Sun, Jan 14th 2024 08:15
Edited on Thu, Apr 25th 2024 11:29
Nachdem sich Mari eine ganze Weile in der Nähe der Brauerei umgesehen hat, beschließt sie sich wieder auf die Suche nach der Tochter dieses Frams zu machen. Allein das Gefühl in der abgetragenen, aber sauberen Kleidung nicht mehr aufzufallen und angewiderte Blicke auf sich zu ziehen, zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Als sie aus einer Seitengasse auf eine breitere Straße einbiegt, sieht sie an der Ecke eine zerlumpte Frau, vielleicht etwas älter als sie, mit einem Buben an der Hand, der fünf oder sechs Jahre alt sein mochte. Stumm mit gesenktem Blick steht die abgemagerte Frau da, hält nur eine Hand bittend ausgestreckt. Kaum jemand beachtet sie und niemand gibt ihr etwas. Betteln in Pelorn ist die letzte Zuflucht, derer die sich nicht selbst helfen können. Mari gibt es einen Stich ins Herz. Ohne nachzudenken bleibt sie stehen und zieht das Wachstuch mit dem Brot und Käse aus der Tasche. Sie öffnet das Tuch und hält der abgehärmten Frau das Essen hin. “Nimm es nur.”: sagt sie als sie die Frau mit großen Augen ansieht. Mari kennt den Hunger nur zu gut, der sich daran spiegelt. “Ich hab sonst nichts, aber wenigsten brauchst du heut nicht zu hungern. Aber besser du ißt es gleich, damit es dir niemand stiehlt. Verdrücken wir uns in eine Seitengasse. Ich passe auf bis du gegessen hast, damit dir niemand was wegnimmt.” Mari kennt das gnadenlose Gesetz der Straße viel zu gut: “Wenn du schwach bist, dann nimm dir von jemand der noch schwächer ist.” “Komm.”: sagt sie und geht ein paar dutzend Schritte in die schmale Seitengasse, aus der sie gekommen ist. Die Frau bedankt sich mit Tränen in den Augen immer wieder. “Schon gut, iß nur!” Mutter und Kind setzten sich auf die breiten Stufen eines Hauseingangs, Mari bleibt stehen und lehnt sich daneben an die Mauer. Als sie sieht, daß die Frau nichts vom Brot und dem Käse anrührt und nur das Kind füttert sagt sie leise: “Du mußt essen, Schwester! Du mußt stark sein für deinen Sohn!” Es dauert nicht lange bis die Beiden auch den letzten Krümel aufgegessen haben und die Frau sich wieder zu bedanken beginnt. Mari setzt sich neben sie und senkt ihre Stimme: “Dank nicht mir, dank der Behüterin! Öffne ihr dein Herz, Schwester, und laß dich von ihrer Liebe wärmen und beschützen. Ich war vor ein paar Tagen noch schlechter dran als du und jetzt esse ich dank ihrer Gnade jeden Tag Brot. Du mußt ihr nur dein Herz öffnen! Ich kann es dir nicht versprechen, aber wenn ich kann und etwas Essen habe, komme ich morgen wieder vorbei.” Mari steht auf. “Möge die Behüterin mit dir sein und ihre Hand über dich und deinen Sohn halten.”: sagt sie zum Abschied und verschwindet nach ein paar Herzschlägen um die Ecke.