Kapitel 39 - Das Mädchen und der Schmied
Die Nacht atmet schwer über Lotarm.
Kein Laut. Nur der ferne Schrei brennenden Steins.
Rauch, der schmeckt wie Schuld.
Ich höre unsere Schritte – dumpf, gleichmäßig, wie der Takt eines alten Krieges, den man nie ganz vergisst. Dondir geht an meiner Seite. Seine Axt schwingt nicht, aber sie denkt.
Hinter mir: Fünfzehn. Mehr als eine Zahl. Fünfzehn Namen, fünfzehn Gründe, warum ich diesen verdammten Helm wieder trage.
Das Mithril liegt an wie Erinnerung.
Nicht wie Rüstung. Wie Wahrheit.
Ich hatte vergessen, wie richtig es sich anfühlt, wenn Stahl nicht schützt, sondern spricht.
„Hier bin ich.“
Der Wohndistrikt schläft – noch.
Fenster dunkel. Türen verriegelt.
Aber jeder weiß, dass Schlaf kein Schild ist, wenn Feuer über Mauern kriecht.
Drüben: Hammerfall brennt.
Nicht langsam. Nicht gezielt.
Ein Brand wie Zorn ohne Richtung.
Melkior hat keine Feinde. Nur eine Richtung.
Er sucht keinen Sieg. Er sucht Flächen, auf denen Asche Platz hat.
Ich bleibe stehen.
Der Übergang – verkohlt, verzogen, als hätte jemand versucht, selbst das Pflaster zu töten.
Ich spüre, wie mein Rücken sich strafft, die Schultern ziehen, das Gewicht des Hammers fließt mir den Arm hinab wie eine Entscheidung.
Ich brauche keine Befehle.
Nur einen Schritt.
Ich habe in den Tiefen gelernt, wie man Leben nimmt, bevor jemand den Preis zahlt.
Kein Zögern. Kein Zweifel. Nur ein einziger Gedanke:
„Nicht hier. Nicht noch einmal.“
Dondir schaut mich nicht an, aber sein Griff an der Waffe ist Antwort genug.
Die anderen halten Abstand, aber nicht aus Angst – aus Vertrauen.
Sie wissen, ich bin kein Anführer.
Ich bin ein Punkt. Ein letzter Halt, bevor es fällt.
Der Rauch zieht wie Schleier über den Himmel.
Ein schmutziger Gott, der sich über die Dächer legt und betet, dass wir vergessen, was kommt.
Ich vergesse nicht.
Wenn das Feuer zu uns will –
dann wird es uns holen müssen.
Und ich schwöre bei jeder Narbe unter diesem Mithril –
Es wird sich an mir die Finger brechen.
„Glaubst du wirklich, dass sie kommen werden, Sigmund?“
Dondirs Stimme kratzt am Dunkel. Tief. Rau.
Aber da ist etwas darin – nicht Angst. Etwas Härteres. Hoffnung, die nicht sein will.
Ich antworte nicht sofort.
Die Stille zwischen uns fühlt sich an wie ein Prüfstein.
Dann lasse ich die Worte fallen, so klar, dass sie selbst den Rauch schneiden:
„Es spielt keine Rolle, was ich glaube.“
Sie sinken in die Rüstung hinter mir.
Ein metallisches Zittern. Kein Laut des Mutes.
Sondern das Rascheln von Männern, die spüren, dass Wahrheit weh tun kann.
Ich drehe mich.
Langsam. Schwer. Wie ein Tor, das sich nur öffnet, wenn es muss.
„Der Krieg hat uns erreicht.“
Meine Stimme klingt müde. Nicht zerbrochen – aber so, als hätte sie sich selbst schon einmal begraben.
Ich schüttle den Kopf, nicht aus Verneinung.
Aus Erschöpfung.
Aus Wissen.
Meine Hand schließt sich fester um den Hammergriff.
Die Schwiele an meinem Daumen – alt, aber vertraut – ist Antwort genug.
„Egal, was aus dem verkohlten Leichnam Hammerfalls zurückkehrt…“
Einatmen.
„Unsere Familien. Unser Weg. Die Säulen Lotarms selbst…“
Ausatmen.
