua wieder allein. Und nun bricht es erst richtig aus ihr heraus. Sie kauert sich dort, wo sie steht, auf den Boden und weint wie ein kleines Kind. Freilich, der Verlust des lustigen, freundlichen und warmherzigen Malers schmerzt ungemein. Doch kommt nun auch wieder das Fehlen ihrer Geschwister zum Tragen, die irgendwo auf Imeria-Gebiet hoffentlich ein gutes Leben haben. Wie gerne hätte sie sie gerade jetzt in den Arm genommen - aber das Schicksal hat es einmal so gewollt, dass sie nun wohl in einer luxuriösen Wohnung wohnen kann, aber eben niemand zum Reden, zum Lachen hat, niemand der sie tröstet, in den Arm nimmt, gut zuredet.   Nun, irgendwann sind die Tränen versiegt. Lua macht sich daran, sich in ihrer neuen Wohung umzusehen. Der Balkon ist nicht groß. Aber die warmen Sonnenstrahlen sind Balsam auf ihrer Seele. Sie verweilt eine ganze Weile auf dem kleinen Balkon, dann nimmt sie die anderen Räume unter die Lupe. Vom Wohnzimmer kommt sie in eine Küche, nicht groß, aber geräumig genug, um auch Gästen ein Festmahl zu bereiten. Der Vorratsraum ist schließlich gut ausgestattet - und die Vorräte hätten wohl auch für Auris’ Haushalt für einige Tage gereicht. Regale voller Tiegel, eine Reihe von Würsten, zwei Räucherschinken, einige Laib Brot. Dann treibt es Lua jedoch wieder die Tränen in die Augen, als sie auf einige Kisten von dem 99er Rotwein trifft, den sie mit Auris immer wieder getrunken hat.   Das Schlafzimmer ist ebenso luxuriös wie das, das sie im Kleinen Palais hatte. Ihre Kleider sind fein säuberlich eingeordnet, und auf dem Waschtisch sind schön säuberlich die 56 Filis aufgereiht, in Zehnerstapeln, so wie sie es im Kleinen Palais hatte. Nun sind 56 eine Menge Geld, und in den nächsten Tagen würde sie wohl kaum etwas davon brauchen - aber Lua wird sich nach einer Beschäftigung umsehen müssen. Denn ewig reichen sie nicht.   Auch das Badezimmer ist von der Art, die die meisten der Bewohner Pelorns vor Neid erbleichen ließe. Eine Badewanne ist da, ein Waschtisch mit allen möglichen Utensilien. Nun, Lua hätte es wahrlich schlechter treffen können. Lua nimmt zunächst ein Bad. Irgendwann ist das Wasser kalt. Sie macht sich daran, sich für den Abend zurechtzumachen. Und nun hat sie zunächst einmal ein kleines Dilemma. Sie hat nur ein schwarzes Kleid, dieses Kleid ist aber mit dem freien Rücken und dem Schlitz bis in Hüfthöhe recht freizügig. Alle anderen Kleider sind jedoch kräftig in den Farben und somit wohl wenig angebracht. Lua denkt nach. Nun, Auris hätte das schwarze Kleid sicher gefallen, und das ist wohl die Hauptsache. Lua schlüpft in das Kleid, und irgendwann macht sie sich auf den Weg zurück zum kleinen Palais.  
