Kapitel 9 - Raise
9. Raise
Die Stille meines Arbeitszimmers war keine Ruhe. Sie war ein lauerndes Ding, ein Tier, das sich flach auf den Boden duckte und wartete, bis man blinzelte. Ich mochte die Stille zwischen den Zügen. Doch heute fühlte sie sich anders an.
Mein Blick haftete auf einem leeren Blatt Papier. Kein Wort darauf, keine Notizen, nicht einmal ein Tintenfleck. Ein simpler Trick, um meinen Kopf zu ordnen, wenn er sich zu voll anfühlte. Mein Zeigefinger drehte eine Münze über die Fingerknöchel. Ein Ventil.
Dann klopfte es.
Ich brauchte eine Sekunde, bevor ich aufblickte. Die Tür schwang leise auf. Die Botin trat ein, glatt wie immer, ihre Haltung perfekt, ihre Augen ausdruckslos.
„Ein Vorfall in der Werkstatt“, sagte sie.
Ich drehte die Münze weiter. Ein Klick, als sie sich gegen meinen Daumen lehnte.
„Wie viele?“
„Zwei Verletzte. Rekruten der Geldzwerge. Einer tot.“
Ein langsames Pochen begann in meinen Schläfen. Ich legte die Münze zwischen Daumen und Zeigefinger.
„Verstanden.“
Mein Gesicht veränderte sich nicht. Mein Atem blieb ruhig. Mein Körper jedoch… spannte sich an. Kaum merklich, aber genug, dass ich es wusste. Ich nickte, eine beiläufige Geste, so unbedeutend wie ein Blatt im Wind.
Die Botin zögerte einen Moment, dann verließ sie den Raum.
Die Tür schloss sich mit einem leisen Klick.
Ich blieb noch einen Moment sitzen, die Münze zwischen meinen Fingern, bevor ich sie auf den Tisch schnippte. Sie drehte sich, rollte über das Holz, kam zum Stillstand. Alles läuft aus dem Ruder. Es sind zuviele Variablen, um sie zu kontrollieren.
Mein Blick wanderte nach oben, zu der alten Standuhr.
Stillstand.
Seit Wochen hatte ich nicht gesagt, dass sie jemand reparieren soll. Ich wusste nicht, warum.
Ein leises Schnauben entwich mir, kaum mehr als ein Atemzug, bevor ich mich aus dem Stuhl erhob.
Die Luft hier drin war zu schwer.
Ich trat hinaus auf den Balkon.
Unter mir erstreckte sich Hammerfall, die Stadt der Fassaden, glänzend und poliert, doch voller Schatten. Sie pulsierte in der Nacht, doch mein Blick war woanders.
Mechanisch zog ich die Pfeife aus meiner Tasche, schob ein paar Stränge Okralkraut hinein. Ein Funken glomm auf, dann Rauch, schwer und bitter.
Ein Zug.
Die Wärme breitete sich in mir aus, schob die Anspannung beiseite, aber nur ein kleines Stück. Gerade genug, um wieder klar denken zu können.
Ich ließ den Rauch langsam aus der Nase entweichen.
Dann blickte ich wieder auf die Stadt. Sie atmete ruhig, aber gefährlich wie eine schlafende Bestie.
Es gab Dinge, die man kommen sah.
Und es gab Dinge, die einfach passieren.
Ich hob die Pfeife an die Lippen und zog einmal tief ein – oder hätte es getan, wenn nicht in genau diesem Moment eine schlanke Hand von hinten kam und sie mir mühelos aus den Fingern gleiten ließ.
Meine Augen verengten sich, aber ich ahnte was jetzt kommt. Keine Hast. Kein Schreck. Nur ein leises Ausatmen.
„Breanna.“
Sie stand da, das Gewicht lässig auf ein Bein verlagert, mit dem Selbstbewusstsein einer Katze, die einen Vogel zwischen den Krallen hält. Ihre karamellfarbene Haut leuchtete im gedämpften Licht der Laternen von Hammerfall, die Schatten tanzten über ihre kantigen Wangenknochen. Die Locken, wild und ungezähmt, fielen ihr über die Schultern, ein paar Strähnen drehten sich verspielt um das goldene Septum in ihrer Nase.
„Lavender.“ Sie hielt die Pfeife zwischen Daumen und Zeigefinger, drehte sie prüfend, als überlege sie, ob sie selbst einen Zug nehmen sollte. Dann seufzte sie theatralisch und ließ sie sinken. „Okralkraut? Wie langweilig.“
Ich lehnte mich mit der Hüfte gegen das Balkongeländer und betrachtete sie einen Moment mit halbem Lächeln. „Gold kann man stehlen, aber Geschmack - den kann man nicht kaufen.“
„Geschmack?“ Sie schüttelte den Kopf, trat näher, ihre Stiefel machten kaum einen Laut auf dem Stein. „Ich würde es eher Nachlässigkeit nennen.“
Ich hob eine Braue.
