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Ivar Klagebart

Ivar Klagebart

Geboren in Mytros, aber aufgewachsen in Calimshan, kennt Atreus nichts außer das Leben in der Arena.

Physical Description

General Physical Condition

Geboren und aufgewachsen in der Arena, wie er selbst sagen würde, ist Atreus ein athletischer Kerl. Ein wendiger Körperbau, mit den nötigen Muskeln um seine Gleve auch durch lange Kämpfe mit tödlicher Präzision zu schwingen.

Body Features

Die Haut ist immer leicht gebräunt und narbenüberzogen. Kein Wunder bei den Arenen von Calimshan. Sonne und Blut.

Identifying Characteristics

Anhand seiner Aufmachung lässt sich Atreus meistens identifizieren. Als Gladiator braucht man einen gewissen Erkennungswert, weswegen er als meist die Rüstung mytrosischer Hopliten trägt, oder außerhalb der Arena eine passende Toga. Man erzählt sich aber dass auch gewöhnliche Kleidung ihm nichts ausmacht.

Mental characteristics

Personal history

Man könnte sagen Atreus sei bereits mit dem Speer in der Hand geboren worden. Von seinen Ursprüngen weiß er nur, dass er aus Mytros stammt, aufgewachsen ist er jedoch in einem calimshanischen Waisenhaus. Warum? Er weiß es nicht. Vermutlich weil es den Pascha, der ihn und seinen Arena-Partner, einen Tabaxi namens Raksha, aus jenem Waisenhaus gekauft hatte, schlicht nicht interessierte. Er ließ die Beiden als Gladiatoren für die Arena ausbilden... ein Ort der seither ihr ganzes Leben bestimmte.

Sexuality

Wenn auch gierig und manchmal blutrünstig, so war der Pascha nie geizig. Wenn seine Kämpfer sich wieder von ihrer besten Seite gezeigt haben, wurden sie stets belohnt, mit gutem Essen, so viel Wein wie sie trinken konnten.... und vor allem auch schönen Frauen. Eine Sache die Atreus zu schätzen wusste. In den Armen einer Tänzerin, mit Haut noch weicher als jedes Kissen das er je kannte, ließ sich das Blutvergießen noch am Besten verdrängen... oder vergessen.

Education

Atreus kann lesen und schreiben.... zwei Fähigkeiten die ihm mit "steigenden Privilegien" von den Dienern des Paschas beigebracht wurden. Das war es aber auch schon. Komplexe Mathematik oder hohe Literatur übersteigen völlig seinen Horizont. Seine Schule war die des Kampfes und der Kriegskunst, sein Theater die Arena. Dinge die zu meistern er gelernt hat, zum Leidwesen seiner restlichen Bildung.

Employment

Seinen "Lebensunterhalt" verdient der Gladiator seit jeher auf den blutgetränkten Sanden verschiedenster Arenen, im Kampf gegen all jene, gegen die sein Herr ihn schickt.

Accomplishments & Achievements

Wenn Raksha und er auch nicht alle ihre Kämpfe je gewonnen haben, so scheint es doch verwunderlich dass sie noch leben. Ob es an der Liebe des Publikums für dieses ungebrochene Duo, das sich auch nach jeder Niederlage wieder in den Kampf wagt, liegen mag?

Failures & Embarrassments

Die Niederlagen in den Kämpfen mögen seine größte Schande gewesen sein. Dennoch trägt er sie mit einer gewissen, kriegerischen Würde. Egal mit wievielen neuen Narben er die Schlachtbank erneut betrat, sein Kampfgeist wirkte stets unberührt, seine Klinge zögerte nie.

Morality & Philosophy

Wenn auch nicht unnötig grausam, so ist die Arena doch vor allem ein blutiges Theater. Man ist so gnädig, oder auch erbarmungslos wie das Publikum es gerne hätte. Meistens liegt das eigene Überleben ja doch in ihrer Hand. Pragmatisch ist das Wort, das seine Moral wohl am Besten beschreibt.

Taboos

Tabus kennt er wenige, auch wenn er zumindest einem gewissen Ehrenkodex folgt. So hat er zwar kein Problem damit, einem Feind den Kopf abzuschlagen, wenn die Menge nach Blut schreit, doch weigert er sich darüber hinaus die Leiche eines Gegners weiter zu schänden, zum Beispiel indem er darauf spuckt. Der Kämpfer dort auf dem Boden könnte schließlich einst er selbst sein....

Personality Characteristics

Motivation

Sofern man überhaupt von einer konkreten Motivation sprechen kann. Freiheit? Vielleicht. Doch was würde man in Freiheit tun, wenn man nur den Kampf kennt?

Savvies & Ineptitudes

Bisweilen mag er in "höflichen" und zivilisierten Umgebungen ein wenig ungeschickt wirken. Etwas das er sich vielleicht abgewöhnen kann... mit genügend Zeit außerhalb der Arena.

Likes & Dislikes

Atreus genießt die einfach Dinge des Lebens. Ein warmes, schmackhaftes Mahl, kühle Getränke an einem heißen Tag, neben einer schönen Frau einzuschlafen. Morgens aufzuwachen und zu bemerken dass man noch am Leben ist. Er kennt es nicht anders.
Er hasst allerdings Leute die die Dinge nicht gerade heraus sagen. Die versuchen mit Lügen und erfundenen Geschichten die Welt zu ihrem Vorteil zu verbiegen. Als ehrliche Haut für ihn eine direkte, offene Beleidigung. Gefährlich.

Social

Contacts & Relations

Der Pascha ist sein Herr und Meister. Darüber hinaus zählt er Raksha, der Tabaxi mit dem er zusammen in der Arena kämpft, als seinen engsten und einzigen Freund. Einen Bruder, mit dessen Blut sich sein eigenes in den Sanden der Arena bereits vor langer Zeit vermischt hat.

Family Ties

Wenn auch nicht wirklich verwandt, zählt er Raksha als seinen Bruder. Darüber hinaus weiß er nichts über seine eigentliche Familie. Wer sie waren, wo sie sind, oder ob sie eigentlich noch leben, sind für ihn Fragen ohne eine Antwort.

Religious Views

Als Krieger in der Arena verehrt er natürlich Tempus, den Gott des Kampfes und Krieges, dessen Namen er in der Extase des Kampfes hinaus brüllt. Doch auch anderen Göttern fühlt er sich verbunden, zum Beispiel Kelemvor, ist jeder Tag in der Arena doch ein Gratwandel zwischen Leben und Tod. Auch Tymora zählt er zu seinen Göttern, auf dass das Glück ihn nie verlassen möge...

Wealth & Financial state

Bis auf seine Rüstung und Waffen hat Atreus keinen eigenen Besitz, außer sein Leben.

Ein Kapitän mit Hang zur Klage

View Character Profile
Alignment
wahrhaft neutral
Honorary & Occupational Titles
Der Speer von Mytros
Age
um die 30
Date of Birth
????
Birthplace
Mytros
Children
Current Residence
Calimshan
Gender
Männlich
Eyes
grau/braun
Hair
braun mit silbernen Strähnen
Skin Tone/Pigmentation
Gebräunt
Height
1,95m
Weight
101kg
Known Languages
Atreus spricht die Gemeinsprache und Alzhedo fließend.

Moral des Krieges

Ich bin ein gläubiger Mann. Natürlich gab es Momente, in denen mein Glaube heller brannte als an anderen, aber ich bin und war schon immer ein gläubiger Mann. Ich folge der silbernen Lady, doch war dem nicht immer so. Es ist mehr als ein Leben her, da folgte ich der Schule des Krieges, erst dem puren Krieg von Tempus, dem direkten Kampf, dem brennenden Feuer, später dann der Strategie und dem Kalkül der roten Ritterin. Es war erst später in meinem Leben, da entschied ich mich aus Liebe für einen anderen Glauben. Für mich war dies immer Schicksal. Ich musste die Lehren des Krieges verinnerlichen, um gewappnet zu sein, für die vielen Jahre voll blutiger Kämpfe, die meine Crew und mich später erwarteten. Wahrscheinlich werde ich das auch nie ganz ablegen können. Kriegs- und Kampfkunst sind in meine Seele gebrannt, sind ein Grundpfeiler meines Wesens. Meine erste Wiedergeburt als Atreus ist mir dafür Beweis genug. Zwar hatte Arkannos meine Seele verdreht, aber doch nur eine Seite an mir hervor gebracht die immer da war. Eiskalt, gnadenlos und berechnend. Gerade deshalb war die Rettung der Welt für mich keine Frage der Philosophie oder Moral, sondern ein rein mathematisches Problem.   Welcher Wert war größer? Die Zahl der Leute, die wir auf unserem Weg würden töten müssen, oder die Zahl der Leute, die sterben würden, wenn Ukaizo in die falschen Hände fiel? Wenn ein gefolterter Mann litt, oder wenn alle litten, wenn es zu Ende ging? Wie würden mehr Leute leben? Wenn wir so viele Feinde wie möglich hinterrücks erledigten, Meuchelmord und Hinterhalt, oder wenn wir mit Mut voran stürmten, anstatt mit Heimtücke?   “Der Zweck heiligt die Mittel”, wie eine geschätzte Freundin sagte. Es schien mir keine verwerfliche Strategie. Welcher Zweck konnte die Mittel mehr heiligen, als die Erhaltung alles uns bekannte Lebens? Bis zu einem gewissen Punkt sah ich es gar als eine Art nobler Selbstaufopferung. Welchen Sinn hatten Identität und Integrität, wenn es am Ende nichts mehr gab? Es war aber auch dieser Gedanke, der meine Sicht änderte, als ich ihn, das Spiel auf lange Sicht planend, in die Zukunft lenkte. Die Tatsache, dass wir diesen Kampf überhaupt kämpfen konnten, verdankten wir unserer Vergangenheit, die freie Seefahrer inspirierte, im Untergrund für das Gute zu kämpfen. Orden von Paladinen, die in die Ferne gezogen waren, in ewiger Wacht. Welches Beispiel würden wir setzen, wenn wir diesen Krieg tatsächlich gewannen und die Welt davon erfuhr? Es wäre ein Beispiel absoluter Ruchlosigkeit. Sieg um jeden Preis. War eine Welt, die man nur retten konnte, indem man unmoralische, verabscheuungswürdige Dinge tat, überhaupt rettenswert?   Zorn und Hass waren immer meine stärksten Triebkräfte. Zwar keine reine Bosheit, aber es war auch nie die Liebe zum Leben, die mein Schwert stärkte, sondern mein Trotz denjenigen, die es zerstörten. Hass auf die Barbaren trieb mich dazu, meine Heimat im Eiswindtal zu verlassen, auf der Suche nach Macht, um sie zu vernichten. Hass auf Sklaventreiber trieb mich dazu, Seefahrer zu werden, um die Piraten zu jagen, die solches Leid brachten. Der Hass auf die gierigen, mächtigen Männer dieser Welt, die aus purer Gier diejenigen unterdrückten, die weniger Macht hatten und sie ihrer Freiheit beraubten. Hass auf diejenigen, die nach der Macht der Götter strebten, egal welchen Preis die Welt dafür würde zahlen müssen. Meine Klinge war Verachtung und sie schnitt tief, leistete mir gute Dienste und hielt blutige Ernte unter meinen Feinden. Noch als die Tinte auf der Klageschrift trocknete, dem Kodex nachdem wir fortan streiten wollten, fragte ich mich, ob es reichte, ein guter Mann zu sein, um das Böse in die Knie zu zwingen. Konnte Zorn auch wirklich gerecht sein, oder war das nur eine Floskel?   Ich sollte es schon bald herausfinden. Es lag eine unverkennbare Ironie des Schicksal darin, dass ich diese neue, niedergeschriebene Philosophie auf den heißen Sanden, auf denen das Leben des Atreus begann, auf eine harte Probe würde stellen müssen. Seine Philosphie gegen meine. Gegen unsere. Also versuchte ich den Mut zum Guten in meinem Herzen zu finden, betete zu meiner Göttin und setzte mein Vertrauen in sie und meine treue Crew, ehe ich den ersten Schritt tat…     - aus den Aufzeichnungen von Ivar “Klage”; Moral des Krieges

Versagen

Ivar stand in der Dunkelheit. Es wunderte ihn keineswegs, dass er sich hier befand. Als die kalte, aber allzu vertraute Hand des Todes sich nach Ivy ausgestreckt hatte, war der abgrundtiefe Hass verraucht. Der Kampf war vorbei und sie hatten versagt. Er hatte versagt… erneut. Langsam und ziellos schritt er voran in die Leere, bis Kelemvor sich für seine Seele Zeit nahm. Würden sie ihn in die Mauer der Ungläubigen verbannen? Oder würde Selune sich letzlich doch seiner Seele erbarmen und ihm gestatten, sich am silbernen See einzufinden? Der Nordmann bezweifelte es. Er hätte ihr Champion sein sollen, hatte aber nichts als Niederlagen vorzuweisen. Dass er Selune nicht wirklich hasste, war ihm schon seit einer Weile klar. Wieso auch? Sie war es nicht, die es nicht geschafft hatte, den Herold damals in Omru zu töten. Doch es war einfacher, den Göttern die Schuld zu geben, sie zu verleugnen und sich abzuwenden, als zuzugeben, dass man die Dinge ganz von selbst verbockt hatte. Nicht Selune hatte Sandara in Omru zurückgelassen, sondern er selbst. Trotz aller göttlichen Macht die ihm gegeben worden war, trotz dem Blut Adalons in seinen Adern, trotz aller Kampferfahrung gegen diabolische Mächte und mythische Bestien, war er an der Aufgabe gescheitert und dann in einer Höhle abgekratzt, von irgendwelchen Kreaturen der Tiefe niedergemetzelt. Wenigstens konnte er einige Jahrhunderte im friedlichen Schlaf des Todes verbringen. Nicht so wie Sandara, die dieselbe Zeit ausharren musste, im ständigen Kampf gegen die Mächte des Herolds gefesselt. Ein Schicksal, das er ihr aufgebürdet hatte. Eigentlich hätte Ivar sich freuen sollen, als er erfuhr, dass sie ein Planetar geworden war. Es gab kaum eine höhere Ehre für einen Gläubigen, als von seinem Gott in den höheren Dienst berufen zu werden. Nie wieder würden sie Krankheit oder andere Gebrechen der Sterblichen quälen. Ihr Platz am silbernen See war ihr gewiss, solange es Selune gab. Aber solche Macht und Ehre kam auch immer mit Pflichten und neuen Einschränkungen, wie er schnell verstanden hatte.   Wie sollte er es den Anderen je klar machen? Sandara war da und eben nicht. Er hatte keinen Grund, einen Verlust zu betrauern und doch hatte er etwas verloren. Freude über ihren Aufstieg konnte er nicht empfinden, nur Einsamkeit. Aber auch Hass auf sich selbst, eben weil er sich nicht für sie freuen konnte. Weil er sie zurückgelassen hatte. Weil sie Fiora, ihre gemeinsame Tochter, in Hraesvelgr zurückgelassen hatten. Weil Ivar jeden, der die letzten Jahrhunderte in stiller Wachsamkeit verbracht hatte, diesem Schicksal überlassen hatte, während er selbst in einer Höhle verrottet war. In seiner eigenen Zeit konnte er es sich leisten, nicht darüber nachzudenken, welche Konsequenzen sein Versagen mit sich gebracht hatte. Von Shar gestohlene Erinnerungen, ein Kampf hier, ein Bürgerkrieg dort, es gab reichlich Ablenkungen, die man als Vorwand benutzen konnte, um nicht in den Spiegel schauen zu müssen. Man kämpft. Und dann kämpft man einfach weiter. So lange, bis nichts mehr von Einem übrig ist. Doch nun, wo alles vorbei war, wollte Ivar zumindest so viel Würde aufbringen, sich diese Dinge einzugestehen. Ein gefallener, alter Held, den die Welt, bis auf ein paar Freunde, längst vergessen hat. Ein gescheiterter Paladin.   Trotzdem wollte der Tod ihn nicht. Ivar seufzte, als er spürte, wie die Wärme des Lebens von jenseits der Dunkelheit, wieder in seine Glieder kroch, von irgendeiner fremden Hand zurückgerufen. Das Spiel ging weiter. Vielleicht… nur vielleicht, gab es ja doch eine Chance, zumindest dieses eine Versagen wieder gut zu machen. Eine letzte Chance ein wenig Buße zu tun, und damit einen kleinen Teil seiner Selbst wiederzufinden.

Mondschatten

Der Geschmack des Triumphes verwandelte sich in Ivars Mund zu Asche. Eben noch spürte er das Frohlocken von Drest, das in seiner Hand vor Energie pulsierte, da wurde dieses Hochgefühl gedämpft und langsam immer dumpfer, bis es schließlich nur noch ein schwaches Echo in Ivars Hinterkopf war und schließlich ganz verstummte. „Lebt wohl.“ Jades letzte Worte hallten in seinem Kopf wieder. Er musste dabei zusehen, wie seine Geliebte sich langsam in silbriges Licht auflöste. Einen Moment lang schien es in der Luft zu schweben, bevor es sich mit den Flügeln der Deva vereinte und Ivar fiel auf seine Knie herab. Der Körper geschunden und überanstrengt, der Geist leer und sprachlos. Drest glitt ihm aus den kraftlosen Händen zu Boden und er starrte auf die Stelle, an der eben noch Jade gestanden hatte. Um ihn herum begannen die Leute zu sprechen, aber er hörte sie nur ganz leise, als wären sie endlos weit weg. Mae wollte der Deva nicht verzeihen. Die Deva wollte sich selbst nicht verzeihen. Ivar war es scheißegal, wer hier wem etwas nicht verzeihen wollte. Jade war fort. Vor seinen Augen verschwunden. „Lass Jade gehen. Ich habe getan, weswegen man mich zurückgeholt hat. Also lass sie gehen und nimm mich mit.“ Es war eine verzweifelte Bitte, doch für ihn nur logisch. Ivar Klagebart war vor knapp fünfhundert Jahren gestorben. Von Rechts wegen sollte er nun vergehen, nun wo der Mann tot war, gegen den sie damals gekämpft hatten. Und Jade sollte die Falken weiter in den Kampf führen, bis auch die Sache mit Iotama erledigt war. Ivar sollte tot sein, so wie seine Liebe es jetzt war. Doch die Deva lehnte ab. Es sei nicht möglich, sagte sie. Jade wäre schon immer nur ein Teil von ihr gewesen. Dass sie Leben vortäuschen musste, um die Falken hierher zu bringen. In den Ohren des Klagebarts klang das alles nur nach Bockmist und für einen kurzen Moment flackerte der alte, nordische Zorn wieder auf. Er wollte diese himmlische Dienerin anschreien. Die Sterne um sie herum verfluchen und sogar den Mond. Selune sollte alles hören. Sie sollte wissen, wie er litt. Dass sie ihn ins Leben zurückgerufen hatte, nur um ihn jetzt zu quälen. Aber seinen Stimmbändern entkam kaum mehr als ein schwaches Krächzen, als seine Augen sich langsam mit Tränen füllten. „Und wer bist du?“, fragte er sie, mit von traurigem Zorn erfüllter Stimme, und die Deva schlug ihre Kapuze zurück.   Eine Sturmflut brach über den Nordmann herein und für einen kurzen Moment fühlte sein Schädel sich an, als würde er unter diesem Ansturm zerbersten. Es pochte, es hämmerte, es dröhnte, als eine sorgfältig errichtete Barriere barst und ihre Scherben in sein Gehirn zu treiben schien. Dann, nach einem Wimpernschlag, schien alles plötzlich vorbei und Ivar trieb in einem Meer aus vergessenen Erinnerungen dahin. Er erinnerte sich an Kara, die Sylphe die ihren ganz persönlichen Wind im Haar trug. Er erinnerte sich an Grimbold, der mit seinem Hammer Grubenteufel zu Fall brachte. Meister Thorek, sein alter Mentor, der damals noch einen Körper besaß und der stolze, letzte Schildwächter von Karak Drak war. Darak, der schweigsame Githyanki aus einer anderen Welt, den er einst Bruder nannte, und da war auch Greebo. Der richtige und der falsche Greebo. Da waren Majestro und Alessia, Mister Smith und Bill. Er sah Schlachter vor sich, in der goldenen Stadt Mytros, als diese noch existierte. Käpt’n Francis Baker, der Orkankönig, ein enger Freund der Sturmfalken. Den blutigen Tibor, ebenfalls ein Waffenbruder, gefallen in der Schlacht des Drachensturms. Er sah die Insel, Hraesvelgr, aus längst vergangenen Zeiten und Immurks Festung.   Am deutlichsten erinnerte er sich aber an rotbraunes Haar im Wind. Den Geschmack von Pfeifentabak und Whisky auf weichen Lippen. An ein freches, aber liebevolles Lächeln, das ganz ihm gehörte. An neckende Sprüche und aufmunternde Worte. An Stunden, in denen man sich Freude und Bürde, Glück und Unglück, miteinander teilte. An eine Liebe, von der er einst geschworen hatte, dass sie ewig halten würde, und die seine Brust jetzt langsam wieder mit einem Feuer erfüllte. Vor ihm stand Sandara Quinn, einst Klerikerin der Selune, nun eine himmlische Dienerin. Seine Geliebte. Seine Frau. Die Mutter seiner Tochter. Sein Mondlicht.   Die ihm eine Sekunde später erklärte, dass sie bald würde gehen müssen. Zurück in den Schatten des Mondes.

Das letzte Gefecht

Das Meer rauschte. Die Wellen schlugen gegen die Flanken der Sturmfalke, während die Crew auf ihr über das Oberdeck und unter Deck in eiliger Betriebsamkeit umher wuselte, sich für die letzte Schlacht rüstete. Ivar stand vorne am Bug und nahm einen tiefen Zug von der Zigarre, die er wie so häufig im Mundwinkel stecken hatte. Sein Blick war gen Horizont gerichtet auf die Gewitterfront, zwischen deren dunklen, bedrohlichen Wolken man bei jedem Blitzschlag den Umriss einer großen, fliegenden Festung zu erkennen glaubte. Das war sein Ziel. Er wusste, wer ihn dort erwartete. Ein Verräter. Eine Geißel. Jemand, den er töten würde. Aber wer war das denn? Der Gedanke verging so schnell wieder, wie er gekommen war. Langsam fühlte er dem beruhigenden Gewicht seiner Waffen nach. Da war Dunkeltöter, sein mit Magie durchwirkter Säbel, eine elegante und geschwungene Klinge die er führte seit ... seit Tristan zerbrach, um das Dunkel zu versiegeln. Silfur, die von Selune gesegnete Pistole, die ihm ... wer hatte sie ihm nochmal geschenkt? Jemand, der ihm wichtig war. Wer war es? Und Tsukuyomi, das Katana, benannt nach dem kara-turischen Mondgeist, oder war es ein Drache? Auch diese Waffe war ein Geschenk. Aber von wem? Die Namen lagen ihm auf der Zunge, doch so sehr er sich bemühte, sein Gedächtnis fand sie nicht. Ja, er war reichlich beschenkt worden. Mit seinem Namen, Klagebart, seinen Waffen, seinem Schiff und vor allem, seiner Crew. Er wollte ihnen alle Ehre machen, in den kommenden Stunden. Eine Welle brandete gegen das Schiff, doch Ivar wankte keinen Millimeter, den Blick weiterhin starr auf das drohende Unwetter gerichtet. Plötzlich legte sich eine Hand sanft auf seine Schulter und der Käpt’n der Sturmfalke entspannte sich augenblicklich. Er musste den Kopf nicht drehen, um zu wissen, wer es war. Diese Berührung hatte er schon viele Male auf sich gespürt. Der Duft ihres Parfüms wehte ihm in die Nase, eine dezenter Note, nicht aufdringlich und trotzdem wahrnehmbar und betörend. Ivar musste den Kopf nicht drehen, tat es aber trotz allem. Ihr Anblick war ihm lieber als der drohende Sturm. War ihm lieber als jeder Sonnenauf- oder Untergang. Jedoch war das Einzige, das er wahrnehmen konnte, ihr braunrotes, sich im Wind wallendes Haar. Das Gesicht blieb ihm verborgen, als hätte sich ein Schatten darüber gelegt. Als fehlte es. „Mach dir keine Sorgen, mein Herz“, sagte sie zu ihm, doch ihre Stimme klang verzerrt. Trotzdem klang sie in seinen Ohren wie Musik und sein Herz machte einen kleinen Sprung, wann immer er sie hörte. „Wir stehen das durch, wie immer.“ Ivar nickte langsam, ehe er den letzten Zug seiner Zigarre nahm und sie dann abdämpfte. „In einer Schlacht wie dieser haben wir trotzdem noch nie gekämpft. Wie es Baker und Tibor wohl geht?“ Das Rothaar lachte fröhlich. „Du kennst die beiden ja. Baker wird eine stoische Mine ziehen während er die Verräter zum Duell fordert und Tibor wird sie mit Gebrüll, wahnsinnigem Gelächter und seinem theskschen Schimpfwort-Arsenal das Fürchten lehren. Und wenn alles durchgestanden ist, feiern wir alle gemeinsam drei Tage durch.“ Dieser Gedanke verscheuchte die Gewitterwolken in Ivars Vorstellung und zauberte dem Klagebart ein Lächeln ins Gesicht. Gerade wollte er sich herüberbeugen um ... wen zu küssen? , da ertönte eine rumpelnde, fast grölende Stimme hinter Ihnen, „Bei drei Tagen Dauerfeier bin ich bei.“ Grimbold trat an ihre Seite, in voller Rüstung, ein Mix aus zwergischer Handwerkskunst und piratischem Stil, den mächtigen Höllenhammer lässig auf der Schulter liegend. Er schmatzte gelassen und kratzte sich am voluminösen, roten Bart, als er den Blick auf das Unwetter am Horizont richtete. „Schlagen wir ein paar Teufeln den Schädel ein. Danach schütten wir uns richtig zu. So mag ich das.“ „Vielleicht kriegen wir zur Siegesfeier sogar zwei Kekse von James. Wenn Mercutio und ich ein gutes Wort einlegen und lieb bitte, bitte sagen.“ Es war die Stimme von ... die Stimme von ... Kara. Zumindest wusste er, dass sie Kara gehörte, denn auch ihr Klang war verzerrt und nicht richtig, so wie ihre Gestalt verschwommen und schattenhaft aussah, als er ihr den Blick zuwandte. Nur das Haar, dass sich mal mit, mal gegen, mal irgendwie wild im Wind bewegte, wie es das immer tat, sogar wenn eigentlich kein Wind ging. „Auch wenn das wohl eine ebenso harte Schlacht wird, wie das, was vor uns liegt“, fügte sie noch hinzu. Auch in ihrer Stimme war die Anspannung zu hören, aber sie tat wie immer ihr Bestes, um die Moral oben zu halten. „Die Mannschaft ist bereit, Käpt’n“. Der rollende Akzent war unverkennbar und Ivar sah über die Schulter. Dort sah er den Dimensionsreisenden mit seiner Klinge, zu dessen Füßen die pure Bosheit saß. Er sah den impilturischen Bootsmann mit den Manieren eines Gentleman. Den reißerischen Steuermann mit seinem ungeschlagenen Charme. Die Faustkämpferin, die ihre Kunst ebenso in Kara-Tur erlernt hatte. Der selbsternannte Universalkünstler und Modefachmann aus Sembia und noch viele mehr. Die Sturmfalken. Ivar wandte sich ihnen zu und erhob die Stimme, während er Dunkeltöter zog. „Wir kämpfen hier nicht nur für unsere Freunde zuhause. Wir kämpfen für die Freiheit der gesamten, inneren See und alle die die Freiheit lieben und leben. Unterstützt die Festungsschiffe und tötet alle, die diese Freiheit bedrohen, egal was der Feind euch entgegen wirft.“ Er richtete die Säbelspitze auf das nahende Gewitter. „Wir gehen dort hin und stellen unseren alten Feind. Heute wird die Geschichte entschieden.“ „Los gehts, Sturmfalken“, rief Kara der versammelten Crew zu und Grimbold riss johlend und grölend den Kriegshammer in die Luft während ... Sie, gefasst wie immer, wissend lächelte. Sie war niemand, der wild herum brüllte, aber dieses Lächeln sprach mehr als tausend Reden, voller Liebe zu dieser chaotischen, aber heldenhaften Crew. Die Mannschaft stimmte in den Jubel ein, brüllte sich Mut und Hoffnung für die kommende Schlacht an und Ivar grinste ihnen grimmig zu, bevor er den Blick gen Horizont wandte. Bald war es so weit. Das letzte Gefecht.