„…müssen davon bewahrt werden.“
Das letzte Wort hallt.
Nicht laut – aber schwer.
Wie ein letzter Nagel, den man selbst einschlägt, wissend, dass er für einen Sarg ist.
Dann. Etwas, das ich nicht eingeladen habe.
Ein Riss im Innern.
Nicht aus Metall.
Ein Schatten zwischen zwei Atemzügen.
Zweifel.
Trauer?
Wut.
Ein Bild, das nicht gehen will – ich, neben Melkior, Schulter an Schulter, während das Blut der Adligen die Straßen färbt.
Vielleicht… vielleicht wäre das Gerechtigkeit.
Vielleicht müsste erst alles brennen, damit etwas Neues wachsen kann.
Aber dann spüre ich das Gewicht des Hammers in meiner Hand.
Und ich weiß:
Gerechtigkeit, die aus Asche wächst, trägt immer den Geschmack von Schuld.
Ich sehe Dondir an.
„Vielleicht“, murmele ich. „Aber nicht heute.“
Und der Griff um den Hammer wird fester.
Die Fackeln am Perimeter brennen wie Versprechen, die keiner mehr zu geben wagt.
Ihr Licht zittert nicht – es steht. Unbeugsam.
Ein letzter Kreis aus Glut gegen die Nacht.
Der Atem unserer Leute steigt aus den Helmen, dampfend wie Erinnerungen, die den Weg nicht finden.
Rhythmisch. Gleich. Wie das Herz einer Welt, die noch nicht tot ist, aber aufhört zu hoffen.
Wir stehen auf einem Grat.
Kein Boden – ein Gedanke.
Zwischen uns und dem Fall: nur der Wille, nicht zuzulassen.
Die Rüstungen knarzen leise, als wollten sie sich erinnern, wofür sie geschmiedet wurden.
Manchmal – flüchtig – schiebt sich ein Hauch von Lachen in die Stille,
ein Spruch, ein Wort, eine halbe Geschichte.
Aber der Rauch lässt ihn ersticken, noch bevor er Wurzeln schlagen kann.
Denn diese Luft ist nicht gemacht für Leichtigkeit.
Sie trägt nur fallende Asche.
Dann senkt sich Stille über den Bezirk.
Keine Bedrohung.
Aber auch kein Frieden.
Nur ein Gewicht.
Die Augen offen.
Daw Feuer lebendig.
Aber kein Laut, kein Schritt, kein Zeichen.
Als hielte die ganze Stadt den Atem an –
ein letztes Gebet, gesprochen nicht mit Worten,
sondern mit Waffen, Blicken
und dem Entschluss.
Vielleicht vergeht eine Stunde.
Vielleicht etliche.
Zeit wird bedeutungslos, wenn niemand wagt, sie auszusprechen.
Wir stehen. Blicke starr nach Norden,
auf das flackernde Glühen am Horizont,
als könnten wir es mit Entschlossenheit löschen.
Dann höre ich Schritte.
Nicht hastig. Nicht zögerlich.
Ein Schritt, der weiß, wohin er geht.
Dingir, der alte Schmied, tritt neben mich.
Seine Schultern tragen mehr als Metall – sie tragen Geschichte.
Er spricht leise, als wollte er nicht stören,
und doch trägt seine Stimme das Gewicht der Entscheidung:
„Der Arzt hat etwa die Hälfte der Fähigen und Willigen aufbruchsbereit, Sigmund.“
Ich nicke.
Ein stilles, anerkennendes Zeichen.
Doch meine Augen bleiben auf der Linie des Feuers gerichtet,
als könnte mein Blick allein den nächsten Schritt des Feindes verzögern.
Der Wind weht durch die Scharten meines Helms.
Kalt. Wach.
Und zum ersten Mal seit Stunden beginnen meine Gedanken zu wandern.
Zu Margdar.
Ihr Gesicht, im Halbdunkel unseres Hauses.
Die Tränen darin – kein Zerbrechen.
Eine Frage, die sie nicht stellte, weil sie die Antwort fürchtete.
Zu Seldar.
Ihre kleine Hand, die meine greift,
fest, entschlossen, mit dem unbegreiflichen Mut eines Kindes.
