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Mon, Dec 23rd 2024 10:00   Edited on Tue, May 6th 2025 11:52

[19.Tag, Nachmittag] Alter Schrecken

Mari kommt nur ein paar Schritt weit. Am ganzen Körper zitternd lehnt sie sich an die Wand, unfähig auch nur einen weiteren Schritt zu machen rutscht sie langsam daran zu Boden. Es ist alles wieder da! So als würde sie wieder an dem Baum hängen wie vor ein paar Jahren. Die furchtbaren Schmerzen, die entsetzliche Angst vor dem nächsten Schlag, die Ohnmacht und die Verzweiflung. Zitternd kauert sie nieder, umschlingt ihre Beine mit den Armen, preßt ihr Gesicht gegen ihre Knie. Schluchzend, mit geschlossenen Augen wiegt sie ihren Oberkörper vor und zurück, immer wieder und wieder, gefangen in altem Schrecken.  
Tue, Dec 24th 2024 08:35

Mari bleibt nicht lange allein. Hier, in der Tordurchfahrt, sind ständig Jäger zugegen. Besonders heute, heute, an dem Tag, an dem die Wahrheit über Theomer ans Licht kam, besonders heute, an dem Tag, an dem die Dargha im Zwilling ganz unverhofft auf eine ganze Reihe ziemlich verdächtiger Thornhoffer gestoßen ist. Schreie erfüllen also wieder die Residenz, sind wohl auch auf der Straße hörbar. Doch ist dies schon beinahe nichts Besonderes mehr. Der Dargha und ihren Jägern ist es egal. Die Leute sollen wissen, was ihnen blüht, wenn sie sich gegen das Haus Imeria auflehnen.   Nun, zunächst gehen wohl gar einige der Jäger an ihr vorbei, wagen es nicht, sie anzusprechen, sie zu berühren. Mari gehört zur Dargha, und damit – und nicht zuletzt auch durch ziemlich klare Worte seitens des Rottenführers – ist sie eine Respektsperson. Nun, der Rottenführer selbst ist beschäftigt. Er ist bei der Dargha im Verhörraum. Wohl hat er gesehen, dass Mari sich unwohl fühlte, gar fliehen musste vor der Gewalt und dem Leid. Doch ein Verhör ist ein Verhör. Imeria ist Imeria. Die Gefühlsduselei der mageren Frau muss warten – entweder bis der dumme Junge die Wahrheit sagt, oder aber bis ihm Saya endgültig das Fleisch von den Knochen geschlagen hat. Oder seiner Schwester.   Gulama ist ebenfalls beschäftigt. Sie hat ja die beiden abgerissenen Gestalten zu bedienen, so wie es die Dargha aufgetragen hat. Und sie hat dabei alle Hände voll zu tun, einerseits freundlich zu sein, andererseits ihren lüsternen Fingern zu entgehen. Gulama hatte noch keine Zeit, sich umzuziehen, und freilich, in diesem Kleid sieht sie zum Anbeißen aus. Nun denn, Gulama ist es also ebenfalls nicht, die zufällig die Treppe herunterkommt.   Es ist also der Dritte im Bunde, der vom Rang und von seiner Beziehung zur Dargha sich ermächtigt fühlt, Mari überhaupt anzusprechen. Marigar kommt gerade aus dem Raum, in dem Astrid gefangen gehalten wird. Ein Jäger trägt den Kübel für Astrids Notdurft, der andere einen weiteren Kübel, in dem dieses undefinierbare Restegebräu enthalten ist, das die Gefangenen in der Residenz zu essen kriegen. Gerade haben sie Astrids Schüssel gefüllt – und sie ist die einzige, die heute in den zweifelhaften Genuss dieser Kreation der Jäger kommt. Denn Lisina ist auf Geheiß der Dargha ja ohne Wasser und Brot zu halten.   Nun denn, Marigar kommt also mit zwei Jägern der Leibwache aus dem Zimmer. Sein Blick fällt auf Mari, auf dem Boden hockend, schluchzend, mit dem Oberkörper nach vor und hinten wippend. Marigar hält inne, zieht die Augenbrauen zusammen. Er schickt den einen Jäger zum Abtritt, den anderen zu den Räumen am Hinterhof, die sich die Jäger eingerichtet haben. Saya hat doch auf Mari gehört und von der Zeltstadt im Hof Abstand genommen. Er selbst geht zu der jungen Dunkelhaarigen, geht neben ihr in die Hocke und legt ihr einen Arm um die Schulter.   „Mari,“ sagt er sanft, „was ist los mit dir?“
Wed, Dec 25th 2024 12:35   Edited on Wed, Dec 25th 2024 12:36