Melancholie

Ein fernes, fast fremdes Gefühl der Nostalgie überkam Ivar, als er mit den Händen über die Reling der Sturmfalke strich. Erinnerungen, die da waren und dann wieder nicht. Manches glasklar, anderes hinter einer Wand aus Nebel verborgen. Am Abend nach dem Begräbnis hatte es ihn aufs Schiff gezogen, wie ein stiller Ruf. Also spazierte er gemächlich über das Deck, genoss die kühle Luft der Nacht und hing seinen zersplitterten Gedanken nach. Doch am meisten zog es ihn nach oben auf das Kommandodeck. Dort wo Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sich auf seltsame Weise überschnitten. Sein Blick fiel auf den Thron des Kapitäns in der Ecke und das Tischchen daneben. Der Ort, an dem er angeblich seine letzten Worte verfasst hatte, als er von Harpunen durchbohrt ausblutete. Doch schon bald würde wieder ein Käptn auf diesem Stuhl sitzen. Schon bald würde dieses Schiff erneut Kurs setzen, dem Horizont entgegen, nach Castello Grigio und Omru und wer wusste wo sonst noch hin.   Langsam ließ Ivar sich auf den Thron sinken und atmete einmal tief durch, beinahe als erwartete er, den Schmerz der Waffen, die ihn gespickt hatten, erneut zu fühlen. Dass eine Harpune sich in seinen Verstand bohren würde und offenbarte, dass er in Wahrheit immer noch dort saß und auf den Tod wartete. Ein letzter Traum vor dem langen Schlaf. Doch es geschah nichts dergleichen. Kein schmerzhaftes Erwachen. Keine klaren Erinnerungen. Am Ende war ein Stuhl eben doch nur ein Stuhl, egal welche Geschichten er zu erzählen vermochte. Er zupfte das silberne Etui mit den Zigarillos aus seinem Mantel und steckte sich einen an. Entspannt sog er den Rauch in die Lungen, bevor er ihn wieder ausblies und dabei zusah wie die Schwaden im sanften Abendwind vergingen. Dann fasste er erneut in den Mantel, holte das kleine Büchlein heraus und einen Kohlestift und legte beides neben sich auf das Tischchen. Nach einem weiteren Zug begann er zu schreiben. Wie damals.   Wir haben den Blutfels in die Knie gezwungen, doch der Preis war hoch. Neun Sturmfalken haben bei dem Angriff ihr Leben gelassen, darunter Mograine und Gwinsora. Man sollte meinen, nach über fünfhundert Jahren und vielen weiteren, gefallenen Freunden hätte ich mich irgendwann daran gewöhnt, doch das habe ich nicht. Der Tod mag auf einer Reise, wie wir sie unternehmen, ein ständiger Begleiter sein, doch er ist kein Geduldeter. Es hilft, die Toten zu feiern, darauf zu trinken und zu singen, wie sie gelebt haben, aber es füllt die Lücke nicht aus. Mograine war ein treuer Bruder, speziell für Atreus, und auch nach meiner Wiedergeburt war er ein enger Freund. Einer der ersten Falken, als sie hier in der neuen Welt ihren Neuanfang fanden. Gwinsora, eine tapfere Zwergin, die eben erst zu sich selbst gefunden hatte, und die nun ihr neues Leben ließ, um andere Falken zu retten. Es ist bitter, jemanden zu sehen, der die Lüge hinter sich gelassen hat, nur um kurz darauf zu sterben. Der einzige Trost der mir bleibt, ist dass Mograine jetzt bei seinem Gott ist, so wie er es sich gewünscht hatte, nach einem langen Leben als Untoter, gezwungen, sich vom Blut anderer zu ernähren. Am Ende hat er seine Rache bekommen und das ist schließlich das, was er sich von Anfang an gewünscht hatte. Die Möglichkeit, dass Gwinsora vielleicht eines Tages vom Grund des Meeres geborgen werden könnte, so wie Thorek. Dass Liz und Valas sich nicht länger vor den Klauen Amns fürchten müssen und nun gemeinsam an einem besseren Ort sind. Dass Nuva, Iorwen, Rasha, Livia und Akros wie echte Falken gekämpft haben, bis zum Ende. Diese Dinge und die Genugtuung, dass wir den Blutfels in die Luft gesprengt haben. Ich wage zu behaupten dass es nie ein größeres Gedenkfeuer gab, als für unsere Gefallenen. Mögen sie sich daran erfreuen.   Ich habe entschieden, diesen Thron, auf dem ich gerade sitze, freizugeben, ohne eine Diskussion darüber zu starten. Es fällt mir nicht leicht, den Titel des Kapitäns, den ich einst mit großem Stolz trug, abzugeben, aber die Falken haben Jade als ihre Anführerin gewählt und die Falken wählten ihre Anführer seit jeher selbst, so wie meine alten Kameraden mich einst gewählt haben. Es ist in Ordnung, sage ich mir selbst. Ich bin ein Relikt alter Tage, zu einem bestimmten Zweck ins Leben zurückgeholt. Die neuen Falken gehören den neuen Generationen. Es wird mir gut tun, eine Weile lang einfach nur Ivar zu sein. Wie in den alten Tagen. Mein Schwert zu ziehen und meinen Unmut in die Welt hinaus zu brüllen, guten Tabak zu rauchen und irgendwelchen Bastarden den Schädel zu spalten. Es gelüstet mich nach Rache. Nicht nach der sadistischen, bösartigen Rache, die Calistria so genießt, sondern die gute, alte Eiswindtal-Rache. Blut für Blut. Das Böse zu bestrafen, für den Schaden, den es anrichtet. Ich spüre die Anwesenheit von Drest und ich weiß er stimmt mir dabei zu.   Doch nun wird es Zeit, den Blick nach vorne zu richten. All unsere Toten und die Opfer, die wir sonst noch erbracht haben, waren umsonst, wenn wir bei unserer eigentlichen Aufgabe scheitern. Unser Weg führt uns nach Omru, den mysteriösen Ort, über den wir so viel erfahren haben, über den wir aber trotzdem nichts wissen. Ich hoffe, dass mein zerstörtes Gedächtnis sich dort wieder zusammenfügt. Jemand wartet dort auf mich, das kann ich fühlen. Möge Selune über uns alle wachen. Der wahre Kampf wartet erst noch auf uns.   Er setzte den Stift ab und zündete sich einen weiteren Zigarillo an. Einige Minuten saß er noch dort, auf dem alten Thron mit den vielen Geschichten und rauchte einfach nur, während er den Blick gen Horizont richtete. So wie er es vor langer Zeit getan hatte, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Dann strich er mit den Fingern ein letztes Mal das Holz entlang, steckte sein Büchlein wieder ein und ging.

Gefährten

Eine Rauchwolke erfüllt den Raum. Das Aroma von Cognac liegt in der Luft. Eine Feder kratzt über Papier.   Das vorletzte Teilchen ist an seinen Platz gefallen. Nun, irgendwie hat es sich ja immer angekündigt, nicht wahr? Vor vielen Seiten habe ich festgestellt, dass ich unbewusst Klagebarts Weg zu folgen schien. Meine Gefährten hießen mich manchmal Klagebart, im Spaß, um mich zu ärgern. Scheisse, ich hieß sogar Ivara, bevor es passierte. Die Mondmaid hätte nicht noch mehr mit dem Zaunpfahl winken können. Für mich ist es, als wäre es immer so gewesen. Jetzt bin ich hier, in Fleisch und Blut, und sie starren mich an wie einen Fremden. Ich schätze, ich kann es ihnen nicht verdenken. Ivara ist gestorben. Aber eine wahre Wiedergeburt kann nicht stattfinden, ohne den Tod. Atreus war immer Ivar. Ivara war immer Ivar. Mytros, Hraesvelgr, Kämpfe in Arenen, mein Herz, das einst für die Lehren von Tempus und die Feuer des Krieges schlug und sich dann immer mehr meiner silbernen Lady zuwandte. Sogar die Lüge der Seelenverdrehung, die ich durch Atreus erlitten habe, konnte meine Verbindung zu dieser Geschichte nie trennen. Ich bin meinen Lebensweg ein zweites Mal gegangen, um wieder ich selbst sein zu können. Es kann auch ihre Verbindung nie trennen. Waren es nicht die heutigen Sturmfalken, die in der Arena von Padova für die Freiheit von Cassandra kämpften, so wie meine Gefährten und ich damals in Mytros für Cassus? Das Bildnis des Cerberus auf meinem Arm legt noch heute Zeugnis darüber ab. Die Geschichte hat sich an vielen Stellen wiederholt. Auch fühle ich die Anwesenheit meiner alten Kameraden. Maera, mit dem Wind im Haar, erinnert mich so sehr an Kara. Sogar ihre Entscheidung, nicht nach dem Licht zu greifen, passt zu ihr. Kara wäre immer lieber sie Selbst geblieben. Wer weiß was in Anyu schlummert? Oder in Gwinsora? Auch die Rachsucht in Morgraine kommt mir bekannt vor. Majestro, Mr.Smith… diese Namen lauern in meinem Gedächtnis, ohne Gesichter. Sogar Greebo löst nun ein seltsames Gefühl der Vertrautheit in mir aus, das nichts mit Atreus zu tun hat, ich aber nicht zuordnen kann.   Doch ich werde ihnen nichts davon erzählen. Ihre Identitäten sind ihnen wichtig, kostbar und gerade erst wiedergefunden. Ich will diese neue Kraft, die sie aus sich schöpfen, nicht ins Wanken bringen. Vielleicht bedeutet das alles auch gar nichts. Vielleicht bemitleidet sich ein Teil von mir nur, weil ich der einzige meiner alten Freunde bin, der es zurück geschafft hat.   Sie schaffen es tatsächlich, dass ich sogar in meinen Gedanken klinge wie ein alter Mann. Verfickte Scheisse, ich bin erst dreißig! Das Silber in meinem Haar ist ein Zeichen der Gunst meiner Göttin! Das habe ich nun davon! Erst nennen sie mich einen Helden, dann einen alten Opa! Ich werde ihnen zeigen, wer hier alt aussieht!   Diverse, kurze Passagen wurden unleserlich zerkritzelt. Die wenigen, unter der Tinte erkennbaren Lettern lassen auf eine Tirade schließen.   Es spielt auch keine Rolle. Egal wer sie vielleicht einmal waren, sie sind jetzt meine Gefährten. Echte Falken. Es mag vielleicht ein wenig dauern, bis sie sich an den Gedanken gewöhnt haben, aber bis dahin kämpfen wir Seite an Seite, nicht um alte Geschichten wiederzubeleben wie bisher, sondern um sie sogar zu übertreffen. Die Vergangenheit wird nie tot und begraben sein. Dass ich wieder auf dieser Welt wandle, ist ein Beweis dafür. Oder Thorek und Baker. Doch es ist die Zukunft, die wir mit unserer Feder schreiben werden. Und egal wie sehr sie mich anstarren, ich freue mich darauf, die Anderen in Samargol wiederzusehen. Vor allem Jade.

Moral

Im Nebel der Vergangenheit, suchend nach einem Ziel. Verschwunden die Wahrheit, das Schicksal zerfiel.   Jene große Bestimmung, als erstrebenswert galt. Nun ein Buch ohne Widmung, ist die Seele ohne Halt.   Das Messer in den Schatten, es schneidet am tiefsten. Brauchst den Feind nicht bestatten, fehlt es dir an Gewissen.   Kompromisse zu machen, ist des Aufrechten Tod. Die dunklen Götter lachen, sind die Prinzipien tot.   Auf eine Ausnahme, kommt die Nächste gelegen, dich selbst ermahnen, dem niemals nachzugeben.   Denn ein gutes Schwert, muss man stets schärfen. Es hat keinen Wert, trägt man Scharten im Herzen.   Eine Rüstung aus Stolz, soll meine Seele schützen. Da das Eis in mir schmolz, wird das Feuer mich stützen.   Der Weg des Kriegers, führt nicht in die Finsternis, sondern zum Siege, wenn das Herz rein ist.     Sie legte die Feder beiseite und pustete sanft über die Tinte auf dem Papier, damit sie trocknete. Atreus warf einen Blick auf Zeilen. “Ein guter Text. Ein wenig unrhythmisch vielleicht, aber für ein Erstlingswerk nicht schlecht. Aber die Sache mit den Silben kriegst du schon hin. Hat bei mir auch eine Weile gedauert.” Er ging einen Schritt um sie herum. “Aber glaubst du auch, was du da schreibst?” Ivara ließ die Tinte weiter trocknen, sah ihn aber nicht an. Sie wusste, dass er nicht wirklich da war, nicht so wie Kror. Sie führte diese Selbstgespräche oft. Vielleicht war es eine Art der Verarbeitung. Vielleicht wurde sie aber auch wahnsinnig. “Ich denke schon”, sagte sie dann. “Es ist alles eine Sache der Perspektive. Du hast gekämpft, um des Kämpfens willen. Du hast deine Feinde gehasst. Du hast sie nicht bekämpft, um Anderen dein Schicksal zu ersparen, sondern nur, um deinen Hass für einen kurzen Moment zu dämpfen.” Atreus schnaubte aus. “Oh, jetzt bin ich also der Böse? Und du eine Heilige, die keinen Hass kennt, sondern nur reine, unverfälschte Pflichterfüllung? Ich weiß dass du sie auch hasst, für das, was sie tun, getan haben und noch tun werden.” Ivara nickte langsam. “Das stimmt. Ich verachte sie und leugne es nicht. Ich werde meine Klinge auch nicht niederlegen und jetzt den Frieden predigen. Aber der Zweck des Kampfes ist es auch nicht, den Feind zu töten.” Atreus schwieg und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust. “Der Tod ist nur eine unausweichliche Konsequenz”, fuhr Ivara dann gelassen fort. “Der eigentliche Sinn des Kampfes ist der Sieg und das, was man damit am Ende erreicht. Was er bedeutet. Das Motiv.” Der einstige Gladiator nickte langsam. “Nenn es von mir aus so. Ich habe mit meinen Methoden das Gleiche erreicht. Wir haben bis hierher überlebt und können den Kampf fortführen, bis zu seinem bitteren Ende.” Die Kapitänin seufzte leise. “Welches Beispiel setzt es, wenn man die Welt rettet indem man sich verhält wie ein Drecksack? Das Böse triumphiert, ob die Welt danach noch steht oder nicht. Ich denke, das ist auch der Grund, warum Paladine einen Eid schwören, oder warum Samurai so sehr versuchen, diesem Bushido-Kodex nachzueifern.” Sie rollte das Papier zusammen und band es mit einer Schnur zu einer Schriftrolle. Atreus beobachtete sie. "Erkläre, was du meinst.” Ivara erhob sich. “Wir sind Kämpfer. Unser Handwerk ist immer blutig. Und wir sind so gut darin, dass wir uns Drachen und Göttern der Tiefe stellten und triumphierten. Wer hindert uns daran, einfach jeden zu töten, der nicht unserer Meinung ist? Wo setzen wir die Grenze? Jeder, egal wie aufrecht, kann verdorben werden, wenn er anfängt Ausnahmen zu machen. Meucheln wir Einen, wir retten damit ja Leben. Das nächste Mal, wenn die Situation brenzlig wird, tun wir es wieder. Vielleicht auch irgendwann nur noch, weil es ungefährlicher ist. Einen Brunnen vergiften. Löschen wir hundert Leben mit einem Schlag aus, um unser Ziel zu erreichen. Dabei sterben zwanzig Unschuldige? Ein notwendiges Opfer. Kollateralschaden.” Atreus schüttelte langsam den Kopf. “Also was? Du suchst dir nun einen Kodex und zwängst dich in einen selbst auferlegten Käfig? Und wenn die Situation ein Opfer oder einen Kompromiss erfordert, wirst du einfach nichts tun? Untätig herumsitzen und zusehen, wie alles brennt?” “Ein Kodex ist kein Käfig, sondern ein Leitfaden. Ehrlichkeit bedeutet, nicht zu lügen, aber es bedeutet nicht, dass man jedem die volle Wahrheit erzählen muss. Respekt bedeutet, einem geschlagenen Feind nicht ins Gesicht zu spucken, aber nicht, dass man ihn nicht verachten darf, oder gar mögen muss. Man kann mit Mut für eine Überzeugung stehen, ohne ein naiver Idiot zu sein. Das glaube ich. Ich glaube, ich kann eine Heldin sein, ohne ein Monster zu werden. Das nehmen, was wir zusammen erlebt haben und es zu etwas Besserem machen.” Dann wandte sie sich um. Atreus war nicht da, wie sie erwartet hatte. Mit ihrer Schriftrolle verließ sie das Schreibpult in der Pagode und machte sich auf den Weg zum Ahnenschrein, um ein Geschenk darzubringen.

Wege

Mit einem grauenhaften Knacken brach das Genick des Mannes. Sein Blick wirkte noch einen Moment überrascht, bevor das Leben aus ihm wich. Auch sein Begleiter wirkte überrumpelt und er stolperte erschrocken rückwärts. Sein Mund öffnete sich und er stieß einen Warnruf aus. Doch seinen Lippen entkam nur ein schwaches Gurgeln und ein Schwall Blut, der aus seinem Mund das Kinn hinablief. Dann sackte er zusammen. Der Schatten, der die Beiden getötet hatte, verschwand so schnell wie er erschienen war.   Atreus schlich sich langsam weiter durch die Dunkelheit. Seine Schritte verursachten kaum ein Geräusch. In der Rechten hielt er den Dolch stoßbereit, mit der Klinge nach vorne, die Linke war zu einer flachen Hand ausgestreckt, bereit einen herannahenden Waffenarm am Handgelenk zu parieren. Zwei weniger. Doch wer konnte sagen, wie viele von diesen Bastarden hier noch nach ihm suchten? Der bleierne Schlüssel hatte mehr seiner Agenten geschickt, um sein Werk zu vollenden. Sie hatten die Priester in dem Tempel getötet, auf der Suche nach dem Pfeiler des Himmels. Vielleicht waren die Falken auf dem Gelände auch alle tot, er hatte jedenfalls noch keinen von ihnen gesehen. Doch damit konnte Atreus sich jetzt nicht befassen. Er war alleine. Kein Mond schien am Himmel, kein Stern funkelte in der Dunkelheit. Die Finsternis auf dem Berg war so durchdringend, dass man sie beinahe greifen konnte. Und sie war sein einziger und bester Freund.   Der Mann ging weiter mit erhobenem Speer, die wachsamen Augen auf den Pfad vor sich gerichtet. Er tat einen Schritt auf die Brücke, die zum Tempel der weiten Himmel führte. Das Holz knarzte leise unter seinem Stiefel, der Wind säuselte in sein Ohr. Er sah keinen Feind vor sich und er bemerkte auch nicht den Schatten, der sich von einem Felsen hinter ihm schälte. Als er den halben Weg über die Brücke geschafft hatte, spürte er einen stechenden Schmerz in seinem Rücken und er wollte aufschreien, doch seiner Kehle entkam nur ein schwaches Aufseufzen, als die Luft aus seinen Lungen gepresst wurde. Dann fiel er. Er wusste nicht wie lange er fiel. Er fühlte den Aufprall nicht.   Der Krieger war tot, bevor er auf dem Boden aufschlug. Atreus starrte dem Mann, den er von der Brücke geworfen hatte, noch einen Moment hinterher, ehe sein fallender Leib in der Dunkelheit nicht mehr auszumachen war. Dann setzte er den Weg über die Brücke fort. Er wusste, dass der Pfeiler bei dem Tempel sein musste. Er war letztes Mal auch dort erschienen. Der, der ihm das alles angetan hatte. Natürlich war er dort. Um den Pfeiler an sich zu nehmen. Atreus würde ihm zeigen, wie unwürdig er war. Auf seinem Weg tötete er noch drei weitere Männer. Leise. Methodisch. Ihr Tod bestenfalls ein Flüstern im Wind. Er verschwendete keine Gedanken an sie. Sein Herz war zu Stein erstarrt. Jetzt war keine Zeit, etwas zu fühlen. Nur der Tod beherrschte deine Gedanken.   Als er das Plateau erreichte, erblickte er ihn sofort. Den Mann mit der Maske aus Meteorit. Obwohl Atreus sich sicher war, das er sich so gut verborgen hatte wie immer, konnte er den Blick des Scheusals auf sich spüren. “Was willst du in Kangati?”, fragte er Atreus in seiner fremden Sprache. Der Schatten verstand ihn sofort, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, warum. “Dich töten.”   Der Mond brach aus der Dunkelheit des Himmels hervor und tauchte das Plateau in weißes Licht. Zehn Kämpfer des bleiernen Schlüssels standen um ihren Anführer herum und bewegten sich mit erhobenen Waffen auf sie zu. Ivara zog Drest und ihre Knarre und stieß einen Kriegsschrei aus. Ein Kampf! Endlich ein Kampf! Den Ersten erschoss sie, noch während sie auf die Männer zulief. Dann ließ sie die Pistole fallen und stürzte sich ins Handgemenge. Ihr Körper bewegte sich wie Nebel zwischen den Feinden. Drests leuchtende Klinge zuckte zwischen den Feinden herum und hielt blutige Ernte. Eine klaffende Wunde in der Brust eines Feindes ließ ihn zu Boden gehen. Ein Weiterer hielt sich den aufgeschlitzten Bauch. Ivara spürte, wie ein Speer ihre Flanke aufriss und sie knurrte zornig, ehe sie hochsprang und dem Feind ihren Stiefel ins Gesicht trat. Seine Nase verteilte sich über sein Gesicht, als er unter Schock stehend zurück ins Gras fiel. Niemand konnte sie aufhalten. Maffeos exotische Kampfkunst und jahrelange Schwertmeisterschaft hatten sie zu einem tödlichen Instrument des Kampfes geformt. Sie parierte einen Speerstoß, wich einem Schwerthieb aus und schlug dann selbst zu. Weitere Feinde fielen ihr zum Opfer. Und als auch der Letzte fiel, ging Ivara um ihre Pistole zu holen. Sie lud die Waffe nach und ignorierte dabei die Schmerzen der Wunden, die sie erlitten hatte. Es war egal. Der Sieg war errungen. Die ganze Zeit über hatte der Mann mit der Maske sich weder geregt, noch irgendetwas gesagt.   Ivara sah ihm direkt in die Augen. Endlich konnte sie ihm alles ins Gesicht sagen, was sie beim ersten Mal schon hätte sagen sollen, was sie jedoch aus Schock und Verwunderung heraus nicht getan hatte. “Ist dir eigentlich klar, dass du rein gar nichts bewirkt hast, du Narr?”, fauchte sie ihn zornig an. Der Mann schwieg und starrte sie weiter an. “Du hast zu jeder dir erdenklichen Methode gegriffen. Du hast sogar mein Schicksal verändert, hast mich fast mein ganzes Leben in eine Arena gesteckt, damit mein wahres Ich Ukaizo nicht suchen kann. Und du hast es trotzdem nicht verhindert. Du hast Dutzende deiner Männer geschickt, um friedliche Mönche in einem Bergkloster umzubringen, damit du den Pfeiler an dich nehmen und woanders verstecken kannst. Jetzt sind sie alle tot.”   Der Mann schwieg. Ein verletzter Paladin stöhnte im Gras auf. Das Gesicht vor Schmerzen verzerrt, hielt er sich eine grässliche, blutende Wunde auf der Brust. “Mein Fehler”, sagte Atreus. “Es sind noch nicht alle tot.” Langsam ging er zu dem Mann hinüber und richtete die Pistole auf ihn. Dann sah er wieder zu dem Maskierten. “Sieh gefälligst hin, wenn deine Leute für dich sterben.” Doch der Mann starrte weiter stur nach vorne. Atreus schnaubte verächtlich aus, dann schoss er dem Verletzten mitten ins Gesicht. Der Krieger fiel tot nach hinten. Atreus lud die Waffe nach. “Es bedeutet dir einen Scheiss, nicht wahr? Sie sind für dich nur Werkzeuge. Dann schickst du eben mehr los. Oder verdrehst noch mehr Seelen. Das Schicksal des Einzelnen ist ja egal.” Dann richtete er die Pistole auf den Maskierten. “Du bist übrigens auch ein Einzelner.”   Nun sah der Maskierte ihn wieder an. “Bedeutet es dir denn etwas?”, fragte er Ivara. “Was?”, knurrte sie zwischen vor Wut zusammengepressten Zähnen hervor. “Du hast viele meiner Männer getötet. Du weißt nicht, wo deine Freunde sind, oder ob sie überhaupt noch leben. Oder ob der Pfeiler überhaupt noch hier ist. Oder ob irgendwelche Mönche überlebt haben.” Der Maskierte deutet auf die Leichen seiner Krieger, die in einem Morast aus Blut um ihn herum lagen. “Lieber bist du hier, um mich zu quälen, indem du meine Männer vor meinen Augen hinrichtest. Um mich zu töten.” Atreus schoss ihm kaltblütig in den Bauch. Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen hielt Achile Orsini sich die blutende Wunde und fiel rückwärts zu Boden. Atreus lud nach. “Du hast die Gelegenheit gesehen und sie genutzt. Hast die Nacht für dich genutzt und meine Leute Einen nach dem Anderen erledigt. Maximaler Schaden. Das konntest du schon immer gut. Alles Andere ist dir scheissegal.” “Du arrogantes Arschloch”, knurrte Ivara. “Ich habe vor deinen Augen im direkten Kampf jeden besiegt, den du mir entgegen geschleudert hast.” Jarbeth Kehlenschnitt lächelte sie an. “Du hast dich für den Entscheidungskampf aufgespart. Klug. Hätte ich auch so gemacht.” Atreus richtete die Pistole auf ihren Kopf. “Ich bin es leid, mit dir zu diskutieren. Du stirbst und dann gibt es einen Drecksack weniger. Fahr zur Hölle.” Er drückte ab. Die Kugel traf den Pascha genau zwischen die Augen. Blut lief aus dem rauchenden Loch auf seiner Stirn. Doch er starb nicht. “Ist dir eigentlich klar, dass du rein gar nichts bewirkt hast?”, fragte er Ivara, die den Toten anstarrte, der weiter mit ihr sprach. “Töte noch zehn. Noch hundert. Noch tausend. Wir schicken dir noch mehr. Schare mehr Leute um dich. Wir töten sie. Töten wir uns alle gegenseitig, bis niemand mehr übrig ist. Dann spielt auch Ukaizo keine Rolle mehr…..”   Ivara saß auf dem Strand ihrer Insel, nahe Castello Grigio und sah hinaus auf das Meer. Die roten Wellen aus Blut glitzerten im Sonnenlicht wie Rubine. “Er hat nicht Unrecht”, sagte Atreus, der neben ihr saß und ebenfalls aufs Meer hinaus sah. “Thorek hat es gesagt. Man kann die Pfeiler nicht zerstören. Dann wohl auch Ukaizo nicht. Uns bleibt nur zu kämpfen. Jeden Bastard, der nach den Pfeilern sucht, umzubringen. So lange, bis wir tot sind. Dann muss jemand anders den Kampf aufnehmen.” Ivara seufzte leise aus. “Und das wars dann? Wir kämpfen bis in alle Ewigkeit? Verstecken zwischendurch die Pfeiler mal neu, für eine kleine Atempause und wenn der nächste Bastard daherkommt, dann töten wir weiter?”. Atreus nickte langsam. “Genau. Mit allen Mitteln. Wir mögen viele Feinde haben, aber wir verkaufen unsere Haut so teuer wie möglich.” Ivara zog die Knie an ihre Brust. “Schön. Ich entkomme den Jahren der Kämpfe, nur um zu erfahren, dass es für immer so weiter geht. Dass wir und alle unsere Freunde den gewaltsamen Tod finden werden, nur weil irgendwelche Schweine nach Macht gieren.” Der Gladiator neben ihr zuckte nur mit den Schultern. “Das ist das Los, das wir gezogen haben. Finde dich damit ab.” Sie schüttelte den Kopf. “Das Schicksal kann mich mal. Was bringt es Iotama und all die anderen Wichser zu töten, wenn der Kreislauf nie endet? Irgendwann kommt ein König dahinter, dass er gerne ein Gott wäre und was dann? Verüben wir einen Völkermord? Rotten wir sein verdammtes Königreich aus, weil seine Untertanen ihm folgen?” Atreus sah sie verständnislos an. “Wenn es sein muss? Wir haben dieses Schicksal nicht gewählt, es hat uns gewählt. Wenn es unsere Pflicht ist, Millionen zu töten, um Milliarden zu retten…” Ivara erhob sich und wandte sich ab. “Ukaizo korrumpiert sogar die, die es gar nicht besitzen wollen. Es verdirbt jeden, der damit in Berührung kommt. Entweder ist es eine so große Versuchung, dass die Leute alles in Kauf nehmen, um dorthin zu gelangen, oder es ist eine so schreckliche Offenbarung, dass sogar Beschützer zu Mördern werden, nur um es unter Verschlag zu halten.” Sie starrte den Gladiator finster an. “Sogar die Leute die nichtmal von der Macht der Götter kosten wollen, wollen den Ort finden um ihn zu erforschen und gehen damit das irrationale Risiko ein, dass dann auch jemand Anders mit den nötigen Pfeilern dort auftauchen könnte, um alles zu vernichten.” Wieder zuckte Atreus mit den Schultern. “Das ist eben die Natur dieses Ortes. Du bist stur… ich verstehe das. Aber das legt sich mit der Zeit. Ich bin du… du hast dir diese Gedanken bereits gemacht. Verleugne es nicht.”   “Ich verleugne, dass es mein Schicksal sein soll, eine Massenmörderin zu sein!”, brüllte sie ihn an. “Du kannst mich mal! Das Schicksal kann mich mal! Die Scheiß-Götter können mich mal!” Sie schnaufte aus, suchte ihre Fassung wieder. “Dieser Ort hätte nie existieren dürfen. Niemals. Egal wie großartig er vielleicht vor tausenden von Jahren einmal war, jetzt ist er nichts mehr. Eine wertlose, leere Ruine, die keinen Zweck mehr erfüllt, außer uns mit der Vernichtung zu drohen, sollte sie jemals wieder entdeckt werden.” Atreus seufzte leise aus. “Auch wenn du Recht hast, ändert sich nichts. Tobe und wüte so viel du willst. Verleugne dein Schicksal und die Götter, trotzdem bleiben die Fakten gleich.” Die Kapitänin richtete sich den Hut, der in ihrem Wutanfall verrutscht war. “Ich werde mein Erbe nicht mit Füßen treten, indem ich so werde wie du. Ich finde einen anderen Weg. Mir egal was ich dafür tun muss. Wenn ich in den tiefsten Höllen oder den höchsten Himmeln danach suchen muss. Und wenn ich Ukaizo mit einer verdammten Spitzhacke, Stein für Stein abtragen und zu Staub zerschlagen muss… dann frage ich Sirron. Der hat Spaß an sowas.” Trotzig wandte sie den Blick ab und marschierte mit stolz heraus gereckter Brust hinweg. Atreus sah ihr noch einen Moment hinterher und wandte dann den Blick noch einen Moment gen Horizon, ehe der Traum zu schwinden begann. “Viel Glück.”   Dann erwachte sie.

