Mon, Feb 26th 2024 01:29
Edited on Mon, Feb 26th 2024 01:31
Als Gregorian die Wohnung einige Stunden später verlassen hat und mit seinem Leibwächter aufgebrochen ist, reckt die Gräfin Coveani sich gähnend, streift ihre Kleidung ab und hüllt sich stattdessen in einen langen, weichen Wollmantel, in den sie sich wie in eine Decke wickeln kann.
Enno betritt das Schlafzimmer und macht sich wortlos daran, das Bett abzuziehen. Nach einer Weile merkt er an: "Das war eine unvorhergesehene Wendung der Dinge." Die Gräfin kichert und schenkt sich selbst noch den letzten Rest einer angebrochenen Flasche Wein ein. "Ja, allerdings... sehr unvorhergesehen, aber nicht unwillkommen." Sie zwinkert Enno zu und geht wieder hinaus auf den Balkon, wo ihr Leibdiener - der seiner Herrin schon Jahrzehnten dient und ihre Vorlieben kennt - das Kohlenbecken neu angefacht hat. Auf dem Beistelltisch liegen eine Kreidetafel mit Notizen, die letzte Korrespondenz des Tages und Band 4 von Corelians gesammelten Dramen.
Sie setzt sich, zieht die nackten Beine unter dem weiten Mantel an sich und nimmt die Tafel zur Hand. Es ist ein kurzer Bericht von Corvu über das verdeckte Verhör von Gregorians Leibwächter, dem aber weder der Alkohol noch die Hure, zu der die Agenten ihn dann gebracht hatten, etwas neues zum Skriptorium hatten entlocken können. Mit einem kleinen Schwamm wischt sie die Nachricht weg, die so unwichtig und erwartbar gewesen war, dass sie nicht auf teurem Papier geschrieben worden war.
Die Blätter beinhalten einen Brief aus den Tongruben und sind ein Bericht über den heute wie geplant begonnenen Bau der neuen Papiermühle. Die Gräfin ist zufrieden und legt den Brief beiseite.
Sie trinkt den letzten Rest Wein, den sie mitgenommen hat und sinniert über die Ereignisse dieses denkwürdigen Tages. Sie erinnert sich an alles, was sie mit und für Gregorian getan hat, der sich als überaus willig und neugierig erwiesen hatte. Sie nimmt sich vor, bis zum nächsten Mal einige spezielle Dinge nachzuschlagen.
Sie denkt an den kurzen Moment zurück, als er ihre Hand gepackt hatte. Es hatte sich angefühlt, als würde ein Raubtier sie aus dem Dunkeln mustern.
Nachdenklich ruft die Gräfin sich ins Gedächtnis, was der Herr des Skriptoriums über Hermetiker gesagt hatte, kommt aber zu keinem Ergebnis.
Als Enno einige Zeit später meldet, dass er das Schlafzimmer aufgeräumt und für die Nacht hergerichtet hat, trägt sie ihm noch auf, ihr Briefpapier zu bringen, bevor sie ihn für heute entlässt.
Hochverehrter Majstro Vellez,
so sehr haben Neigung und Vergnügen meine Gedanken am vergangenen Abend beschäftigt, dass Dinge unausgesprochen blieben, die ich gerne mit euch zu besprechen wünschte.
In dem Verlangen, unser nächstes Treffen nicht durch hastige Geschäfte zu belasten, möchte ich diese Dinge hiermit sozusagen ins Post Scriptum der vergangenen Nacht stellen.
Beigelegt zu diesem Schreiben findet ihr einen Vorvertrag aus der Feder meines Ersten Schreibers über die regelmäßige Lieferung von Papier. Dieser Tage hat der Bau einer neuartigen Mühle begonnen, die nach Fertigstellung Papier in gleichbleibend hoher Qualität und Anzahl produzieren wird. Das Skriptorium hat von allen Institutionen der Stadt mit Sicherheit den höchsten Bedarf an Papier, so dass ein steter Fluß des selbigen in hoher Qualität und günstiger als bisher sicher in eurem Interesse liegt. Bitte prüft den Vorvertrag wohlwollend und sendet etwaige Änderungswünsche - so es euch gefällt - direkt an meinen Ersten Schreiber Maurizio Verla in den Grandafratoj. Solltet ihr qualitative oder technische Anforderungen haben, werden wir dies intern prüfen und euch entsprechende Vorschläge unterbreiten.
Mein zweites Anliegen ist etwas komplizierter und um der Wahrheit die Ehre zu geben weiß ich nicht, ob ihr mir helfen könnt. Zumindest aber wird mir euer Rat teuer sein, denn ihr seid ein erfindungsreicher Mann mit vielen Kontakten und Möglichkeiten.
In den Tagen als der Riss am Himmel stand und allenthalten Chaos herrschte, wurde von meiner Familie ein Schiff ausgeschickt, um bestimmte Personen, Gegenstände und Artefakte aus Pelorn fort und in vermeintliche Sicherheit zu bringen. Diese Hoffnung war trügerisch und das Schiff sank, kaum dass es den Hafen verlassen hatte. Dies war eine große Tragödie für das Haus Coveani, denn es befanden sich zahlreiche Gegenstände von großem materiellem und ideellem Wert an Bord. Freilich kam dieser Verlust zusammen mit vielen anderen Katastrophen und wurde unter diesen begraben.
Das ist alles schon sehr lange her und wäre auch unwichtig geblieben, wäre es nicht jüngst gelungen, die Lage dieses Schiffes zu entdecken. Es liegt tatsächlich noch in Sichtweite des Ufers und ich habe Grund zu der Annahme, dass es im flachen Wasser einer Sandbank liegt.
Ich weiß, dass es in den späten Tagen des Kaiserreiches Ideen und Versuche gab, für Bauarbeiten im Hafen oder zwecks der Ernte von Muscheln, Menschen mittels sinnreicher Apparaturen in solche Tiefen hinabzubringen und umhergehen zu lassen.
Falls ihr auf eurer Suche nach immer neuen Texten und Kuriosa aus der Zeit vor dem Risskrieg auf etwas gestoßen seid, dass mir möglicherweise helfen könnte, diese alten Erbstücke meiner Familie aus der Tiefe zu heben, und wenn ihr mir darüber hinaus Leute empfehlen könntet, die zu dieser Tat in der Lage sind, würdet ihr mich noch mehr zu Dankbarkeit verpflichten.
Ich erwarte mit Spannung eure Antwort und mit Vorfreude euren nächsten Besuch.
Hochachtungsvoll
Alessandrina Coveani