Kapitel 8 - Ausfallschritt

8. Ausfallschritt

Das monotone Ticken meiner Taschenuhr erfüllte die Stille der Kutsche. Ein sanftes, unaufhaltsames Geräusch, das in perfektem Rhythmus mit den Rädern lief, die über das Pflaster von Hammerfall rollten. Ich hielt den Deckel halb geöffnet, beobachtete, wie die Zeiger über das gravierte Zifferblatt glitten – immer im selben Tempo. Immer gleichmäßig. Verlässlich.

Ich klappte die Uhr mit einem leichten Klick zu und lehnte mich zurück. Draußen zogen die verzierten Fassaden der Adelshäuser an mir vorbei, Laternen warfen ihr warmes Licht auf Marmorstatuen, deren Blicke über das Treiben der Straßen wachten. Hammerfall war in voller Blüte, die Luft gefüllt mit Gelächter, Musik und dem verheißungsvollen Klingen von Silbermünzen in Seidentaschen.

Ich hob eine Braue, als das Tor meines Anwesens in Sicht kam. Schweres Eisen, kunstvoll geschmiedet. Es öffnete sich ohne einen Laut. Die Kutsche fuhr durch den Innenhof, wo Diener bereits warteten, um mich in Empfang zu nehmen.

Kaum hatte ich die Tür geöffnet, trat meine Beraterin Serana an meine Seite. Ihre leicht ungezähmten Locken, fielen ihr über die Schultern. Sie tat ihr bestes formell zu wirken, aber ihre Körpersprach war fast etwas zu geschmeidig. Gefährlich, sogar. Amüsant, aber unangebracht. Wo kriegen sie nur diese neuen Arbeitskräfte her?

„Die Straßeningenieure sind bereits eingetroffen, Lady Melody“, informierte sie mich mit einer knappen Verbeugung.

Ich ließ mir Zeit, die Handschuhe auszuziehen, bevor ich antwortete.

„Dein Name ist Serana, richtig?“ Ich lächelte leicht amüsiert.
„Das ist korrekt.“ Sie verneigte sich emotionslos.

„Ich verstehe das ihr erst seit ein paar Wochen hier arbeitet, aber bitte feilt an eurer Haltung. Ihr werdet euch selbst nicht gerecht.“
Sie verneigte sich leicht und wartete auf meine nächsten Anweisungen.

„Wie auch immer. Inquisitor Golodorn?“ fragte ich schließlich, während ich durch den Flur schritt.


„Er hat geantwortet.“

Ich streckte wortlos die Hand aus. Die Beraterin zog ein Pergament aus dem Futter ihrer Robe und reichte es mir. Das schwarze Wachssiegel glänzte im Kerzenschein, das Emblem eines Drachenkopfes makellos in das Wachs geprägt.

Ich brach das Siegel mit dem Daumen, entfaltete das Pergament und las.

“Lady Melody,
eure Großzügigkeit ist wie stets eine Quelle des Staunens. Drei Wochen, sagt Ihr? Eine lange Zeit für ein Versprechen. Doch wir sind geduldige Männer – so lange unser Opfer würdig ist. Falls diese ‘Ingenieure’ wirklich liefern können, erwarte ich eine genaue Schätzung. Ich hoffe, Ihr wisst, dass das Gewicht ihres Goldes dann in unseren Händen liegt.
– Golodorn, der Eintreiber”

Ein sanftes Lächeln spielte um meine Lippen, als ich das Pergament zusammenfaltete.

Dann hörte ich die Musik.

Ein melancholisches Wechselspiel zwischen einem Klavier und einer Violine, das durch die Gänge hallte, als wäre es in die Mauern selbst eingewoben. Mein Blick wanderte zur großen Halle, deren Türen weit offen standen.

Dort bewegten sie sich.

Zwei Tänzer – ein Mann und eine Frau – auf dem spiegelnden Parkett, ihre Körper ein fließendes Muster aus Führen und Folgen. Seine Schritte präzise, fast makellos – doch seine Miene blieb ungerührt, seine Bewegungen mechanisch. Ihre dagegen voller Feuer, jeder Schritt ein Ausdruck von Freiheit, von natürlicher Hingabe. Sie ließ sich führen, aber nie vollständig.

Meine Schritte verlangsamten sich.

Die Beraterin blieb neben mir stehen. „Soll ich sie fortschicken lassen?“

„Nein“, erwiderte ich leise. „Lass sie tanzen.“

Ich richtete meinen Blick wieder auf die beiden. Der Tänzer zog sie in eine elegante Drehung, doch als sie wieder auf den Füßen stand, hatte sie längst die Oberhand. Er blieb zurück, sie tanzte weiter, frei von seinem Griff.

Ich ließ meine Finger langsam über den kühlen Rand meiner Taschenuhr gleiten.

„Er glaubt, dass er die Führung hat“, murmelte ich.

Serana warf mir einen kurzen Blick zu, sagte aber nichts.

Ich wandte mich schließlich von der Szene ab.

Ein Echo in meinem Kopf.

“Und am allerwichtigsten… weil ihr mir vertraut.”

Lavenders Stimme, leicht, amüsiert – aber da war etwas darunter gewesen. Etwas, das nicht in Worte gefasst war, nur in der Art, wie er mich angesehen hatte, als er es sagte.

Mein Daumen strich über den Rand der Taschenuhr. Er ist die Art von Mann, die sich wenn es darauf ankommt, immer auf den Beziehungsaspekt verlässt. Lächerlich. Wenn eines in Soranica sicher ist, dann das du dich auf niemanden außer dich selbst, verlassen kannst.

Was sollte diese Show, also? Oder hatte er… gewusst?
Unglaublich das ich soviele Gedanken an die Worte eines närrischen Jungen verschwende.
Schall und Rauch sind seine besten Waffen. Ich darf mich nicht ablenken lassen.

Ich klappte die Uhr mit einem Klick zu.

Drei Wochen.

„Bereitet alles für unser Treffen mit den Ingenieuren vor“, sagte ich schließlich. „Ich möchte sie heute Abend sprechen.“

„Wie Ihr wünscht, Lady Melody.“ Ein subtiles Lächeln schleicht sich in Seranas Gesicht. Sie wirkt wie eine Frau, die konsequente Maßnahmen zu schätzen weiß. Vielleicht ist sie ja doch zu etwas zu gebrauchen.

Ich drehte mich um und verließ die Halle. Die Musik verklang langsam, das Echo des letzten Tons hauchte durch den Raum wie eine verblassende Erinnerung.

Das Spiel hatte begonnen. Und ich war die Einzige, die die Regeln kannte.
Warum habe ich dann trotzdem dieses seltsame Gefühl?


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