Weisheit

Je weiter diese Reise voranschreitet, desto stärker tritt das Schicksal aus dem Schatten hervor. Es kommt mir vor wie eines der großen, mechanischen Konstrukte aus den Zwergenfestungen, die erst langsam in Gang kommen, deren Zahnräder sich nun aber immer unaufhaltsamer drehen und dabei Kräfte entwickeln, die alles zu Staub zermalmen was ihnen in die Quere kommt. Eigentlich sollten wir Ehrfurcht verpüren. Wir müssen die ersten Wesen seit dem Beginn der Zauberpest sein, abgesehen von den höchsten Priestern ihres Glaubens, die so engen Kontakt zu den Göttern haben. So lange haben sie sich im Hintergrund gehalten, im Vergleich zu den alten Sagen, die von auserwählten Champions und Avataren erzählen. Doch nun, wo die Wiederentdeckung Ukaizos näher rückt und kosmische Ereignisse verspricht, kann man den Griff der Götter und des Schicksals deutlicher spüren.   Jetzt wandern wir durch die weite, friedliche Landschaft von Kangati. Ich glaube, die Götter hätten sich keinen besseren Ort aussuchen können, um jemanden auf eine spirituelle Reise zu schicken. Die Ruhe und Beständigkeit, die dieser Ort ausstrahlt, ist Balsam für einen ruhelosen Geist. Die Schönheit der Landschaft lädt dazu ein mit dem Blick zu verweilen, anstatt ihn zielstrebig nach vorne zu richten und stur loszumarschieren. Die völlige Abwesenheit von Tumult oder Hektik lullt die Gedanken ein und lässt sie ungebremst fließen, wie den großen Fluss, der die Insel durchzieht. Es hilft mir auch dabei, meine Nervosität vor den Anderen zu verstecken. Wenn ich vor dem Buch sitze, das Mae mir einst schenkte und alleine in meinem Zelt die Feder schwinge statt des Schwertes, dann kann ich ehrlich zu mir selbst sein. Ich bin mir nicht mehr sicher, welcher Weg der Richtige ist. Die Prophezeiungen der Priester haben mein Selbstvertrauen ins Wanken gebracht, wie ein Tisch, dessen Bein man angesägt hat. Ich war mir immer sehr sicher in dem was ich tue, weil die Rechnung einfach war. Wenn wir bei dem Kampf um Ukaizo nicht siegreich sind, dann ist alles aus. Nicht nur für uns, sondern für alle. Das Ergebnis bedeutet Sieg um jeden Preis. Der Zweck heiligt die Mittel. Da diese Aufgabe wichtig für den Fortbestand der ganzen Welt ist, dürfen wir es uns nichteinmal erlauben, für diese Aufgabe unser Leben zu lassen, denn wenn wir sterben, haben die Anderen gewonnen. Unsere Feinde sind vielzählig und verschlagen. Ich habe kein Vertrauen mehr und sehe den Feind hinter jedem Baum lauern. Nun habe ich Mavenya im Visier. Womöglich ist das alles ihre Taktik. Auch sie könnte gerissen sein. Mit so etwas muss man immer rechnen. Weil meine Feinde gerissen sind, muss auch ich gerissen sein. Das Unerwartete erwarten, um zu überleben.   Mit Überleben kenne ich mich aus. Zuschlagen, wo der Gegner es nicht erwartet. Kontakte pflegen, um die Schwächen des Gegners im Vorhinein zu kennen und sie dann schamlos auszunutzen. Dass ich in der Arena niemanden gemeuchelt habe, um meine Haut zu retten, liegt wohl nur daran, dass es kaum Möglichkeiten dazu gab und dass mein Überleben manchmal auch von meiner Beliebtheit beim Publikum abhing. Meuchelmord ist nicht sehr beliebt. Womöglich hat Mae Recht. Ich bin nicht Atreus. Vielleicht wurde ich zu Atreus gemacht, um jenes heroische Feuer zu ersticken, das ich eigentlich spüren sollte. Dass ich mich zu sehr ans nackte Überleben klammere und nur noch in strategischen Bahnen denke, anstatt mit dem Herzen bei der Sache zu sein. Wie eine Partie Drachenschach, bei der man versucht zu gewinnen, indem man möglichst wenige Figuren verliert, anstatt Wagnisse einzugehen. Versucht Figuren vom Brett des Gegners zu stibitzen, wenn er nicht hinsieht, anstatt fair und ehrlich zu kämpfen. Die Priester haben es angedeutet. Dass wir mit List und Tücke keine Chance haben. Doch ich kann es mir nicht vorstellen. Wie besiegt man eine Übermacht, wenn nicht mit Hirn und Gerissenheit? Ich fürchte mich vor dem Tag, wo wir mutig auf den Feind zustürmen und gegen eine Mauer prallen, die wir nicht überwinden können. Die uns auf den Kopf fällt und uns für unsere Torheit zerquetscht. Nicht weil ich Angst habe zu sterben, sondern weil ich Angst habe zu versagen. Aber vielleicht ist das auch genau das Problem. Die Bahnen, in denen Sterbliche denken. Vielleicht ist das Geheimnis dieser Samurai, Versagen in ihrem Kopf gar nicht zuzulassen, so dass sie in ihrem Kodex nicht wanken. Aber machen sie sich überhaupt Gedanken um die Konsequenzen, wenn sie versagen? Ich finde diese stoische Haltung zwar irgendwie bewundernswert, aber der Atreus in mir findet es naiv und hirnverbrannt. Möglicherweise ist es aber auch das Wissen, dass wenn sie fallen, ihr Versagen für sie keine Rolle mehr spielt, weil sie dann ohnehin tot sind. In dem Wissen zu sterben, dass man alles gegeben hat. Ich denke Morgana würde diese Denkweise gefallen.   Vielleicht ist es mein Schicksal, für immer zwiegespalten zu sein. Ich darf nicht darauf hoffen, dass die Götter mir ein Zeichen schicken. Warum ausgerechnet Magran und Rikuhu nun zu uns sprechen, ist mir auch schleierhaft. Dass Ngati vielleicht eine Hand nach Anyu ausstreckt, habe ich noch verstanden. Aber die Kriegsgöttin? Beinahe möchte ich mich verspottet fühlen, nach all den Jahren wo ich Tempus Namen mit dem Blut meiner Gegner in den Sand schrieb. Und jetzt rät mir eine andere Kriegsgöttin, ihre Weisheit zu suchen. Steht mir das überhaupt noch zu, jetzt wo ich mich dem Mond zugewandt habe? Zürnt Selune mir bereits, für den bloßen Gedanken, noch einen anderen Weg zu suchen? Der wahre Weg des Krieges? Vielleicht ist diese ganze Reise durch Kangati mein Untergang und ich weiß es gar nicht. Ein Diener von Selune sagte mir, er erwarte mich in Omru und ich schob die Sache für den Blutfels auf. Aber kaum sprechen drei andere Götter zu uns, haben wir nichts besseres zu tun als hier durch die Wiesen zu schlendern. Wenn es um die Wege der Götter geht, sind wir Sterblichen einfach unbeholfen und klein.   Diese Zweifel machen mich nachlässig. Ich fange an zu diskutieren, wo ich mit Entschlossenheit führen und andere inspirieren sollte. Ich werde zickig und unausstehlich und möchte am liebsten auf jeden schießen, der mich nur falsch ansieht. Aber diese Reise dauert noch ein paar Tage. Ein paar Tage, in denen ich Zeit habe, meine Fragen für mich zu beantworten und Weisheit in mir zu finden. Welchen Weg werde ich gehen? Selune? Magran? Beide? Werde ich weiterhin im Schatten bleiben, versuchen meinen Feinden einen Schritt voraus zu sein? Oder finde ich die nötige Stärke, jede Mauer zu stürmen? Oder werde ich stürmen, weil es das Richtige ist, ganz egal was am Ende dabei herauskommt?   Was ist es, das Helden tun?

Wiedergeburt

Der Sand war rot. Vollgesogen mit dem Blut der Orks und ihrem eigenen. Es bildete kleine Teiche roten Lebenssaftes und die Luft schmeckte nach Eisen. Inmitten dieses Sumpfes aus Tod herrschte jedoch völlige Ruhe. Vorbei war das Gebrüll des letzten Gefechtes, den Horden der schwarzen Sonne zu trotzen. Die Toten schwiegen, der Atem der Lebenden hatte sich beruhigt. Artemisia kniete auf diesem Schlachtfeld, auf denen sie blutige Ernte gehalten hatten. Ihre Flanke war aufgerissen, ihr eigenes Blut mischte sich auf dem Strand mit dem ihrer Gegner. Halb hatte sie das Schwert wie ein Ritter vor sich, mit der Spitze voran auf dem Boden aufgestellt, als Respektbekundung, halb stützte sie sich darauf, um vor Erschöpfung nicht einfach umzukippen. Ein grimmiger Gesichtausdruck umspielte ihre Züge, verblasste jedoch langsam, so wie der Gesang der Schlacht in ihrem Geist verklang und einer würdigen Andacht Platz machte. Vor ihr schwebte immer noch die Gestalt, strahlend im Mondlicht, verhüllt und endlos mächtig, der Engel, jener Sendbote der Göttin, der ihnen in dieser dunklen Stunde beigestanden hatte. Ihre ätherische Stimme sprach Worte des Schicksal, wie eine Prophezeiung, kryptisch wie derartige Offenbarungen immer gesprochen wurden, doch drangen sie klar in Artemisias Geist. Sie wusste, dass sie Fragen haben würde, sowie der Engel verschwunden war. Doch sie wusste auch, dass sie die Antworten nur finden würde, wenn sie selbst danach suchte. “Ich akzeptiere meine Aufgabe”, antwortete sie der heiligen Gestalt aus Licht. “Dann werde, was du sein sollst, Seele.”   Das Gefühl traf sie unvorbereitet. Es war nicht die Veränderung seiner Gestalt, die Atreus so aus der Bahn warf. Seine Gestalt war oft genug verändert worden, dass Veränderung nur allzu normal auf ihn wirkte, auch wenn diese Magie sich ruhiger und gelenkter anfühlte, als die chaotischen Änderungen, die Mavenya so gerne vornahm. Es war das Wissen, das seinen Verstand flutete, als wäre ein Damm gebrochen, dessen lange zurückgehaltene Wahrheiten sich jetzt gewaltsam einen Weg durch seinen Kopf suchten. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft waberten zu-, auf- und durcheinander, die Grenzen zwischen Schicksal und Selbstbestimmung verschwammen zu einer undefinierbaren Linie, halb so, halb so.   Atreus schauderte. Nein. Nicht Atreus. Die Wahrheit traf ihn, wie ein Pistolenschuss aus nächster Nähe, fegte ihn von den Füßen und warf ihn zu Boden. Nein. Nicht ihn. Sondern sie.   Vor ihrem geistigen Auge sah sie Mytros, die goldene Stadt von Altumbel. Jene Erinnerung, die sie so lange verzweifelt gesucht hatte, der sie hinterhergejagt war, wie einem längst vergessenen Fiebertraum. In all ihrer Pracht sah sie… nichts. Das Bild war in völlige Schwärze gehüllt. Weil das Bild nie existiert hatte. Weil es eine Lüge war. Ein bis zur Unkenntlichkeit verbogenes und verdrehtes Schicksal, das jemand zerschlagen und falsch wieder zusammengesetzt hatte. Dann brach der Damm der Dunkelheit, zerborsten durch silbriges Licht und hüllte die Wahrheit in seinen Schein. Erinnerungen wurden wach. Die Mondscheininseln. Eine verschlafene Gemeinschaft namens Hraesvelgr. Uralte Klippen an denen sich die Wellen des Meeres brachen. Idyllische Wiesen. Frieden. Sie saß auf dem Schoß ihrer Mutter, Cerys, Priesterin der Selune, die ihr aus einem alten Buch von Selunes Güte und Weisheit vorlas und dem ewigen Kampf der beiden Schwestern der Nacht. Dann tollte sie durch den Hafen des Ortes mit ihren Freunden, allesamt bewaffnet mit hölzernen Säbeln und spielten Piraten, ganz wie in den alten Geschichten, die von Hraesvelgrs Gründung erzählten. Gespannt lauschte sie den Geschichten der Seemänner über die Schönheit der See oder ihre wütenden Stürme, über weit entfernte Ufer und Länder voller Eis oder Sand. Sie sangen Seemannslieder für Valkur und erzählten von ihren Abenteuern. Immer wieder kletterte sie wagemutig auf den Zinnen der alten Burg herum und blickte empor zum Mond, als wollte sie Selune mit ihrem Mut und ihrem Durst nach Abenteuer beeindrucken. Dann steckte sie einmal aus Versehen ein paar Frachtkisten in Brand, als sie mit ihren Freunden die Flucht aus Estoria nachstellte, einem Hafen der von den Sturmfalken beinahe vollständig abgefackelt worden war und trotzdem einer der beliebtesten Legenden darstellte. Um der jungen Dame ein wenig Disziplin und Ordnung einzubläuen, schickte man sie nach Tiefwasser, zu den Riccis, die dort einen kleinen Handelsposten für Hraesvelgr unterhielten. Onkel Saburo. Ein strenger, aber herzlicher Mann, der den geschäftlichen Teil des Handels abwickelte. Onkel Maffeo, der Kapitän der "Jadewelle", dem Flagschiff ihrer kleinen Handelsflotte aus drei Schiffen. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie Saburo mit strengem Gesicht auf sie einschimpfte ob ihrer Unvernunft, während Maffeo mit einem verhaltenen Grinsen daneben stand, sein herzliches Lachen unterdrückte. Die abgebrannte Fracht durfte sie im Hafen abarbeiten, wo sie, zu diesem Zeitpunkt bereits ein jugendliches Mädchen, lernte wie man Taue knüpfte, Fracht richtig verstaute und worauf es beim Segeln generell ankam. Saburo lehrte sie die Macht und den Einfluss von Worten und wie man in Verhandlungen einen kühlen Kopf bewahrte. Als ein paar der rüpelhafteren Jungen des Hafenviertels etwas zudringlich wurden, brachte Onkel Maffeo ihr auch bei sich zu verteidigen. Wie sie ihre inneren Kräfte bündeln und konzentriert einsetzen konnte, um fiese Schurken in die Flucht zu schlagen. Auch den Umgang mit Schwert und Pistole brachte er ihr bei, die gängigsten Waffen der Seefahrer. Eines Tages durfte sie seine Schiffe bei ihren Handelsfahrten begleiten. Durfte den Wind der See in ihren Haaren spüren, die Gischt auf ihrer Zunge schmecken. Mehr als einmal schlugen sie gierige Nordmänner in Langbooten, auf Beutezug von den nördlichsten Mondscheininseln aus, in die Flucht. Sie lernte zur See zu fahren. Ein Schiff zu steuern. Sie erkundete Tiefwasser, Luskan und einmal sogar Baldurs Tor. Und dann war sie erwachsen geworden. Eine starke, junge Frau die mit beiden Beinen im Leben stand, wild und zu allem entschlossen. Einmal ging sie noch nach Hraesvelgr zurück um ihre Eltern zu besuchen und ihnen von den fernen Ländern zu erzählen, die in aller Munde waren. Die neue Welt. Natürlich hatte ihre Mutter versucht es ihr auszureden, in Sorge um ihre Tochter, die den Entschluss verkündet hatte dorthin zu segeln um Ruhm und Abenteuer zu finden. Es war ihr Vater gewesen, ein ehemaliger Panzerreiter und nun ein Lebemann, der die Priesterin beruhigte und seiner Tochter zugenickt hatte. Verstehend. Er hatte das Leben in ihren Augen auflodern sehen. Einen Hunger, der nicht durch ein ruhiges Leben in einem abgeschiedenen Dörfchen gestillt werden konnte. Es war ein herzlicher Abschied. Dann hatte sie auf einem Schiff angeheuert und war losgezogen.   Der Frau auf dem Strand entrang sich ein innerliches Schluchzen, das niemand hörte, weil ihr Körper regungslos auf dem Strand saß, während diese Erinnerungen auf sie einsprudelten. Das war das Leben, das sie eigentlich gelebt hatte, oder eigentlich hätte leben sollen. Sie war darum betrogen worden, hatte stattdessen ihr Leben in Sklaverei und sinnlosem Blutvergießen verbracht, eine Seele, gefangen im eigenen Körper, gekettet an ein falsches Schicksal. Ein wutentbrannter Schrei hallte durch ihren Geist und verdrängte den Verlust eines ganzen Lebens, ob der himmelschreienden Ungerechtigkeit. Sie wollte um sich schlagen. Jemandem den Kopf abreißen für das, was ihr angetan wurde. Brodelnder Hass schäumte in ihr auf, wie eine Turmwelle, eine zerstörerische Kraft ungeahnter Brutalität. Sie wollte sich darin verlieren und Jagd machen auf die Verantwortlichen. Doch bevor sie sich erheben konnte, um loszubrüllen und bluttriefende Racheschwüre in den Himmel zu schreien, fühlte sie noch etwas Anderes in sich. Eine stoische Kühle, wie kalter Stahl, der sie packte und festhielt. Es war die Ruhe eines Mannes, der diese Gefangenschaft bereits hinter sich gelassen hatte. Nicht im eigenen Körper, sondern in einer finsteren, trockenen Zelle unterhalb des Sandes von Calimshan. Die Lüge, Atreus, die sie gelebt hatte und dadurch zu einer Wahrheit geworden war. Die falsche Gestalt strahlte inneren Frieden und Zufriedenheit aus. Endlich war die Suche vorbei. Das Gefühl der Unvollständigkeit, die Suche nach einem Sinn für das Leid, das er erdulden musste. Alles hatte seinen Grund gefunden. Es galt jetzt nicht zurück zu schauen, sondern nach Vorne. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Sie hatte eine Aufgabe zu erfüllen.   Ivana erhob sich aus dem blutgetränkten Sand, der einst Atreus geboren hatte und jetzt sie. Ein geschlossener Kreis.

Käpt'n

Eingelassene Verzierungen mit Motiven der Seefahrt und mythischer Kreaturen des Meeres, schmückten das in feinstes Leder gebundene Buch auf dem Schreibtisch der Kapitänin. Der Einband war an den Ecken mit Gold beschlagen worden und verlieh dem Buch damit noch ein wenig an zusätzlicher Eleganz. Deswegen mochte es beinahe ein wenig schlampig wirken, dass unter dem Buchdeckel, noch vor der ersten, eigentlichen Seite, einige Seiten und Zettel hervorlugten, die jemand dort hinzugefügt hatte. Seiten, auf denen die Gedanken und Veränderungen eines Mannes niedergeschrieben waren, der sein Leben und sein Schicksal mittels festgehaltenen Wortes kontemplierte. Die Handschrift auf der ersten eigentlichen Seite des Buches war der auf den angefügten Seiten nicht unähnlich, wenn auch feiner und ein wenig geschwungener.   Käpitänin Artemisia von der Blutmaid.   Es ist soweit. Meine Metamorphose gipfelt in diesem Titel. Wie ich einst darüber nachdachte, ob das Erbe von Ivar Klagebart mich verfolgt, ob ich mich unbewusst in diese Richtung wende, weil das Schicksal mich dazu ruft, stelle ich mich nun der Verantwortung, die ein Kapitän zu tragen hat. So wie er damals, der Krieger aus dem Eiswindtal. Nun ein Krieger aus Mytros. Wobei ich diese Bürde ablegen werde können, wenn die Prüfung bestanden ist und ich zu meiner geliebten Jade zurückkehre. Ein Tag, den ich bereits jetzt herbeisehne. Nicht nur weil ich weiß, dass ich sie und ihren Rückhalt vermissen werde, bei dem was wir tun müssen, sondern auch, weil ich diesen Titel nie wollte. Steuermann auf diesem neuen Schiff zu werden, hätte mir vollkommen gereicht. Soll doch jemand Anderes die schweren Entscheidungen treffen, das letzte Wort haben. Ein Teil von mir denkt das. Doch ein viel größerer Teil von mir ist auch stolz darüber. Mein Sieg bei der Kapitänswahl mag nicht ruhmreich gewesen sein, was der allgemeinen Verwirrung ob unserer Wandlung geschuldet sein mochte, aber bisher hat auch im Nachhinein niemand Einspruch eingelegt, was in sich ein großer Vertrauensbeweis meiner Crew ist. Ich werde kein großes Drama darum machen, meine Position mit Würde tragen, aber dieses Vertrauen bedeutet mir viel, war es doch ich, der alle erst in ihre Lage gebracht hatte. Natürlich hatte ich großen Spaß daran, die verwirrten Gesichter zu sehen und die zotigen Kommentare zu hören, die ich in meinen anderen Gestalten ebenfalls erdulden musste, doch diese ganze Sache dient einem wichtigen Zweck. Das alle verstanden haben, wieso ich tat was ich tat, hilft mir ebenfalls ungemein. Ich lese Unmut in manchen Gesichtern, aber tief in mir weiß ich, dass sie tun werden, was getan werden muss, bis wir wieder nach Hause zurück können.   Zumindest eine erste, weise Entscheidung habe ich als Kapitän getroffen, indem ich Mara zu meiner ersten Offizierin machte. Verdient hätten diesen Titel wohl alle meine Weggefährten, aber ich hatte meine Gründe. Morgana hat kein Problem damit, der Dunkelheit in ihrem Inneren nachzugeben, um diese Aufgabe zu einem Ende zu bringen, alleine schon um ihrer Rache und ihres Gottes Willen. Esmeralda muss neben alledem noch einen eigenen Kampf mit sich selbst ausfechten, so dass ich ihr diese Last nicht auch noch auferlegen wollte. Conflagration ist noch zu neu, muss noch zu viel lernen. Aber Mara hatte schon immer das größte Herz von uns allen. Ich hoffe, dass sie mir dabei hilft, meine neu gefundene Gnade nicht an die Zweckmäßigkeit zu verlieren, wenn Blut und Dreck uns bis zum Hals stehen. Denn Morgana ist nicht die einzige von uns, die Finsternis in ihrer Seele trägt.   Wenn auch hinter mir gelassen, erinnere ich mich doch noch zu deutlich an eine Zeit, wo ich Männer und Frauen unter dem Jubel der Masse niederstreckte. Man muss keine mächtige Nekromantin sein, um Macht zu empfinden, oder sie irgendwann zu genießen. Ich spüre die arkane Kraft durch meine Adern pulsieren, wie Drest, wenn die Klinge in meiner Hand lag. Ich erschaudere bei dem Gedanken, die Toten zu meinen willigen Dienern zu machen, oder meinen Feinden die Lebenskraft zu entziehen, aber der Teil von mir, der eine gute Waffe zu schätzen weiß, ist neugierig auf diese neuen Mächte. Anders als bei Kalea, hatte ich keinen Traum der mich auf den Weg der Gnade führte, mich auf eine Prüfung stellte. Die Hand Selunes, die sich nach mir ausstreckte, mich dazu einlud ihrem Weg zu folgen und ihr zu vertrauen, die ein Licht in mir neu entflammte, ist als Hexe nicht mehr so deutlich zu spüren. Auch dies ist eine Prüfung. Ob ich ohne den Schutz der Mondmaid dieses Licht am Leben erhalten kann. Wenn es keine göttliche Prüfung ist, dann meine eigene. Mich von dem Versprechen von Macht verführt, dieser nicht völlig nachzugeben. Trotz des Ziels, dem Blutfels gefallen zu wollen, nicht zu grausam und kalt zu werden. Tote zu beschwören, aber es nie gut und richtig zu finden. Meine Leute durch diese Dunkelheit zu führen, bis wir das Ende erreicht haben.