Zuerst hat des den Anschein, als ob Mari gar nicht mitbekommt, daß Marigar neben ihr hockt und auch den Arm scheint sie nicht zu merken. Es dauert eine kleine Weile, bis sie zwischen ihrem krampfhaften Schluchzen ein paar Silben hervorpresst: "Das Geräusch..Afyra... ich kann's nicht aushalten..." Es dauert noch ein wenig länger bis Marigar mit den Satzfetzen und Wortbrocken etwas anfangen kann. Offensichtlich ist Mari einmal mit dem Staubwedel ausgepeitscht worden und bei der Auspeitschung der Gefangenen in Panik verfallen. Es muß tief sitzen, denn es dauert bis sich Mari soweit beruhigt, daß sie mit der Pendelbewegung aufhört. Dann erst hebt sie das tränennasse Gesicht von den Knien und sagt stockend: "Ich hab' geglaubt, ich halts aus. Aber ich kann's nicht! Ich kann's einfach nicht! Ich geh' da nicht mehr rein." Erst dann wird ihr voll bewußt, daß es Marigar ist, der die ganze Zeit neben ihr gehockt ist. Fahrig wischt sie sich ein paar Mal übers Gesicht, um die Tränen wegzuwischen. "Entschuldige!": murmelt sie. "Ich wollt' dich nicht anjammern! Ich..ich..hab' die Nerven weggeschmissen. Tut mir leid!" Dann steht sie auf und wischt nervös an ihrer Hose herum. "Bitte..sag' Saya nicht, daß ich so ausgerastet bin. Ich schäm' mich jetzt schon genug.": sagt sie und schaut ihn bittend aus ihren rot geweinten Augen an.  
Thu, Dec 26th 2024 08:25

Marigar sagt eine ganze Weile gar nichts. Er sitzt einfach da und hält Mari im Arm. Er hört zu, wie sie zunächst stammelt, danach doch etwas zusammenhängender spricht. Er sieht sie dabei nicht an, schaut neben ihr einfach auf die gegenüberliegende Wand.   “Mach dir nichts draus,” antwortet er schließlich mit ruhiger, warmer Stimme. “Jeder wirft irgendwann die Nerven weg. Du hast es heute getan, die Dargha gestern Abend, und ich in der Nacht, in der die Dargha in den Händen der Ratten war. Niemand ist dagegen ganz gefeit, nicht einmal Condir. Aber eines musst du dir immer merken: Wir Jäger, wir sind immer füreinander da, und auch wenn du immer wieder sagst, du seist keiner, du steckst drin bis zum Hals. Du musst dich nicht schämen, wenn mit dir die Pferde durchgehen. Du kannst immer zu mir kommen, oder zu Condir, oder auch zur Dargha. Jedes Mal, wenn du merkst, dass du zu irgendwas nicht bereit bist, wofür du gerne bereit wärst. Ich meine, ich verstehe schon, das, was wir tun, das ist nicht für jedermann. Und du musst nicht mehr da hinein, wenigstens heute nicht.”   Marigar schaut Mari nun doch einen Moment an, bevor sein Blick wieder auf die gegenüberliegende Wand geht.   “Nur, Saya hat uns gesagt, wir können mit dem blonden Dreckstück machen, was wir wollen, solange sie nicht stirbt, und solange sie keine Narben davonträgt. Sie hat uns gesagt, es ist dir vorenthalten, ihr Narben mitzugeben, so wie sie dir Narben zugefügt hat. Dann wirst du es aber aushalten müssen. Aber nicht heute.”   Wieder schaut er sie kurz an.   “Und nun komm, wir gehen in unseren Raum, da kriegst du erst einmal einen ordentlichen Schnaps. Da kannst du mir dann sagen, was du sagen willst, und du kannst mir verschweigen, was du mir verschweigen willst. Nur soll dich von außerhalb niemand so sehen. Das ist nicht gut.”
Thu, Dec 26th 2024 11:56