„Wohin gehst du, Papa?“
„Warum bist du so angezogen?“
Ich wollte antworten.
Aber sie kam mir zuvor.
„Papa… du beschützt uns wie ein edler Ritter“,
sagte sie.
Und lächelte,
stolz, als sei das eine Wahrheit, die niemand bestreiten könne.
Für einen Moment –
verblasst alles.
Der Zorn. Die Sorge.
Wie Rauch, der aufsteigt und im Himmel verschwindet.
Sie ist so stark,
meine kleine Seldar.
Doch dann wandern meine Gedanken zurück zu Melkior. Was würde Seldar sagen?
Wüsste sie das der sanfte, alte Zwerg, der so oft mit uns einen Tisch teilte, gerade die Straßen mit den Leichen elder Ritter pflasterte.
Mein Kiefer spannt sich an.
Doch dann reißt es mich aus dem Gedanken –
ein schriller, blecherner Gong,
so schneidend, als wolle er selbst das Rückgrat Lotarms zerschneiden.
Instinkt. Kein Befehl.
Waffen heben sich.
Schilde klappen nach vorn.
Ein Ablauf, der nach Tagen des Wartens und Übens nicht mehr gedacht, sondern geatmet wird.
Wie Muskelgedächtnis aus Blut und Angst.
Ein zweiter Gong.
Tiefer. Näher.
Unheil, gegossen in Klang.
Ich hebe den Kopf. Höher, als nötig –
als könnte mein Blick die Wahrheit ändern.
Vielleicht… Vielleicht nur Wind.
Vielleicht nur Echo.
Dann der dritte Schlag.
Lang. Schwer.
Kein Zweifel mehr.
Das eiserne Schellen eines Marsches,
genagelt mit Schuld und vergoldeter Gerechtigkeit.
Geldzwerge.
Ein Marsch des Glaubens.
Meine Augen weiten sich,
die Stirn bricht in eine Falte wie ein Riss im Stahl.
Nicht jetzt. Nicht hier.
Dann –
rechts.
Noch ein Klang. Dreckiger. Näher.
Nicht die Hoheit eines Rituals.
Sondern das metallene Kriechen eines Rudels.
Ich reiße den Blick herum.
„SIE SIND HINTER UNS!“
Die Worte brechen aus mir wie ein Hammerschlag –
nicht Frage, nicht Befehl,
nur Wahrheit, laut genug, um selbst die Götter zu wecken.
„FORMIEREN!“
Antwort: klackendes Metall.
Ein Stampfen.
Ein Brüllen in Rüstung.
Die Linie dreht sich.
Kein Chaos –
nur die Panik, die geordnet töten will.
„FOLGT MIR!“
Ich stürme los.
Kein Held. Kein Heerführer.
Nur ein Vater,
ein Mann,
ein Zwerg mit einem Hammer
und der Hoffnung,
dass der Weg zwischen Feuer und Glauben noch schmal genug ist,
um rechtzeitig zu sein.
Götter –
macht,
dass sie noch an mich glauben dürfen.
Sie marschieren. Keine Worte. Keine Rufe.
Nur das dumpfe Stampfen von fünfzehn Stiefeln,
das Kreischen von Metall auf Stein,
und darüber:
der Klang eines gotteslästerlichen Gongs,
wie das Herz eines Wahnsinns,
der sich Glauben nennt.
Wir sind die Linie.
Kein Heer. Kein Schildwall.
Aber wir halten.
Mit jedem Schritt, den wir setzen,
reißen wir ein Stück Ordnung zurück aus dem Schlund,
den die Geldzwerge Feuer nennen.
Der Wohnbezirk ist nicht mehr zu erkennen.
Ein längst geplanter Hinterhalt. Ein Feuermarsch aus der Dunkelheit der Kanalisation.
Flammen tanzen an den Obergeschossen,
Stuck zerfällt zu Asche,
und aus zerborstenen Fenstern stürzen Frauen,
schreiend, brennend, mit Kleidern wie sterbenden Fahnen.
Kinder schreien in den Gassen.
Und über allem:
ein Flüstern,
das wie ein Gebet klingt,
aber keines ist.