Diesmal wird Lua nicht am Betreten des Palais gehindert und ein Bediensteter des Hauses spricht sie an und führt sie in das ehemalige Arbeitszimmer Auris in dem Reland am Schreibtisch sitzt, der mit Unterlagen und Skizzen des Meisters bedeckt ist und einem Schreiber Anweisungen gibt. Auf dem Weg hierher hat Lua einen Blick in den Salon werfen können, den sie kaum wiedererkannt hat. Alle Möbel waren daraus entfernt worden, sowie das Bild der Rothaarigen samt allen anderen Bildern. Stattdessen hängen lange, schwarze Stoffbahnen an den Wänden und vor dem großen Kamin ist ein Katafalk aufgebaut, umringt von massiven Kerzenständern. Der Schreiber verabschiedet sich mit einer Verbeugung und Reland wendet sich Lua zu: "Danke, daß ihr gekommen seid. Bitte nehmt Platz."   Reland wartet, bis sich Lua gesetzt hat. "Es mag euch vielleicht in diesem Augenblick als unwichtig erscheinen, doch für die Trauerfeierlichkeiten ist es Sitte, ein Bild des Verstorbenen aufzustellen, als Zeichen der Wertschätzung und der Präsenz des Verblichenen. Es gibt innerhalb der Familie viele Stimmen, die das offizielle Selbstportrait in vollem Ornat des Hauses, daß in der Residenz hängt, präferieren. Ich dagegen bin der Meinung, daß sein Selbstprotrait, daß ihn in seiner Arbeitskleidung, mit einer Flasche Wein in der Hand vor einem Frauenbild zeigt, weit mehr seinem Selbstverständnis entspricht und daher angemessener ist. Ihr seid ihm in der letzten Zeit sehr nahe gestanden und ich würde gerne eure Meinung dazu hören. Doch alleine deswegen habe ich euch nicht hergebeten. Dem Salzbaron ist sehr daran gelegen, seinen Onkel und sein Werk nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Zu diesem Zweck soll eine Ausstellung hier im kleinen Palais organisiert werden, die nach der traditionellen Trauerperiode seine Werke zeigt. Ihr wart wie kaum ein Anderer in seiner letzten Lebensperiode in seinen Schaffensprozess eingebunden und habt als seine Muse und Inspiration sein Schaffen erheblich beeinflußt. Wäret ihr grundsätzlich bereit, an diesem Vorhaben mitzuwirken?"  
Wed, Jan 8th 2025 07:50

Langsam folgt Lua dem Wachmann durch die inzwischen doch sehr vertrauten Räume. Es ist ihr anzumerken, dass sie wenig begeistert über die Veränderungen ist, die die Wohnung des Meisters über sich ergehen lassen haben müssen. Sie sagt jedoch nichts dazu. Sie will sich den Traditionen des Hauses nicht widersetzen. Und freilich würde sich wohl kaum jemand vor Reland arn Melvart kritisierend gegenübersetzen.   Also sitzt sie nun besagtem Kommandanten gegenüber. Sie ist wohl noch blass und sichtlich mitgenommen, doch weit entfernt von dem apathischen Häuflein Elend des Vortages. Stumm hört sie zu, was der Kommandant zu sagen hat.   “Das Selbstportrait!” antwortet sie sehr bestimmt. “Wir sollten auf jeden Fall das Selbstportrait nehmen. Das Haus hat dem Meister nie viel bedeutet, er hat ja nicht einmal den Namen getragen. Er war glücklich beim Malen, nicht auf Empfängen und offiziellen Anlässen. Ein Aurean in vollem Ornat ist nicht der Aurean, der gelebt hat. Also, das Selbstportrait, auf jeden Fall.”   Dann denkt sie eine Zeit lang nach, fällt ihr die Entscheidung über das zweite Anliegen des Kommandanten wohl um Einiges schwieriger.   “Ich weiß nicht, ob ich wirklich so wichtig war für das Schaffen des Meisters,” antwortet sie weit zaghafter und leiser. “Wäre ich nicht gewesen, wäre es eine andere gewesen, oder er hätte einfach Rikka gemalt. Und ich weiß auch gar nicht, ob ich das kann, so eine große Ausstellung zu organisieren. Aber, naja, grundsätzlich bin ich an Allem interessiert, das ich machen könnte, damit der Meister nicht vergessen wird.”   Sie schaut Reland an und versucht ein zaghaftes Lächeln.
