Sat, Jan 28th 2023 01:38
Edited on Sat, Jan 28th 2023 01:39
Schon beim Öffnen der Eingangstür hatten die weiß gekalkten Wände und der geölte Boden Ehrfurcht in Ailis hervorgerufen. Sie hoffte inständig, keinen Dreck bei ihren Schritten zu hinterlassen. Es war ein irrationaler Gedanke, denn Herrschaften, die in solchen Häusern wohnten, kümmerte es selbst meist auch nicht. Zum einen hatten sie Angestellte, die es wieder reinigten, und zum anderen war Ailis’ eigene Lebensweise nur, den Umständen geschuldet, bescheidener. Als sie noch ein Lehrmädchen war, vor dem letzten Häuserkrieg, da war sie mit ihrem Vater in einem der herrschaftlichen Häuser gewesen. Damals war ihr eigenes Leben nicht so weit entfernt gewesen von dem der Wohlhabenden und doch anders, da sie einer Handwerkerfamilie entstammte. Doch die Erinnerung war verblasst, ebenso wie der Schmerz, der damit einherging.
Und obwohl Ailis dies wusste, kamen ihre ohnehin schon bedächtigen Schritte ins Stocken, als sie von der Dame an der Empfangstheke in den angrenzenden Raum gebracht wurde. Sie musste sich regelrecht zwingen weiter zu gehen und dabei, wenn möglich, die Teppiche nicht oder so wenig wie möglich zu betreten. Sandfarbene Teppiche konnten sich im Kontext einer Warenlieferung auch nur die Zwillinge ausdenken.
Bedächtig stellte die Töpferin ihre Kiepe ab und ließ den Blick durch den Raum wandern. Bücher. So viel Wissen für so viele, wie sie selbst, gänzlich verschlossen. Unmerklich seufzend wandte sie sich den kunsthandwerklichen Arbeiten zu, bewunderte sie aus der Entfernung. Den Blick auf den Kamin gewandt, saß sie schließlich sprungbereit auf der Kante des Sitzmöbels, auf dem sie Platz genommen hatte. Und so erhob sie sich auch eilig, sobald sie Gregorian bemerkte.
“Eine Entschuldigung ist nicht nötig, geschätzter Herr Vellez.” entgegnete Ailis lächelnd. “Ich hoffe, Ihr musstet Eure Arbeit nicht meinetwegen unterbrechen.”
Gregorians Beispiel folgend nimmt auch sie wieder Platz, wie zuvor nur auf der vorderen Kante der Sitzfläche, und streicht dabei ihren Kittel glatt. Tatsächlich war ihre Angst etwas zu beschmutzen unbegründet. Für denjenigen, der wusste welche Art von Schmutz bei der Arbeit einer Töpferin anfällt, war klar, dass sie den Luxus von zusätzlicher Kleidung besaß, die nicht bei der Arbeit getragen wurde.
Für einen winzigen Moment kann man in ihren blauen Augen lesen, dass sie jede Annehmlichkeit ablehnen wollte. Doch sie besinnt sich eines Besseren und obwohl Wein oder Tresterbrand unglaublich verlockend klingen, hörte sie sich selbst etwas anderes formulieren.
“Ein Tee wäre wundervoll, vielen Dank.” Immerhin hatte Ailis die Worte ihrer Großmutter im Ohr: ‘Habe bescheidene Wünsche, mein Kind, dann werden die Zwillinge dir wohlgesonnen sein.’