Mari nickt nur leicht und folgt dann schweigend Marigar. Sie ringt um ihre Fassung und das kann man ihr auch ansehen. Doch zumindest äußerlich gelingt es ihr auch, wenn ihre Hand auch noch leicht zittert, als ihr Marigar den Becher füllt. Sie nimmt einen kräftigen Schluck, bevor sie sich setzt und den Becher vor sich stellt. Eine kleine Weile starrt sie auf den Becher, dann schaut sie Marigar an. "Ich weiß, daß ich bis zum Hals mit drin stecke.": sagt sie leise. "Aber das macht mich nicht zum Jäger." Sie nimmt noch einen kräftigen Schluck. "Ich hab' kein behütetes Leben geführt und weiß es ist, wenn man einen zu den Schatten schickt. Aber ich sag' dir genau das, was ich Saya nach unserer ersten Nacht gesagt hab, als sie mich zu einer von euch machen wollte. Ich will nicht den Rest meines Lebens durch Blut und Gedärm stapfen, wenn einer pfeift. Ihr könnt in jedem Kampf auf mich zählen, aber das da.." Sie zeigt in die ungefähre Richtung des Balkenraums. "Das mach’ ich nicht! Auch für Saya nicht!" Sie leert ihren Becher und hält ihn Marigar zum Nachschenken hin und schweigt wieder eine kleine Weile.   "Ich weiß schon, du kommst jetzt dazu, wie die Jungfrau zum Kind, aber ich weiß nicht, mit wem ich sonst reden sollt. Saya mag's nicht so gern, wenn ich mit sowas anfang' und ich will ihr nicht auf die Nerven gehen. Gulama ist zwar unheimlich lieb und süß, aber sie hat keine Ahnung vom Leben." Sie lächelt einen Moment als sie von Gulama redet und kippt die Hälfte des Schnapses auf einen Zug hinunter. Dann sucht sie nach Worten. "Weißt du, ich hab mir da draußen hundertmal vorgestellt, wie ich Lisina die Haut abzieh und ich sie ganz langsam fertig mache, bis knapp zum Verrecken, sie dann gesund pflege und von vorn anfang'. Das hat mir geholfen, das hat mir Halt gegeben, etwas wofür es sich gelohnt hat am Leben zu bleiben. Ich hab mir auch immer gedacht, daß mir das was zurückgibt, daß es das beschissene Loch drin in mir stopft, daß mir die verfluchten Jahre da draußen gerissen hat. Aber.." Mari schüttelt den Kopf und kippt den Rest des Schnapses hinunter. "Wie sie sich angepisst hat, nachdem ihr Condir eine verpaßt hat, das war gut, wirklich! Die Angst in ihren Augen, als sie begriffen hat, was ihr blühen wird, auch das hat mir verdammt gutgetan. Aber das Loch ist immer noch da und selbst daß ihr sie als Fickfleisch benützt, hat mir keinen einzigen verfluchten Augenblick zurückgegeben. Ich weiß nicht, ob du mich verstehen kannst, aber ich bin nicht einmal mehr sicher, daß ich sie so herrichten will, wie sie mich!"  
Fri, Dec 27th 2024 01:06

Marigar hört Mari zu. Er steht ihr gegenüber, lässig gegen die Wand gelehnt. Als Mari geendet hat, nimmt er sich ebenfalls einen Becher, schenkt ein und nimmt einen Schluck von dem Schnaps. Dann schaut er Mari wieder an.   „Ich hab das schon mitgekriegt,“ antwortet er dann. „Ich meine, dass du dich nie und nimmer tätowieren lassen willst. Aber glaube mir, so einfach ist das nicht. Nicht wegen mir, oder wegen Condir, oder wegen der Dargha. Es ist nicht so einfach wegen dir. In dem Moment, in dem du dir die Dargha angelacht hast, naja, seit diesem Moment gehörst du dazu. Seit diesem Moment gehörst du zum Stab der Dargha, so wie ich es tue, so wie es Condir mit seiner Rotte tut. Du kannst dir freilich einreden, es nicht zu tun, du kannst dir freilich einreden, du kannst in jedem Moment für dich selbst entscheiden, aber, wenn du ganz ehrlich bist, so einfach ist das nicht. Nicht weil ich dich zwinge, oder die Dargha. Nicht, weil du allen möglichen Leuten die Haut abziehen musst, ob du willst oder nicht. Ganz einfach deshalb, weil es inzwischen auch ein Teil von dir ist. Es ist in dem Moment ein Teil von dir geworden, in dem du dich in die Dargha verliebt hast. Also, mit dem, das dort drinnen passiert, mit dem wirst du dich abfinden müssen. Du kannst nicht bis in alle Ewigkeit davonrennen. Irgendwann wirst du das Geräusch des Staubwedels als das nehmen müssen, was es ist, und zwar einfach ein Haken, der sich in Fleisch bohrt und dann wieder herausgerissen wird. Sonst wirst du irgendwann kaputt gehen. Denn das da drüben, das ist ein Teil der Dargha, den du nicht ewig ignorieren kannst.“   Er nimmt noch einen Schluck von dem Schnaps. „Weißt du, wenn du ein Loch füllen willst, dann kannst du so lange Sand reinkippen, so lange du willst. Es wird nichts nutzen, wenn dir der Sand immer wieder unten rausfällt. Und so lange du nicht den Frieden mit dir selbst gefunden hast, wird der Sand wieder rausfallen. Da nützt dir der beste Schnaps nicht, der beste Sex nicht und eine schreiende und weinende Lisina ebenfalls nicht. Aber bis dahin – wir sind für dich da. Eben weil du dazugehörst, auch wenn du das vielleicht selbst nicht so recht glauben willst.“
Fri, Dec 27th 2024 03:25

