“Das ist ja mein großes Problem,” antwortet Lua. Sie versucht wohl, ruhig zu sein, doch ist ihre Aufregung doch in einem leichten Tremor in ihrer Stimme allzu leicht zu verspüren. “Ich weiß nicht, was bei Imeria eigentlich passiert ist. Aber lasst mich doch bitte von vorne erzählen.”
Sie lehnt sich nun auch in ihrem Stuhl zurück, kurz nur, scheint nachzudenken. Dann beginnt sie zu reden.
“Ich bin in Pelorn zur Welt gekommen. Meine Familie ist nie reich gewesen, aber meine ersten Erinnerungen waren doch die einer glücklichen Kindheit. Ich habe mit meinen Geschwistern gespielt, meistens hatten wir auch genug zu essen, und es gab eigentlich nichts, was ich richtig gefürchtet habe. Dann ist jedoch meine Mutter gestorben, und etwas später auch mein Vater, und ich musste plötzlich erwachsen sein. Ich musste doch dafür sorgen, dass meine Geschwister die ebenso glückliche Kindheit hatten wie ich. Ich habe es eigentlich nie richtig geschafft, so sehr ich mich auch bemüht habe. Es war nie genug zu essen da, wir hatten nie genug Kleider für alle. Wenn ich vorne etwas genommen habe, hat es hinten gefehlt, so sehr ich es auch versucht habe, mehr Geld heran zu schaffen. Am Arsenal haben sie immer die kräftigen Männer vor mir genommen, und auch in den Bordellen haben sie immer Frauen mit dickeren Titten genommen, Frauen, die älter waren als ich, Frauen, die schöner waren als ich. Das einzige, das ich nicht wollte, war zu stehlen, denn meine Geschwister sollten diesen Weg nicht gehen. Irgendwann haben auch die kleinsten gelernt, wie man etwas zu essen heranschafft, sie sind sogar wahre Meister geworden im Ratten fangen. Dann ging alles etwas leichter. Aber dann ist mir der Becher an den Kopf gefallen, und ich hatte die Gelegenheit, mich in Imerias Dienste zu stellen, mitsamt meiner Geschwister. Nie mehr Hunger leiden, vielleicht sogar Geld zu haben, mehr als man braucht, nicht mehr aufessen zu müssen, wenn es nicht schmeckt. Ich habe angenommen, und es war keine schlechte Entscheidung. Ich sollte mich um einen Verletzten kümmern, ich hatte ein Zimmer, ich hatte ein Kleid, ich hatte zu essen. Ich musste nicht mehr fürchten, in der Nacht vergewaltigt zu werden, geschlagen zu werden, ausgeraubt zu werden. Auch meine Geschwister hatten nun wohl ein gutes Leben. Aber plötzlich haben sie mich an den Haaren aus meinem Zimmer gezogen. Sie haben mich geschlagen, sie haben mich getreten, sie haben mich gebrandmarkt und verstoßen. Dann bin ich zu Auris gekommen, und ich habe ein neues Glück gefunden, ein neues Glück, das nun jedoch wieder am seidenen Faden hängt. Ich weiß nicht, was ich Euch sagen soll, aber ich habe diese Gabe noch nie bemerkt, und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Leute bei Imeria sich einfach getäuscht haben. Ich bin ein ganz einfaches Mädchen, ich kann nichts besser, als irgendjemand anderes. Ich bin einfach nur Lua, oder Lu, oder wie immer Ihr mich nennen wollt. Ich will niemandem etwas Böses. Ich will einfach nur endlich ein kleines Glück haben.”