Dann kommen sie.
Die Geldzwerge.
Nicht marschierend – stürzend.
Nicht kämpfend – fanatisch.
Kein Takt. Nur Wut. Nur Glaube.
In ihren Augen:
kein Licht, nur das Echo von Urteilen, die kein Herz mehr sprechen konnte.
Einer springt. Direkt auf uns.
Sein Leib tätowiert mit Gold,
die Haut glühend, als hätte der Wahnsinn selbst ihn gezeichnet.
Er schreit „Ausgleich!“
und verschwindet im Hieb meines Hammers,
als wäre er nie gewesen.
Nur Blut bleibt.
Rubinrot,
im jadefarbenen Glanz der Nacht.
Es perlt vom Mithril,
tropft schwer zu Boden.
Ein stiller Takt.
Ein Preis.
Neben mir bricht ein Kamerad zusammen – ein Speer durch die Kehle,
doch noch während er fällt,
reißt er zwei weitere mit sich.
Kein Heldentod.
Nur Pflicht.
Wir ziehen weiter.
„Schritt! Schritt! Schritt!“
Ich spüre sie. Die Dreizehn.
Die letzten, die noch mit mir marschieren.
Dondir lebt.
Sein Schild, zerschrammt,
sein Blick: unbeirrbar.
Wir lassen keinen zurück.
Nicht weil wir Helden sind.
Sondern weil wir wissen,
dass der Boden hinter uns sonst zu einem Altar aus Schuld wird.
Ein weiterer Zwerg rennt schreiend auf uns zu,
das Gesicht verzerrt zu einer Fratze aus Glorie und Geifer.
Ich schlage ihn nieder –
nicht aus Hass,
sondern weil mein Arm sich weigert, ihn leben zu lassen.
Mit jedem Schritt rücken wir näher an den Gong.
Er hämmert. Noch immer.
Wie ein Herz, das uns verhöhnen will.
Aber ich höre nicht mehr auf ihn.
Ich höre auf den Atem meiner Brüder.
Auf den Klang von Hämmern,
die keine Glocken sind,
sondern Urteile.
Leichter Hammer. Schwerer Schritt.
Noch zwölf.
Noch Marsch.
Noch Hoffnung.
Solange wir die Linie sind,
brennt Lotarm vielleicht –
aber es atmet.
Wir biegen um die Ecke –
und da liegt er.
Der Gong.
Endlich.
Aber alles an ihm ist falsch.
Kein heiliger Klang.
Kein Symbol des Glaubens.
Nur ein Gestell aus rostigem Eisen,
überspannt mit zwei Körpern,
kopflos,
aufgespannt wie eine Warnung,
oder ein krankes Ritual.
Ihr Blut tropft noch,
trifft das Metall mit einem Zischen,
das klingt wie das Lachen der Götter,
wenn sie den Verstand verlieren.
Und davor:
nicht einmal zehn.
Zehn Gestalten,
die einmal Zwerge waren,
jetzt aber nur noch Hüllen aus Wahnsinn.
Goldene Tätowierungen zucken über ihre Haut,
als würden sie atmen,
als würden sie flüstern,
als würde der Glaube selbst verlangen, gesehen zu werden.
Sie sehen uns.
Und was sie empfinden,
ist keine Furcht.
Sondern Euphorie.
„WIR KONNTEN SIE LOCKEN!“
Ein heiseres, manisches Lachen,
das den Raum füllt wie Rauch.
„GENAU WIE DER GOLDENE PROPHEZEITE!“
Ihre Augen brennen.
Nicht mit Feuer.
Sondern mit Glaube,
der jede Moral verzehrt hat.
Ein Blick in sie –
und ich sehe nichts mehr, was gerettet werden kann.
Ein kalter Schauer kriecht mir über den Rücken,
langsamer als Angst,
aber tiefer.
Ich spüre ihn in den Gelenken,
im Griff meines Hammers.
Der Marsch des Glaubens ist nicht hier.
Er ist überall.
Wir sind nicht an der Front.
Wir sind in der Falle.
Abgeschnitten.
Getrennt von denen, die wir schützen wollten.