"Sehr gut.": sagt Reland. "Ich werde eure Entscheidung umgehend dem Salzbaron mitteilen. Ihr werdet natürlich Hilfe haben, niemand erwartet von euch, daß ihr das alleine schultert." Für einen Moment mustert Reland die blasse junge Frau. "Der Grund, warum Aurelian in der Öffentlichkeit seinen vollen Namen und den ihm zustehenden Titel nicht genannt und einen Künstlernamen benutzt hat, war ein Anderer. Seinem Haus war er zeit seines Lebens zutiefst verbunden, selbst als ihm Orman nach dem Leben trachtete, hat er sich nicht davon abgewandt. Nicht könnte daher falscher sein, als anzunehmen, daß Haus wäre ihm nicht wichtig gewesen. Trotzdem bin ich der Meinung, daß sein Selbstportrait seiner Person weit gerechter wird und eure Sichtweise bestärkt mich in meinem Urteil." Reland schweigt für eine kleine Weile nachdenklich, bevor er weiterspricht. "Ihr wart Aurelian weit wichtiger, als ihr annehmt. Wir haben gestern noch stundenlange miteinander gesprochen. Er hat gespürt, daß es mit ihm zu Ende geht. Wir haben den Nachlaß geregelt und einige andere Dinge, doch die meiste Zeit hat er über euch gesprochen und so wie er über euch gesprochen hat, kann ich mir nicht vorstellen, daß ihr für ihn ersetzbar gewesen wäret."  
Wed, Jan 8th 2025 10:34

Lua schüttelt nun heftig den Kopf.   “Nein, nein, versteht mich nicht falsch,” beteuert sie und sieht dabei den Kommandanten geradezu flehend an. “Ich wollte wirklich nicht sagen, der Meister wäre irgendwie nicht loyal gewesen, oder er hätte den Baron nicht geschätzt, oder, naja, es war nur so, dass…”   Plötzlich unterbricht sie sich selbst. Der flehende Ausdruck in ihrem Gesicht weicht nun dem völliger Verblüffung. Es dauert einige Augenblicke, bis sie wieder Worte findet, bis sie irgendwie wieder weitersprechen kann, und auch danach gelingt es ihr nicht beim ersten Anlauf.   “Auris… ich meine, der Meister… also ich…” stammelt sie also irgendwann herum, bevor sie doch einen halbwegs zusammenhängenden Satz formuliert. “Der Meister hat gesagt, ich wäre unersetzbar? Aber wieso das denn? Ich war ja nur hier, habe mich malen lassen und seinen Wein gegessen und sein Essen getrunken, ich meine, Wein getrunken und Essen gegessen. Der Meister hätte doch jede andere der Stadt haben können, klügere, schönere, erfahrenere. Ich bin doch nur ein einfaches Mädchen, das nie etwas war, das nichts kann und dem er einfach sein ganz eigenes Stück Glück geschenkt hat!”
Reland schüttelt den Kopf. "Nein, er hat nicht unersetzbar gesagt, daß sind meine Worte. Er hat es weit poetischer, gefühlvoller und vor allem ausführlicher ausgedrückt. Ich bin Soldat, kein Barde, so trifft es unersetzlich wohl am ehesten, ohne viel Worte zu machen. Daß er euch von der Straße geholt hat, war nicht ungewöhnlich. Euch als Modell zu behalten, dagegen schon. Oft holte er sich seine Modelle aus den besten Bordellen der Stadt, andere, wie euch, von der Straße und entließ sie für gewöhnlich am nächsten Morgen. Ihr dagegen seit in seinem letzten Lebensabschnitt im Mittelpunkt seines Denkens und Fühlens gestanden. Mit einer einzigen Ausnahme hat er niemals so viele Bilder von einem Modell geschaffen, als von euch und von den Skizzen will ich erst gar nicht sprechen." Für einige Augenblicke wird Reland still und sein Blick scheint durch Lua hindurchzugehen, bevor er wieder zu sprechen beginnt. "Vielleicht wird euch das Schreiben, daß er euch hinterlassen hat, mehr Aufschluß geben. Es ist ein Teil seines Nachlasses für euch und wird euch am Tage nach der Einäscherung im Zuge der Nachlaßregelung für seinen Haushalt übergeben. "      
