Kapitel 41 - Die Konsequenz

41. Die Konsequenz

Ich stehe auf dem Dach.

Wind fängt sich in den Falten meines Mantels, als hätte selbst die Natur begriffen, wer hier das letzte Wort spricht.

Unter mir: Hammerfall.

Nicht die Stadt. Nicht die Idee. Die Konsequenz.

Straßen wie aufgerissene Gedärme, flackernd in den Zungen hungriger Feuer. Häuser, die sich unter der Last ihrer eigenen Geschichte beugen. Der Krieg ist da. Nicht mit Trommeln. Mit Wahrheit.

Ich atme ein. Warmes Eisen liegt in der Luft.

Blut.

Ich senke den Blick.

Die Klinge in meiner Hand dampft noch.

Nicht vor Schuld. Nur vor Wärme.

Ich säubere sie an meinem Ärmel – wie man sich den Staub von der Schulter klopft.

Eine Geste, so beiläufig wie ein Atemzug.

Die Tür hinter mir öffnet sich.

Leise.

Natürlich.

Dorian.

„Sir Scott.“

Er schweigt kurz. Prüfend.

„Ihr habt euch also entschlossen, euch der Atenboroughs zu entledigen?“

Seine Stimme ist höflich.

Fast zu höflich.

Ein Diener, der weiß, dass sein Herr nicht befragt, sondern verstanden werden will.

Ich antworte nicht sofort.

Stattdessen lasse ich den Blick über die brennende Schneise gleiten, die sich durch Hammerfall frisst.

Wie ein Bekenntnis, das man nicht mehr zurücknehmen will.

„Ihre Aufgabe war klar,“ sage ich schließlich.

Meine Stimme schneidet durch das Schweigen wie ein Messer durch Stoff.

„Haltet die Schmiede im Zaum. Dünnt ihre Reihen.“

Ich deute mit der Klinge, als wäre sie ein Taktstock.

„Atenborough und seine Frau haben versagt.“

Ein Wimpernschlag.

„Und seine Tochter hätte ich kaum zur Kommandantin ernennen können.“

Dorian schweigt.

Dann, fast widerwillig, hebt er die Augenbraue.

Sein Blick berührt mich nicht – er bleibt dort, wo er sicher ist: zwischen Distanz und Urteil.

Ich spüre es trotzdem.

Dieses leise Zucken hinter der Stirn.

Die Abneigung.

Ich drehe mich zu ihm, langsam.

Nicht, um ihn zu bedrohen.

Sondern um ihn zu formen.

„Dorian,“ sage ich, ruhig, kalt. „Weißt du, warum sie sterben mussten?“

Er zögert.

Ich lasse ihn.

Er darf stolpern. Ich will es.

„Nun… wie Ihr erwähntet. Ich schätze, sie waren der Aufgabe nicht gewachsen?“

Ich atme aus.

Nicht spöttisch.

Nur enttäuscht.

„Falsch.“

Ein einziges Wort.

Wie ein Riegel, der fällt.

„Ich habe Charles Atenborough behandelt wie einen der Meinen. Ich sah einen jungen Mann – ambitioniert, strategisch, einnehmend. Also gab ich ihm die nötigen Ressourcen. Ich habe sein Potenzial wahr gemacht.“

Ich gehe ein paar Schritte.

Lass den Klang meiner Stiefel sprechen, wo Worte zu schade wären.

Dann bleibe ich stehen.

„Denn ohne Umsetzung… ist Potenzial nichts.

Außer ein Figment unserer selbstberauschenden Arroganz.“

Ich blicke wieder über die Stadt.

Feuer.

Schreie.

Geschichte in der Mache.

„Und wie zahlt Sir Atenborough es mir zurück, Dorian?“

Ich frage es nicht. Ich stelle es.

Wie eine Rechnung.

Dorian antwortet nicht.

Zu klug dafür.

„Ich kam, um meine Antwort zu kriegen.“

Ich spreche langsam. Deutlich.

„Warum die Schmiede diesen Krieg gewinnen. Warum er nicht der ist, zu dem ich ihn gemacht habe.“

Meine Stimme erhebt sich nicht.

Aber sie wird schärfer.

Eine Klinge, die über Stein gezogen wird.

„Und ich finde ihn mit seiner Familie – beim Packen.

Seine Bücher, seine Uniform, seine Überzeugungen.

Bereit, den Schwanz einzuziehen und sich selbst aufzugeben.“

Ich atme aus.

