Kapitel 6 - Eisenlunge
6. Eisenlunge
Die Kutsche ruckelt leicht, dann kommt sie zum Stillstand. Das Geräusch von knirschendem Kies unter den Rädern verhallt in der dunklen Nacht. Ein Moment der Stille, bevor Lavenders Stimme uns zurückholt.
„Na dann, ihr zwei. Willkommen in eurer neuen Werkstatt.“
Er lehnt sich zurück, locker, fast gelangweilt. Doch seine Augen ruhen auf uns – wachsam, messerscharf.
Sylvana atmet durch und öffnet die Tür. Kalte Luft strömt herein. Ich folge ihr, bevor sich der Gedanke breitmachen kann, dass das hier verdammt noch mal nicht unser Zuhause ist.
Die Nacht ist kühl, feucht, doch der Himmel ist sternenklar. Ein scharfer Kontrast zu dem, was hinter diesen hohen Mauern liegt – die Welt der Reichen, abgeschirmt von der Stadt, von dem, was draußen zählt.
„Ihr kriegt hier alles, was ihr braucht,“ sagt Lavender, während er geschmeidig aus der Kutsche steigt. „Mehr als ihr braucht, wenn wir ehrlich sind.“
Sein Blick fällt auf den Golem, der leblos im Inneren der Kutsche liegt. Dann auf uns.
„Und das hier? Euer Goldesel. Passt gut auf ihn auf.“
Ich verdrehe die Augen. „Nett, dass du’s sagst. Wären fast nachlässig geworden.“
Lavender grinst, tritt einen Schritt zurück und nickt den wartenden Bediensteten zu. Vier Männer, uniformiert und schweigend, treten vor und greifen nach der schweren Last.
„Lasst euch nicht aufhalten,“ murmelt Lavender, während er sich wieder in die Kutsche lehnt. Sein Blick bleibt einen Moment auf Sylvana hängen. „Drei Wochen. Und dann sehen wir, was ihr draufhabt.“
Dann schlägt er leicht gegen die Wagenwand. „Jacob, fahren wir.“
Die Räder setzen sich in Bewegung, und mit einem letzten flüchtigen Blick auf seinen lilafarbenen Mantel verschwindet Lavender in der Nacht.
Ich schnaube leise. „Drei Wochen. Großartig.“
Sylvana sagt nichts, doch ich spüre, wie ihr Blick an der dunklen Straße hängen bleibt, als wäre sie noch nicht bereit, ihn gehen zu lassen.
„Folgt mir,“ unterbricht eine kühle Stimme.
Wir drehen uns zur Quelle des Befehls. Eine schlanker Mann in makelloser Dienerkleidung steht vor uns, den Rücken gerade, das Kinn leicht gehoben.
„Lady Melody erwartet euch nicht mehr heute Nacht. Ich werde euch eure Unterkunft zeigen.“
Sylvana steckt die Hände in die Taschen und geht los. Ich folge mit einem Schulterzucken.
Das Anwesen ist groß. Teuer. Jeder Raum fühlt sich an, als hätte ihn jemand eingerichtet, der nie wirklich darin lebt.
Dann bleiben wir vor einer massiven Doppeltür stehen. Die Bedienstete greift nach einem Schlüssel, dreht ihn langsam im Schloss. Ein leises Klicken.
Die Tür öffnet sich.
Und wir stehen in einer Werkstatt, wie ich noch nie eine gesehen habe.
Ich pfeife leise. „Verdammte Scheiße.“
Sylvana tritt langsam ein, ihr Blick wandert über die makellosen Oberflächen, die sauberen Werkbänke, die fein säuberlich aufgereihten Werkzeuge. Perfekt ausbalanciert. Keines je benutzt.
„Das ist nicht echt,“ murmele ich.
Sylvana blinzelt, dann schüttelt sie kaum merklich den Kopf. „Doch. Das ist echt.“
Hinter uns öffnen sich erneut die Türen. Vier Männer betreten den Raum, tragen den Golem auf einer massiven Trage. Mit vorsichtigen, aber kräftigen Bewegungen setzen sie ihn auf eine große Werkbank.
Ein dumpfes Klirren.
Und dann ist da wieder dieses Gefühl.
Wir starren auf das unbewegliche Konstrukt aus Metall und Geheimnissen.
„Also gut,“ sage ich schließlich und lasse mich auf einen der ledernen Sessel sinken. „Was zur Hölle haben wir hier?“
Diese Hammerfall Werkstatt ist still. Zu still.
Nur das leise Klicken von Sylvanas Fingern, die über das Metall gleiten, füllt den Raum. Ihr Blick ist fokussiert, die Stirn in Falten gelegt, während sie jede Kerbe, jede Vertiefung des Golems mit der Präzision eines Uhrmachers ertastet.