Sie drehte sich um, hob die Arme und machte eine ausladende Geste in Richtung meines Balkons. „Drei Sekunden, Lav. Drei Sekunden, um hier reinzukommen. Ein Seil, ein paar flinke Finger, und schon könnte ich neben deinem Bett stehen, während du schläfst.“
Mein Lächeln wurde schmaler. „Romantische Vorstellung.“
„Hah.“ Sie grinste und biss sich kurz auf die Unterlippe, aber darunter war ein Hauch von ernst, der es mir Kalt den Rücken runterlaufen lässt. „Du bist zu entspannt geworden. Ich erinnere mich noch an den Typen, der das Artefakt der Geldzwerge mitten aus einem fahrenden Karren an der Feystreet gezerrt hat, nur um es dann aus Prinzip zu verscheuern.“
„Guter Zweck.“
„Guter Zweck.“ Sie nickte langsam, spielte mit meiner Pfeife und wirkte für einen Moment nachdenklich. Dann schnippte sie mir das Ding einfach in die Brust. Ich fing es mühelos auf.
„Du wirst faul, Mareau.“
Ich ließ die Pfeife in meiner Hand rotieren, hielt den Blick auf ihr Gesicht gerichtet. „Ich nenne es Flexibilität.“
„Ich nenne es eine Einladung, dir den Hals durchzuschneiden.“
Das Lächeln, das ich ihr schenkte, war nun vollständig. „Denkst du wirklich, irgendjemand hier hätte die Eier dazu?“
Breanna schnaubte, ein leises, amüsiertes Geräusch. Dann trat sie neben mich ans Geländer, stemmte die Arme auf die kalte Steinbrüstung und ließ den Blick über Hammerfall schweifen.
„Sag mir nur eins, Lav. Wenn du dich so einscheißt - warum holst du dir keine Hilfe?“
Ich blies einen dünnen Rauchfaden in die Nacht. „Du bist heute voller Fragen, Bre.“
„Und du hast noch keine einzige beantwortet.“
Mein Blick wanderte zurück zu ihr, zu den Schatten in ihren Augen, die nicht dort waren, als wir uns das erste Mal getroffen hatten.
Damals wusste ich sofort, dass Breanna eine von denen war, die nur aus Neugier spielten. Keine Angst. Keine Bedenken. Das Risiko war wie ein Fieber für sie.
Sie folgte mir lautlos in mein Arbeitszimmer, während ich den Raum mit federndem Schritt durchquerte und an meinem Schreibtisch Platz nahm. Ich ließ mich in den Stuhl sinken, zog Münzen aus meiner Tasche und begann, sie zu stapeln.
Bre lehnte sich an das Regal neben der Tür, verschränkte die Arme und beobachtete mich mit diesem halb amüsierten, halb misstrauischen Blick.
Ich nahm eine Münze aus dem Stapel, drehte sie zwischen den Fingern und schob sie schließlich in die Mitte des Tisches.
„Es ist einfach, Bre,“ sagte ich, mein Blick auf das kleine, glänzende Stück Metall gerichtet. „Gerade ist der Einsatz klein, aber meine Hand verdammt gut. Ich muss nur geduldig sein, und meine Ressourcen verdoppeln sich.“
Bre schnaubte leise, kam näher und ließ sich auf den Rand des Tisches sinken.
„Die beste Hand nutzt nichts, wenn dein Kopf nicht im Spiel ist.“
Ich hob eine Braue, lehnte mich zurück und musterte sie.
„Diese Melody.“ Sie betonte den Namen, als schmecke er nach etwas Bitterem. „Du pokerst hoch, ihr deine Leute anzuvertrauen.“
Ich zuckte die Schultern. „Was hätte sie zu verlieren? Cy und Syl sind nicht ihr Typ, aber sie werden sich an die Abmachung halten. Und wenn sie ihren Namen an den Golem heftet, gewinnt sie an allen Fronten.“
Bre schüttelte langsam den Kopf. „Du stellst die falsche Frage, Lav. Sie hat kaum etwas geerbt. Sie hat sich ihren Status und ihr Anwesen über Jahre erarbeitet. So eine Frau fragt sich nicht, was sie zu verlieren hat.“
Plötzlich schärfte sich meine Körpersprache.
„Sondern was sie gewinnen könnte.“
Ein kurzes Schweigen. Dann nickte ich.
„Bre, du bist genial.“
Bre grinste höhnisch. „Sag mir doch ab und zu auch mal was, das ich nicht weiß.“
Sie legte den Kopf leicht schief, ihre dunklen Locken rutschten über ihre Schulter.
„Deine Zeit läuft ab, Lav. Was ist dein Zug?“
Ich blickte zurück auf den Münzturm. Nahm einen Atemzug. Und dann schob ich ihn mit ruhiger Bewegung in die Mitte des Tisches.
„Reißen wir eine Kalkulation ein.“
Bre hob eine Braue, dann lachte sie leise.
„Sag kein Wort mehr.“
Ich kann nicht alle Variablen kontrollieren. Aber vielleicht die Wahrnehmung auf sie.
Bre schwang sich elegant vom Tisch und folgte mir, als ich aufstand. Mit einer fließenden Bewegung löste ich den teuren Mantel von meinen Schultern und griff stattdessen nach einer unscheinbaren, leicht abgetragenen Robe. Ich zog sie über, rieb absichtlich etwas Staub in die Ärmel und sah in den Spiegel.
Die besten Spieler setzen sich nur an einen Tisch, den sie überragen.
Also ändern wir das Klientel.
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