Unsere Linie – ein Splitter.
Ich blicke zu Dondir.
Seine Zähne fest zusammengepresst.
Die anderen –
bereit.
Aber ich sehe es in ihren Augen:
Nicht Angst vor dem Tod.
Sondern vor dem,
was aus diesem Wahnsinn noch geboren werden könnte.
Ich hebe den Hammer.
Der Kampf bricht aus wie ein geplatzter Nerv.
Kein Schlachtruf. Kein Takt.
Nur Bewegung.
Nur Tod.
Die Fanatiker stürzen sich auf uns wie brennende Schatten,
Klingen gezückt, Gesichter verzogen zu einem Grinsen,
das nichts mehr mit Freude zu tun hat.
Nur mit Wahnsinn.
Mit Glaube,
der vergisst, dass Götter einst für Leben standen.
Wir schlagen zurück.
Mit Hämmern, Äxten, bloßen Schilden.
Jeder Schlag ist ein Urteil. Klingel blättern an meinem Mithril ab, wie Grashälme.
Jeder Treffer ein Schrei, der nie zu Ende gesprochen wird.
Einer der Irren schleudert sich mir entgegen,
ein gezacktes Messer in der Hand,
das aussieht, als sei es aus einem Opfer geschnitzt.
Ich reiße den Hammer herum,
spüre, wie Knochen unter der Wucht zerbersten.
Er taumelt. Fällt.
Ist weg.
Doch mit jedem Fall wächst mein Zweifel.
Warum sind es so wenige?
Warum so leicht?
Ihre Blicke –
sie beten nicht um Leben.
Sie beten für Zeit.
Mein Herz pocht.
Nicht vom Kampf.
Von Paranoia.
Wir sollten nicht sterben – wir sollten gelockt werden.
Und dann,
als der letzte zuckend am Boden liegt,
die Stille kaum zurückkehrt –
durchstößt ein Horn die Nacht.
Ein Ton,
so vertraut,
dass er mich härter trifft als jede Klinge.
Korash.
Sein Signal.
Die Familien sind unterwegs.
Sie haben den Übergang erreicht.
Aber…
das Horn hat mehr getan als uns Hoffnung gegeben.
Es hat gerufen.
Nicht nur uns.
Auch sie.
Meine Kehle schnürt sich zu.
Korash ist bei ihnen.
Bei Margdar. Bei Seldar.
Ich drehe mich zur Seite.
Zähle.
Noch sieben.
Dondir steht da –
verbeult, blutig,
aber lebendig.
Stärker als je.
Ich gehe zu ihm.
Langsam.
Nicht aus Müdigkeit.
Aus Notwendigkeit.
Dann greife ich ihn.
Fester, als ich es je getan habe.
Lehne meine Stirn an seine,
als würde ich sie in den Stein dieser Welt einmeißeln wollen.
„Dondir Faer’eldern.“
Meine Stimme ist brüchig, aber klar.
„Ein Elf, der Lotarm mehr atmet als fast jeder Zwerg, den ich je traf.“
Ich lächle.
Müde. Wahr.
„Die Front ist verloren.
Rette dich.
Finde deine Eltern.
Flieht.*“
Er will sprechen –
ich unterbreche ihn mit einem Blick,
der keine Antwort braucht.
„Lotarm wird dich brauchen.“
Ich drehe mich zum Rest.
Blut und Asche auf Gesichtern,
auf Händen,
in den Augen.
Aber sie stehen.
„Ich danke euch.“
Ein letzter Atemzug.
„Es war eine Ehre.“
Kurze Pause.
Die Welt hält den Atem an.
„Werft eure Leben nicht weg.
Greift, was ihr braucht.
Flieht.
Rettet, wen ihr könnt.*“
Dann –
leise, fast ein Flüstern:
„Für Lotarm.“
Ich drehe mich um.
Und laufe.
Nicht mehr als Soldat.
Nicht mehr als Schmied.
Nicht als Held.
Als Vater.
Besessen.
Getrieben.
Durch Blut, Rauch und Schutt.
Nach Hause.
Meine Lungen brennen wie Schmiedefeuer,
jeder Atemzug ein Messer.