Ich sitze auf einer dieser sündhaft teuren Bänke, den Rücken gegen die Wand gelehnt, spiele mit einem Stück Draht, das ich auf einem der makellos geordneten Tische gefunden habe. Die Luft riecht nach geschliffenem Stahl, kaltem Öl, altem Holz – aber nichts davon fühlt sich an wie unsere alte Werkstatt.
„Hm.“
Sie murmelt es mehr zu sich selbst als zu mir. Ich beobachte, wie sie ihre Lippen kräuselt, eine Scharniervorrichtung betrachtet und dann weiterwandert. Ihre Finger fahren über das Bruststück, verweilen an den Schultern, bevor sie langsam hinab zu den Armen gleiten.
Sie dreht ein Gelenk minimal – nur ein winziges Zucken –, dann bleibt sie wieder stehen.
Ihr Blick verengt sich.
Ich spüre, wie sich meine Stirn automatisch kräuselt.
„Hier stimmt was nicht,“ murmelt sie.
„Ja, kein Scheiß,“ brumme ich. „Der ganze Blechmann stimmt nicht.“
Keine Reaktion. Ihre Finger tasten weiter. Sekunden vergehen, dann zieht sie die Hand plötzlich zurück, als hätte sie sich verbrannt.
„Das ist…“ Sie lehnt sich näher heran, drückt mit der Hand gegen eine Vertiefung am Ellenbogen. Ihr Blick wandert über das gesamte Scharnier, als würde sie eine versteckte Mechanik suchen.
Ich schnaube. „Jetzt spann mich nicht auf die Folter, Syl.“
„Er könnte sich wie ein Mensch bewegen,“ murmelt sie.
„Ja? Und?“
„Nein, nicht wie ein Mensch.“ Sie runzelt die Stirn, dreht den Arm erneut leicht. „Nicht wie ein Ork. Nicht wie sonst irgendwas.“
„Klär mich auf.“
Sie zeigt auf die Gelenke. „Sieh dir das an. Es gibt keinen physischen Stopp. Kein Gelenk wird blockiert. Wenn ich richtig liege, kann sich dieser Golem in jedem erdenklichen Winkel bewegen.“
Ich lache trocken. „Na, dann kann er sich ja zum Knoten verdrehen, während er uns umbringt.“
Sie ignoriert mich, fährt mit den Fingern weiter entlang der feinen Gravuren an der Brustplatte. Ich sehe, wie ihre Augen hektisch über das Metall huschen, wie sie Verbindungen herstellt, Gedanken ordnet.
Dann – ein langer Seufzer. Ihre Hände fallen in den Schoß.
„Ich brauche den Arcana-Lokator.“
Ich spüre, wie sich meine Schultern verspannen.
„Den hast du doch immer—“
„In der Werkstatt.“ Ihre Stimme ist flach.
Die Werkstatt. Die, die nicht mehr existiert.
„Tja,“ sage ich gedehnt. „Dann kannst du ihn wohl abschreiben.“
„Cyrus.“
Ich erkenne den Ton. Den, der sagt, dass sie es ernst meint.
Ich massiere mir den Nacken. „Syl, ich weiß nicht, ob du’s mitbekommen hast, aber die Werkstatt ist weg. Und wenn sie nicht weg ist, dann gehört sie jetzt den Geldzwergen. Und wenn sie den Arcana-Lokator nicht schon verlegt haben, dann haben sie ihn wahrscheinlich benutzt, um sich gegenseitig am Lagerfeuer einen zu schrubben.“
„Ich weiß.“ Sie fährt sich mit den Fingerspitzen über die Schläfen. „Aber ohne den Lokator bin ich blind. Ich kann’s nicht riskieren, irgendwas zu aktivieren, ohne zu wissen, womit wir es zu tun haben. Und vorallem ohne zu wissen, wo die Magie sich bündelt oder speichert.“
Ich sehe, wie frustriert sie ist. Und ich sehe, dass sie recht hat.
Also tue ich, was ich immer tue.
Ich stehe auf, strecke mich ausgiebig und schnappe mir einen der Äpfel aus dieser viel zu luxuriösen Obstschale. Ich beiße hinein, mustere Sylvana dabei beiläufig.
„Ich geh kurz frische Luft schnappen. Hol mir vielleicht ein paar Muffins in Lotarm.“
Sie hebt den Kopf und verengt die Augen.
„Cyrus.“
„Was? Willst du auch welche?“ Ich grinse sie an.
„Stell nichts Dummes an.“
Ich lege eine Hand auf mein Herz, setze mein bestes Unschuldslächeln auf. „Ich? Bitte. Ich bin der klügste Mann der Welt.“
Sie stöhnt und winkt mich genervt zur Tür. „Dann benimm dich auch so.“
Ich drehe mich um und lasse die Tür hinter mir ins Schloss fallen.
