Die Schicksalsnacht

Es war eine Nacht, wie Frostvir sie kaum je gesehen hatte: Dunkel, wild und unerbittlich, hatte der Himmel seine tiefsten Schatten über das gefrorene Land gelegt. Der Sturm brüllte mit unnatürlicher Wucht, und die Winde kreischten, als würden die Geister Frostvirs selbst durch die Weiten jagen. Die Nordkarlen, erschöpft von ihrer Reise, hatten eine notdürftige Zuflucht in einer Senke gefunden, doch der Schnee fiel dicht, und die Kälte drang in jede Faser ihrer Körper. Ihre Wölfe waren unruhig, und die Feuer kämpften vergeblich gegen den eisigen Atem des Sturms.

Arvund, der weise Runenschreiber, stand abseits, den Blick in die tanzende Dunkelheit gerichtet. Seine Augen suchten das Chaos, als ob er darin eine Ordnung erkennen könnte, die anderen verborgen blieb. „Hört auf den Schnee!“ rief er, seine Stimme schnitt durch das Heulen der Winde. „Die Götter sind hier. Sie sprechen zu uns.“

Die Nordkarlen, anfangs ungläubig, folgten schließlich Arvunds Blick und sahen es selbst: Leuchtende Zeichen, die sich im frischen Schnee bildeten – flüchtig, silbern, und doch unmissverständlich. „Das ist ihre Sprache“, murmelte Arvund, während die Gruppe starr vor Staunen verharrte. „Sie zeigen uns den Weg.“

Geführt von diesen mystischen Runen wagten die Nordkarlen den Weg hinaus aus ihrer unsicheren Zuflucht. Jeder Schritt war ein Kampf gegen die erbarmungslose Kälte, doch die Zeichen führten sie weiter, blitzten im Schneesturm auf und verschwanden wieder, gerade so lange sichtbar, um den nächsten Schritt zu weisen. Die Gruppe, erschöpft und mit letzter Kraft, folgte dieser Spur durch tiefer werdenden Schnee und immer steileres Terrain.

Nach Stunden des Marsches führte die letzte Rune sie zu einem verborgenen Pfad. Der Eingang zu einer Höhle, verdeckt von Eis und Schnee, schimmerte sanft, als ob die Runen all ihre Energie darauf konzentriert hätten, diese Stelle sichtbar zu machen. Mit zittrigen Händen begannen die Nordkarlen zu graben, schaufelten den Schnee beiseite, bis sie einen schmalen Durchgang freilegten. Dahinter lag nicht Dunkelheit, sondern ein seltsames, warmes Leuchten.

Die Höhle, die sie betraten, war ein Wunder. Gefrorene Teiche, durchzogen von einer bläulichen Energie, die den Raum erhellte, trugen Leben in sich. Moose und Kräuter wuchsen unter einer dünnen Schicht aus Frost, und eine heilende Stille erfüllte die Luft. Die Nordkarlen sanken nieder, erschöpft, aber mit einem unbestreitbaren Gefühl von Sicherheit und Frieden. Arvund sprach leise, fast ehrfürchtig: „Dies ist ein Ort, den die Götter gesegnet haben. Die Runen haben uns hierher geführt, doch unser Mut hat uns diesen Ort erreichen lassen.“

Während der Sturm draußen noch immer wütete, lebten die Nordkarlen in der Höhle, genährt von ihren Gaben, geheilt von ihrem Wasser, und inspiriert von ihrer Magie. Als der Frühling endlich zurückkehrte, verließen sie die Höhle, doch sie hinterließen eine letzte Rune, schlicht und doch bedeutungsvoll: einen Kreis, das Symbol für die ewige Verbindung zwischen Menschen, Natur und den Göttern. Sie schworen, die „Nacht der flüchtigen Runen“ jedes Jahr zu ehren und sich stets daran zu erinnern, dass auch in der tiefsten Dunkelheit Zeichen der Hoffnung zu finden sind.