Saya stutzt, als sie Marigar und Mari in dem Raum antrifft. Bisher sind die beiden ja selten durch große Harmonie aufgefallen. Sie gibt keinen Kommentar von sich. Stattdessen schlüpft sie im Vorbeigehen aus dem blutigen Hemd und verschwindet in einem Hinterzimmer. Wenig später erscheint sie wieder. Sie ist anscheinend schnell fündig geworden. Das Hemd ist blütenweiß. Sie schließt die Knöpfe, steckt es hinter die Hose. „Dann kümmern wir uns mal um die Nasen, die anscheinend etwas über Theomer wissen wollen,“ sagt sie wie nebenher und schaut schließlich zu Mari. „Magst du da dabei sein?“ Sie geht zu einer Waschschüssel in einer Ecke des Raumes und wäscht sich das Blut vom Gesicht. Wenig später scheint sie von sich selbst der Meinung zu sein, die beiden Kumpanen nun nicht mehr über die Maßen mit ihrem Anblick zu erschrecken. Mit oder ohne Mari im Schlepptau geht sie nun ebenfalls in das Esszimmer.
Fri, Dec 27th 2024 04:40

Schweigend hat Mari zugehört und es dauert ein wenig bis sie Marigar antwortet. "Ich weiß schon, daß ich ein Teil von euch geworden bin. Ich bin ja nicht blöd. Aber wie du gesagt hast, es ist nicht so einfach.": sagt sie nachdenklich. "Wie könnt' ich mich tätowieren lassen? Ich bin nicht Imeria, ich bin eine Ratte! Ich bin bei Saya und bei euch, weil ich es so haben will, nicht weil ich irgendjemand verpflichtet bin, außer meinem Herzen. Aber versteh' mich nicht falsch! Für Saya geh' ich ins Schattenreich und wieder zurück und ihr seid meine Hand geworden, für die ich durchs Feuer geh'. Das ist nicht das Problem." Für einen Moment sucht Mari nach Worten. "Ich hab' immer gewußt, was Saya ist, vom ersten Augenblick an und abgefunden hab' ich mich damit schon bevor sie mich das erste Mal geküßt hat. Wer bin ich, daß ich sie oder euch verurteilen wollt? Ihr tut, was ihr für euer Haus tun müßt und ich hab auch schon ein paar grausliche Sachen gemacht, um jemand zum Reden zu bringen, als ich noch der Daumen meiner alten Hand war. Ich bin keine Mimose, Marigar, und ich steck' den Kopf nicht in den Sand und ignorier' es. Aber der Staubwedel wird nie bloß ein Geräusch sein. Die verfluchten Haken haben mir den ganzen Rücken zerrissen. Dabei sind die Schmerzen nicht einmal das Schlimmste. Für einen Moment bin ich wieder an dem Baum gehangen, verstehst du? Abgesehen von der...es war eine der furchtbarsten Sachen in meinem Leben. Deswegen bin ich raus und ich sag's dir ehrlich bei allem Haß, den ich in mir hab', ich weiß nicht mehr, ob ich das Lisina antun will. Ich glaub' ich kann's einfach nicht!" Mari senkt den Kopf uns schaut auf ihren Becher, dann schaut sie wieder zu Marigar: "Weißt du hier fühl' ich mich zum ersten Mal nach langer Zeit zu Haus'. Ich bin glücklich, daß ist mehr als ich zu hoffen gewagt hab' und mehr Frieden gibt's für mich wohl nicht. Vielleicht muß ich das Loch mit mir herumtragen, damit ich nicht vergess' was wirklich wichtig ist. Vielleicht wird's nie mehr voll...." Als Saya hereinkommt verstummt Mari für einen Augenblick und sieht ihr nach, als sie ins Nebenzimmer geht. Dann drückt sie kurz die Hand Marigars. "Danke!", sagt sie schlicht und man kann hören, daß es aus dem Herzen kommt. Sie will noch etwas sagen, aber da kommt schon Saya in ihrem frischen Hemd zurück und erkundigt sich, ob sie mitkommen möchte. "Ich komm' schon.": sagt sie zu Saya und zu dreht sich kurz zu Marigar um. "Bis später.": sagt sie mit einem Lächeln und folgt Saya.      
Sat, Dec 28th 2024 06:52

Nun, Mari verstummt, als die Dargha den Raum betritt. Und auch Marigar sagt kein Sterbenswort mehr. Es hat schließlich allen Anschein, als wolle Mari wirklich nicht, dass Saya von der Geschichte allzuviel Wind kriegt. Aber er lächelt und zwinkert ihr zu, als sie schließlich seine Hand nimmt. Und als Mari mit der Dargha den Raum verlässt, nimmt er einfach wortlos die beiden Becher und die Flasche mit dem Schnaps, um alles zusammen zu verräumen.