Der Schweiß läuft in Rinnsalen unter dem Mithril,
als wolle mein Körper das Metall selbst abschütteln.
Doch ich laufe weiter.
Kein Halt.
Kein Zögern.
Nur vorwärts.
Gebäude krachen ein wie uralte Schulden.
Feuer schlägt nach mir wie gierige Zungen,
und überall – das Chaos.
Aber ich bin ein Hammer.
Ich weiche, ich stoße mich ab,
ich fliehe nicht –
ich schlage mich durch.
Dann – meine Straße.
Ich biege ein.
Ein Goldzwerg dreht sich zu mir,
sein Blick noch nicht einmal überrascht.
Nur zu langsam.
Mein Hammer trifft,
bevor auch nur ein Wort fällt.
Sein Schädel platzt auf wie ein überreifer Granatapfel,
das Geräusch dumpf, endgültig.
Er fällt,
und ich gehe weiter,
als wäre er nur ein Stein auf dem Weg.
Ich biege in die enge Gasse –
und alles verstummt.
Keine Schreie.
Kein Feuer.
Nur Stille.
Kalt. Schwer.
Wie der Moment vor einem Schwur.
Zehn Geldzwerge.
Schwer gepanzert.
In einer Linie.
Und vor ihnen: ein Mann in Roben,
dünn wie ein hungriger Winter,
sein Gesicht unauffällig,
außer der Zahnlücke,
die sein Lächeln zu etwas Grausamem macht.
„Sigmund. Wir haben dich erwartet.“
Seine Stimme ist fast freundlich.
Als spräche er zu einem Gast.
Nicht zu einem Feind.
Nicht zu einem Vater auf dem Weg zu seiner Familie.
Die Zwerge weichen zur Seite.
Eine Gasse in der Gasse.
Wie bei einer Prozession.
Als sei ich der Ehrengast.
Was zur Hölle…
Ich trete vor.
Langsam.
Den Hammer fest in der Hand,
als könne er mir die Wahrheit sagen,
wenn es keiner sonst tut.
„Unser Lamm ist bereits bei ihnen,“
sagt der Robenträger,
„dein Blut wird erst am Ende benötigt.“
Die Worte kriechen mir die Wirbelsäule hinauf,
wie kalte Finger.
Ich will zweifeln.
Will stehen bleiben.
Doch dann sehe ich ihn.
Korash.
Am Ende der Gasse.
Wie ein zerschlagener Schatten.
Sein Körper:
grün, blau, aufgeschlitzt.
Seine Arme hängen wie gebrochene Äste.
Doch seine Augen –
sie sind da.
Sie erkennen mich.
Sie warnen.
Ich eile zu ihm.
Gehe in die Hocke,
nehme seinen Kopf in meine Hand,
vorsichtig,
als könnte er zerbrechen.
„Sigmund…“
Er röchelt.
„Es ist eine Falle… sie haben das Horn… Lauf…“
Ich schüttele den Kopf,
ruhig.
Nicht trotzig.
Gewiss.
„Ich weiß, Junge… komm.“
Ich stütze ihn,
lege seinen zerschlagenen Körper an meine Seite,
so fest ich kann,
so schnell ich darf. Sie haben ihm wahrlich keine Gnade gezeigt. Er scheint an der Schwelle des Bewusstseins zu sein, als könnte her jeden Moment verschwinden. Ich stähle mich.
Und dann –
trete ich ins Haus.
Nicht wie ein Mann,
der Schutz sucht.
Sondern wie einer,
der bereit ist, alles zu verlieren,
nur um das Eine nicht aufzugeben.
Das Haus ist still.
Zu still.
Nicht das Schweigen des Friedens.
Sondern das Schweigen,
das schreit.
Ich trete ein –
und die Welt endet.
Margdar kniet am Boden,
ihr Rücken gebeugt wie unter einem Fluch,
ihre Schultern zuckend,
nicht vom Atmen,
sondern vom Sterben im Innern.
In ihren Armen –
Seldar.
Meine Tochter.
Meine kleine, unbesiegbare, lachende Seldar.
Ihr Körper liegt schlaff an Margdars Brust,
das Kleid durchtränkt,
rot.