Veränderung

Wir sitzen seit Tagen in diesen gottverdammten Booten und mein Verstand gerät an seine Grenzen. Zwischen Vögeln, die rund um die Uhr kreischen, Morgraines nervigem Gepfeife und der ständigen Anspannung, die die möglichen Gefahren des Dschungels mit sich bringen, sitze ich, mit viel zu viel Zeit für mich selbst. Anfangs war es hilfreich, sich mit den Anderen zu unterhalten, doch nach zweieinhalb Tagen durchgehenden Ruderns, nutzen sich die Gesprächsthemen ab. Noch ein Gespräch mit Lares über Bartpflege, oder mit Kivan über Schusswaffen und ich werde eins unserer Boote eigenhändig versenken, nur damit irgendetwas passiert. Wenn niemand mit mir redet, oder manchmal sogar wenn jemand mit mir redet, schweift mein Blick ins Leere, wenn meine Erinnerungen an jenen Ort zurückkehren, an den es meine Seele zog.   Ich stand auf einem See aus purem, flüssigem Silber, der sich erstreckte, soweit das Auge reichte. Ein Meer aus Sternen thronte in der Nacht über mir und warf sein funkelndes Spiegelbild auf den See, während Selune, der Mond, ruhig und wachend über allem hing. In der Ferne erblickte ich einen silbernen Palast, in all seiner Eleganz und Majestät, einen wunderschönen Garten, dessen Vielzahl an farbenprächtigen Blüten ich riechen konnte, ohne jemals dort gewesen zu sein. Ein Gefühl tiefen Friedens erfüllte mich und ich ließ mich treiben. Dann fluteten verschiedenste Eindrücke meinen Geist. Ich spürte die kühle Brise der See in meinen Haaren und den salzigen Geschmack der Gischt, in einem Moment absoluter Freiheit. Ich hörte Drests Stimme in meinem Kopf, während der Lärm der Schlacht in meinen Ohren tönte, Stahl auf Stahl klirrte und ein heiliger Zorn mich erfasste, mich dazu antrieb zu jagen und zu bestrafen, mich dem Rausch des gerechten Kampfes hinzugeben. Dann spürte ich die flüchtige Berührung von Jades Lippen auf den meinen, und ein Gefühl von innerer Wärme und Geborgenheit, ihre heilende Berührung. Ich hörte das rhythmische Hämmern von zwergischen Schmieden in uralten Bergen. Ich spürte die stoische Kühle eines Wächters, der einen Schlachtplan für kommende Kriege austüftelte. Die Schönheit, die der Lyrik eines Gedichtes innewohnt. Einhundert Empfindungen, die ich alle nicht mehr gänzlich zuordnen konnte. Dinge, die mich bewegten und tief berührten. Dann verebbte dieser Mahlstrom an Gedanken, Bildern und Sinneseindrücken abrupt, als sich vor mir eine Gestalt auftat und ich geblendet die Augen zusammen kniff. Gehüllt in eine Korona aus Feuer und silbrigem Licht, wie ein brennender Mond, konnte ich kaum mehr erkennen als ihre humanoiden Umrisse sowie das Schwert und den Speer in ihren Händen. Von Ehrfurcht und auch Verunsicherung gepackt, sank ich auf die Knie herab und starrte hinauf zu diesem Wesen, jenseits der Welten der Sterblichen und hörte eine Stimme in meinem Kopf, mächtig und ursprünglich, wie der Widerhall eines Donnerschlags. “Drei Mal hast du Gnade gezeigt, in der Stadt der Laster, wo der Tod der einfachere Weg gewesen wäre.” Meine Seele erzitterte unter der schieren Gewalt der Stimme, während jeder meiner Herzschläge sich wie eine Ewigkeit anfühlte. “Die Schöpfung der Götter zu erhalten, ist deine Aufgabe. Öffne dich der Sternenseele, folge dem Pfad des Mondtores. Verliere nicht deine Tugenden, auch wenn der Tod dir bei jedem Schritt folgt. Sei eine Klinge gegen das Böse, das keine Gnade verdient. Sei ein Heiler für die, deren Seelen gerettet werden können. Nur so kann wahre Veränderung entstehen.” Ich war wie gelähmt, unfähig zu nicken oder den Kopf zu schütteln. “Öffne dich der Sternenseele”, wiederholte die Gestalt ein letztes Mal, ehe sie, als wäre sie nie da gewesen, verschwand. Drest erschien in meiner Hand und plötzlich brannte ein schmerzhaftes Feuer in meinen Adern, als eine fremde Macht in mir Halt fand und ein Gift aus mir heraus brannte. Dann erwachte ich in Ghuwanas Schwingen, Drest auf meiner Brust, obwohl die Klinge sich eigentlich auf dem Schiff befinden sollte.   Was war es, das ich erlebt hatte? War es eine Vision eines göttlichen Dieners, der versuchte, mir den Weg zu weisen? Oder war es nur ein Fiebertraum, eine Einbildung meines Verstandes, der mir während meiner Entgiftung Streiche spielte? Mein Geist, auf der verzweifelten Suche nach einem Sinn, der sich mir entzog? Bis heute weiß ich nicht, warum die Bürde der Aufgabe der wir uns stellen müssen, gerade meinen Freunden und mir zufiel, und obwohl ich versuche stoisch und kühl zu sein, ertappe ich mich regelmäßig dabei, wie ich in stillen Momenten immer noch nach der Lösung suche, als würde ich eine Antwort finden, wenn ich nur lange genug in mir suchte. Doch wie die Erinnerung an Mytros scheint auch die Erklärung meiner Fragen fern und nicht existent. Ich tappe weiterhin im Dunklen. Seit Drest an jenem Tag mit mir sprach, fühle ich neue Kraft in mir aufwallen. Die Kraft, Gnade zu zeigen und zu heilen, wie ich es als Kalea tat. Doch beinahe wie als Antithese dazu, blieb mir der Dolch nach meiner Rückwandlung, der es mir erlaubt, "Nacht" zu beschwören, die Raptorin. Die Kraft zu heilen und die Kraft zu töten. Leben und Sterben. Ein natürliches Gleichgewicht. Ich habe niemandem von diesem Traum erzählt, außer Jade, weil ich nicht möchte, dass meine Gefährten anfangen, an meinem Verstand zu zweifeln. Bis ich herausgefunden habe, was mit mir los ist, soll diese Sache mein Geheimnis bleiben. Wenn ich weiß wer ich bin, werde ich es ihnen sagen.   Ich verbleibe nachdenklich auf dem Boot und versuche mich zu sammeln. Ich bete zu Selune, dass ich irgendwann die Klarheit finde, die ich suche. Bis dahin freue ich mich darauf, endlich die Ruinen zu erreichen. Nur für ein paar Tage ein normales Abenteuer zu erleben, wird mir dabei helfen, meine neuen Kräfte richtig anzuwenden und meinen Geist zu reinigen. Ein wenig Ablenkung von den dunklen Tagen, die irgendwo in der Zukunft auf uns lauern.

1-3 Dschungel für Anfänger

Nun, “Abenteuer” mag das falsche Wort gewesen sein, um unseren ersten gemeinsamen Ausflug zu bezeichnen, doch erlaubt es mir, mich zu korrigieren, denn als Auftakt mochte es sehr wohl dienen. Begleitet wurden wir vom irren Godwyn und ein paar wenigen Huana, die uns als Aufpasser dienen sollten, doch den Bootsmann schien die eigentliche Aufgabe, nämlich die Wasservorräte aufzufüllen, wenig zu interessieren. Kaum hatten wir die Küste erreicht, entdeckten wir den verlassenen Unterschlupf einiger Jäger, die, sehr zu Godwyns Freude, Jagd auf sogenannte “Terrorvögel” gemacht hatten, flugunfähige Vögel auf zwei Beinen, mit messerscharfen Schnäbeln und Klauen. Da sich eigentlich alles an diesen Wesen für gutes Gold verkaufen ließ, entsandte er uns prompt, um einige der Biester zu jagen, oder bei dem Versuch zu sterben. Bewacht wurden wir dabei von einem Huana, der sehr zu unserem Glück unsere Sprache kaum verstand. Nun mag ein aufgeregter Leser sich vielleicht eine epische Abenteuergeschichte wünschen. Der Beginn einer Saga, in der junge Helden ihre Bestimmung entdecken und sich auf ihre Reise begeben. In gewisser Weise stimmte das auch, es war der Beginn unserer gemeinsamen Reise, doch begann das große Abenteuer nicht durch einen göttlichen Auftrag, eine Vision, oder ein wiederentdecktes Geheimnis, sondern durch einen Mord. Denn als wir zwei der großen Raubvögel im Dschungel entdeckten und sie zum Kampf stellten, begannen wir unsere kleine Rebellion, ohne jemals den konkreten Entschluss dazu gefasst zu haben. Aber das Leben wird von Gelegenheiten bestimmt, so dass der Huana zu einem Opfer der gejagten Vögel wurde. Zumindest in unserer Version der Geschichte. Dass die Vögel schon einige Minuten tot waren, als unser Bewacher sein Ende fand, behielten wir für uns. Ein unwichtiges Detail, wie wir fanden.   Wie man sich bestimmt vorstellen kann, war der gestörte Godwynn nicht besonders erfreut, als wir zwar mit Schnäbeln, Klauen und Federn getöteter Terrorvögel zurück kehrten, aber der Huana fehlte, den er uns zur Seite gestellt hatte. Es hagelte Standpauken, Bestrafungen und die üblichen Demütigungen. Doch mit neuen Wasservorräten machten wir uns weiter auf den Weg zu unserem Ziel, das sich als eine Insel namens Vento Felicitas herausstellte. Unser Kapitän war, wie wir durch einige Spionageaktionen von Mae und später auch wörtlich erfuhren, von Kehlenschnitt damit beauftragt worden, auf eben genannter Insel einen Schatz auszuheben und ihn ihr zu bringen. Die Fahrt dorthin verlief kaum erwähnenswert. Meine Kameraden und ich lernten die Grundlagen der Seefahrt kennen, auch wenn wir uns über eine andere Lehrmethode gefreut hätten. Denn selbstverständlich wurden wir geschunden, beschimpft und erniedrigt, damit unsere Peiniger sich an ihrer Überlegenheit ergötzen konnten, doch es tat wenig Beitrag dazu, uns gefügig zu machen, sondern schürte unseren Hass nur noch weiter. Während wir vor ihren Augen buckelten und bluteten, wetzten wir still und leise die Messer, wenn sie nicht hin sahen. Und jeder weitere Peitschenhieb, fachte die Glut weiter an. Doch das Feuer sollte nicht ausbrechen, bis wir die Insel erreicht hatten, wo wir uns aufmachten, das versprochene erste Abenteuer zu erleben.   Mae, Morgraine, Sonne, Jade und mir wurde nämlich die zweifelhafte Ehre zuteil, den ganzen verdammten Dschungel jener Insel nach einem Dorf zu durchkämmen, das vielleicht, oder vielleicht auch nicht, kaum noch mehr war als eine völlig überwucherte Ruine. Begleitet wurden wir auf unserer Reise erneut von einem Huana-Wachmann, der uns auf die Finger schauen sollte, damit wir nicht trödelten und nichts von dem Gold selbst einsteckten, wenn wir den Schatz fanden. Offensichtlich hatte man uns unser erstes Märchen abgekauft, oder man hatte schlicht und ergreifend sehr viel Vertrauen, was die Kompetenz der eigenen Wachleute anging, so dass man uns erneut nur eine Wache zuteilte. Tragischerweise fiel auch dieser Huana der örtlichen Fauna zum Opfer. Der Dschungel kann ein wirklich gefährlicher und gnadenloser Ort sein, liebe Leser.   Tatsächlich meine ich das nur halb im Scherz. Nachdem ich den größten Teil meines Lebens in Calimshan verbracht hatte, war ich in Sachen Hitze einiges gewöhnt, doch nichts kann einen auf die drückende Schwüle eines heißen Dschungeltags vorbereiten. Wenn es davor geregnet hat, ist die Luft nach ein paar heißen Stunden so dick, dass man sie beinahe anfassen kann. Getrunkenes Wasser wird schneller wieder ausgeschwitzt, als man hinterher trinken kann. Und man kann auch nie genug Wasser mitnehmen. Ein prall gefüllter Wasserschlauch kommt einem plötzlich nur noch vor wie ein paar, wenige Schlucke, so dass man ständig damit beschäftigt ist, Wasser abzukochen. Denn das Wasser aus den Flüssen kann man auch nicht einfach so trinken, ohne am nächsten Tag den Bauch voller Würmer zu haben. Ich bin nicht zartbesaitet, aber den bloßen Gedanken daran finde auch ich einfach nur ekelhaft. Außerdem gibt es keine Metropole auf der Welt, egal ob Neketaka, Castello Grigio, Tiefwasser oder Calimport, die so lebendig ist wie ein Dschungel. Egal ob Tag oder Nacht, alle zwei Schritte stolpert man über irgendein Tier, seien es riesige Schlangen, Handteller-große Spinnen, Frösche in so vielen Farben dass Regenbögen neidisch werden, perfekt getarnte Raubkatzen und allerhand anderen Kreaturen, die ich trotz meiner ausgiebigen Reisen nicht annähernd alle benennen könnte. Und es ist immer laut. Immer. Was speziell die ersten Nächte im Dschungel zu einer echten Zerreißprobe macht. Auf gefühlt jedem Ast in diesem Dickicht sitzen mindestens zwei Affen und drei Vögel, die Rund um die Uhr kreischen. Tags noch etwas mehr als nachts, aber auch wenn die Sonne längst den Horizont überschritten hat, ist der Dschungel nie still. Dazu kommen Schwärme an Stechmücken und anderen umherschwirrenden Fickviechern, die einen am nächsten Morgen völlig zerstochen zurücklassen, so dass sich die perfekte Formel für schlaflose Nächte ergibt. Doch bevor all diese traumhaften Aussichten eure Reiselust in den Dschungel schmälern, möchte ich an dieser Stelle auch entwarnen. Das Schlafen wird leichter, sobald man erstmal so ausgelaugt ist, dass man sofort einschläft, wenn man mit einer Hängematte in Berührung kommt. Und auch ansonsten ist der Dschungel ein wunderschöner, farbenprächtiger Ort, an dem man das Leben fast schon mit der Luft einatmen kann. Wundersam und mysteriös. An keinem anderen Ort werdet ihr eine solche Vielfalt an Pflanzen und Kreaturen sehen, wie in einem matzticanischen Dschungel. So gesehen, waren es die paar Mückenstiche und den Schlafentzug schon wert.   Und nach sehr viel Durchhaltevermögen, fanden wir in diesem Dschungel auch die Häuserruinen, die wir suchten, so dass wir einen ersten Schritt auf das Rätsel zu machten, das sich als der legendäre Wellenklangschatz entpuppen sollte.

Schicksal

In letzter Zeit ist vieles geschehen. Eigentlich zu viel, als dass ich es in sinnvolle Worte fassen könnte. Trotzdem sitze ich hier, versuche Klarheit zu finden, mit Tinte auf Papier. Wenn ich bedenke, wie und wo alles angefangen hat, muss ich leise lachen. Knapp ein Jahr nach unserer Meuterei gegen den Blutfels, kämpfen wir nicht mehr gegen wild gewordene Goblins oder vereinzelte Untote, die sich uns in den Weg stellen, sondern erwägen ernsthafte Möglichkeiten, wie wir uns gegen Götter und deren Champions zur Wehr setzen. Oder wie wir es mit einer ganzen Armada abtrünniger Principi aufnehmen könnten, die sich in puncto Grausamkeit und Brutalität nur gegenseitig übertreffen. "Utopisch" ist das Wort, das mir als erstes in den Sinn kommt. Doch wie auch dieser Klagebart seinerzeit, scheinen wir keine Wahl zu haben. Entweder man kämpft diesen augenscheinlich aussichtslosen Kampf, oder die Finsternis hat ihren Sieg bereits errungen. Genau wie Jade sagt, oder wie Thorek uns die Geschichte der Falken erzählt. Je mehr wir auf Flints Pfaden wandeln, desto mehr scheine ich wahrlich seinem Weg zu folgen, ganz unbewusst. Mit dem Fund der Klinge, die wie er, wie ich, einst Tempus diente, als Instrument des Kampfes und des Krieges. Die sich dann, wie er, wie ich, Selune’s Licht zuwandte. Der als ganz normaler Krieger, wie ich, anderen Mächten die Stirn bot. Ist es der Einfluss von Drest, oder Tristan, wie das Schwert sich wirklich nennt, der mich in diese Richtung lenkt? Oder war ich wirklich schon immer so? Waren die Anderen schon immer so?   Es gibt zu viele Parallelen, um nicht mehr an Schicksal zu glauben. Sie wurden damals in die Sklaverei verkauft, mussten für ihre Freiheit meutern. Sie wurden Abenteurer und Piraten, suchten nach Ruhm und Schätzen und wahrer Freiheit. Haben Sklavenjäger brutal aufgemischt. Sogar Verbindungen zu Mytros gibt es. Nun verstehe ich das, was Schlachter damals gesagt hat, als er von alten Zeiten sprach. Wie Thorek scheint auch er aus der Zeit gefallen zu sein. Hat Ambrose damals überlebt? Wie konnte er so alt werden? Wurde er wiedergeboren? Und Majestro? Was davon trifft auf ihn zu? Was ist mit Baker? Alte Legenden und Mythen erheben sich aus dem Staub der Zeit zu neuem Leben und ich schaudere bei dem Gedanken, aus Angst meine Selbstbestimmtheit zu verlieren. Vielleicht war es Schicksal, oder eine Gottheit, die Yuvon, oder Sniv, in Mae’s Hände gelegt hatte, oder dieses Schwert in meine. Oder dass Morgraines Pfad der Rache ihn zum Blutfels führt, die die Pfeiler auch wollen. Vielleicht musste es sein, dass Eden irgendwo im Wald auf Mavenya traf, den Splitter einer Gottheit, die zu unserer Todfeindin wurde und auch dann geworden wäre, wären Eden und Mavenya nie bei uns aufgetaucht. Thorek, der die Geschichte dieser Göttin kennt. Eine Klinge, die Thorek auch kennt. Wie hoch ist in dieser großen, weiten Welt die Wahrscheinlichkeit, auf einen sprechenden Steinkopf zu treffen, der alle Antworten zu kennen scheint, ohne dass man je konkret nach ihm gesucht hätte? All diese Fäden scheinen endlos verworren, über tausend kleine Knoten miteinander verbunden, doch sie alle laufen bei diesen Sturmfalken zusammen. Was bedeutet das für mich? Bin ich eine Reinkarnation von irgendeinem Falken? Oder der Sprössling von einem ihrer Nachfahren? Oder hat die Hand der Vorsehung nach Mytros gegriffen, einen Ort mit enger Verbindung zu den Falken, und einen Jungen vor dem Untergang der Stadt gerettet, um ihn in Calimshan auf die Probe zu stellen? War es vielleicht Selune selbst, die mir schweren Herzens das nehmen musste, wofür sie steht, Freiheit, damit ich gestählt und bereit in die Welt hinaus treten kann? Zu scharfem Meteorit geschliffen, damit ich schneiden kann, wenn der Abgrund sich auf tut.   Die eigentliche Frage jedoch lautet, würde es überhaupt irgendeinen Unterschied machen, all das zu wissen?   Natürlich würde es mir einen gewissen Seelenfrieden verschaffen, endlich zu wissen warum das Schicksal gerade meine Freunde und mich und nicht einen wahren Nachfahren der Falken dazu auserkoren hat, diesen ganzen Mist auszubaden. War es nur Zufall? Zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen? Aber einen Unterschied macht es nicht. Würden wir nicht kämpfen, dann wäre alles vorbei. Sobald jemand dieses Himmelsportal durchschreitet, endet die Realität, wie wir sie kennen. Eine Katastrophe von solchem Ausmaß, dass sogar der Ausdruck “Kataklysmus” unzureichend erscheint. Es bleibt uns nur uns zu sagen, was wir schon alles erreicht haben, dass wir die Grenzen der Normalsterblichen hinter uns gelassen haben. Trotzdem sucht der Tod uns heim wie normale Leute. Meine Gedanken schweifen in diesen Momenten zu Sonne. Oder zu Kror. Sogar Morgraine, den ich wegen seiner Verbindung zu Jergal für unsterblich hielt, ist dem endgültigen Tode nahe. Ich richte meinen Blick nach vorne, in eine ungewisse Zukunft. Was wird dieser Kampf, in den wir hineingezogen wurden, ohne es zu wissen, noch von uns fordern? Werde ich eines Tages vor Maes Grab stehen, in stille Trauer versunken, und mir einreden, dass sie wusste, worauf sie sich einließ, oder dass Verluste nicht zu vermeiden waren? Oder vor Edens? Oder Jades? Und wie wird mein eigenes Ende aussehen, mit dem ich mich in der Arena angefreundet hatte, doch dem ich seit meiner Freiheit stur trotze? Werde ich heroisch im Kugelhagel gegen den Blutfels fallen? Wird der Zorn einer Gottheit mich zerschmettern, weil ich es gewagt habe, ihr die Stirn zu bieten? Oder wird es mir gehen wie Klagebart, von Pfeilen und Speeren durchsiebt, alleine und verloren in der Geschichte?   Trotzdem entscheide ich mich dafür. Vielleicht gab es einmal eine Zeit, als ich noch in Gefangenschaft lebte, wo ich mir für meine Freiheit nichts anderes wünschte als eine kleine Hütte, wo ich für mich selbst schuften kann, anstatt für Andere. Doch diese Zeiten sind vorbei. Ich glaube, ich bin nicht mehr fähig ein einfaches Leben zu leben. Dass, wenn ich mein Schwert niederlegen würde, es sich auf ewig anfühlte, als fehle mir ein Arm oder ein Bein. Ein Phantomschmerz und das schlechte Gewissen, meine Kameraden im Stich gelassen zu haben. Die ganze Welt im Stich gelassen zu haben. Es mag unfair erscheinen, dass Andere ihr Leben unbescholten von den Schrecken leben dürfen, friedlich im Beisein ihrer Familie. Doch man könnte auch ein deutlich unerfüllteres Leben leben als unseres, ständig auf der Suche nach einem Sinn, oder einer großen Aufgabe. Eine hungernde Seele auf der Suche nach dem Ausbruch aus dem Alltag, einem schwer zu entkommenden Gefängnis. Zumindest solche Gedanken beschäftigen mich nicht und ich danke der Mondmaid für diese Freiheit.   Ich hoffe, dass Ivar und seine Sturmfalken, egal in welchen Sphären sie nun auch immer weilen, sehen, was wir tun. Dass es sie stolz macht und es ihren Seelen Frieden schenkt zu wissen, dass der Kampf nicht umsonst war. Dass es Leute gibt, die gewillt sind, den Krieg fortzuführen, egal wie überwältigend der Feind auch zu sein scheint. Ich hoffe auch, wenn jemand diese Zeilen irgendwann nach meinem Ableben findet, dass derjenige den Blick gen Horizont richten kann und immer noch eine Welt vorfindet, in der es sich zu leben lohnt. Dass dieses Wissen mir Frieden schenkt und damit ich dann weiß, dass die Opfer, die wir brachten, sich gelohnt haben.     Möge Selune uns allen beistehen.     Atreus     Mit dem Wind unter den Schwingen die Freiheit in deinem Herzen erhalte der Feind hört das Lied unsrer Klingen entfessle den Sturm, oh edler Falke

Dunkelheit

Feuer. Geschrei. Blut. Noch nie in seinem ganzen Leben hatte er ein derartiges Chaos gesehen und so einen Wahnsinn erlebt. In dem einen Moment packte er eine panische Meereselfe an der Schulter, die vor Angst und Verwirrung wie gelähmt schien, schob sie weiter, im Nächsten tötete er einen herbei stürmenden Feind. “Nicht stehen bleiben!”, rief er, winkte die nächste Gruppe Überlebender am Korallengarten vorbei, wo die wenigen noch verbliebenen Stadtwachen die Evakuierung deckten. Links von sich hörte er das dumpfe Knallen von Jades Pistole. Die Feinde waren so zahlreich, dass ihre Schüsse einen fast monotonen Rhythmus angenommen hatten. Aus dem Augenwinkel sah er wie Eden einem verletzten Bewohner Talasantris wieder auf die Beine half, bevor sie ihn weiter drängte. Irgendwo dachte er, Maes magische Strahlen gesehen zu haben, oder Flammes Jadeklinge. Das Krachen von Morgraines Hammer, wenn dieser den Schädel eines weiteren Untoten zerschlug. All diese Geräusche und Bilder schienen leise und weit entfernt in diesem Massaker, schienen vom Lärm des Chaos verschluckt zu werden. Es war keine Zeit, um nachzudenken. Keine emotionale Kapazität, um zu verstehen, dass man gerade den Untergang einer Stadt am eigenen Leib erlebte. Ein von den eigenen Leuten halb zerfetztes, untotes Etwas schwamm hinter einer brennenden Häuserruine hervor und erblickte Atreus. Ein Arm war dem vermutlichen Tiefenmerfolk abgerissen worden, ein Teil der Innereien hing seitlich aus seinem Leib. So als kenne es keinen Schmerz mehr, nur noch Wahnsinn und Zerstörung. Das Wesen kreischte verzerrt auf, hob seinen Dreizack und schwamm zum Angriff. Zur Antwort packte er Drest fester und schlug zu…. Feuer. Geschrei. Blut. Unendlich viel Blut. Und Dunkelheit.   Diese Gedanken und noch viele Andere beschäftigten ihn noch an Bord, obwohl man bereits auf dem Weg zur nächsten Schlacht war. Unruhig und ohne Schlaf wälzte er sich auf dem Bett der Kapitänskajüte hin und her. Er war nur froh, dass Jade noch Karten in der Bibliothek studierte, denn seine Laune war denkbar schlecht. Das Einzige, das ihn daran hinderte, sich hemmungslos in den Schlaf zu saufen, war das schlechte Gewissen, das er am nächsten Tag mit Sicherheit empfunden hätte und das er sich ersparen wollte. Es hätte ein denkbar schlechtes Bild abgegeben, speziell nachdem er sich versprochen hatte, die Phase des Frustsaufens hinter sich gelassen zu haben. Trotzdem kam ihm der Abgrund einer Schnapsflasche gerade sehr tröstlich vor. Ein besserer Abgrund als der, den er unter der Meeresoberfläche erlebt hatte. So kindisch es gewesen war, es hatte zwei Nächte gedauert, bis er wieder ohne Kerzenlicht einschlafen konnte. Denn in der völligen Dunkelheit glaubte er, die Geräusche wieder zu hören. Die dumpfen, verzerrten Laute aus dem Abgrund. Wenn er Nachts an Deck war und aufs Meer hinaus schaute, das Licht der Laternen auf die schwarze Wasseroberfläche fiel, dachte er statt den Reflektionen des Feuers, die Augen der Diener der Tiefe wieder zu sehen, wie sie im Kampf gegen den finsteren Gott zu ihm hinauf gestarrt hatten, ihre Klauen nach ihm ausstreckten. Die schrecklichen Legionen, die in der Tiefe nur darauf lauerten, ihn und alle, die er liebte, in ein kaltes, nasses Grab zu ziehen. In der Dunkelheit überkam ihn seither oft eine Gänsehaut, sein Verstand schien ihm fiese Streiche zu spielen. Und immer wenn er in die Flamme einer Kerze blickte, oder das Feuer einer Laterne, hörte er die Schreie und sah Talasantri brennen. Die Crew musste ihren neuen, ersten Offizier für nicht ganz dicht halten, wenn er geistesabwesend in die Flammen starrte, sich die Hand am Griff seines Schwertes verkrampfte, oder er es tunlichst vermied Nachts noch das Deck zu betreten. Es gab auch nicht viel, was ihn hätte trösten können. Natürlich hatten sie einige Einwohner retten können. Doch in Anbetracht dessen, welchen Schrecken sie sich ausgesetzt hatten, um die Stadt vor dem Untergang zu bewahren, nur um sie kurz darauf in Flammen zu sehen, schmeckte der Sieg schaler als das abgestandenste Bier. Nichteinmal über den Wellenklangschatz konnte man sich freuen, war sein Fund doch verbunden mit einer unheilsschwangeren Botschaft. Von einem Kampf gegen ein großes Übel. Auch Thoreks Offenbarungen, die Licht in die Angelegenheit bringen sollten, halfen nicht wirklich. Jetzt quatschte auch der Zwerg, den er zunächst gemocht hatte, von Schicksal, Bestimmung und Erbe. Nannte sie Sturmfalken. Ein Wort, das für Atreus keine Bedeutung besaß. Im Gegenteil, weckte es nur düstere Gedanken in ihm. Gedanken an Mord. Fantasien davon, wie er diese blonde Elfenhure so fein säuberlich in Stücke hackte, dass sogar ein gottgleiches Wesen wie Calistria seine Probleme damit haben würde, ihren Champion wiederzuerkennen, geschweige denn sie wieder zusammenzusetzen.   Der Mond schien zum Fenster der Kajüte herein und bedeckte den Körper des Kriegers mit seinem silbrigen Licht. Als wollte Selune selbst ihm eine tröstende Hand auf die Schulter legen. Doch wie jeder andere Trost, schien auch dieser sein Herz nur schwer zu erreichen. Er hatte versucht zu beten, fand aber die Konzentration nicht. Weil er es nicht verstand. Weil er nicht den geringsten Schimmer hatte, was die Mondmaid von ihm wollte. Weil er nicht glauben konnte, dass sie irgendetwas von ihm, der er einst ein Anhänger von Tempus war, wollte. Vielleicht wollte sie auch gar nichts und er bildete sich das alles nur ein. Er hatte es aufgegeben, auf irgendwelche Visionen zu hoffen, wie Morgraine sie von seinem Gott erhielt. Auch Drest, so gute Dienste diese Waffe ihm machte und so wenig er noch bereit war sie herzugeben, hüllte sich weiter in eisernes Schweigen. Ein Zustand, der sich wohl nicht ändern würde, bis es gänzlich wiederhergestellt war. Die freiwillig gegebene Feder eines Planetars? Als ob. Er kam nicht umhin, sich dennoch zu wundern, wie all das geschehen konnte. Wie ein einfacher Mann und seine Freunde dazu kamen, sich jetzt mit Göttern und gottgleichen Wesen zu prügeln. War das überhaupt realistisch? Calistria mag zerschlagen worden sein, hatte einen großen Teil ihrer Macht dadurch verloren, aber hatten sie gegen einen Mann wie Iotama, der einen wahrhaftigen Totengott im Rücken hatte, überhaupt eine Chance? Naja… vielleicht nicht mehr oder weniger Chancen als gegen einen sogenannten “Gott” der Tiefe.   Leise seufzte er aus. Denn auch wenn der Sieg bitter und so ganz und gar nicht wie ein Sieg schmeckte, hatten sie gewonnen. So wie Tempus es lehrte, hatte eben jede Schlacht ihren Preis. Und so wie Selune es lehrte, war jeder Neuanfang auch nur eine Chance auf… naja, Neues eben! Oder so. Ihre vagen, lebensbejahenden Lehren verstand er noch nicht so gut. Aber er bemühte sich. Kampf und Freiheit. Kampf für die Freiheit. Daran musste er sich festhalten. Daran und an jenen, die nun ebenfalls mit ihm in die nächste Schlacht segelten, trotz der Schrecken, die sie vielleicht oder vielleicht auch nicht, des Nachts heim suchten. Seine Familie auf der Stolz der Meere. Er wollte ihnen ein guter, erster Offizier sein und um ihnen zu zeigen, dass er den bösen Mächten und extraplanarem Unfug nach wie vor mit Sturheit begegnete, würde er morgen vorschlagen das Korallenbier auf Talasantri zu trinken und dann den tiefen Göttern zum Trotz ins Meer zu pissen! Rebellion gegen höhere Mächte, ganz nach seinem Geschmack. Die Müdigkeit übermannte ihn, seine Augen fielen zu. Doch grinste er, als die Dunkelheit über ihn hereinbrach.