Draußen ist es kälter als erwartet. Ich atme tief durch, spüre, wie die Nachtluft meine Lungen füllt. Der Geschmack von Kupfer hängt auf meiner Zunge.
Ich taste über die metallischen Rillen an meiner Brust. Ich werde das niemals aussprechen, aber ich schulde dir alles, Syl.
Die Straßen von Hammerfall sind anders als die im Distrikt der Hauslosen. Ruhiger. Kontrollierter. Ich kann sie nicht leiden.
Mein Blick wandert über die vorbeiziehenden Kutschen, ihre Laternen werfen flackernde Muster auf das Pflaster. Ich atme einmal tief durch. Dann, mit einem einzigen Satz, katapultiere ich mich nach oben.
Die Räder ruckeln unter mir, als ich mich auf dem Dach der Kutsche stabilisiere. Unten ruft der Kutscher überrascht etwas, doch ich lehne mich nur lässig nach vorne und grinse über die Kante.
„Keine Sorge, gehöre zu Lady Melody. Sieht man das nicht?“ Ich ziehe ein dämliches Grinsen auf.
Der Kutscher murmelt ein paar Flüche, doch peitscht die Pferde nicht an.
Ich lehne mich zurück.
Kein Arcana-Lokator, keine Analyse. Kein Plan. Drei Wochen, dank des Silberlöffel Penners. Die Uhr tickt.
Frage mich ob sie einen Empfang für mich vorbereitet haben.
Sie sagt, ich gehe immer nur mit dem Kopf durch die Wand.
Ich ziehe den Kragen hoch und setze mich in Bewegung.
Zum Glück sind die meisten Leute nicht so hart wie Wände.
Ruß und Öl. Der vertraute Geruch hing noch in der Luft, aber etwas stimmte nicht. Ich blieb einen Moment im Schatten stehen und zog die Kapuze tiefer ins Gesicht.
Die Tür zur Werkstatt stand offen. Nicht angelehnt. Offen. Dabei hatte ich doch garkeinen Besuch bestellt.
Ein Flattern ging durch meine Brust. Ich atme langsam aus, lasse den heißen Dampf kontrolliert durch die Scharten an meinen Rippen entweichen. Keine Fehler machen. Keine Hektik. Ich war hier, um etwas zu holen, nicht um ein Spektakel zu veranstalten.
Ich trat über die Schwelle.
Sechs Stück. Junge Gesichter, kaum Narben. Frische Tattoos auf den Armen, kaum verblasst. Anfänger. Aber Anfänger bei den Geldzwergen waren keine Kinder. Sie waren Wölfe, die darauf warteten, irgendjemanden in Stücke zu reißen.
„Ahh, verdammt. Ich hab’s mir fast gedacht.“
Die Worte kamen leichthin über meine Lippen, während ich mich gegen die Werkbank lehne. Meine Finger strichen beiläufig über das kalte Metall, aber mein Blick blieb auf ihnen.
Sechs gegen einen. Keine guten Quoten, aber wer wettet hier schon auf mich?
Einer von ihnen, breitschultrig, ein bisschen zu selbstsicher, lässt sein Gewicht in die Hüften fallen. „Schau mal einer an. Ich dachte, du wärst auf der Flucht, Cy. Deine kleine Hexenfreundin auch? Oder hat sie dich hier alleine verrecken lassen?“
Ich blinzelte träge. „Weißt du, ich hatte gehofft, ihr hättet wenigstens einen von den Alten geschickt. Jemanden mit Verstand. Aber ihr…“ Ich ließ den Blick über die Truppe wandern. „Ihr seid nur die Ratten, die man nachschickt, wenn der Keller schon leergeräumt ist.“
Er grinste und musterte meine Haltung. Dann ging er auf mich los.
Muskulöser Typ, aber ein unbeholfener, weit schwingender linker Harken.
Ich zieh meine Deckung nach oben und gleite unter dem Schlag hinweg. Ein linker Jab zum Kinn. Ich lenke ihn ab und gleite langsam nach rechts. Noch ein Jab. Kein Kontakt.
Er schaut erst verwirrt, dann wütend.
Derselbe dämliche Harken, diesmal von rechts. Es musste wohl mein scheiß Geburtstag sein.
Jede Nutzung meiner Lunge kostet mich einen Monat meines Lebens, hat sie gesagt. Naja - Dunkelelfen werden scheißalt. Das einzige Geburtsprivileg was mir gegönnt wurde.
Die Hitze schießt durch meine Nase, als ich scharf einatme. Ich bin schräg, im perfekten Winkel positioniert. Er wird mit seinen fetten, kurzen Beinen kaum lateral ausweichen können.