Mon, Jan 13th 2025 01:30

Lua sieht Reland mit großen Augen an. Es braucht keinen Fachmann der Verhörmethoden, um herauszufinden, dass sie sich schwer tut, seinen Worten wirklich Glauben zu schenken. Nun ist es ja augenscheinlich, dass Auris mit Lua ein außergewöhnlich schönes Geschöpf der Zwillinge gefunden hat, ein Mädchen, das mit seiner Anmut seinesgleichen in den Straßen der Stadt sucht. Es verschließt sich jedoch jedem, ob es Reland gelingt, dieses Etwas mehr, das, was Lua für Auris im Endeffekt ausgemacht hat, das sie so sehr über so viele andere gestellt hat, zu sehen. Für Lua selbst wenigstens scheint dieses Etwas reichlich unsichtbar zu sein. Aber sie hat mit Auris etwas gelernt, und zwar dass es, wenn es um Lobhudeleien ihr gegenüber geht, meist besser ist, das Argument ganz sausen zu lassen, um sich nicht in irgendwelche Argumentationen zu verstricken, die sie sich zu verstehen schwer tut. Sie wechselt also komplett das Thema.   “Ja,” antwortet sie also, “ich finde, da habt Ihr recht. Das Selbstbildnis ist das, wie sich der Meister selbst gesehen hat. Und ich glaube, wenn wir das Selbstportrait aufhängen und vielleicht links und rechts zwei Fahnen des Hauses, dass wir beidem mehr als gerecht werden. Im Endeffekt ist es doch so, dass jeder, der ihm die letzte Ehre erweisen will und an dem Selbstportrait etwas auszusetzen hat, ihn wohl nicht so richtig gekannt hat und also eh nur aus irgendwelcher heuchlerischer Lobhudelei da ist. Und da hätte er genausogut zu Hause bleiben können, denn der Meister hätte ihm wohl irgendeinen tiefsinnigen, aber doch reichlich giftigen Kommentar entgegengeschleudert und damit nach Hause geschickt.”
Mit einem Lächeln erwidert Reland: "Damit habt ihr den Nagel auf den Kopf getroffen. Aurelian konnte Gift verspritzen wie der sagenhafte Seedrache, wenn ihm danach war. Seine Zunge war genauso scharf, wie sein Stilett. Ihr habt es ja erlebt. Die öffentliche Zurschaustellung von geheuchelter Betroffenheit war ihm immer ein Dorn im Auge, also wollen wir ihm diese kleine Genugtuung nicht versagen und werden sein Selbstportrait verwenden." Damit erhebt sich Reland. "Es tut mir leid, aber ich habe noch Verpflichtungen in der Residenz. Ich werde es so einrichten, daß ihr morgen Abend nach der Feier noch persönlich Abschied nehmen könnt. Ich danke euch für euer Kommen." Mit einer knappen Verbeugung verabschiedet sich der Kommandant und verläßt den Raum.      
Tue, Jan 14th 2025 09:24

Und so sitzt Lua nun da. Alleine in diesem Raum, der wohl in dem Palais liegt, das ihr zum Zuhause geworden ist, der ihr aber trotzdem reichlich fremd ist. Es dauert einige Augenblicke, in denen sie mit den Tränen kämpft. Sie will stark sein, sie will schön sein, für Auris. Schließlich steht sie auf und verlässt das Palais, leise und scheinbar unbemerkt, kehrt in ihre neue Wohnung zurück. Sie streift sich das Kleid über den Kopf und legt sich auf ihr neues Bett. Nun kann sie den Tränen wieder freien Lauf lassen. Sie hat nichts mehr zu tun als zu warten, zu warten bis zum neuen Tag, der Tag, an dem einer der hellsten Sterne am Firmament Pelorns verabschiedet wird, hinübergeleitet in das Land Beresant. Denn nur dies ist für Lua eine Option für den Meister, in all seiner Güte und Offenherzigkeit. Was mag der neue Tag bringen? Was mögen die Zwillinge für sie nun bereit halten? Lua steht wieder am ganz am Anfang. Doch sind die Voraussetzungen weit besser als je zuvor.