Ein Sturmfalke

Leise, um die Schlafende nicht zu wecken, schlich er sich in die Kapitänskajüte und schloss die Türe hinter sich. Er seufzte still in sich hinein. Endlich Ruhe nach einem anstrengenden Tag. Müde wanderte sein Blick durch das Zimmer und blieb beim Spiegel hängen, vor den er sich stellte, um sich einmal nachdenklich zu betrachten. Seine Augen verengten sich sofort zu bedrohlichen Schlitzen. Dort, in der wunderschönen, braunen Mähne, war ihm ein weiteres silbergraues Haar am Schläfenansatz gewachsen. Mittlerweile bildeten sie eine kleine Strähne, die sich in die Frisur einfügte. “Verfickte Scheisse”, brummte er da missgelaunt, ehe er ein leises Rascheln von der Schlafstatt her vernahm. “Die grauen Haare kommen nur von deiner Meckerei, mein Herz”, sprach seine Geliebte, die sich auf den Laken genüsslich streckte und zu ihm herüber blickte. Die Haarpracht von der tiefen Farbe eines guten Roten fiel fließend ihr Haupt herab, schmeichelte wie immer ihrer Schönheit. War er wohl doch nicht leise genug gewesen. Oder sie hatte, wie so oft, auf ihn gewartet, auch wenn er bis spät in den Abend beschäftigt war. “In deinem Alter werden die Männer doch erst interessant, Käpt’n Klagebart”, fügte Sandara mit einem frechen, aber aufmunternden Zwinkern hinzu.   Er blickte zurück in den Spiegel. Naja, so sehr ihn die grauen Haaransätze auch ärgerten, musste er ihr doch Recht geben. Ein kantiges Gesicht, mit durchdringenden, grünen Augen starrte ihm entgegen. Nicht mehr ganz faltenlos, aber die Zornesfalten auf der Stirn und die Lachfalten um den Mund hielten sich die Waage, auf der sonnengebräunten Haut. Mit einer Bewegung der Lippen schob er sich die glühende Zigarre von einem Mundwinkel in den Anderen. Auch in dem vollen, aber sehr gepflegten Bart zeigten sich einzelne, graue Haare, doch auch diese vermittelten nicht den Eindruck eines alten Mannes, sondern eher den eines Mannes in seinen besten Jahren. Also ließ er den Blick weiter herab sinken und streckte dabei stolz die muskulöse Brust heraus, damit er den herzseitig gestochenen, nordisch-stilisierten Falkenkopf dort prangen sehen konnte. So wie eigentlich jeder, seit er auf Majestros Anraten hin die ärmellose Lederweste mit dem Fellkragen offen und ohne Hemd darunter trug, so dass Kampfnarben und Hautbilder immer gut zu sehen waren. Auch den Cerberus auf seinem linken Arm. Oder der Ryukuwakan, der sich über seine breiten Schultern hinab, über seinen Schwertarm hinab schlängelte. Oder die ausgefransten Narben im Bauch- und Brustbereich oder an den Armen, die von diesen und anderen Bestien und Feinden an ihm hinterlassen worden waren. Trotzdem hielt er sich gut. Einen Daumen hing er an der mit Krakenarmen verzierten Gürtelschnalle ein, was den goldenen Falkenring an seinem Mittelfinger noch ein wenig betonte, den er Leuten, die ihn nervten, gerne entgegenstreckte. An eben jenem Gürtel hing links Dunkeltöter, sein mächtiger, magischer Säbel, der seinem Namen alle Ehre machte, seit er Tristan verloren hatte. Rechterhand hing Silfur, die von Selune geweihte Pistole, die sogar einem Grubenteufel den Schädel von den Schultern gepustet hatte. Ebenfalls auf Majestros Anraten hin trug er dazu eine gefährlich enge Lederhose und ein paar dunkelbraune Lederstiefel, die bereits leichte Salzkrusten aufwiesen. Tja, egal ob an Bord der Sturmfalke, in Immurks Festung oder auf Hraesvelgr, die See war in seinem Leben nie weit und hinterließ ihre Spuren überall.   Die See! Nie hätte er vor fünfzehn Jahren noch gedacht, dass er je länger als ein paar Tage Fuß auf ein Schiff setzen, geschweige denn Kapitän eines Schiffes werden würde, als er noch als Söldner aus dem Eiswindtal durch die Welt zog. Mit dem felsenfesten Ziel vor Augen, die nötige Berühmtheit zu erlangen, um die Krieger aus dem Eiswindtal gegen die Horden der Barbaren zu vereinen, damit sie mit dem Segen von Tempus in den Krieg zogen. Doch daraus wurde nie etwas. Mit seinem Eintreffen in Baldurs Tor hatte sich sein Leben verändert, ohne dass er es zunächst mitbekommen hatte. Die Bestimmung hatte im Verborgenen die Hände ausgestreckt und sein Schicksal neu gewoben. Sie waren als Sklaven gefangen genommen worden und hatten sich die Freiheit erkämpft. Dann hatten sie ihn zum Kapitän ihres dadurch erbeuteten Schiffes gewählt und es Sturmfalke getauft. Käpt’n Ivar Klagebart. Wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er das Schiff einfach vor der Wahl verlassen hätte, wie es sein ursprünglicher Plan war? Aus heutiger Sicht kaum noch vorstellbar.   Sein Blick wandte sich wieder hinüber zum Bett, wo die Liebe seines Lebens den Blick erwiderte. Seine Angebetete. Seine erste Offizierin. Sandara Quinn. Auch heute sah sie für ihn noch so umwerfend aus wie damals. Haar wie flüssiger Wein, immer ein freches oder sanftes Lächeln auf den Lippen. Auch bei ihr waren winzige Falten im Gesicht zu erkennen, doch er wagte es nicht, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Zu groß war die Angst vor einer Rache an seinem Bart. Oder dass er die Nacht im Krähennest verbringen musste oder etwas in der Art. Oder noch schlimmer, dass sie seine Haare im Schlaf alle grau färbte! Denn so war sie. Frech und lebensfroh, charmant und unerschrocken. Stets ermutigte sie die Falken, ein Chaos nach dem Nächsten anzuzetteln und stand mit gezogener Pistole und Selunes heilender Magie zur Seite. Von den anderen Dingen, die sich da so verführerisch unter dem dünnen Laken abzeichneten, musste er den Blick eher mühevoll lösen, doch der Offizierin entging nichts und sie schmunzelte. “Glaubst du denn, dass du dafür heute noch fit genug bist, alter Mann?” Die Worte schnitten durch ihn wie kalter Stahl. Wieder brummte er missgelaunt. “Ich habe einen legendären Kraken getötet, und bin zusammen mit Darak auf Greebo in die Schlacht geritten. ‘S krieg ich schon noch hin!” Sie kicherte amüsiert. “Lass dich doch nicht so aufziehen, Schnucki.” Der Blick wanderte dann neugierig an ihm auf und ab. “Aber für das, was sich dort unten abspielt, ist später noch Zeit. Mich interessiert im Augenblick viel mehr, was sich in deinem grummelnden Köpfchen abspielt.”   Wieder sah er in den Spiegel, ehe er die Weste auszog und sie von weitem über einen der beiden Divane warf, die im Raum standen. “Ich dachte daran, was wir schon alles hinter uns haben. Kein Wunder dass mir graue Haare wachsen.” Er strich sich über das Bildnis des Falkenkopfes auf seiner Brust. “Von unserer Gründung”, begann er dann, ehe er sich leicht drehte, um den Cerberus auf seinem linken Arm zu zeigen, “nach Mytros, wo wir Cassus Steinfaust aus der Sklaverei freikämpften.” Er grinste ein wenig stolz. Den Cerberus in der Arena hatte er persönlich erschlagen. Ein epischer Moment. Sein Blick fiel auf die Innenseite seines linken Unterarms. Ein stilisierter Geist aus Schatten prangte dort. “Die Insel über dem Wind… wo wir Thorek den Schattenbann hießen.” Dann drehte er die Schulter seiner Rechten und den Arm selbst in Richtung des Spiegels. “Talasantri…”, murmelte er weiter. Er hatte sich den Prüfungen der roten Ritterin gestellt und Calistria mit seinen Kameraden getrotzt. Einen Gott der Tiefe hatten sie kurz darauf erschlagen, den mächtigen Ryukuwakan. Nun zierte die Bestie, eine Mischung aus Wasserschlange und Drache, seinen Schwertarm, in der er die Waffe gehalten hatte, die den Todesstoß führte. Die legendäre Gramklinge, Tristan. Schwermütig wandte er den Rücken zum Spiegel. Dort begann das Abbild der zerbrochenen Klinge, mit dem Knauf unterhalb des Nackens, bis die Klinge auf der Mitte des Rückens brach. Niemals würde er dieses ganz besondere Schwert vergessen. Ein Geschenk der roten Ritterin, das er während seiner Prüfungen erhielt. Unzählige Feinde waren dieser Klinge zum Opfer gefallen und die Seele, die in ihr wohnte, forderte ihn stets zu noch größeren Heldentaten heraus. Niemals hätte er gedacht, dass man eine Waffe als Freund betrachten könnte, wie ein lebendes Wesen, doch genau das war Tristan. Und wie bei jedem anderen Freund, hatte dieser Verlust auch eine Narbe in seiner Seele hinterlassen. Das beseelte Schwert hatte sich geopfert, um die Dunkelheit von Shar unter Sumitha hoffentlich für immer zu bannen. Ein notwendiges Opfer, heroisch… dennoch tragisch für ihn. Wie andere Verluste. Der von Sirron, einem seiner engsten Vertrauten, dessen stilisierte Spitzhacke den Handrücken seiner Linken zierte, und der sich im Kampf gegen einen Cambion opferte, als er das Wesen tötete. Tibor, der Drache von Tharsult, den er stets wie einen Bruder im Geiste betrachtet, und mit dem zusammen er Drachen gejagt und Sklavenhändler auf den Grund des Meeres geschickt hatte. Ihm zur Widmung hatte er sich nach der entscheidenden Schlacht um die Freiheit der inneren See, einen kleinen Drachenkopf im theskschen Stil, rechterhand den Hals hinauf bis unters Ohr stechen lassen. Nur einen großen Kampf hatte er bewusst nicht auf seinem Körper verewigt. Nur zu deutlich erinnerte er sich daran, wie er Barnabas Harrigan, dem Schrecken der inneren See, zu einem Grubenteufel aufgestiegen, seine Pistole in den Rachen geschoben und abgedrückt hatte. Er würde keinen Platz in dieser Halle des Ruhmes finden. Möge die Geschichte dieses Scheusal für immer vergessen. Sandara wusste den nachdenklichen Blick zu deuten, den Ivar auf sich selbst warf. Die Nostalgie. Die Hochs und die Tiefs. Trotzdem musste sie kein Wort sagen, sie verstand auch so. Schließlich war sie bei jedem dieser Momente dabei gewesen.   Nach einer Weile der Stille schnalzte er dann mit der Zunge und grinste sie mit zwischen den Zähnen klemmender Zigarre an. “Wir haben viel erlebt. Zeit für den Ruhestand, oder?” Sie machte nur eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. “Als ob du es auch nur fünf Minuten lang schaffen würdest, still zu sitzen.” Wie um den Beweis zu erbringen, dämpfte er die Zigarre im nahen Aschenbecher aus, legte den Waffengurt ab, kickte sich die Stiefel von den Füßen und ließ sich dann neben Sandara ins Bett fallen, die ihm einen liebevollen Kuss auf die Stirn gab. “Als ob du es könntest”, antwortete er da nur wohlig brummend. “Nein”, erwiderte sie keck. “Aber ich stehe dazu.” Seufzend strich er ihr durch das rote Haar. “Glaubst du, wir haben alles richtig gemacht?”, fragte er sie dann leise. “Ich glaube, wir haben alles so richtig gemacht, wie wir nur konnten. Die Reise war manchmal etwas holprig, aber das Endergebnis erfüllt mich mit Stolz.” Ivar nickte langsam, verstehend. “Ja. Solange es auch nur einen Sturmfalken auf der Welt gibt, wird es immer jemanden geben, der für die Freiheit einsteht. Wir haben unser Zeichen auf die Seiten der Geschichte gebrannt.” Seine Gedanken wanderten zurück zu den Lebenden. Den Freunden, die noch da draußen waren. Kara, die als Magistra der Navigatorengilde loszog, um noch unbekannte Gewässer zu erforschen und ferne Ufer zu erblicken, den stetigen Drang nach Abenteuer und Entdeckung in denen förderte, die ihr folgen wollten. Grimbold Höllenhammer, der die Schiffe baute, die die freien Falken brauchten, um die Freiheit an jede Küste zu bringen, an die der Wind sie trug. Schlachter, die Lathander-Priester, Mercutio und all die Anderen, die sich auf Hraesvelgr niedergelassen hatten, diesem Zentrum von Freiheit. Ein Ort für all jene, die das Abenteuer rief und die den Wind im Haar spürten. Auch Thorek, der wie ein Onkel über ihren jugendlichen Sohn wachte, seit sie aufgebrochen waren. Ivar konnte sich niemanden vorstellen, der dem Jungen größere Weisheit beibringen konnte. Schließlich hatte auch er von dem alten Zwerg gelernt, den er selbst als eine Art Berater, ja sogar Familie betrachtete. Der Gedanke zauberte ihm ein Lächeln ins Gesicht. “Wir haben ohnehin noch eine Sache zu erledigen, bevor wir uns in den Ruhestand begeben könnten”, sagte er dann, bevor er sich erhob. Sandara lachte leise. “Volle dreieinhalb Minuten hast du durchgehalten.” Unschuldig zuckte er mit den Achseln. “Ich habe Durst. Also gehe ich runter zu Ambrose, trinke einen Schnaps mit ihm, nehme eine Flasche Wein mit hier hoch und dann lege ich mich wieder hin… diesmal sicher fünf Minuten lang”, versprach er. “Großes Piratenehrenwort.” “Jaja. Geh schon. Du weißt ja, wo du mich findest”, gab sie nur schmunzelnd zurück. Auf dem Weg nach draußen, hielt er dann in der geöffneten Tür inne. Ein letztes Mal ging sein Blick zu ihr. “Ich liebe dich”, sprach er dann, die Stimme frei von jedem Murren oder Knurren. Sandara zwinkerte ihm frech zu. “Ich weiß.”

Grundlos zu helfen

Schweigend lag... oder eher schwebte Atreus im Bett. In den Tiefen war das Leben eben anders, als man es gewohnt war. Die größte Schwierigkeit stellte das Schlafen dar, auch wenn er gelernt hatte, sich sinken zu lassen, bis er tatsächlich auf dem Bett lag. Doch es fehlten die Geräusche und Bewegungen, die ihn sonst in den Schlaf wogen, denn wirklich still war es in seinem Leben nur selten. Auf dem Schiff war es das Rauschen des Meeres und das sanfte Auf- und Nieder der Wellen, in einer Taverne das leise Treiben in der Stadt außerhalb und überall sonst die Natur, die nächtlichen Rufe von Tieren in der Wildnis, herabfallende Tropfen in einer Höhle. Doch hier, in der Tiefe gab es wenige Geräusche, außerhalb von Gesprächen. Alles was man hörte klang dumpf und endlich weit weg, wenn man es hörte und wenn man nur tief genug kam, schluckte das Meer sogar das Licht. Es war diese Ruhe und Dunkelheit, die seine Gedanken umso lauter in seinem Kopf ertönen ließen. Er hasste es, wenn er zu viel nachdenken musste. Also ließ er Jade weiterschlafen, übergab sie ihren Träumen von der wundersamen Wasserwelt, in der sie gelandet waren, während er das Zimmer verließ, um sich in der Stadt noch ein wenig die Beine zu ver...schwimmen.   Langsam trieb er die Straßen entlang und ließ einfach nur den Blick schweifen. Nahm die Eindrücke in sich auf, die einzigartige Architektur, die leuchtenden Kristalle, die alles in ein mystisches Licht tauchten. Ab und zu passierten ihn kleine, bunte Fische, völlig ohne Furcht und ganze Schwärme größerer und kleinerer Meeresbewohner tummelten sich wie immer um den Korallengarten, einem Ort der Ruhe und des Friedens. Genüsslich sog er aus Gewohnheit die Luft.... oder eher das Wasser in die Lungen und seufzte auch irgendwie. Talasantri war ein merkwürdiger, aber schöner und friedlicher Ort, dachte man nicht an die lauernde Finsternis, die keinen Kilometer von hier ihr gieriges Maul aufriss. Unfreiwillig lenkte er seinen Blick in diese Richtung. Mehr Untote. Mehr finstere Mächte, die ihre nimmersatten Dreckspfoten nach etwas ausstreckten, das ihnen nicht zustand. Seine Mine verdüsterte sich. Noch immer jagten ihm Wesen aus anderen Welten und das Widernatürliche einen Schauer über den Rücken, so wie in der Ruine vor einigen Stunden, auch wenn er wusste, dass er mittlerweile einige von ihnen töten konnte, wenn er es nur wollte. Trotzdem gab er den "Feigling" gegenüber den Anderen. Es war die Verantwortung, die ihn daran hinderte, einfach blind darauf los zu stürmen. Die letzten Monate hatten ihn nicht zu einem Überlebenden werden lassen, sondern besonnener. Sie hatten eine Crew, die auf sie wartete, Mae sogar Familie. Sie besaßen den Schlüssel zu einem Schatz, der, wenn er dem Bösen in die Hände fiel, verheerende Dinge anrichten konnte. Umsonst suchte Calistria nicht nach diesem Schatz. Sie konnten es sich schlicht und ergreifend nicht erlauben, zu sterben. Als er an einer Ruine nahe der Schlucht vorbei schwebte, kam er nicht umhin, sich in seiner Fantasie die Stadt vorzustellen, wie sie vor langer Zeit einmal ausgesehen haben mochte. Bevor die Finsternis hier ankam. Ein Ort des Handels und der Kultur. Cenath hatte ihnen gar von einem großen Opernhaus oder einem Theater berichtet. Stolz und wunderschön mochte die Koralle damals ausgesehen haben. Unzählige Händler, buntes Meervolk aus allen Teilen der See. Eine Bastion des Lebens und der Schönheit. Er kam nicht umhin den Bewohnern, die geblieben waren, Respekt zu zollen, für den Stolz und die bloße Sturheit, mit denen sie dem Schlund trotzten, die um jeden Meter ihrer Stadt kämpften, egal wie aussichtslos es auch erschien. Und er kam nicht umhin, Trauer in sich zu fühlen, angesichts solcher Zerstörung. Trauer aus der Zorn wurde... und schlussendlich wieder ein Ringen mit der Verantwortung. Er verstand die Geschichte des Wellenwanderers, der kein Held sein wollte. Eigentlich waren all diese Dinge nicht sein Problem. Man hatte selbst genug Probleme, genug Feinde. Einen Feind, der mächtig genug war, sich einen ganzen Orden militanter Paladine hörig zu machen. Eine Gruppe abtrünniger Principi, die einem nach dem Leben trachteten. Und auch wenn man von Iotama lange nichts gehört hatte... Atreus hatte nicht vergessen, dass er immer noch da draußen war. Doch es fiel ihm schwer, die nötige Kühle aufzubringen, um die Probleme dieser Stadt beiseite zu wischen. Die Welt war ein schlechter Ort, weil die Leute sich immer nur um sich selbst kümmerten. Und hatte er überhaupt das Recht, sich von den Dingen abzuwenden, mit der Macht, die ihm durch Drest und die fremde Magie in die Hände gelegt wurden? Er könnte hier etwas wirklich Gutes tun. Nicht wie bei den Sklaven, die er befreien wollte, um ihnen sein eigenes Schicksal zu ersparen, oder den Sklavenhändlern, die er töten wollte, weil er sie mehr als alles andere hasste. Er konnte hier etwas Gutes tun, einfach weil er es konnte. Jemandem grundlos helfen, so wie Andere ihm geholfen hatten. So wie Jade, Mae, Morgraine, Eden, Flamme und die Anderen. So wie Kror....   Eine Stunde ließ er sich durch die Stadt treiben, während er in der Stille seinen Gedanken nachhing, die Schwerthand dabei stumm um den Griff von Drest gelegt, ehe er sich auf den Rückweg machte. Er wollte sich selbst gegenüber nicht leugnen, dass er Blut im Wasser roch. Dass es ihn mit einer todbringenden Euphorie erfüllt hatte, als diese Ausgeburt des Wahnsinns und der Tiefe sein schwarzes Blut an Drest opfern musste und die Mondklinge umso heller strahlte. Er wusste nicht, wieso Selune oder Drest ihn gesegnet hatten, doch er würde sich dieser Gunst als würdig erweisen. Dieses Biest und seine Meister töten. Ein wenig Mondlicht in die Finsternis bringen. Doch er würde es klug anstellen müssen. Nicht wie ein jähzorniger Krieger, sondern wie ein Jäger. Er musste seine Freunde weiter bremsen. Den Moment abzuwarten, an dem sie genug Verbündete, Macht und Informationen gesammelt hatten, um sich der Tiefe stellen zu können und dann erst zuschlagen. Nicht um es zu besiegen, damit es in hundert Jahren wiederkehrte, sondern um es endgültig zu vernichten, damit Talasantri einst neu erstrahlen konnte. Er würde ein geduldiger Jäger sein. Wie ein Haifisch, der seine Beute über viele Seemeilen verfolgte. Denn der Delphin mochte eine gute Ramme sein, doch ein Hai hatte drei Reihen Zähne. Oder, wie in seinem Fall, ein heiliges Schwert.

1-2 Unter der Flagge des Blutfels

Tja, werte Leser. So sah es also aus. Erneut war ich jemand Anderes Fußabtreter. Die Kehlenschnitt stellte uns noch unseren neuen Kapitän vor, einen Triton namens Hadrin “Salztod”, den wohl auch Umberlee selbst auf die Welt geschissen hatte, bedachte man die Herkunft seines Namens. Mit dunkler Magie war es ihm nämlich möglich, die Lungen seiner Opfer mit Meerwasser zu füllen und sie einfach überall ertrinken zu lassen. Ein richtig netter Kerl, wie ihr euch sicher denken könnt. Begleitet wurde unser charmanter, neuer Anführer von einem Stab aus Offizieren. Da war zum Einen der irre Godwyn, ein alter, unfassbar hässlicher Kerl, mit einem Faible für Faustschläge, die er sogar für die aller kleinsten Verfehlungen verteilte. Dann gab es Idrik Schlangenauge, ein Elf oder Halbelf, der giftige Tierchen über alles liebte und sich obendrein die größte Mühe gab, die hinterfotzigste Sau an Bord zu sein. Sithra Baenre war eine Dunkelelfe und zugleich die Waffenmeisterin der neuen Crew, so schön wie grausam. Eine Frau, mit der man gerne eine aufregende Nacht verbracht hätte, nur um sie im Anschluss zu erschlagen. Und schlussendlich war da noch Ming Jadehieb, eine Frau aus Kara Tur, die zwar ernst und streng war, aber meines Wissens nicht unnötig grausam und damit tatsächlich noch die erträglichste Person in diesem Haufen. Die Crew an sich bestand aus uns neu akquirierten Sklaven, sowie einigen Wesen aus der neuen Welt, namentlich “Huana”, die von Bord der Eiswelle gingen, um unter Salztod zu dienen. Des Weiteren ließ man uns Vorräte und Werkzeuge an Bord, dann machte sich Jarbeth Kehlenschnitt wieder auf den Weg, um andere Schiffe zu plagen. Für uns Sklaven ging das alles wahnsinnig schnell über die Bühne. Die Meisten von uns erlebten den Führungswechsel kniend, oder halb tot geprügelt, bevor unser neuer Kapitän sich an uns wandte und verkündete, dass Kehlenschnitt ihm das Schiff vermacht hatte und er aus uns Waschlappen eine ordentliche Crew machen würde. Dann würdigte er uns keines weiteren Blickes mehr und überließ uns der Obhut seiner Offiziere.   Die nächsten Tage liefen in etwa so ab, wie man sich das wohl grob vorstellt. Wir wurden gedrillt. Wer sich quer stellte, wurde windelweich geprügelt. Doch ich lernte auch einige neue Gesichter kennen, die ich nun der Reihe nach einfach vorstellen werde. Allen Barden zum Trotze, lernen sich die Protagonisten einer Geschichte in der Realität nämlich nur selten in epischen, schicksalsträchtigen Momenten kennen, sondern meist eher beiläufig, wie die meisten Leute.   Der weiße Tabaxi, der mit Zaubern um sich geworfen hatte, ein lustiger Zeitgenosse namens “Strahlen der Sonne”, kurz Sonne, arbeitete beispielsweise direkt neben mir in der Takelage. Er war wohl ein Gelehrter aus Tiefwasser, der sich in die neue Welt aufmachte, um sich hier in Gold zu wälzen. Ein kleiner, weißer, flauschiger Zeitgenosse, mit dem ich bis zu einem späteren Zeitpunkt wahrscheinlich keine drei Worte wechselte.   Eines Abends am Esstisch lernte ich Mae kennen, die kleine, rothaarige Halbling mit dem großen Mundwerk. Rotzfrech und mit einem unmenschlichen Hunger gesegnet. Selten habe ich jemanden getroffen, der ein würdiger Rivale für ihren Appetit gewesen wäre. Sie war unserem Smutje in der Kombüse zugeteilt worden, was ich sehr passend fand, zumal sie mir in ihrem grünen Kleidchen sehr fehl am Platz vorkam, unter all den Piraten. Mit ihr nur wenige Worte zu wechseln gestaltete sich schwierig, denn sie plapperte beinahe ohne Luft zu holen und schien einen unbeirrbaren Optimismus an den Tag zu legen, der damals beinahe an Naivität grenzte, oder den ich zumindest fälschlicherweise als Naivität einschätzte. Dennoch war es schwer sie nicht zu mögen, wenn man nicht unbedingt ein Arschloch sein wollte.   Der Ritter, den ich zu Beginn des Kampfes erwähnte, entpuppte sich als düsterer Zeitgenosse, Morgraine Eisenherz, ein Paladin des Kelemvor. Langes, schwarzes Haar und ungefähr genauso gesprächig wie ich, stellte sich heraus, dass er die Rüstung beim Enterkampf nur an hatte, weil er sie praktisch nie auszog, bis unsere Peiniger ihn dazu zwangen. Ich fand ihn von Anfang an seltsam, wenn auch nicht aus einem speziellen Grund. Ich nahm einfach an, dass der Dienst für einen Totengott ihn über die Jahre zu einer speziellen Schlag Mensch werden ließ. Wie falsch ich da nur lag….   Zu guter Letzt lernte ich dann noch Jade Richards kennen, unsere Schiffsärztin. Als die Wunden des Kampfes sich beim Klettern in der Takelage irgendwann öffneten, gab der irre Godwyn mir einen Schlag in die Fresse und schickte mich zu ihr unters Deck. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nicht viel mit ihr sprach, als ich sie das erste Mal traf. Aus alten Erfahrungen heraus, vertraute ich niemandem auf dem Schiff wirklich, da jedes gesprochene Wort ein gefundenes Fressen sein konnte, für jene die unseren neuen “Herren” in den Arsch kriechen und für sie spitzeln wollten. Trotzdem fühlte ich mich beinahe vom ersten Augenblick an zu ihr hingezogen, als wäre es reine Magie. Wunderschön, rothaarig, temperamentvoll, immer mit einem charmanten Lächeln auf den Lippen, war sie nicht nur eine umwerfende Schönheit, sondern auch frech und entschlossen. Doch bevor ich nun anfange wie ein liebestoller Vollidiot vor mich hin zu sülzen, schließe ich diesen Absatz.   Natürlich gab es noch Andere, wie Angus Caellach, den Mann der mir die Grundzüge des Handwerks als Seemann beibrachte, oder Kohlentritt, der Kenku mit seiner großen Liebe zu Explosionen, doch die Vier, die ich eben näher vorstellte, haben in dieser Geschichte einen ganz besonderen Platz. Ich kämpfte mit Vielen, die einen Platz in den Hallen der Helden und Lieder verdienten, doch diese Vier waren immer da. Meine Waffenbrüder und Gefährten. Meine Freunde und Familie. Doch es sollte noch eine ganze Weile vergehen, bis ich sie so nennen würde. Denn auch wenn immer wieder mal Momente übrig waren, um ein freundliches Wort zu wechseln, waren wir nicht zum quatschen auf diesem Schiff, sondern um für die Schweine vom Blutfels zu buckeln. Zumindest so lange, bis die Quartiermeisterin uns eines schönen Morgens an Deck zitierte, weil ein unbekannter Täter die Fässer mit dem Trinkwasser im Bauch des Schiffes angebohrt hatte. Sie wollte wissen wer der Verantwortliche war, aber wie man sich vielleicht denken konnte, gab es niemanden der sich bereitwillig vor ihr auf den Boden warf, weswegen unsere Wasserrationen, unter heftigem Protest von Jade, einfach halbiert wurden….. Zumindest so lange, bis auch die restlichen Fässer eines Nachts mit neuen Löchern versehen wurden. Ohne Wasser war das ganze Unterfangen zum Scheitern verurteilt, so dass wir unterwegs eine Insel ansteuerten, um uns auf die Suche nach neuem Trinkwasser zu machen. Es war jener Tag, an dem das Schicksal seine Hand ausstreckte, als meine Gefährten und ich zu jener Insel entsandt wurden, um unser erstes, gemeinsames Abenteuer zu bestreiten.

