Mari bleibt nicht lange allein. Hier, in der Tordurchfahrt, sind ständig Jäger zugegen. Besonders heute, heute, an dem Tag, an dem die Wahrheit über Theomer ans Licht kam, besonders heute, an dem Tag, an dem die Dargha im Zwilling ganz unverhofft auf eine ganze Reihe ziemlich verdächtiger Thornhoffer gestoßen ist. Schreie erfüllen also wieder die Residenz, sind wohl auch auf der Straße hörbar. Doch ist dies schon beinahe nichts Besonderes mehr. Der Dargha und ihren Jägern ist es egal. Die Leute sollen wissen, was ihnen blüht, wenn sie sich gegen das Haus Imeria auflehnen.
Nun, zunächst gehen wohl gar einige der Jäger an ihr vorbei, wagen es nicht, sie anzusprechen, sie zu berühren. Mari gehört zur Dargha, und damit – und nicht zuletzt auch durch ziemlich klare Worte seitens des Rottenführers – ist sie eine Respektsperson. Nun, der Rottenführer selbst ist beschäftigt. Er ist bei der Dargha im Verhörraum. Wohl hat er gesehen, dass Mari sich unwohl fühlte, gar fliehen musste vor der Gewalt und dem Leid. Doch ein Verhör ist ein Verhör. Imeria ist Imeria. Die Gefühlsduselei der mageren Frau muss warten – entweder bis der dumme Junge die Wahrheit sagt, oder aber bis ihm Saya endgültig das Fleisch von den Knochen geschlagen hat. Oder seiner Schwester.
Gulama ist ebenfalls beschäftigt. Sie hat ja die beiden abgerissenen Gestalten zu bedienen, so wie es die Dargha aufgetragen hat. Und sie hat dabei alle Hände voll zu tun, einerseits freundlich zu sein, andererseits ihren lüsternen Fingern zu entgehen. Gulama hatte noch keine Zeit, sich umzuziehen, und freilich, in diesem Kleid sieht sie zum Anbeißen aus. Nun denn, Gulama ist es also ebenfalls nicht, die zufällig die Treppe herunterkommt.
Es ist also der Dritte im Bunde, der vom Rang und von seiner Beziehung zur Dargha sich ermächtigt fühlt, Mari überhaupt anzusprechen. Marigar kommt gerade aus dem Raum, in dem Astrid gefangen gehalten wird. Ein Jäger trägt den Kübel für Astrids Notdurft, der andere einen weiteren Kübel, in dem dieses undefinierbare Restegebräu enthalten ist, das die Gefangenen in der Residenz zu essen kriegen. Gerade haben sie Astrids Schüssel gefüllt – und sie ist die einzige, die heute in den zweifelhaften Genuss dieser Kreation der Jäger kommt. Denn Lisina ist auf Geheiß der Dargha ja ohne Wasser und Brot zu halten.
Nun denn, Marigar kommt also mit zwei Jägern der Leibwache aus dem Zimmer. Sein Blick fällt auf Mari, auf dem Boden hockend, schluchzend, mit dem Oberkörper nach vor und hinten wippend. Marigar hält inne, zieht die Augenbrauen zusammen. Er schickt den einen Jäger zum Abtritt, den anderen zu den Räumen am Hinterhof, die sich die Jäger eingerichtet haben. Saya hat doch auf Mari gehört und von der Zeltstadt im Hof Abstand genommen. Er selbst geht zu der jungen Dunkelhaarigen, geht neben ihr in die Hocke und legt ihr einen Arm um die Schulter.
„Mari,“ sagt er sanft, „was ist los mit dir?“