„Erbärmlich.“

Ich schließe die Augen. Nur einen Moment.

Der Wind ist kalt.

Das Blut ist warm.

„Das war der Moment, in dem der Mann Charles Atenborough starb.“

Ich drehe mich langsam zu Dorian um.

Meine Stimme sinkt.

Tiefer.

Wahrer.

„Ich habe ihn nicht getötet, Dorian.

Das war er selbst.“

Ein letztes Flackern der Flamme am Horizont spiegelt sich in seiner Brille.

Er sagt nichts mehr.

Das braucht er auch nicht.

Die Antwort ist gegeben.

Und ich bin noch immer hier.

Das Schwert liegt schwer in meiner Hand.

Aber nicht schwer genug, um mich zu bremsen.

Noch lange nicht.

Dorian betrachtet mich.

Ein Funkeln in seinen Augen – zögerlich, tastend.

Er beginnt zu verstehen. Vielleicht.

„Aber…“

Er holt aus.

Mutig genug, eine Frage zu stellen – mutig genug, mich nicht nur zu bedienen, sondern zu fordern.

„Wie werdet Ihr das Problem mit den Schmieden lösen?“

Ich atme ein.

Langsam.

Als würde die Antwort durch meine Lunge fließen wie Rauch durch ein Gitter.

Ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht.

Kein Triumph. Kein Spott.

Nur diese leise, unausweichliche Genugtuung, wenn ein Plan beginnt, sich selbst zu erklären.

„Krieg, Dorian… ist eine Kunst.“

Meine Stimme ist weich, fast sanft. Wie Seide über Stahl.

„Und entgegen dem, was die Geschichtsbücher erzählen, ist er nie ein Duell.

Er ist ein Spinnennetz. Dekoriert mit Fliegen und Kokons – aus Interessen, aus blindem Hass.“

Ich gehe zum Rand des Daches.

Die Klinge ruht nun an meiner Seite, schwer wie ein Schlussstrich.

„Zündest du einen Strang an, verdammst du alles dazu zu brennen.“

Ich lächle.

Nicht zu ihm. In die brennende Ferne.

„Es hat nie eine Rolle gespielt, ob die Wache die Schmiede aufhält.“

Ein Flüstern, brutal in seiner Klarheit.

„Die Konsequenz wird so oder so eine Stadt sein – reif mit Angst, Blut und Ungewissheit.“

Ich drehe leicht den Kopf.

„Bereit… geerntet zu werden.“

Dann – ein Laut.

Klar.

Hohl.

Unverkennbar.

Ein Gong.

Dorian erstarrt.

Ich sehe, wie seine Hände leicht zittern.

Nur ein Wimpernschlag – aber ich sehe es.

„Der Wohndistrikt…“

Er spricht es kaum hörbar aus.

Ich folge seinem Blick.

Und dort –

Lotarm beginnt zu brennen.

Nicht wie ein Unfall.

Wie ein Satzzeichen.

Flammen schießen aus den Fenstern, reißen das Dunkel auf wie eine klaffende Wunde.

Und dann –

die Bewegung.

Rebellen, die fliehen.

Nicht wie Soldaten – wie Kinder, die zu spät erkennen, dass Mut allein keinen Schutz bedeutet.

Sie kehren um.

Zurück in Richtung ihrer Familien.

Die sie zurückließen.

Ungeschützt.

Dorian tritt neben mich.

Bleich.

Die Realität hat ihm die Farbe aus dem Gesicht gezogen, wie ein Maler, der nur noch in Grau malt.

Ich sage nichts sofort.

Ich lasse ihn fühlen, was es heißt, Zeuge zu sein.

Dann:

„Krieg… verschlingt, ohne zu fragen, Dorian.“

Ich drehe mich langsam zu ihm, meine Stimme ein Tuch über einem Sarkophag.

„Und die Sieger… sind nicht die Tapferen.

Nicht die Lauten.

Nicht die Märtyrer.“

Ich lege ihm kurz die Hand auf die Schulter.

Ein kaltes Zeichen. Ein stiller Schwur.

„Die Sieger…“

Ein letztes Flackern aus Lotarm spiegelt sich in seinen Augen.

„…sind jene, die nicht teilnehmen.“

Ich löse die Hand.

„Sondern bereit sind, die Scherben zu formen.“

Die Worte sinken in die Nacht, wie Münzen in einen Brunnen aus Schuld.

Und unter uns –

brennt Hammerfall, brennt Lotarm.

Wie erwartet. Die Konsequenz kennt keine Freunde.


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