Akt 1-Ein Ende und ein Anfang

Die eigentliche Geschichte beginnt mit meinem Verkauf. Die Details darüber waren mir nie bekannt, fest stand nur, dass irgendein reicher Schnösel aus Sembia mich dem Pascha abkaufte. Der Haken an der Sache war lediglich, dass der Käufer, dessen Namen ich bis heute nie erfahren habe, irgendwo in der sogenannten “neuen Welt” lebte. Für mich zu diesem Zeitpunkt kein Begriff, mit dem ich irgendetwas anfangen konnte. Durch diesen Verkauf ergab es sich allerdings, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben Fuß auf ein Schiff setzte. Eine Tat, die mein Leben für immer veränderte. Seinen Einfluss geltend machend, schaffte der Pascha es auch, mir einen Platz für eine Überfahrt auf einem Schiff namens “Ebengold” zu organisieren, das sich zufälligerweise ebenfalls auf den Weg in diese neue Welt machen sollte, als Geschenk für irgendeinen Kalifen von Calimshan, der sich dort wohl ebenso aufhielt. Um keinen seiner eigenen Wächter mitschicken zu müssen, bezahlte mein einstiger Herr ein paar Leute aus der Crew, allesamt Calimshaner ohne Mitgefühl für Sklaven, damit sie dafür sorgten, dass ich während unseres Zwischenstopps in Tiefwasser nicht Reißaus nahm und damit war die Sache dann auch gegessen. Es gab keinen tränenreichen Abschied, keine große Rede. Ich ging mit meiner Gladiatorenrüstung im mytrosischen Stil, meiner Glefe, und dem einzigen Besitz, den ich hatte, eine goldene Scheibenfibel aus der gefallenen Stadt, die ich schon zu Kindeszeiten besaß. Dann setzten wir die Segel und ich ließ Calimport, die Stadt die ich 25 Jahre lang mein Zuhause nannte, für immer zurück. Einfach so.   Zu Beginn segelten wir nur die Küsten entlang nach Norden, bis wir Tiefwasser erreichten, wo einige Passagiere das Schiff verließen, aber Andere sich uns auch anschlossen, ebenfalls auf dem Weg in die neue Welt. Nachdem ich von der Stadt nie viel sah, außer vom Schiff aus den riesigen Hafen, war dieser Ort für mich nicht von großem Interesse. Dafür richtete ich meinen Blick nach Westen, hinaus auf das weite Meer, in das wir nach einem Tag Aufenthalt dann auch segelten.   Wenn die werten Leser noch nie auf dem offenen Meer waren, schlage ich an dieser Stelle vor, das Buch zu schließen, die Sachen zu packen und sich auf eine Seereise zu begeben, sogar wenn sie nur ein paar Tage dauern würde. Dichter und Poeten versuchen seit jeher die Majestät, Schönheit und Wildheit der Meere in Worte zu fassen, doch auch wenn ihre Werke mein Herz erfreuen, bin ich der Meinung dass einfache Worte nie den Gefühlen gerecht werden, die man an zum ersten Mal an Bord eines Schiffes verspürt. Wenn man die See im Licht der Sonne glitzern sah, wie ein Meer aus flüssigen Diamanten, oder sich von sanftem Wellengang in den Schlaf wiegen ließ. Die Ehrfurcht, die die Naturgewalten in den Menschen auslösen, wenn der Donner grollt und stürmische Winde sogar den tapfersten Seeleuten alles abverlangen. Kreischende Möwen und salziger Fahrtwind. Man könnte sagen, ich war vom ersten Moment an fasziniert, auch wenn die nahende Zukunft mein Gemüt trübte. Die Überfahrt von Tiefwasser nach Port Fortuna, der sembianischen Niederlassung in der neuen Welt, sollte etwas mehr als einen Monat dauern, also nutzte ich die Zeit zumindest ein wenig zur Informationsbeschaffung. Bei der neuen Welt handelte es sich um einen Kontinent namens Matztica, der vor einigen hundert Jahren wohl bereits entdeckt worden war. Jedoch riss der Kontakt in diese neu entdeckte Welt ab, da die Seeroute zwischen Faerun und Matztica von schrecklichen Stürmen geplagt wurde, die eine Überfahrt praktisch unmöglich machten. Erst vor wenigen Jahren entdeckte ein sembianischer Adliger den Kontinent durch einen Zufall erneut. Nun machte sich jedes größere Land der Faeruns auf den Weg in die neue Welt, um das Land und seine Schätze zu erschließen. Insgesamt verstand ich recht wenig von dem, was mir erzählt wurde, wobei ich mir die größte Mühe gab, diesen Umstand zu überspielen. Kolonialisierung, politische Streitigkeiten, wirtschaftliche Konkurrenzkämpfe und all der andere Quatsch, mit dem die herrschende Klasse sich die Zeit vertrieb, war nichts, womit ein einfacher Sklave sich auskannte. So brachte ich die Zeit um, starrte von der Reling aus auf das Meer hinaus und ließ mir von den Seemännern eine Menge Seemannsgarn erzählen, auch wenn ich meistens für mich blieb. Da am Ende der Reise die Sklaverei auf mich warten sollte, hatte ich kein echtes Interesse daran, hier enge Bekanntschaften zu schließen. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass sich an Bord drei Andere befanden, die ich künftig meine Gefährten nennen würde.   Denn ich lernte sie erst so richtig kennen, nach der Nacht, in der ich mit dem “Blutfels” Bekanntschaft machte. Ich erinnere mich noch sehr genau an diesen 09.Mirtul.1567. Plötzlich erklangen überall an Bord die Alarmglocken, mitten in der Nacht. “Piraten!”, erschallten die ersten Rufe, während ich mich aus der Trägheit des Schlafes hoch kämpfte. Kurzerhand warf ich mich in meinen Brustpanzer und ergriff meine Glefe, mehr instinktiv als wirklich bewusst, während ich aus meiner Gästekajüte auf den Gang hinaus stolperte, hinein ins Chaos. Schon stürmten 5 Männer mit Waffen an mir vorbei, Einer von ihnen rempelte mich aus Versehen an, was aber für die nötige Erschütterung sorgte, um mich wach zu kriegen. Also eilte ich Ihnen hinterher, während ich über mir an Deck bereits die ersten Schüsse krachen hörte. Als ich das Deck erreichte, war der Kampf bereits in vollem Gange, die Besatzung der Ebengold stürzte sich mit Säbeln und Pistolen bewaffnet auf die Entermannschaft, die gerade im Begriff war von ihrem Schiff, ein riesiges Kriegsschiff mit vielen Masten und vor allem noch mehr Kanonen, überzusetzen. Die Piraten, blutrünstige, kampferprobte Männer und Frauen, fällten einen Widersacher nach dem Anderen. Ein Ritter in voller Rüstung, ich erkannte ihn sofort als den Kerl, der Tag ein Tag aus am Bug stand und in die Ferne starrte, kam hinter mir die Treppe herauf gepoltert und riss sein Schwert aus der Scheide, bevor er sich ins Getümmel stürzte. Eine Sekunde lang fragte ich mich noch, wie er es so schnell geschafft hatte, sich eine schwere Rüstung anzulegen, bevor ich es ihm gleich tat. Ich wirbelte meine Glefe in den Händen herum und streckte den ersten Piraten der sich mir in den Weg stellte, mit einem sauberen Hieb nieder. Es mag pervers klingen, edle Freunde, doch nach einem Monat des Friedens und der Seefahrt, so schön und faszinierend es auch war, war dein wenig Blutvergießen genau das Richtige für mich. Als das Blut des Mannes meine Klinge benetzte und er gurgelnd und hustend vor mir zu Boden ging, da fühlte ich mich genau in meinem Element. Mit einem Kriegsschrei an Tempus bekam auch der nächste Feind meinen Stahl zu schmecken, danach direkt noch Einer. Irgendwann stolperte mir ein Gegner in die Klinge, als ihm eine rothaarige Halbling zwischen den Beinen hindurch huschte. Sie wirkte gehetzt, ein wenig erschrocken, dennoch grinste sie mir verschmitzt zu, bevor sie weiter wuselte und die Piraten schalt, sie wären alle doof und hätten sowieso nichts drauf. Ein seltsamer Anblick auf dem Schlachtfeld, aber es schien unter den Angreifern für genug Verwirrung zu sorgen, dass Mancher von Ihnen seine Deckung vernachlässigte um dem schimpfenden Meter hinterher zu sehen und so einem Säbel zum Opfer fiel, oder den flammenden Geschossen eines weißen Tabaxi, der ebenfalls über das Deck huschte. Ich fällte Feind um Feind und steckte selbst den einen oder anderen Treffer ein, bis meine Rüstung rot gefärbt war, vom Blut meiner Feinde und meinem Eigenen, doch es half nichts. Für jeden Piraten den wir töteten, kam zwei Neue an Deck gesprungen und töteten weitere aus der Mannschaft der Ebengold, bis nach wenigen Minuten der Gewalt, nur noch eine Hand voll von uns übrig waren, umzingelt von Piraten, die nur darauf warteten dass wir eine falsche Bewegung machten, ihnen einen Grund lieferten uns zu töten. Keiner von uns schien dumm genug dazu zu sein.   An das, was danach passierte, erinnere ich mich nur noch schemenhaft. Der Blutverlust musste mir mehrfach das Bewusstsein geraubt haben, so dass Einer der Piraten mich immer wieder wachrütteln musste, während er mir Verbände anlegte, damit ich nicht verblutete. Ich verstand erst gar nicht, warum sie mich nicht sterben ließen, also ich dort auf Knien zusammengesunken neben meinen Mitstreitern auf die feindliche Kapitänin wartete, doch sie sorgte schnell dafür, dass keine Fragen übrig blieben. Auftritt, Jarbeth Kehlenschnitt, Kapitänin der Eiswelle, Herrin des Blutfels und eine echte Fotze. Stellt euch auf mehr Kraftausdrücke ein, edle Freunde, denn auf meinen Reisen sind mir noch viel mehr Leute eines ähnlichen Kalibers begegnet, auch wenn Jarbeth auf der Rangliste insgesamt schon einen sehr hohen Platz bekleidet. Selten habe ich eine Elfe gesehen, die ich wirklich hässlich fand, doch sie gehörte definitiv dazu. Dabei war es viel weniger ihre physische Erscheinung, die ich so abstoßend fand, sondern eher ihre Art und Ausstrahlung. Unseren Kapitän erschoss sie, als er noch vor ihr kniete. Seine Waffenmeisterin ließ sie auf ihr Schiff zerren damit…. keine Ahnung. Ich hörte und sah sie nie wieder. Die Götter mochten ihr gnädig sein. Den Rest von uns ließ sie versklaven, damit wir auf ihrem neuen, gekaperten Schiff dienen konnten. Mich starrte sie an, wie eine Waffe die sie eben zufällig vom Boden aufgelesen hatte. Ich kannte diesen Blick von anderen Herrschern, doch war ihrer ungleich viel kälter. Ich wusste sofort, gab ich ein Widerwort, oder versuchte nach meiner Glefe zu greifen, würden sie und ihre Leute mich nicht töten, sondern mir alle Knochen brechen. Solange bis ich gehorchte. Es war das Ende einer Reise und der Beginn einer Neuen. Von der Gefangenschaft in die Gefangenschaft.

???-Prolog

Ein Sturm zieht auf und mit sich bringt er Veränderungen. Es ist eine Zeit, in der sich Schicksale offenbaren und erfüllen, in der raue, mysteriöse Winde unsere Segel füllen und bedeutungsschwangere Worte in die Ohren meiner Mitstreiter und meine Eigenen flüstern. Ein leises Raunen aus längst vergangenen Zeiten, das von untergegangenen Zivilisationen erzählt, mystischen Orten, an denen die Götter wandelten und schließlich die Sterne fielen. Gottgleiche Wesen und ihre Champions, die ihre Hände nach denselben Schätzen ausstrecken wie wir. Ausgestorben geglaubte Wesen in unseren eigenen Reihen.Vergessen geglaubte Götter. Mit jedem Schritt nach vorne, zeigt das Schicksal neue Wege auf, offenbart neue Herausforderungen. Das hier ist meine Geschichte. Die Geschichte eines Waisenjungen, der sich in der Sklaverei wiederfand, die Kunst des Krieges erlernte, seine Fesseln abwarf und zum Abenteurer wurde. Ein Prinz der Meere für die Einen, ein Pirat für die Anderen. Ein Befreier für Jene die immer noch Opfer der Sklaverei sind. Der Schrecken in den Herzen derer, die den Wehrlosen die Freiheit rauben. Doch es ist auch nicht meine Geschichte, oder zumindest nicht nur meine Geschichte. Es ist auch die Geschichte derer, die an meiner Seite reisten und es auch jetzt noch tun. Denn diese Sage ist noch nicht zu Ende erzählt, die letzte Ballade noch nicht geschrieben und auch nicht gesungen. Doch ich greife zu weit vor, in eine Zukunft von der ich nicht weiß wie sie aussieht. Deswegen beginne ich damit, einen Blick auf die Wurzeln zu werfen. In den Sanden meiner Vergangenheit, in denen ich geschmiedet wurde, lange bevor ich je auch nur zu träumen gewagt hätte, jemals Fuß auf ein Schiff zu setzen. Wie ein weiser, alter Tortle einst zu mir sagte, “Es gibt keine Geschichte, die es nicht wert wäre, gehört zu werden”.   Mein Name ist Atreus. Zumindest denke ich, dass das mein Name ist. Ich habe keine Familie, die mich je mit diesem Namen angesprochen hat, im Waisenhaus hat man mich einfach so genannt. Eigentlich habe ich nicht einmal eine echte Heimat. Denn ich bin ein Sohn von Mytros, der goldenen Stadt von Altumbel. Das großartige Mytros, von dessen einstigem Glanz und Reichtum heute ebenfalls nur noch Geschichten erzählen. Mytros, so wie anscheinend jede Zivilisation, die ihren Zenit überschritten hatte, ging nämlich unter. Ich selbst habe keinerlei Erinnerungen an die Katastrophe, die zum Untergang meiner Geburtsstadt führte. Vielleicht war ich zu jung, um mich zu erinnern. Vielleicht waren die Erlebnisse für einen Jungen zu traumatisch, so dass mein junges Ich sie in einem finsteren Teil meines Gedächtnisses in eine dicke Eisentruhe einschloss und den Schlüssel ins Meer warf. So oder so, ich erinnere mich an Nichts, egal wie sehr ich es auch versuche. Alles was vor meinem Leben in Calimshan passierte, liegt für mich im Nebel. Trotzdem musste ich es erwähnen, denn mein mytrosisches Blut spielte vermutlich eine große Rolle darin , wie sich mein Leben weiter entwickelte. Wäre ich nämlich ein beliebiges Waisenkind gewesen, wäre die Wahrscheinlichkeit viel höher gewesen, dass das Waisenhaus in Calimport, in dem ich aufwuchs, mich ab einem gewissen Alter einfach in die Gosse ausgespuckt hätte. Dann wäre ich heute kein Prinz der Meere, kein Abenteurer, sondern vermutlich ein einfacher Dieb oder Schläger, für eine der vielen Diebesgilden der Stadt. Oder tot. Doch meine Herkunft bewahrte mich vor einem solchen Schicksal, denn sie zog den Blick eines bedeutenden Mannes auf sich. Einer der Paschas von Calimport, Amir ibn Yusuf al Farhat. Ein reicher, einflussreicher Mann aus ehemaligem Schwertadel unter dem Sultan von Calimshan, heute ein wichtiger Waffenlieferant und auch groß im Gladiatorengewerbe. Schnell erkannte er den Wert eines jungen Überlebenden aus Mytros, als Ausstellungsstück für seine Sammlung exotischer Kampfsklaven. So landete ich im Haushalt und der Gladiatorenschule des verehrten Pascha, wo mein eigentliches Leben begann und wo ich auch den größten Teil meines bisherigen Lebens verbrachte. Ich musste damals so um die fünf Jahre alt gewesen sein, aber auch da war ich mir nie sicher. Mein Alter wurde einfach geschätzt, mein Geburtstag war dann einfach der Tag, an dem ich in die Dienste meines einstigen Herren trat. Nicht dass ich ihn je gefeiert hätte.   Zuerst war ich ein einfacher Bediensteter. Ich erledigte Botengänge, trug Wasserkrüge, half die Kamele zu füttern oder ihren Stall auszumisten und noch viele andere Aufgaben, die auch ein junger Knabe erledigen konnte. Damals verstand ich noch nicht, dass meine Ausbildung zum Gladiator schon dort begann, heute ist mir aber umso klarer, dass man die Zeit einfach nutzte, um mir Gehorsam einzubläuen, bis es an der Zeit war, mich im Kampf zu unterrichten. Natürlich wurde ein Kind niemals so hart bestraft wie die Erwachsenen unter den Sklaven, aber ein paar Schläge mit dem Gürtel reichten ja oft schon, um den wilden Geist der Jugend zu zähmen. Ein Vorgang, der einfach so lange wiederholt wurde, bis der Wille zum Aufstand endgültig gebrochen war und einfach durch die Angst vor weiterer Bestrafung ersetzt wurde. Grausam, mögt ihr nun denken, edle Freunde. Sklaverei ist ein Schandfleck, der getilgt werden muss. Aber ein paar Schläge waren noch eine milde Strafe im Vergleich zu den anderen Bestrafungsmethoden, die bei gröberen Verstößen der Gehorsamkeit Anwendung fanden. An Flucht dachte sowieso niemand, der ein Mal gesehen hatte, was mit jenen geschah die versuchten zu fliehen. Mein Leben lief nie groß anders ab, als das der anderen Sklaven. Ich wurde nie bevorzugt behandelt, wurde ebenso indoktriniert wie die Anderen. Bis ich im zarten Alter von zehn Jahren mein erstes Schwert in der Hand hielt. Ab diesem Punkt, ließe sich mein Leben mit wenigen Worten zusammenfassen. Ich trainierte. Ich kämpfte in der Arena. Das wars. Meine gesamte Existenz diente nur dazu, dem Pascha auf dem Sand der Arena Ruhm und Ehre und vor allem eine Menge Gold einzubringen. Doch irgendetwas erzählenswertes muss es doch geben, denkt ihr euch bestimmt. Die besondersten Kämpfe zum Beispiel. Aber auch an dieser Stelle muss ich euch enttäuschen, werte Leser. Es gab zwar einst eine Zeit, in der ich als stolzer Gladiator über den Sand schritt und jeden meiner großen Siege hätte aufzählen können, doch diese Zeit liegt hinter mir. Ich erinnere mich noch sehr genau an meinen ersten Kampf auf den blutigen Sanden, gegen einen Mann aus Luskan der sich “der Metzger von Luskan” nannte, denn mit diesem Kampf begann meine Karriere und ich durfte zum ersten Mal vom Ruhm der Arena kosten, als die Menge meinen Namen jubelte. Doch je mehr ich über meine Laufbahn nachdenke, desto trister und sinnloser erscheint sie mir. Ich kämpfte. Ich gewann, ich verlor. Ich töte Männer, deren Leben wohl ähnlich verlaufen war wie Meines und ich tötete zum Tode verurteilte Gefangene, ausgerüstet mit rostigen Klingen. Hinrichtungen zur Belustigung und Befriedigung der Massen. Nein, ich kann dem nichts mehr abgewinnen. Wenn ich heute an diese Zeit denke, denke ich nur noch selten an den Rausch des Sieges, oder das Tosen der Menge. Viel eher gedenke ich den Männern und Frauen, die ich damals meine Leidensgefährten nannte. Das, was in knapp 25 Jahren in Diensten meiner einstigen Herren, einer Familie noch am nächsten kam. Die Lebenden wie die Toten und auch die, von denen ich mir sicher bin, dass die Sklaverei oder das Gladiatorentum sie mittlerweile wahrscheinlich umgebracht hat, ohne dass sie so wie ich von der Freiheit kosten durften.   Bevor meine Feder nun jedoch einer Melancholie anheimfällt, aus der sie lange nicht zurückkehren würde, lasse ich mit diesen Zeilen meine Vergangenheit als Sklave zurück. Ihr wisst nun, wo Atreus von den blutigen Sanden lernte, mit dem Schwert umzugehen. Lasst mich euch nun von dem Tag erzählen, an dem ich tatsächlich geboren wurde. Und später zu “Atreus von den brennenden Sanden” wurde.

Zweifel

Er sollte keinen ruhigen Schlaf finden. Auch nachdem er bei der Wache abgelöst worden war, lag er noch lange wach da und starrte in die leise vor sich hin knisternden Flammen des Lagerfeuers. Mal rasten zehn Gedanken gleichzeitig durch seinen Kopf, mal war sein Blick leer und ausdruckslos, sein Schädel ein leeres Gefäß. Unruhig wälzte er sich herum, richtete den Blick in den sternenerfüllten Nachthimmel, wo Selune silbern schimmerte, die Finsternis mit ihrem Licht vertrieb. Das Feuer des Tempus hier, das Licht der Selune dort. Drehte er sich weiter in Richtung Wald, starrte er in die Finsternis der Nacht, wo noch ganz andere Götter lauerten. Götter, wo man sich auch hindrehte. Eine ganze Welt von ihren schicksalshaften Launen gelenkt.   “Du bist schon lange kein normaler Mensch mehr, Atreus.” “Denkst du denn nicht, dass du von den Göttern gesegnet bist?”   Einem Teil von ihm tat es leid, dass er in einem Anfall von Selbstverteidigung auf die Ansichten seiner Kameraden gespuckt hatte, schätzte er ihre Meinungen doch sehr, nach dem langen Weg, den man zusammen hinter sich gebracht hatte. Die freche Art von Eden, die auf eine fast schon gefährliche Art abfärbend wirkte, mit ihrer Aufgeschlossenheit. Die Sanftheit von Mae, die er eher als kleine Schwester betrachtete. Morgraines rationale Kühle, die seiner eigenen Finsternis zusprach. Jade, die jeden Tag als eine neue Gelegenheit betrachtete, ohne vorher zu wissen, wie diese Gelegenheit aussehen würde. Doch einen anderen Teil von ihm machte es auch rasend vor Wut und angegriffenem Kriegerstolz. Alles, was er konnte, konnte er, weil er es sich angeeignet hatte. Seine Fähigkeiten mit der Waffe waren keine “Gabe”, die man ihm geschenkt hatte, sondern etwas, das er mit Blut und Schweiß bezahlt hatte. Kein Gott war herabgestiegen und sprach in mystischen Visionen zu ihm, oder hatte seine mächtige Hand auf ihn gelegt. Der Sand hatte ihn geschmiedet. Dass er noch lebte, verdankte er weder einer schicksalshaften Intervention, noch besonders großem Glück, sondern nur seiner Expertise in der Kampfkunst, die ihn auch heute noch am Leben hielt. Dass er über Meuchelmord sprechen konnte, zeugte für ihn nicht von geopferter Menschlichkeit, sondern von der mentalen Stärke, die man braucht, um das zu tun, was notwendig ist. Das eigene Überleben um jeden Preis zu sichern, egal wie hoch dieser Preis ausfiel. So wie er es jahrelang getan hatte. Irgendetwas Anderes zu behaupten war bestenfalls eine Frechheit.   Oder zumindest hatte er das lange gedacht. Seine “Normalität”, die er wie einen Schild vor sich hielt. Ein Bollwerk, das ihn vor allem schützte, was seine Kompetenz oder sein Verständnis überschritt. Damit er keine seltsamen Deals mit dem Schicksal einging, die sein Überleben gefährdet hätten. Wie ein Überlebender es eben tat. Je mehr er an seine Reise zurück dachte, desto mehr bröckelte das solide Mauerwerk. Vielleicht war alles ein großer Zufall. Vielleicht war er wirklich normal. Aber wie viele normale Menschen, fanden sich plötzlich umringt von Auserwählten und Helden wieder, egal ob gut oder böse? Morgraine, der ehemalige Vampir, nun ein Untoter im Zeichen eines beinahe vergessenen Totengottes. Ein Gott von dem Morgraine nicht einmal wusste, bis dieser Gott ihm von sich aus die Hand hin streckte. Mae, das Bauernmädchen, das sich zur Navigatorin eines großen Piratenschiffs hochgearbeitet hatte, ihren verschollenen Bruder fand, obwohl die Hoffnung gering war und wie vom Schicksal geküsst, ein Drachenei fand. Ein Bauernmädchen als Ziehmutter einer ausgestorben geglaubten Drachenart? Eden… zumindest nannte sie sich so. Ein einst unscheinbares Mädchen, das eine mächtige Fee im Wald fand und so zu großer Macht gelangte. Eine Fee… oder eher das Fragment einer zerschmetterten Gottheit. Flamme, die von den Toten zurückkehrte, weil ihre Seele stur genug war und die nötige, magische Hilfe hatte. Der Tod, ein Ort von dem Atreus noch nie jemanden hatte zurückkommen sehen. Und Jade, die mächtige Piratenkapitänin mit den vielen Geheimnissen und falschen Namen, mit dem großen Erbe. Ein Erbe, das zufällig von den Auserwählten weiterer Götter gejagt wurde. Iotama… Sturmfalke… Rikuhu…. Calistria Auserwählte und Helden in ihren eigenen Geschichten.   So viele “zufällige” Begegnungen. So viele Dinge, die er nicht verstand. Hatte er einen Platz in diesem Gefüge? Wie sah dieser Platz aus? Er war nicht Mavenyas Champion. Wenn, dann wäre das Eden gewesen, auch wenn er vorhatte, die neue Gestalt zu nutzen, wie versprochen. Eine Waffe gegen die Kräfte, denen sie sich stellten. Er war auch nicht Jades Champion, denn sie brauchte einfach keinen Champion. Doch was war es dann, was ihn besonders machte? Was machte ihn zu mehr als einen Mann, der seine Waffe besonders gut schwingen konnte? Vielleicht hatte er keinen Platz. Vielleicht war es seine Aufgabe, die Geschichte der Anderen zu erleben und zu erzählen. Ein Geschichtenerzähler, wie Kror es gesagt hatte. Doch warum konnte er sein Schwert dann nicht niederlegen? Warum stürzte er sich wieder und wieder, von flammenden Zorn geleitet in den Kampf? Warum ließ er die “Helden” nicht einfach ihre Arbeit machen? Vielleicht weil er dazugehörte. Vielleicht hatte ein Gott sein Auge auf ihm, wie Morgraine sagte. Doch warum offenbarte er sich nicht? Wollte man das überhaupt annehmen? Würde das nicht auch bedeuten, das seine Qualen in der Sklaverei Schicksal waren? Hatte ein Gott ihn Jahre des Blutes durchleben lassen, um seinen Hass und seine Wut zu schmieden? Damit er loszog, um das Böse und Schlechte zu jagen? Um es zu vernichten? Ob mit Mord oder im Kampf, ganz egal, solange das Blut des Bösen nur floss?   Leise seufzte er, ehe er sich wieder auf seiner Schlafstatt herum wälzte. Es war egal. Er würde nie Antworten bekommen. Er konnte wohl versuchen mit Kror zu reden, versuchen seinem früheren Leben auf den Grund zu gehen. Vielleicht würde er sich an Mytros erinnern. Oder an sein Leben vor diesem Leben. Aber eher nicht. Denn wie ein weiser Priester ihm sagte, es bräuchte einen Grund, aus dem er sich erinnern müsste. Wie so oft zwang er sich zur Ruhe, suchte den Schlaf. Auch wenn die Zweifel, die er vor den Anderen versteckte, nie verschwanden. Einen letzten Blick warf er hinüber zu Drest. Eine zerbrochene Klinge. Eine ausgefranste Seele. Ein bisschen wie er Selbst.