Ich gleite einen halben Schritt nach vorne und lass meine Rechte direkt in richtung seines Gesichts explodieren. Ich sehe fast noch einen Bruchteil von Realisation in seinen Augen, dann spüre ich seinen Orbitalknochen zersplittern.
Noch zwei Ladungen, bis ich überhitze.
Ich lehne mich tiefer in den Schlag und schiebe mit aller Kraft. Der Zwerg schießt wie eine Kanonenkugel durch die Luft und zermatscht einen seiner kleinen Helfer, an dem Regal in das ich ihn torpediere. Holzsplitter und Blut fliegen krachend durch die Luft, als ein Großer sich tief in meine Seite bohrt. Ich atme schlagartig aus.
Vier übrig.
Einer schreit irgendwas und versucht rechts entlang richtung Ausgang zu preschen. Soll er rennen.
Der nächste Zwerg ist zierlich, klein. Seine Hände zittern. Er greift nach einem Schraubenschlüssel auf der Kommode neben ihm und schwingt ihn mit einem verzweifelten Schrei in meine Richtung.
Meine Hand umgreift sein schmales Handgelenk, bevor er sein Ziel findet. Aber die anderen waren in Bewegung. Eine Faust traf donnernd gegen meine Schläfe.
Scheiße, übler Treffer.
Ich stolperte leicht, als ich fühlte wie zwei paar Hände mich von hinten fixierten, während immer mehr Schläge auf mich einhagelten.
Ich muss improvisieren.
Mit einem kehligen Schrei, ließ ich den Dampf meiner Brustventile auf die Zwerge, um mich herum los. Ich hörte Schreie und roch die verbrannte Haut. Ich fixierte mich auf den, den ich erkennen konnte, und stürzte mit einem eingesprungenen Kniestoß, direkt auf seine Nase nach vorne.Ich hörte ein lautes Knacken, als ich seinen Schädel eindellte, dann falle ich auf mein blutiges Knie.
Nurnoch eine Ladung. Mein Limit für heute ist so gut wie erreicht. Scheiße.
Ich rappele mich so schnell auf, wie ich kann und hebe die Deckung, aber ich sehe die anderen zwei aus der Tür stürzen. Ich hab Glück. Die haben keine Ahnung wie am Arsch ich bin.
Meine Brust hob und senkte sich schwer. Das Blut in meinem Mund schmeckt metallisch, meine Finger sind aufgeschlagen. Der Boden unter mir ist ein chaotisches Muster aus umgestürzten Werkzeugen, Holzsplittern und regungslosen Körpern.
Doch ich bin noch nicht fertig.
Ich drehe mich langsam um und lass meinen Blick durch das Chaos streifen. Überall Schrott. Umgekippte Regale, zerborstene Kisten, verstreute Werkzeuge. Mein Rücken schmerzt, meine Rippen brennen und ich schmecke mein eigenes Blut, aber ich ignoriere es. Ich knie mich hin, beginne durch das Durcheinander zu wühlen.
„Komm schon…“, murmele ich, während meine Finger über den Boden tasten.
Ein Hammer. Ein paar lose Schrauben. Zerknüllte Papiere.
Irgendwo muss das verdammte Ding doch sein.
Ich schiebe eine umgestürzte Truhe zur Seite, wühle mich durch einen Haufen Metallteile. Mein Atem ist schwerer. Mein Kopf pochte. Ich schüttele die Schultern aus, reiße eine Kiste auf, krame durch die Inhalte.
Nicht hier.
Nicht hier.
Nicht—
Meine Finger schließen sich um etwas Glattes, Kaltes. Die eingravierten Runen sind an meinen Fingerspitzen spürbar. Scheiße, ja.
Ich ziehe ihn heraus. Den Arcana-Locator.
Er liegt in meiner Hand, unversehrt. Ich drehe ihn langsam zwischen den Fingern, lass ihn kurz in meiner Handfläche ruhen.
Dann seufze ich leise und stecke ihn ein.
Ich bleibe noch einen Moment hocken, blicke durch die dunkle Werkstatt. Die Spuren von mir und Sylvana waren noch überall. Skizzen an der Wand, unfertige Projekte auf den Tischen. Es fühlt sich falsch an, das alles so zurückzulassen. Aber ich weiß wie der Hase läuft.
Die Werkstatt war nicht mehr unser Zuhause. Das war der Preis.
Ich trat zurück auf die Straße und ziehe den Mantel enger um mich. Ein paar Kratzer mehr, machen den Bock nicht fett.
„Du schuldest mir ein paar verfickte Muffins, Syl.“
Keine Zeit für Nostalgie.
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