Zu viel Rot.
Ich höre ein Geräusch.
Ein Laut, wie aus einem Abgrund gerissen.
Es dauert,
bis ich begreife –
das bin ich.
„Nein…“
Das Wort bricht aus mir,
ohne Form,
ohne Halt.
Nur Fall.
Ich stürze zu ihr,
reiße Korashs Körper unabsichtlich von mir,
er gleitet gegen die Wand,
wie etwas, das keine Rolle mehr spielt.
Und das ist falsch.
Alles ist falsch.
Seldar liegt da,
zu still.
Zu klein.
Die Augen offen,
aber sie sehen nicht.
Sie haben schon gesehen –
zu viel.
Ich presse meine Stirn an ihre.
Sie ist kalt.
Wie Stein.
Wie Wahrheit.
„Nein…“
Ich flüstere es,
ich keuche es,
ich schreie es.
Aber das Universum gibt keine Antwort.
Meine Finger zittern.
Ich greife nach einem Küchentuch,
reiße es in Stücke,
drücke es auf die Wunde,
als könne ich das Leben zurückpressen in ihren Körper.
Als könne ich Schuld auslöschen
mit Stoff und Verzweiflung.
„Wach auf… bitte…“
Ich schüttle sie.
Ganz leicht.
Dann fester.
Dann wie ein Mann,
der lieber als Wahnsinniger stirbt
als als Vater.
Nichts.
Kein Zucken.
Kein Laut.
Nur Blut auf meinen Händen.
Und ein Herz,
das nicht mehr schlägt.
Nicht ihres –
meines.
Meine Söhne sitzen daneben.
Zusammengekauert,
Augen verheult,
Münder offen,
aber stumm.
So weint man,
wenn die Welt zu groß ist
für ein Kind.
Margdar presst ihre Stirn gegen Seldars Haar.
Ich winde mich,
vergrabe das Gesicht in Seldars Hals,
suche den Duft,
den ich nie wieder riechen werde.
Suche das Leben,
das ich nicht beschützen konnte.
„Nein…
Nein…
Nein…*“
Jedes Wort ein Grabstein.
Jeder Atemzug ein Hohn.
Der Hammer liegt neben mir.
Er glänzt noch –
von Blut.
Von Kämpfen.
Von Hoffnung.
Und all das bedeutet nichts.
Nichts.
„Sie… sie rannte… sie wollte uns beschützen…“
Margdars Stimme ist ein Schluchzen,
zerrissen zwischen Stolz und Qual.
Ihr Kopf nickt,
ein kaum wahrnehmbares Zittern,
in die Ecke des Raums.
Ich folge ihrem Blick –
und sehe sie.
Das Mädchen.
Ein Teufelsgeborenes.
Viel zu klein,
viel zu still.
Haut rot wie Blut,
ein einziges Horn,
wo zwei sein sollten.
Sie kauert dort –
wie ein Schatten,
ein Echo,
mit dem Dolch in der Hand.
Blut tropft von der Spitze.
Seldars Blut.
Etwas zerreißt in mir.
Etwas, das kein Mensch je wieder zusammensetzen kann.
„Monster…“
Das Wort verlässt meine Lippen
wie ein uralter Fluch.
Nicht gesprochen –
geatmet.
Ich schreie nicht.
Ich brülle nicht.
Ich laufe.
Der Hammer fällt aus meiner Hand,
bleibt hinter mir zurück.
Ich brauche ihn nicht.
Nur meine Hände.
Meine geschundenen,
meine alten,
meine verlorenen Hände.
Ich packe sie am Schopf.
Leicht.
Sie ist nichts.
Ein Kind,
kaum halb so groß wie mein Zorn.
„Monster…“
Noch einmal.
Ein Ritual.
Ein Urteil.
Meine Finger schließen sich um ihren Hals.
Ihre Augen weiten sich.
Röcheln.
Verzweifelt schlägt sie mit dem Dolch zu.
Er trifft mein Mithril.
Prallt ab.
Ungehört.
Ungefühlt.
Die Tränen kommen ihr jetzt.
Dick.
Ehrlich.
Nicht wie Schuld –
wie Angst.