Macht

Eine Krone aus goldenen Blüten setzte sich auf ihr Haupt, ein Gefühl von Macht durchzog jede Faser ihres Körpers, knisternd und darauf wartend freigelassen zu werden. Sie hob die Hand und genoss das Kribbeln in ihren Fingerspitzen, trotz des Chaos und der Gewalt um sie herum. Eine verirrte Kugel zischte an ihr vorbei… spielte keine Rolle. Was konnten einfache Kugeln gegen diese Macht ausrichten, so ursprünglich und unendlich? Sie warf dem Soldaten auf dem anderen Schiff eine Kusshand zu, spürte, wie die Magie nach ihm griff… dann sah sie, wie seine Augen langsam glasig, sein Blick leer wurde, als ihr Zauber seinen Willen, seinen Geist, sein gesamtes Wesen mit Gewalt beugte. Ihn davon Glauben machte, sie sei eine fleischgewordene Göttin, deren Wünsche er um jeden Preis erfüllen musste. Dann sah sie zu, wie der Mann sein Gewehr an die Schulter hob, entschlossen, präzise. Sich zu seinem eigenen Kapitän umwandte und ihm in die Brust schoss. Tödlicher Verrat. Ein kurzer Ausdruck der Ungläubigkeit auf dem Gesicht des Magierkapitäns, bevor er sterbend in sich zusammen sackte. Dieser mächtige Mann, der Feuerbälle in der Luft verpuffen ließ, Beschwörungen auflöste wie er wollte, eigene Feuerbälle produzierte und sogar einen Djinni beschwören konnte, war ihr ihr doch zum Opfer gefallen, trotz aller Bemühungen dem Feuer ihrer Kameraden zu entgehen. Ein dunkles, triumphierendes Lächeln umspielte ihre Lippen, der Geschmack von Überlegenheit lag auf ihrer Zunge und sie kostete genüsslich eine Sekunde davon, bevor sie sich wieder dem Kampf zuwandte. Der Kampf sollte mit dem Tod des Kapitäns nicht enden, aber dank des kombinierten Aufwands der Crew sogar ohne Verluste vorüber gehen. Man schlang die Arme umeinander, gratulierte sich, doch als das Plündern und die Freude über die Beute vorbei waren, war man eben doch wieder für sich.   Aela… Atreus…. hatte sich ein wenig früher abgesetzt als sonst. Alleine und für sich, ließ sie sich erschöpft auf dem Divan der Kapitänskajüte zusammen sinken, atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen. Nach der Aufregung des Kampfes, dem nur zu bekannten Adrenalin, war die Erschöpfung über sie gebrochen, die enorme, magische Anstrengungen nunmal mit sich brachten. Trotzdem waren das Erlebte und der Nachgeschmack nicht gewichen. Noch immer konnte sie den Funken spüren, der in ihr loderte, Macht, die nach einigen Stunden Schlaf wieder dazu bereit war, ihren Willen zu tun. Sie grinste in sich hinein, dann brach sie in Gelächter aus, glockenhell und wunderschön, mit der neuen, weichen Stimme, die mit der Gestalt der schönen Elfenmagierin einherging. Sie kam nicht umher, die Hände an sich herab wandern zu lassen, über Kurven und seidenartige, makellose Haut und dem Kribbeln der Macht nach zu fühlen, das sie so eindeutig gespürt hatte. Ein genüssliches, beinahe sinnliches Seufzen kam ihr dabei über die Lippen, während sie die Gedanken schweifen ließ. Trotz des Rausches, war es immer noch ein wenig seltsam. Atreus war der Normalste unter den Normalen. Das, was er als seine “Macht” bezeichnet hätte, entsprang der Härte seines Körpers und seinem Verständnis für die Kriegskunst. Ganz und gar sterbliche, irdische Eigenschaften. Eine Macht die nicht gegeben wurde, wie ein Geschenk, sondern deren Zins er unter Peitschenhieben und auf dem Sand der Arena mit seinem Blut bezahlt hatte, Jahren der Schmerzen. Ein gebrochener, unterworfener Mann, später in einem Feuer des Zorns neu geschmiedet. Aber so bodenständig er auch war, wie hätte er dieser Kraft widerstehen sollen? All seine Schwertkunst hätte ihn nicht wieder an den Pascha heran bringen können, auch wenn er im Alleingang hundert Mann hätte töten können. Doch nun? Bilder blitzten vor seinem geistigen Auge auf. Eine Elfe, wunderschön und elegant, mitten im Harem des Paschas, wartend zwischen seidenen Laken. Ein begehrlicher Blick den er ihr zuwarf. Eine Krone aus Gold und Blüten auf ihrem Haupt, ein tödlicher Luftkuss, bevor er vor ihr nieder sank und ihr die Füße küsste, nichts als ein niederer Diener, vor dieser Kraft. Ein Messer in seiner Hand, mit dem er sich ein eigenes Herz aus der Brust schnitt, nur um es vor ihr präsentieren zu dürfen. Und die Göttin, die mit einem Lächeln der Genugtuung auf den Lippen und blutigen Fingern, dieses Bußgeschenk annahm. Rache, vollzogen. Nach all diesen Jahren.   Sie schüttelte den Kopf, verbannte diesen Tagtraum aus ihren Gedanken. Atreus hatte Calimshan hinter sich gelassen. Doch was alles noch, konnte er mit dieser Kraft erreichen? Und was, wenn wirklich Atreus diese Kraft besäße und nicht Aela? Sie leckte sich langsam über die Lippen, bevor sie sich erhob. Sie wollte einen Schluck Wein trinken und dann eine gewisse Kapitänin schmecken. Und wenn die nicht konnte, dann eine gewisse Drow. Oder eine gewisse Meereselfe. Sie warf einen Blick an sich herab. Denn wer hätte sich ihr schon entziehen können?

Eine schöne Lüge

Sie erwachte in der Nacht, wie sie es so oft tat. Schlechte Träume, unruhiger Schlaf. Die Gedanken an die morgige Regatta, die vorbereitenden Gespräche, die Sorge vor dem Blutfels, einem blutigen Konflikt. Strategien, Vorkehrungen, Absicherungen, Kampftaktiken, Schichteinteilungen. Und dann noch Erinnerungen an Dinge, die längst in der Vergangenheit lagen, sie aber trotzdem immer wieder heimsuchten, wenn sie mit ihren Gedanken alleine war. Schlaf war nunmal so eine einsame Sache, trotz der rothaarigen Schönheit, die friedlich schlafend neben ihr lag. Ihr Anblick reichte jedoch, um all die trüben Erinnerungen wieder hinfort zu jagen, als sie an die vergangenen Stunden dachte. Ein wohliger Schauer der ihr über den Rücken lief, als sie der Spur nach fühlte, die ihre Lippen vorhin gezogen hatten, mit Küssen, die ein Prickeln auf ihrer Haut hinterließen. Leise seufzte sie aus, als sie die Beine vom Bett schwang um sich auf Katzensohlen hinüber zu den Divanen zu schleichen, wo noch immer die angebrochene Flasche Wein auf dem Tisch stand, von dem sie sich einen ordentlichen Becher voll einschenkte, in der Hoffnung dass die Schwere des Alkohols ihr dabei half, den Schlaf schnell wieder zu finden. Zufrieden seufzte sie auf, als der süßlich-saure Nektar ihr die trockene Kehle benetzte, da ließ sie den Blick ein wenig schweifen. Die Kajüte der Kapitänin war doch recht elegant möbliert, ein gewisser Luxus, der sich für ihren Status wohl ziemte oder ihr einfach gefiel. Diwane, ein Kleiderschrank der nach Handwerkskunst aussah und nicht einfach wild zusammen genagelt, ein gepolsterter Stuhl für ihren Schreibtisch, ein Bett so groß wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte, voller weicher Kissen und kuscheliger Decken. Früher hätte sie ohne zu Zögern einen Mann in der Arena erschlagen, nur für die Aussicht, in einem solchen Bett schlafen zu dürfen. Auch ein Spiegel war da, über der Schminkkommode, in einem einfachen Rahmen, dennoch ungefähr einen Meter in der Höhe, so dass man sich noch kurz betrachten konnte, bevor man die Kajüte verließ. Immer wieder erschrak sie sich, wenn sie daran vorbei ging, denn in der eigenen Kajüte gab es keinen Spiegel. Kein anderes Ich, dass einem das Gefühl vermittelte, dass noch jemand im Raum war, selbst wenn man völlig alleine war. Auch jetzt. Ihr Blick traf den ihres Spiegelbildes, auch in diesem Moment und sie sah sich einen Moment lang unverwandt selbst an. Die Fremde, die sich ihr seit kurzem immer wieder zeigte, seit sie den Ring der Fee trug. Atreya, die Kapitänin. Der Gladiator konnte nicht leugnen, dass die neue Kapitänin eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm besaß. Das Körpergefühl war ein Anderes, kleiner, schwächer, dafür flinker, aber die Haltung war gleich. Kontrolliert, stoisch. Auch die Haarfarbe war sich zum Verwechseln ähnlich. Das Feuer in den Augen, das stetig vor sich hin loderte, seit er nicht mehr versuchte, es durch Selbstmitleid zu drosseln. Aber auch wenn die Ähnlichkeit da war, sie war doch jemand völlig Anderes. Atreya war weicher als er selbst. Schöner. Wo der Sand der Arena den Krieger gemeißelt und geschliffen, ihn eisenhart und gezeichnet zurückgelassen hatte, war sie weich. Warm. Wunderschön. Keine Narbe, egal ob gut verheilt oder ausgefranst, zierte den Oberkörper und seine verführerischen Kurven, die samtige Haut. Keine schwieligen Hände, die einen Schwertgriff mit stählerner Verbissenheit umklammerten, so dass man ein Brecheisen gebraucht hätte, um dem Krieger seine Waffe zu entreißen. Die Finger waren schlank und elegant, ihre Berührung war mehr wie das sanfte Streichen einer Feder. Atreya erkannte auch, welche Macht dieses Aussehen mit sich brachte. Die Blicke, mit denen man sie bedachte, vom schmierigen Seefahrer, bis zum angesehenen Kapitän. Sogar in der eigenen Crew war ihr nicht entgangen, wie der Eine oder Andere sich umdrehte, wenn sie an ihm vorbei schritt. Der Hintern in der engen Lederhose, der Saehlins Augen wie ein Magnet anzuziehen schien. Kara die beinahe aus der Takelage gefallen wäre und wer wusste, welche Blicke sie vielleicht gar nicht bemerkt hatte? Sie trank nachdenklich einen weiteren Schluck Wein, als Frust in ihr aufzuwallen drohte. Sie hatte versucht, das Beste aus diesen Waffen zu machen, dennoch war Atreus immer wieder an die Oberfläche durchgedrungen, mit seiner kühlen, analytischen Art. Politisch, strategisch. Wenig einlullend in die schönen Reize, kein charmantes Lächeln um die Gemüter zu verzaubern, sondern ein berechnender Blick. Und natürlich der ewig währende Zorn, der stets im Hintergrund brodelte. Ein unstillbarer Durst nach Blut und Vergeltung, der sie jeden einzelnen Mann und jede einzelne Frau vom Blutfels hätte eiskalt abknallen lassen, wenn sie nur die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Aber war das nicht viel ehrlicher? War sie am Ende des Tages, sobald sie sich dazu entschied den Ring abzunehmen, nicht doch nur Atreus von den brennenden Sanden? Krieger, Steuermann, Stratege… Poet, wie vielleicht mancher behauptete. War das hier nicht viel mehr eine schöne Lüge? Ein Schauspiel, um eine gelangweilte Fee zu unterhalten, damit man ein magisches Schwert wiederherstellen konnte? Ein weiterer Schluck Wein wurde getrunken, bevor sie den Blick nachdenklich an sich herab gleiten ließ, ihn letztlich Richtung Bett lenkte, wo das Haar, rot wie süßer Wein, weiterhin friedlich schlummerte. Wieder dachte sie an sanfte Lippen, geschwungene Kurven, Nächte der Leidenschaft. Auch etwas Schöneres hatte Einzug gehalten, seit dieser Verwandlung. Ein Hunger, ein Verlangen nach Mehr. Nicht das Schwert zu ziehen, sondern eher es stecken zu lassen. Sich den Genüssen hinzugeben, so dass es nicht Tempus, sondern Sune mit Stolz erfüllt hätte? Es gelüstete sie nach besserem Wein. Einer weiteren Nacht mit Jade. Den Geschmack von Drow-Lippen kennenzulernen. Es verlangte sie nach einem Tanz im Mondlicht, einer Runde Königsmörder in bester Gesellschaft, einer Pfeife voll edelstem Tabak, bei ruhiger See, um einfach nur dem Lied der Wellen und des Windes zu lauschen, während die Mannschaft im Hintergrund ihre eigenen Lieder sang. Es gelüstete sie… ihn… sie… die Grenze wurde immer unklarer. Gelüstete es nicht auch Atreus nach diesen Dingen? Viel weniger als ein klares Ziel, war dies nicht viel eher das Leben an sich? Mit einem Kopfschütteln verscheuchte Atreya die verwirrenden Gedanken, schob es auf die Wirkung des Weins. Sie… er, musste morgen einen klaren Kopf haben. So dass sie den Becher schließlich abstellte und sich ins Bett zurück schlich, sich vorsichtig an die Geliebte schmiegte um ihre Wärme zu spüren. Dann schlief sie ein und kein böser Gedanke sollte sie bis zum Morgengrauen wecken.

In Vino Veritas

Die Planken der Treppe zum Kommando-Deck knarzten leise, als Atreus sich mit einer Flasche Wein und zwei Bechern im Anschlag auf den Weg zum Steuer machte. Die Nacht war mittlerweile über das Schiff hereingebrochen, man hatte eine lange, fast geradlinige Seestrecke vor sich und das Wetter war gut. Schön, beinahe romantisch. Selune’s silbriges Licht erfüllte die Dunkelheit der Nacht, tausende Sterne schienen am Himmel zu funkeln wie kleine Diamanten. Romantisch für Paare, die den Anblick bewunderten, und romantisch für Piraten, die wehmütig seufzten, weil sie die Hände nicht einfach nach diesem Reichtum ausstrecken konnten. Ein Paar fand sich dort oben auf dem Kommandodeck auch wieder, nur eben kein Liebespaar, sondern ein Paar Steuerleute. Saehlin, die Drow, hob fragend die Brauen als sie den Kollegen ihrer Zunft herauf schlendern sah. “Atreus, Cherí, mit dir habe isch aber heute nicht gerechnet! Kannst du nicht schlafen?”, kam es ihr mit dem stets geschmeidigen cormyrschen Akzent über die Lippen. Die gelben Augen folgten dem Ex-Gladiator der neben ihr zu stehen kam, einen Becher mit Wein befüllte, ihn ihr in die freie Hand drückte und sich dann selbst einschenkte. "Dachte, du bist vielleicht einsam. Ich weiß dass Nachtschichten manchmal dröge und ätzend sind.” “Oh là là. Isch freue mich natürlich immer über Besuch.” Mit einem Grinsen ließen sie ihre Becher zusammen stoßen, doch die Reaktionen auf den Wein hätten nicht unterschiedlicher sein können. Während Atreus das Gesöff wie stets einfach wortlos hinunter leerte, verzog Saehlin ein wenig das Gesicht, so als ob sie in eine Zitrone gebissen hätte. “Mon cher, du musst wirklich damit aufhören, dieses Gift zu trinken.'' Der Krieger blickte fragend zu ihr herüber, dann in seinen Becher, dann auf die Weinflasche. "Dachte, das ist Wein, kein Gift. Normalerweise hätte ich Rum angeschleppt, aber du wirkst nicht wie eine Berufstrinkerin.” Die Drow schüttelte leicht den Kopf. “Isch trinke aus Genuss. Wenn Genuss zum Zwang wird, macht es keinen Spaß mehr. Aber wenn man genießt, sollte man auch das Richtige genießen!” Atreus zuckte mit den Schultern. “Hrm… keine Ahnung. Bisher war mir nur wichtig, dass der Alkohol mich betrunken macht. Und dass es viel davon gibt.” Tadelnd hob die Dunkelelfe einen schlanken Finger. “Das ist doch für einen stattlichen Kerl keine Art zu leben, mon ami.” Sie zeigte demonstrativ an ihm auf und ab, wie er mit offenem Mantel an Deck stand, den athletischen, wenn auch vernarbten Oberkörper präsentierend. Dann zeigte sie an sich herab, wo sie doch neuerdings etwas Ausschnitt am Steuer zeigte. “Sieh uns an! Alleine unsere Aufmachung strotzt vor Wagemut und Lebensfreude! Dann werden wir uns doch nicht dem Suff mit billigem Waschwasser hingeben.” Der Calimshaner folgte ihrem Blick, erst an sich herab, dann… an ihr herab. Er seufzte leise. “Es ist wirklich eine Schande, dass du dich eher zu Frauen hingezogen fühlst.” Der Elfe entkam ein fröhliches, glockenhelles Lachen. “Siehst du? Du kannst charmant sein, wenn du willst. Lass es mich belohnen, hrm? Wenn du nur einen Moment das Steuer hältst.” Mit diesen Worten stolzierte sie auf langen, schlanken Elfenbeinen los, unter Deck, während Atreus in Gedanken versunken den Kurs hielt. Es hatte gedauert, aber nach und nach wurde der Krieger ein wenig wärmer mit den Leuten auf dem Schiff. Zu Beginn war alles für ihn befremdlich gewesen. Seltsame Völker, seltsame Sitten, eine Arbeit die ihm völlig fremd war, magische Wesen, Meer statt Wüste. Doch mit der Zeit wurde das Verhältnis immer freundschaftlicher. Gemeinsame Trinkabende mit Jorn, Gespräche über die Seefahrt oder beinahe schon väterlicher Rat von Angus, der Weg des Feuers den Kror weiter in ihm schürte und noch viele Andere. Wer hätte je gedacht dass er mal neben einer Dunkelelfe stehen, ihr auf den Ausschnitt glotzen und mit ihr trinken würde? Ein Gladiator sicher nicht. Ein Pirat, vielleicht. Nach wenigen Minuten kam Saehlin dann auch schon wieder zurück aufs Steuerdeck, eine kleine Flasche in der Hand. “Da bin isch wieder!”, flötete sie dann deutlich erfreut und präsentierte das gläserne Behältnis. “Das ist ein Marsember von 1559! Eine der größten Handelsstädte meiner Heimat, weswegen sie den besten Wein herstellen. Mehr Zugang zu Gewürzen, weißt du?” Der Blick des Kriegers war verwirrt, doch als er den nächsten Zug aus seinem Becher nehmen wollte, fischte Saehlin ihm das Gefäß aus der Hand und kippte den Inhalt mitsamt dem ihres eigenen Bechers über Bord. “Man hätte das noch gut trinken können…”, murmelte der Calimshaner da, doch die Elfe wischte die Bemerkung mit der Hand beiseite. “Absurdité! Es wird Zeit dass du lernst wie man lebt, da stimme isch Majestro und den Anderen schon zu.” Mit diesen Worten schritt sie zurück ans Steuer und entkorkte die Weinflasche, goss in ihre Becher ein, doch bevor Atreus trinken konnte, gebot sie ihm Einhalt. “So einen edlen Tropfen schüttet man nicht einfach runter. Lass ihn kurz atmen und dann ganz langsam. Ein Schluck nach dem Anderen.” Fragend sah der Kerl wieder in seinen Weinbecher. “Wein… atmet?” “Oui. Damit die Stoffe und Gewürze, die Bitterkeit, die Fruchtigkeit Zeit haben sich zu entfalten, nachdem sie so lange eingesperrt waren.” Sie zwinkerte ihm zu. “Nutzen wir die Wartezeit doch für ein anderes Thema, hm? Wie steht es mit unserer Wette? Isch habe die Fee ja schon angesprochen, bei Phoebe warte isch noch auf den richtigen Zeitpunkt.” Die Augen der Jägerin funkelten ein wenig auf. “Glaube nicht, dass isch nicht bemerkt habe, dass du dich in die Kajüte der Kapitänin geschlichen hast.” Da hielt Atreus dann inne und sah sie überrascht an. Ertappt. Doch wieder zwinkerte sie nur. “Isch bin nicht nur so geschmeidig, sondern isch habe auch Augen wie eine Katze. Auch in der Nacht bleibt mir nichts verborgen!”, erklärte sie dann, mit dem Grinsen besagter Katze im Gesicht, nachdem sie sich nicht nur über die Sahne, sondern auch über das Milchmädchen hergemacht hatte. “Nun lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, mon cher”, bohrte sie dann noch ein wenig weiter nach, “Wie heiß brennt unsere Kapitänin? Oder ist sie eher sanft und weich, wie eine Frühlingsbrise?” Atreus starrte in seinen Becher, als könnte er den Wein damit beschwören, etwas schneller zu atmen, oder besser noch, hastig nach Luft zu schnappen. Damit er die Röte, die ihm ins Gesicht steigen wollte, einfach auf den Alkohol schieben konnte. “Sie… äh….”, kam es dann zögerlich, beinahe schüchtern über seine Lippen, aber Saehlin klopfte ihm nur lachend auf die Schultern. “Ah, lass dich nicht ärgern, mon ami. Isch verstehe schon. Ein Gentleman genießt und schweigt, nicht wahr?” Sie unterstrich diese Aussage mit einem wissenden Nicken, wie eine Expertin. “Aber was isch mich wirklich frage… du scheinst allen möglichen Frauen mittlerweile schöne Augen zu machen. Bei Eden merkt man es am ehesten, aber Kara? Alessia? Isch bemerke alles. Hast du die Jagd eröffnet? Seit wann?” Wieder starrte Atreus den Wein in seinem Becher an, doch dieser schien sich mit dem Atmen nicht weiter zu stressen. Zumindest bemerkte der Krieger keinen Unterschied. Dann aber atmete er einmal durch, entspannte sich ein wenig, bevor er zu sprechen begann. “Ich suche nichts Ernstes, Saehlin. Ich bin kein Mann der liebt oder in den man sich verliebt.” Sein Blick traf dann den der Drow, die ihn weiter fragend anschaute. “Ich werde irgendwann einen gewaltsamen, blutigen Tod sterben. Vielleicht morgen. Vielleicht nächste Woche. Oder nächstes Jahr. Weil ich den Krieg einfach im Blut habe. Ich sehe mich nicht im hohen Alter in meinem Bett sterben, in meinem kleinen Häuschen, umgeben von meiner Frau, unseren Kindern und Enkeln.” Saehlin lachte wieder fröhlich. “Niemand leugnet dass du ein großer Krieger bist, Atreus, cherì. Und es spricht auch nichts dagegen, aus einer einsamen Nacht ein Feuer der Leidenschaft zu machen, eh?” Sie hob dann ihren Weinbecher und roch daran, sog das Aroma ein. “Es ist wie mit gutem Wein, non? Genießen. Nicht übertreiben. Kara wirkt nicht als wäre sie für was Festes, da passt das… bei Eden wäre ich mir weniger sicher. Brich nur keine Herzen. Amüsieren, nicht verletzen.” Dann zwinkerte sie ihm schelmisch zu. “Isch mache es ja nicht anders. Eine heißblütige Liebhaberin, aber nicht festzuketten.” Der Krieger ließ das Gesagte ein wenig sitzen, sah von der Drow zu seinem Wein und hob dann ebenfalls den Becher an, um daran zu riechen. Ließ das Aroma auf sich wirken. Versuchte mehr darin zu sehen als nur ein Mittel, um unliebsame Erinnerungen darin zu ertränken. Dann nahm er einen Schluck. Langsam und ließ ihn sich auf der Zunge zergehen. “Genau so.”

Männergespräche

Sand. Das Gefühl von Sand, der durch das Stundenglas rieselt. Alles was war, was ist, und was sein wird, zusammengefasst in einem Wimpernschlag. Die Last der Unendlichkeit, die sich bleiern auf seine Schultern legte. Jeder Moment in sich eine kleine Ewigkeit… als Atreus seine Lebenszeit damit verschwendete, ein Glas voller Wasser anzustarren. Mehr gab es dazu auch gar nicht zu sagen. Er saß alleine unter Deck, während der Löwenanteil der Crew an Deck Dienst hatte, um Fahrt zu machen. Saehlin am Steuer, da konnte man sich die Zeit nehmen…. um ein Glas voller Wasser anzustarren. Bedrohlich. Lauernd. Er stellte sich vor, wie das Wasser sich seinem Willen beugte. Die Elemente seiner Sturheit nachgaben und die durchsichtige Flüssigkeit begann kleine Wellen zu schlagen, oder sich in dem Glas zu teilen, wie ein legendärer Magier aus längst vergangener Zeit es mal mit einem ganzen Meer getan haben soll. Oder so ähnlich ging die Geschichte doch? Er wusste gar nicht, wie lange er schon dort saß. Eine Stunde, vielleicht Zwei? Wohl eher Drei. Oder drei Tage, denn genau so lange fühlte es sich in etwa an, wenn man nichts Anderes tat, als ein Glas voll Wasser anzustarren, und ihm per Telepathie seinen Willen aufzwingen zu wollen. “Machst du Fortschritte?”, fragte eine ihm vertraute Stimme und Atreus blickte auf. Es war Jorn. Der luskanische Magier kam in Begleitung seiner üblichen Fahne, bewaffnet mit zwei Bechern und einer Flasche Rum, um sich ihm gegenüber zu setzen. “Ja, schon", antwortete Atreus. “Tatsächlich?” "Ja. Ich denke, das Wasser würde sich bewegen, wenn du das Glas mitsamt Inhalt nimmst, und es dir irgendwo hin schiebst”, kam es dann so trocken, wie von dem Griesgram eines Steuermanns zu erwarten war. Der Seemagier seufzte leise, ehe er etwas von dem braun-goldenen Rum in die beiden Becher einschenkte, Atreus dann einen davon zu schob. “Wo ist nur der Respekt der Schüler, für ihre Lehrer hin?”, lamentierte der Luskaner leise und klang dabei, als wäre er ein Jahrhunderte alter Zaubergelehrter, bevor er sich einen ersten Schluck aus dem eigenen Becher gönnte. Atreus tat es ihm gleich, seufzte dann leise aus, als das flüssige Feuer ihm die Kehle wärmte. “Magie ist eben ein Arschloch”, erwiderte er darauf. “Weißt du, min Jung, dafür dass du immer noch wie auf Sand herum watschelst, fluchst du zumindest wie ein echter Seemann. Und ich finde, das is’ schon ein bisschen was wert.” “Bist du hergekommen, um mein magisches Talent zu belächeln und dafür meinen Fluch-Wortschatz zu loben?”, fragte der ehemalige Gladiator dann mit einem schiefen Lächeln, doch der Magier schüttelte nur den Kopf. “Ne, dachte nur, du brauchst vielleicht auch ‘ne Pause.” Also dotzte Atreus seinen Becher gegen den von Jorn und die Beiden saßen einige Minuten nur schweigend da und genossen ihren Rum. Es war eine angenehme Art des Zusammenkommens, wie Atreus fand. Man musste nicht jeden einzelnen Moment mit irgendwelchen Worten füllen, nur um des Sprechens willen und Jorn schien diese Philosophie zu teilen. Vielleicht weil er insgesamt keinen großen Redebedarf hatte, oder einfach nur weil er dachte, nicht alles müsste unbedingt ausgesprochen werden, damit andere Leute Einen verstanden. Er fühlte sich dem Schnapsmagier generell sehr verbunden, mit seinem Hang, unliebsame Dinge in Hochprozentigem zu ersäufen, oder zu verfluchen. Jorn ging dabei sogar noch weiter und beschimpfte Umberlee, die Göttin der Meere die ihre Liebe zu Jorn sehr verdreht zur Schau stellte, auf unflätigste Art und Weise, was in Atreus Augen eine ordentliche Portion Mut erforderte, bedachte man wie schnell die Leute kleinlaut und hörig wurden, konfrontierte man sie mit höheren Mächten. Schlampe, Dreckstück, Fotze, Hure, all das scheute Jorn sich zu keiner Sekunde auszusprechen. Vielleicht seine sympathischste Eigenschaft. Dennoch brach Atreus das Schweigen irgendwann. “Wie ist die allgemeine Stimmung?”, fragte er seinen Freund, der ihn nur fragend anblickte. “Sollt’st du das nich’ besser wissen als ich, Herr Offizier?”, lautete die Gegenfrage. “Ich weiß sicherlich das Eine oder Andere, aber hab’ meine Augen auch nich’ überall. Also erzähl schon.” Weitere Schlucke leerten die Becher, weiterer Rum wurde nachgeschenkt. “Tja, was soll ich sagen?'' Ich schätz’ es is’ schon in Ordnung. Ich mein’ wenn du lange genug auf See bist, fängt jeder irgendwann an, über irgendwas zu jammern. Is’ schliesslich doch, Tag ein, Tag aus dasselbe. Takelage hoch, Takelage runter. Segel hiss’n, Segel raff’n. Da freut sich jeder mal über ‘n bisschen Abwechslung. ‘Ne kleine Kaperfahrt ums Gold reinzuspülen,’n neuer Hafen zum anlegen, um das Verdiente für besseren Schnaps und Huren wieder auszugeb’n. Aber das is’ normal.” Jorn zuckte mit den Schultern und Atreus nickte langsam, irgendwie verstehend. “Kommt mir trotzdem vor, als würde es besser werden. Vielleicht liegt es an den Neuen. Zumindest wirken manche Leute etwas ausgelassener.” “Find’st?” Zur Antwort deutete der Steuermann an sich herunter, wie er mit offenem Mantel da saß, die Narbenlandschaft seines Oberkörpers zur Beschau offen legte. Jorn nickte da wieder. “Also willst du damit sag’n, dass du ausgelassener bist, weil du dich nicht mehr ständig benimmst, als hätt’ dir früh morgens schon jemand in den Rum gepisst?” Eine wegwerfende Handbewegung des Steuermanns. “Wo ist nur der Respekt der Crew für ihre Offiziere geblieben?”, konterte er, was dem Rumzauberer doch ein amüsiertes Schmunzeln entlockte. “Nein, ich meine eher dass die Stimmung im Allgemeinen lockerer wird. Leute wie Alvaro und Ma’ waren ja schon immer locker, Ma’ hat auch schon immer versucht, das Schiff untereinander oder mit ihrer eigenen Familie zu verkuppeln. Zuletzt Eden mit Arnold. Aber das hat der Elf wohl mit Begeisterung in ‘nen Riff gesegelt, wie ich gehört habe.” Jorn nickte wieder langsam, leerte seinen Rum erneut. “Ich war dabei. Dabei hätt’ Eden sich sogar bemüht ihm ein wenig charmant entgegenzukommen. Vergeudete Liebesmüh’, der Kerl hat nur Augen für vergoldete Dinge.” Dann aber nahm der Blick des Magiers doch wissende Züge an. “Nich’ dass dich das stört, oder? Sie verbringt dafür ja jetzt viel Zeit auf’m Steuerdeck. Ich seh da zwischen dir, ihr und der Drow immer wieder mal so Blicke wechseln. Hab’ aber auch gehört dass du manchmal alleine mit der Käpt’n bist.” Atreus verengte ein wenig die Augen. “Wenn du was zu sagen hast, sag’s.” Doch der Magier hob nur abwehrend die Hände, ehe er ein weiteres Mal nachschenkte. Eine halbe Flasche Rum zu zweit, schien für ihn genau die richtige Menge für eine Pause zu sein. “Ist doch schön. Ich hab’ mir schon ein wenig Sorg’n gemacht, weil du immer bei Kror und mir rumhängst. Ich hätt’ dir nämlich das Herz gebrochen, Kror wahrscheinlich auch. Und das sind doch alles hübsche Mädels. Eden hat mir nur persönlich zu viele Schuppen, in der neuen Aufmachung. Erinnert mich zu sehr daran dass ich unglücklich vergeb’n bin.” Ein Schluck Rum folgte darauf, um das Gesagte zu unterstreichen und Atreus tat es ihm gleich, schwieg aber erstmal einen Moment. Sammelte seine Gedanken. Wollte nicht unsicher wirken. “Du hast Recht, mit allem was du sagst”, eröffnete er dann, “Aber so einfach ist es nicht. Sowas kann schnell nach hinten losgehen. Unfrieden stiften. Eifersucht schaffen. Ich hab als Offizier zu viel Verantwortung, als dass ich mir solche Fehler leisten würde. Außerdem muss nichts davon irgendwas heißen. Vielleicht ist alles davon nur ein charmanter Spaß.” Der Magier zuckte daraufhin nur mit den Schultern. “Kann alles sein. Aber unser Beruf is’ nich’ ungefährlich. Obs jetzt um Kapferfahrten, die Regatta, Arenakämpfe, Gefängniseinbrüche oder einfach nur das Segeln im Sturm geht. Wir alle ham’s verdient uns zu amüsieren, solange der Spaß noch geht. Scheisse, sogar ich hab’s mir verdient, ich hab nur noch Keine gefunden, die meine Leidenschaft für brennbare Getränke teilt… außer Ambrose. Aber ich würd auch ihm nur das Herz brech’n. Ich steh’ nämlich nich’ auf Kerle.” Wieder schwiegen die beiden Kerle einige Sekunden, wie es sich für ein gutes Männergespräch gehörte. Mal eben die Fresse halten, etwas trinken, sacken lassen. “Weißt du, es is’ genau dein Problem.”, fuhr Jorn dann fort. “Du machst dir zu viele Sorg’n. Lass den Mantel off’n, schnall den Gürt’l ‘n bisschen weniger eng und schau was passiert. Vielleicht macht auch niemand irgendein Drama draus.” Doch Atreus nickte nur langsam, nachdenklich, so dass Jorn sich nach beendeter Rumflasche erhob und dem Steuermann im Vorbeigehen brüderlich auf die Schulter klopfte. Dann deutete er auf das Wasserglas. “Mach nich’ mehr zu lang. Wär’ schade um’s Glas, wenn du’s irgendwann gegen die Wand wirfst.” Mit diesen Worten machte er sich auf den Weg zurück an die Arbeit und ließ den Krieger mit Stoff zum nachdenken zurück. Dinge mit denen er sich in seinem Drang alles am Leben zu halten, noch gar nicht befasst hatte. Amusement und Zwanglosigkeit und wie man diese Künste erlernte. Wenn es auch nur annähernd kompliziert war wie mit der Magie… Trotzig und mit einem Schmunzeln im Gesicht, warf Atreus das Glas an die Wand und ging wieder an Deck um das Steuer zu übernehmen.

