Schubladenschrank Myth in Inner Earth | World Anvil

Schubladenschrank

Ein erster Eindruck findet statt, so auch jetzt gerade. Zack, die Schublade geöffnet, den Menschen hineinbefördert und rumms, die Schublade wird geschlossen. Wer kann sich davon freisprechen, nicht gelegentlich so zu denken.

Viele sehen etwas und öffnen Schubladen. Sobald der erste Kontakt zu etwas Unbekanntem, oder jemand Unbekanntem vorüber ist, fällt es schwer, die Person nicht in eine Schublade gesteckt zu haben. Es gibt einige, die lassen diese Schublade geöffnet. Sie fügen ihr von Zeit zu Zeit noch etwas hinzu, oder entnehmen auch gerne mal wieder etwas.
Da fällt mir etwas ein, was ich mal in einem Walter Moers Buch (Ensel und Krete) gelesen habe. Dort gibt es Schubladen, in welchen Gegenstände und Materialen gelagert werden, die einen besonderen Geruch besitzen. Sobald die Schublade sich öffnet, werden diese Gerüche freigesetzt und erzeugen einen olfaktorischen Reiz, der bestimmte Gefühle und Stimmungen erzeugen kann. Je nachdem, wie weit man diese Schubladen öffnet, vermag man es, so die unterschiedlichsten Emotionen zu verstärken und abzumindern. Auch Kompositionen verschiedenster Emotionen, sind durchaus denkbar. Die Möglichkeiten somit unbegrenzt.

Daher behaupte ich von mir ein Schubladenschrank zu sein!
In mir lagern zwar auch Gerüche, aber das ist eine andere Geschichte. Neben den olfaktorischen Schubladen gibt es da noch eine ganze Reihe anderer. Da gibt es Wissensschubladen, Verhaltens-, Emotions-, Gefühls-, Vertrauens-, Sorgen-, Verpflichtungs- und Spielschubladen. Damit aber nicht genug, auch gute und schlechte, sowie spirituelle und freie Schubladen sind dabei. Um ehrlich zu sein, habe ich diese Schubladen nie gezählt und bezweifle, dass ich das überhaupt kann. Jedoch geben all diese Schubladen etwas preis, sobald man sie geöffnet hat.
Die Frage ist nur, wer öffnet zu welchem Zeitpunkt diese Schubladen.
Viele dieser Schubladen stehen in zahlreichen Momenten sperrangelweit offen und das, was darin lagert, strömt bereitwillig heraus. Bei anderen fällt es mir deutlich schwerer ihre Griffe zu erfassen und durch mühseliges Ruckeln ihren Inhalt freizugeben.
Es gibt jedoch auch Schubladen, welche nicht mit Gewalt oder aus freien Stücken geöffnet werden können. Dort nutzt kein Ziehen und kein Zerren. Um an ihren Inhalt zu gelangen, könnte es sein, dass man die Schublade streicheln, oder ihr gut zureden muss. Vielleicht muss man sogar mit ihr spielen. Auch hier sind die Möglichkeiten mannigfaltig.
Einige dieser Schubladen werden überhaupt nicht durch mich geöffnet. Ich erwische mich dann dabei, wie ich bemerke, dass jemand anderes für mich diese Schublade aufgezogen hat.
Vor allem genieße ich es, wenn wir gemeinsam eine Schublade öffnen. Dabei fallen mir dann ganz oft noch weitere Schubladen ein, die hierzu passen und ich öffne auch diese bereitwillig. Schön finde ich auch, wenn jemand an einer Schublade klopft, um ihren Inhalt zu prüfen oder mich fragt, ob ich bereit bin, Einlass zu gewähren. Manchmal mag ich es auch, wenn jemand anders für mich eine Schublade öffnet, von der ich nicht gewusst habe, dass ich hier mal wieder lüften muss.
Hingegen gibt es auch Leute, die sich zwanghaft durch die Ritzen zwischen den Schubladen zwängen, um einen Blick auf persönliches zu erhaschen. Dann wird es interessant. Manchmal kann ich den Eindringling dazu zwingen auch wirklich hinzusehen. Dann springt die Schublade auf und überschwemmt den ungewollten Besuch. Häufig öffne ich aber dann nebenbei ganz viele anderen Schubladen, damit eine bunte Mischung entstehen kann. Dabei muss dies nicht zwingend das Ziel haben, dem Störenfried die Sinne zu benebeln, sondern kann in einem bereitwilligen Geben enden, welches mein Gegenüber vielleicht sogar positiv überrascht.
Mit der Zeit habe ich gelernt, dass mir der Inhalt dieser Schublade nicht abhanden kommt, wenn sich jemand hineinzwängt. Er bleibt immer da, egal wie viel davon bereits preisgegeben wurde. Natürlich habe ich mit den Jahren auch die ein oder andere Schublade austauschen müssen. Die Restauration antiker Schubladen ist notwendig, sofern man nicht verstauben oder gammeln möchte.

Ein wundervoller Gedanke ist, dass das Holz, aus welchem mein Schubladenschrank besteht, nicht begrenzt ist. Es lebt, wächst und breitet sich immer weiter aus. Es verbindet alle Schubladenschränke miteinander und ist eines der kostbarsten Dinge, welche man erforschen kann. Die Maserung ist natürlich für jeden Schrank einzigartig, aber das Holz ist von gleichem Ursprung. Wenn wir dann gemeinsam Schubladen in unseren Schränken öffnen, dann entströmen die innen liegenden Schätze, betasten sich, kreiseln umeinander und gehen in einander über. Es können die schönsten Inhalte entstehen und manchmal darf man Teil eines vollkommenen Moments sein. Ein unglaublich bereicherndes Gefühl. Oft bleiben diese Schubladen lange geöffnet, auch wenn wir uns gar nicht mehr sehen. Dann dürfen auch andere dort hineinschnuppern. Wenn ihnen dann der entströmende Genuss um die Nase weht, können Menschen mit feinen Sinnen ganz tief einatmen. Ein Atemzug so tief, dass sich das Funkeln der Schubladengriffe in ihren Augen spiegelt.

Eins meiner größten Verzücken erlebe ich, wenn ich merke, dass sich die Maserungen zweier Schränke einander ähneln. Natürlich ist es leichter, die eigene Holzmaserung in jemand anderem wiederzufinden. Wenn man jedoch einen Blick für Schränke und Schubladen hat, dann kann man Maserungen bei weilen auch zwischen völlig fremden Schubladenschränken erkennen. Ich für meinen Teil, bin äußerst neugierig und werfe meinen Blick sehr gerne auf und in Schränke mit Schubladen.

Vielleicht denkst du ja das nächste Mal an Schränke und nicht an Schubladen, wenn du jemand neues kennenlernst. Wer weiß, am Ende darfst du sogar mal hineinsehen.


Cover image: by https://www.pamono.de

Kommentare

Please Login in order to comment!