Perdona
Traditionell wurde Perdona, der Tag der Vergebung, ohne festgelegten Tag am Anfang des zweiten Monats des Jahres gefeiert. Offiziell wurde der sechste Tag des zweiten Monats, der Todestag der Kaiserin Theosina der Gütigen, erst in der Regierungszeit Kaiser Verkus II. zur Erinnerung an die verstorbene erste Gemahlin seines Großvaters festgelegt und zum Feiertag erhoben. Die Tradition jedoch reicht wie bei vielen der alten Volksbräuche viel weiter zurück, vermutlich bis in die Tage der Fremdherrschaft. Perdona hat Wirren des Rißkrieges und der anschließenden Verwüstung durch die Folgen der Versiegelung überdauert und wird auch heute noch in Pelorn begangen.
Über die Perdona-Feiern in der späten Kaiserzeit berichtet der Geschichtsschreiber Ferdone Aspruch in seinem nur in Fragmenten erhaltenen Werk "Sitten und Gebräuche des gemeinen Volkes“ Folgendes:
Perdona ist ein Fest, das im Familienkreis und seltener auch mit engsten Freunden begangen wird. Schon am Vortag wird die Wohnstätte sorgsam gesäubert und gelüftet und von den Frauen der Familie ein spezielles ungesäuertes Perdona-Brot gebacken. Das Abendmahl im Familienkreis ist kärglich, wird oft schweigend eingenommen und die Familie zieht sich früh zur Nachtruhe zurück. Mit Sonnenaufgang versammelt sich die Familie im größten Raum oder im Freien um das älteste Familienmitglied, das gewöhnlich an einem Tisch sitzt, auf dem Perdona-Brot und zwei Näpfe mit Salz und Honig bereitstehen. Die Zeremonie beginnt mit der nächstjüngeren Person der Familie, die vor dem Ältesten niederkniet, die rechte Hand des Ältesten an die Stirn führt und spricht: "Ich bereue und bitte dich von Herzen verzeihe mir alles Unrecht, daß ich dir in diesem Jahr zugefügt habe!" Der Älteste bricht ein Stück Perdona-Brot, taucht es in Honig und in Salz, reicht es dem Knieenden und spricht: "Es ist dir verziehen und alle Schuld getilgt!" Der Kniende verzehrt sein Brotstück, steht auf, dankt dem Ältesten und das nächste Familienmitglied erbittet Verzeihung bis hinab zu den Kindern, die das sechste Lebensjahr vollendet haben. Weit formloser wird der Brauch dann unter den anderen Familienmitgliedern fortgesetzt, indem ein Jüngerer einen Älteren um Verzeihung bittet, bis hinab zum Jüngsten. Dann wird von der gesamten Familie ein Festmahl zubereitet, gemeinsam eingenommen und bis in die Nacht hinein gefeiert.
Perdona ist ein wichtiges Element für das gedeihliche Zusammenleben der Familien, die für die meisten Reichsbürger der wichtigste Rückhalt im Lebenskampf sind. Das Bitten um Verzeihung und die Lossprechung von der Schuld ziehen gleichsam einen Schlußstrich unter Streitigkeiten und Groll des vergangenen Jahres und ein einmal verziehenes Unrecht wird als ungeschehen betrachtet. Die Vergebung bindet sowohl den Verzeihenden als auch denjenigen, dem verziehen wird.
Hin und wieder geschieht es, daß ein Familienmitglied die Bitte um Verzeihung ablehnt und die Entschuldigung verweigert. Dies wird allgemein als schwerwiegender Schritt und Verstoß gegen die guten Sitten angesehen, der unabsehbare Folgen nach sich zieht, die vom Zerbrechen einer Familie bis zur lebenslangen Feindschaft unter Familienmitgliedern reichen können, und der nicht leichtfertig gesetzt wird. Bluts- oder andere schwere Verbrechen an einem Familienmitglied verübt, schließen dagegen jegliche Vergebung aus, auch wenn sie erbeten werden sollte.
Allerdings ist anzumerken, daß die Bedeutung von Perdona mit wachsendem Wohlstand und Einfluß der Familien abnimmt und in hohen und höchsten Kreisen zur leeren Formalität verkommt, wie so vieles in dieser düsteren Zeit hemmungsloser Gier und Sittenlosigkeit.
Perdona heute
Vieles hat sich geändert, seit den Tagen der Kaiserzeit, so auch die Gebräuche um Perdona. Immer noch wird es am sechsten Tag des zweiten Monats begangen, doch allein die wirtschaftlichen Verhältnisse machen bei vielen Familien das Backen des traditionellen Perdona-Brotes unmöglich, von der Beschaffung von Honig ganz abgesehen. Jene, die Arbeit haben, können es sich nicht leisten, einen Tag fernzubleiben, und die anderen sind viel zu beschäftigt, sich und ihre Familien zu erhalten, als daß sie einen Tag gemeinsam feiern könnten.
So ist Perdona bei den meisten Familien nur mehr eine kurze Zusammenkunft abends, bei der jedoch der Kern der Tradition, die Bitte um Verzeihung und die Vergebung, gewahrt bleibt, wenn auch nicht mehr so formell vollzogen, wie vor der Versiegelung. Mehr denn je ist die Familie für viele Pelorner die einzige verlässliche Stütze und alleinige Sicherheit in ihrem harten Leben, und so hat auch Perdona wieder an Bedeutung für den Einzelnen gewonnen. Wohlhabende Familien, vor allem der großen Häuser, feiern Perdona jedoch der Tradition folgend mit Brot, Honig, Salz und einem Festmahl.
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