Hymne des Ruhms

Als das Lied des Ruhmes ich hörte, Als ich sah, die Leute auf den Tribünen, Meinen Namen rufend, tosender Jubel, Unser Leben hat keinerlei Wert!   In Gefangenschaft geboren, mein Blut vergossen, Nur zur Unterhaltung all der gierigen Massen, Sie tosen und klatschen, egal wer dort stirbt, Unser Leben hat keinerlei Wert!   Ruhm auf dem Sande, im Kampf errungen, Währt nur so lang bis du stirbst durch die Klinge, Dann bist du vergessen und völlig egal, Unser Leben hat keinerlei Wert!   Ein neuer Champion wird dich ersetzen, Egal wieviel Feinde du rissest in Fetzen, Egal wieviel Siege du hast dir geholt, Unser Leben hat keinerlei Wert!   So steh ich dann dort, auf den blutigen Sanden, Ob dort oder da, in verschiedenen Landen, Hebe den Blick zu der Sonne gleißendes Licht, Unser Leben hat keinerlei Wert!   Gleißender Zorn mein Herz dann erfüllt, den auch all das Blutvergießen nicht kühlt. Entschlossen mein Griff umklammert das Schwert. Unser Leben hat für sie keinerlei Wert.   Doch ich will leben.

Blutige Sande

Ein Gladiator fürchtet nichts, außer der Niederlage. Ein Gladiator dürstet nach nichts, außer dem Sieg. Ein Gladiator lebt für nichts, außer dem Ruhm.   Die Worte hallten immer wieder durch seinen Kopf. Dieses Lied hatte sein Ausbilder all die Jahre für ihn gesungen, immer wenn er im Übungsring stand. Ein Mann, der die Peitsche mit eben solcher Geschicklichkeit schwang wie jede andere Waffe unter dem Himmel. Nach jedem Satz seines Liedes knallte der lederne Riemen, um die Wirkung der Worte in Geist und Fleisch einzubrennen. Eine Wirkung, die sich jetzt bemerkbar machte, als er auf den Sand der Arena hinaus trat, während das Publikum lauthals nach einem Kampf begehrte, die Gier nach Blut deutlich in ihren Stimmen zu hören. Langsam ließ er den Blick über die Ränge schweifen, wo Menschen verschiedensten Standes sich versammelten hatten, um zu sehen wie zwei Gladiatoren ihr Blut zu ihrer Unterhaltung vergossen. Normale Arbeiter, reiche Kaufleute, Gossengesindel aus dem Untergrund Calimports, doch die Höchsten unter Ihnen thronten oben in den Logen. Hohe Würden- und Amtsträger der Stadt hatten dort Platz genommen, allesamt gekleidet in Samt und Seide und Luxus, begleitet und flankiert von bewaffneten Leibwächtern in schmuckvollen Rüstungen, um so ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Dort saß auch er. Sein Herr und Meister, auf einem prunkvollen Diwan. Mit dem juwelenbesetzten Turban auf dem Haupt, den er zu öffentlichen Anlässen immer trug, machte er in seiner Loge einen noch herrschsüchtigeren Eindruck als sonst, während mit ausdrucksloser, erhabener Mine auf seinen Gladiator hinab blickte, der gerade den Sand betrat. Heute würde sich entscheiden, ob Atreus das Geld und die Zeit wert war, die der Pascha in ihn investiert hatte. Ob er würdig war, für ihn in der Arena zu kämpfen, oder doch nur totes Fleisch war, das er dann in Zukunft wenigstens nicht mehr würde durchfüttern müssen. Atreus Blick wandte sich zur anderen Seite der Arena, wo er seinem Gegner ins Gesicht blickte. Ein breitschultriger Nordmann, der das fettige, lange Haar zu einem Kriegerzopf gebunden hatte, und der als Rüstung nur ärmelloses Leder trug, damit man die muskulösen Arme mit den unzähligen Hautbildern darauf gut sehen konnte. Er trug das widerliche Grinsen eines Mannes, der in seiner Freizeit gerne kleine Hundewelpen verdrosch und hob immer wieder die Arme, um dem Publikum weitere, laute Jubelrufe und Anfeuerungen zu entlocken, badete in ihrer Aufmerksamkeit, ehe er Atreus über die Arena hinweg einen wölfischen Blick zuwarf. Dann aber wurde es schlagartig ruhiger in der Arena, als eine magisch verstärkte Stimme sich erhob, laut genug, um den langsam nachlassenden Jubel zu übertönen. “Verehrte Zuschauer und Zuschauerinnen, verehrte Paschas und Kalifen, Freunde des Kampfes und der sportlichen Auseinandersetzung, wir begrüßen euch an diesem Nachmittag zu einem weiteren Spektakel hier auf den Sanden der großen Blutarena von Calimport, Stadt der Herrlichkeit!” Mit diesen Worten erwachte der Jubel zu neuem Leben. “Am heutigen Tage treffen der kalte Norden und der heiße Süden aufeinander, in einem Kampf auf Leben und Tod und um die Anerkennung ihrer Herren zu erringen.” Mehr Jubel. Der Pascha erhob sich von seinem Divan und verbeugte sich mit einer flüssigen, eleganten Bewegung vor dem Arena-Publikum, gab sich damit großzügig und bescheiden. In einer anderen Loge erhob sich ein grobschlächtiger Mann, den Hautbildern und der Kleidung nach aus dem Norden und vermutlich der Herr des anderen Kämpfers, und reckte kämpferisch die Faust in die Höhe. “Für den Norden, Jonnen, der Metzger von Luskan!” Der Mann mit dem Welpenschläger-Grinsen zog etwas von seinem Gürtel, das aussah wie ein Hackbeil, sowie einen Säbel und reckte seine Waffen unter tosendem Applaus gen Himmel. “Und für den Süden, Atreus, der Speer von Mytros!” Weiterer Applaus, doch im ersten Moment rührte Atreus sich nicht, von all dem Lärm beinahe wie gelähmt. Sah durch die Reihen der Zuschauer, immer noch verwundert. Sein Blick fiel hoch zum Pascha, der wieder auf seinem Diwan Platz genommen hatte und seinen Gladiator schweigend betrachtete. Möglicherweise enttäuscht darüber, dass dieser wohl zu begriffsstutzig war, um vor dem Kampf die Menge ein wenig anzustacheln. Doch es blieb keine Zeit, um über solche Dinge nachzudenken, denn die magisch-verstärkte Stimme verschaffte sich wieder Gehör. “Möge Garagos unseren Kontrahenten gewogen sein, der Sieger seinen Ruhm ernten, und der Verlierer in seinen Hallen Einzug finden! Lasst den Kampf beginnen!” Atreus Hände verkrampften sich um den Speer und den Rundschild in seinen Händen, als die Menge wieder begann zu jubeln und zu tosen, und der luskanische Metzger begann auf ihn los zu stapfen. Es war soweit. Egal ob Sklave oder freier Mann. Es gab jetzt kein Zurück mehr. Sieg oder Tod. Der Lärm um ihn herum begann dumpfer und leiser zu werden, als er seinen Feind fixierte, sich konzentrierte. Dann brüllte er einen Kriegsschrei, brüllte die Angst und die Nervosität hinfort und stürmte los, seinem Gegner entgegen, und dieser ihm. Stahl kreischte über Stahl, Sand wirbelte auf. Das Hackbeil des Metzgers schlug eine tiefe Kerbe in seinen Schild. Das Publikum jubelte, als Atreus Speer den Luskaner am Bein streifte und erstes Blut forderte, das eine sichtbare, dunkle Spur im hellen Sand hinterließ. Es raunte auf, als der Luskaner dem Mytroser ein Bein wegtrat, sodass dieser auf ein Knie sackte, und jubelte wieder, als Atreus sogleich auch noch einen Tritt vor die Brust kassierte, der ihn zu Boden warf. Der Kampf nahm vor Atreus Augen eine immer schwammigere Form an. Er rammte dem Metzger die Kante seines Schildes gegen das Knie, so dass dieser mit einem schmerzerfüllten Brüllen neben seinem Gegner zu Boden fiel. Sie rangelten miteinander, versuchten dem jeweils Anderen seine Waffen zu entreißen, blieben jedoch Beide erfolglos in diesem Kräftemessen und rollten wieder auseinander, um sich aufzurappeln und erneut aufeinander zu prallen. Blut färbte den Sand zu ihren Füßen rot, sein Blut, des Metzgers Blut, aus einer Vielzahl Wunden, die Beide kaum zu spüren schienen, im Adrenalinrausch des heftigen Zweikampfes. Er wusste nicht, wann es geschah, oder wie lange der Kampf eigentlich gedauert hatte. Was das ausschlaggebende Manöver war, das die Deckung durchbrach. Doch mit einem letzten Brüllen aus heiserer Kehle stieß Atreus mit dem Speer nach vorne, durchschlug das Leder und rammte ihn seinem Gegner in die Brust. Schlagartig verstummten die anfeuernden Rufe der Zuschauer auf den Rängen, ein Raunen ging durch sie. Der Luskaner starrte Atreus mit offenem Mund an, ehe sein Blick sich langsam senkte, hinab auf den hölzernen Schaft des Speeres, der aus seinem Körper ragte, direkt dort, wo das Herz saß. Kein Schmerz war in seinem Gesicht zu sehen, eher ein Ausdruck der Verwunderung, als könnte er nicht recht fassen, was gerade passiert war. Dann gaben seine Beine nach und er fiel mit einem dumpfen Aufschlag auf den sandigen Boden. Stille. Ein Augenblick, der sich wie eine Ewigkeit anfühlte. Dann erklang die magische Stimme wieder in der gesamten Arena. “Der Sieger ist Atreus, der Speer von Mytros!” Der Applaus, der folgte, war das lauteste Geräusch, das Atreus in seinem ganzen Leben je vernommen hatte. So laut, dass es schmerzte. Einen Moment lang sah er sich irritiert um. Die Menschen jubelten ihm zu, manche waren von ihren Sitzplätzen aufgesprungen, pfiffen ihm zu, klatschten begeistert. Handwerker, reiche Kaufleute, Abschaum aus dem Untergrund. Sogar auf einigen Logenplätzen wurde applaudiert. Man rief ihm zu. Feierte den ruhmreichen Sieger. Ihn. Der Stolz, der langsam in ihm aufkeimte verdrängte den Schmerz der dutzenden Wunden, die ihm zugefügt wurden, als er triumphal die Arme hob und sein Blut, das von ihm herab tropfte, sich weiter mit dem Sand vermischte. “Atreus! Atreus! Atreus!”, schallte es von den Rängen zu ihm herab, so beflügelnd, dass er das schmale, aber wissende Lächeln seines Paschas gar nicht bemerkte, der in die Arena blickte und nichts sah als einen Berg von Gold. “Atreus! Atreus! Atreus!”, riefen sie weiter und er ließ sich von der Welle mitreißen. Es war der Pascha, der ihm die Ketten angelegt hatte. Doch letztendlich war es der Jubel, der ihn gefangen hielt.   Ein Gladiator lebt für nichts, außer dem Ruhm.

Rastlosigkeit

Nach einer Periode der Verbitterung und Antriebslosigkeit, folgte eine Zeit des Zorns und der Unruhe. Unzufriedenheit? Vielleicht. Er konnte es selbst nicht wirklich benennen. An vielen Abenden saß er einfach in seiner Kajüte, starrte die Wand oder die Decke an, mit einer Flasche Rum oder Ambroses Schnaps, und versuchte diese Dinge zu ertränken. Den lodernden Zorn von Tempus, der in seiner Brust brannte, ihn dazu drängte sein Schwert zu nehmen und auf etwas einzuhieben. Sich abzureagieren bis es ihm zumindest für einige Momente besser ging. Wenn die Erschöpfung einsetzte und ihm einige Augenblicke der Ruhe bescherte. Wenn auch nicht mehr in der Arena, so konnte er den Ruf des Kampfes stets noch hören. Auch wenn er es nicht zugab, oft sehnte er sich nach einem Kampf, dem Adrenalinrausch in dem Moment in dem es hieß, fressen oder gefressen werden. So auch an diesem Abend. Auch der neue Mantel und der neue Haarschnitt änderten nichts an seinem Gemütszustand, auch wenn sie ihm zumindest ein bisschen das Gefühl gaben, nicht länger ein Gladiator zu sein. Die unangebrochene Flasche Rum stand neben ihm auf dem Schreibtisch, während er den Federkiel in den verkrampften Händen hielt. Wie Kror es ihm beigebracht hatte, versuchte er sich mittels des Schreibens zu sammeln, doch es gelang ihm immer seltener. Worüber auch schreiben? Sollte Atreus von den brennenden Sanden, der mit dem stolzen Namen, noch länger sich selbst und sein Schicksal bedauern? Sollte er ein episches Gedicht über den Krieg verfassen, um die Schlacht gegen das amnsche Kriegsschiff zu feiern, auch wenn er verlustreich war? Oder er verfasste eine Ballade darüber, wie sehr ihn alle am Arsch lecken konnten? Das wilde, verwirrte Gekritzel das er auf dem Pergament hinterließ, kam seinen eigentlichen Gedanken noch am Nächsten. Verwirrung. Frustration. Da war zum Einen diese Fee. Möge Tempus sie holen und mit seinem flammenden Schwert versengen, sie irritierte ihn. Nicht dass er sie als Person, sofern er sie so bezeichnen wollte, unsymphatisch fand. Eigentlich war das Gegenteil der Fall. Zum Einen war sie wunderschön. Erotisch. Doch wie Jorn schon sagte, wenn halbnackte Feen in seinen Träumen erschienen, behielt er es für sich. Er musste diesen Wahnsinn, diese Vielzahl an Schulden und Pakten, die Sonne und Eden so bereitwillig eingingen, nicht auch noch mit einem Zugeständnis befeuern. Zumal er seit seiner Sklaverei sehr vorsichtig damit war, wem er sich noch unterwerfen wollte. Er mochte Mavenya's offene Art, die Suche nach dem nächsten Vergnügen, schließlich ging es ihm ähnlich. Stets auf der Suche. Doch die Magie dahinter, oder was es für das Schiff bedeuten könnte, wäre sie nicht zufrieden mit ihren Schuldigern, beängstigte ihn. Was wenn sie einst etwas Unmögliches verlangte, und man es ihr nicht erfüllen konnte, oder wollte? Wer würde ein so mächtiges Wesen daran hindern, das ganze Schiff in den Abgrund zu reißen? Morgraine und sein mysteriöser Gott? Jergal? Nicht dass es den zu interessieren schien was eine Fee tat, oder nicht tat, war er doch irgendein Totengott, von dem noch nie jemand etwas gehört hatte. Ein weiteres, mächtiges Wesen dessen Einfluss sich an Bord befand, von dem man noch nicht wusste was es überhaupt wollte, und welchen Preis seine Macht haben würde. Und wie bereitwillig Morgraine in seinem Hunger nach Macht, diesen Preis bezahlen würde. Mit Jorn hatte nun auch Umberlee ihren Weg an Bord geschlichen, doch den Magier konnte man immerhin verstehen. Vielleicht war es Resignation, die seine Worte lenkte. Sich mit dem eigenen Schicksal abgefunden zu haben. Dennoch... eine weitere Göttin. Ein weiterer, fremder Einfluss, entweder magischer oder göttlicher Natur. Was wenn irgendeine dieser Wesenheiten unzufrieden wurde, und beschloss das Schiff dem Abgrund zu weihen? Wer würde es verhindern können? Vielleicht Jade? Die außergewöhnliche Kapitänin, mit dem geheimnisvollen und mächtigen Erbe? Kror, die alte Drachenschildkröte? Von den anderen Offizieren fand er nur in Mae so etwas wie Gleichheit. Verbundenheit durch eine gewisse "Normalität". Keine Götter, keine Paktwesen. Und doch hatte sie nun einen Drachen an ihrer Seite. Und auch schien sie all diesem magischen Kram nicht abgeneigt, als würde sie es verstehen. Auch sie war nur noch zum Teil "normal".   Der Federkiel zebrach in seiner völlig zusammengekrampften Hand, Tinte spritzte über das Gekrakel auf dem Pergament wie schwarze Blutflecken. Sein Blick fiel hinüber zu Drest, dem kaputten, magischen Schwert, welches aufgrund seiner geringen Größe problemlos immer auf seinem Nachtschrank liegen konnte. Zwischendurch hatte er auch gedacht dass er nicht normal wäre und dieser Gedanke hatte ihm ein bisschen Trost gespendet. Dass all die Jahre in der Arena nur eine Prüfung von Tempus waren, die ihn auf die Schlachten und Kriege der Zukunft vorbereiten sollten, die er im Namen des Kriegsgottes noch würde schlagen müssen. Dass dieses Schwert ein Ausdruck der Zustimmung des Gottes war. Doch je mehr er sich damit befasste, desto mehr wurde ihm klar, dass es nur eine magische Waffe war. Eine mächtige und eigenartige Waffe, doch wie er erfahren hatte, könnte sie jeder führen, der kompatibel war. Er war eben doch ganz normal. Ein Krieger, aber im Grunde ein normaler Kerl, auf einem Schiff voller unnormaler Dinge, in einer Welt die noch unnormaler war. Wieder drehten sich seine Gedanken im Kreis. Rasten hin und her, zurück zu normalen Problemen. Thorvir von Bord. Elena tot. In der Schlacht gefallen. Die erdrückende Last des Kommandos. Wie es Jade damit wohl ging? Oder irgendjemandem? Sein Blick ging wieder zu der Rumflasche. Ein paar Schlucke und die Welt wäre etwas leichter. Doch nun waren es Angus Worte die in seinem Kopf widerhallten. Mit einem zornigen Brüllen schleuderte er sie gegen die Wand, wo sie sich mit einem Klirren in einen Scherbenregen auflöste. Zerstörung. Eine kurze Erleichterung. Er zerfetzte das Pergament vor sich in kleine Stücke. Mehr Zerstörung. Mehr Erleichterung. Dann ging er los, verließ die Kajüte und das Schiff und wanderte ziellos in die Stadt. Nur um des Wanderns Willen. Rastlos.

Katharsis

Eine Peitsche knallte und riss ihn aus seinen Gedanken. Der Schmerz zuckte durch seinen Rücken und riss eine Schneise aus Feuer in sein Fleisch. Unter dem betäubenden Schmerz spürte er kaum, wie das warme Blut seinen Rücken hinab floss, das Wasser und den Sand um ihn herum rot färbte. Er ertrug es, wie er es immer ertrug. Wie er es immer ertragen hatte. Viele Wochen hatte keine Peitsche mehr seine Haut geküsst, doch die Erinnerung daran saß immer noch wie ein Stachel in seinem Kopf. Vielleicht war es die sengende Hitze der abendlichen Sonne, die vom fernen Horizont ihre sengenden Strahlen auf den vernarbten Leib warf. Keine Narben des Stolzes, wie ein Krieger sie trägt, sondern mehr wie eine schartige, zerschundene Klinge. Er konnte sie klar sehen, als er an sich herunter blickte, oder in der Reflektion des Wassers, wenn das Meer ihn umspülte und das Blut vor seinem geistigen Auge hinfort wusch. Doch der Strom schien kein Ende zu nehmen. Nicht nur sein Leib hatte geblutet. Auch seine Hände waren getränkt in dieses dunkle Rot, das kein Wasser der Welt abzuwaschen vermochte. Kampfschreie und das Klirren von Metall rangen in seinen Ohren, während er die Toten auf den Wellen treiben sah. Ausdruckslose Gesichter starrten ins Nichts, als sie an den Strand gespült wurden, wo der Sand sie verschluckte. Der Sand des Strandes? Oder der Sand der Arena? Ihm war klar, dass nichts davon wirklich passierte und schüttelte die Bilder aus seinen Gedanken, waren es doch nur die Träume die ihn heimsuchten, seit er Calimshan verlassen hatte. Seit er begonnen hatte zu zweifeln. Es mochte eine Zeit gegeben haben, da Atreus ein stolzer Gladiator war. Nicht alles war schlecht. Solange er dem Pascha fortwährend Ruhm und Gewinn brachte und tat was ihm gesagt wurde, wurde ihm beinahe so etwas wie "Dankbarkeit" zuteil. Keine echte Dankbarkeit wie er später erkannte, es war nur Zufriedenheit, so wie ein Krieger zufrieden war, wenn seine Waffe ihren Dienst nach seinen Vorstellungen verrichtete. Doch er bekam kleinere Freiheiten. Besseres Essen. Eine etwas bessere Unterkunft. Freigang, ein bewachter Besuch am Strand, um im Meer zu schwimmen. Bessere Kleidung. Einst hatte er davon geträumt, die Arena vielleicht eines Tages verlassen zu dürfen, um dem Pascha als Leibwache zu dienen, wenn er sich nur genug anstrengte. Ein besseres Leben, die Waffe des Paschas. Denn nichts Anderes war er. Eine Waffe, mit der Peitsche und im Sand der Arena geschliffen wurde. Das war das Los das er gezogen hatte. Ein Gegenstand den sein Herr benutzen konnte wie es ihm gefiel, den er kaufen und verkaufen konnte, wenn er ihm keinen Spaß mehr machte, oder wenn er plötzlich ein besseres Spielzeug fand. Oder wenn einfach nur der Preis stimmte. Keinerlei menschlicher Wert. Verkauft wie ein exotisches Tier. Der Speer von Mytros. Nichts worauf Atreus jetzt noch stolz sein konnte. Der Knoten in seiner Brust erschwerte ihm das Atmen, sein Blut begann im Angesicht des Feuerballs am Horizon zu sieden. Beinahe dreißig Jahre war er alt. Dreißig Jahre Überlebenskampf. Dreißig Jahre dem Tod mit geschwollener Brust wieder und wieder gegenüber zu treten und ihm ins Gesicht zu lachen. Nichts vorzuweisen. Die Brandung brach an dem gestählten Leib des Kriegers, seine Wut brachte die Meere zum kochen. Ein unendlicher Durst nach Rache erfasste ihn und drohte ihn zu ertränken, der Sonnenstich zerrte an seinem Verstand. Ganz Calimshan sollte im Feuer von Tempus gerechtem Zorn zu Asche verbrennen, das Blut der Schuldigen die Straßen rein waschen. Er wollte den Kopf des Paschas auf einen Spieß stecken und um ihn herum tanzen, ihn seinen geliebten Raubkatzen zum Fraß vorwerfen. Doch ihm war klar... dass nichts davon je passieren würde. Selbst wenn er Calimshan jemals erneut erreichen würde, so fände er dort nur einen frühen Tod, oder erneute Gefangenschaft. Frustration machte sich breit. Auch dass Salztod und seine Schergen jetzt tot und verbrannt waren, konnte die Leere nicht füllen. Nach dem hohen Blutzoll, den seine Freiheit gekostet hatte, war er immer noch ein Gefangener. Eine wütende Kreatur, die immer die Zähne fletschte und knurrte, wenn jemand an seinem Käfig vorbei zog. Er spuckte wüste Flüche und Beleidigungen in den Himmel, ließ seine Fäuste in blindem Frust auf den Sand nieder fahren, und brüllte die Unendlichkeit des Meeres an, das Freiheit versprach, sie ihm aber nicht geben konnte. Erst als der Horizont die Sonne verschluckte und damit auch ihre sengenden Strahlen, erlosch das Inferno am Strand langsam, bis nur noch eine letzte Glut knisterte, welche von der Brandung ins Meer hinaus getragen wurde, in die unendliche Schwärze und Stille der Nacht. Und als die erste, sanfte, kühlende Brise seine Haut küsste, erhob er das schlaffe Haupt und richtete den Blick zum Mond, der ihm Ruhe versprach, wo er durch seine eigenen Gitterstäbe einen ersten, vorsichtigen Blick in die Zukunft warf.

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