Der Dolch fällt.
Sie zittert.
Ihre Finger greifen nach meinen Armen,
aber die Kraft verlässt sie.
Schnell.
Wie Hoffnung im Feuer.
Dann –
eine Stimme.
Zwei.
„VATER!“
Meine Söhne.
Zerren an mir.
An meinem Ärmel.
An meinem Herz.
Ich blinzele.
Einmal.
Die Welt flackert.
„Seldar… Seldar hat sie zuerst angegriffen…“
Ich friere.
Die Kälte ist nicht außen.
Sie ist in mir.
Ein Riss im Stahl,
der durch Mark und Mythos geht.
Ich sehe zu Margdar.
Tränen auf ihrem Gesicht.
Sie will nicht sprechen.
Sie kann nicht.
Ihr Blick bricht unter meinem.
Ich lasse los.
Das Mädchen keucht.
Fällt.
Schlägt auf.
Und dann –
schreit sie.
Ein Laut, roh wie Geburt.
Oder wie Tod.
Sie rennt.
Aus dem Haus.
Fort aus dieser Welt,
die nie für sie gebaut wurde.
Ich bleibe.
Stehen.
Still.
Meine Hände hängen vor mir,
blutig.
Leer.
Ich betrachte sie.
Lang.
Als könnte ich dort Antworten finden.
Aber alles, was ich sehe,
sind Werkzeuge,
die einst Leben schufen –
und nun nichts mehr halten können.
Die Welt atmet noch,
und inmitten von Blut, Asche und Schuld
finde ich etwas,
das ich längst verloren glaubte.
Mich.
Es ist kein großer Moment.
Kein Lichtstrahl, kein göttliches Zeichen.
Nur der Blick meiner Söhne,
Tränen noch auf den Wangen,
aber der Mut –
der Mut ist da.
Ich knie nieder.
Öffne die Arme.
Und sie stürzen sich hinein,
wie Kinder,
wie Helden,
wie meine Söhne.
Ich halte sie fest.
Fester, als es der Krieg erlaubt.
Fester, als es die Zeit zulässt.
„Ich bin stolz auf euch.“
Die Worte brennen in meiner Kehle,
aber sie tragen mehr als Wahrheit –
sie tragen Hoffnung.
„Verliert nie euer Urteilsvermögen…
und euer Herz.
Beides zusammen ist schwer zu finden –
und noch schwerer zu bewahren.“
Sie nicken.
Ich spüre es.
Und ich weiß:
Sie verstehen mehr,
als Worte je sagen könnten.
Dann erhebe ich mich.
Langsam.
Schwer.
Als trüge ich den Berg selbst auf meinen Schultern.
Ich gehe zu Margdar.
Ihre Augen leer,
aber nicht gebrochen.
Sie hält Seldar noch immer,
als wolle sie sie mit bloßen Händen wieder zusammensetzen.
Ich strecke die Arme aus.
Und sie lässt los.
Ich nehme meine Tochter –
meinen Stolz, mein Licht, mein Grund –
in die Arme.
Sie wiegt nichts.
Gar nichts.
Ich lege sie auf den Küchentisch,
vorsichtig.
Würdiger als jede Ruhmeshalle.
Ihre Hände falte ich sanft,
als könne ich ihre Träume ordnen.
Dann zupfe ich ihren Zopf zurecht,
ein letzter Vaterblick,
ein letztes Versprechen.
Ich drehe mich zu Margdar.
Unsere Blicke treffen sich,
und für einen Atemzug ist nichts zwischen uns –
keine Angst,
kein Tod,
nur Liebe.
Ich umarme sie.
Lange.
Fest.
Unerschütterlich.
„Nimm den Arzt und die Jungen.
Flieht.“
Meine Stimme ist ruhig.
Ein Felsen.
Ein Befehl –
gekleidet wie eine Bitte.
„Dort, wo ich mein Mithril aufbewahre…
ist ein Gang in die Kanalisation.
Der erste Ausgang westwärts
führt euch zur Grenze der Hauslosen.“
Sie will widersprechen.
Aber mein Blick lässt es nicht zu.
Es ist gesagt.
Es ist entschieden.
Ich küsse sie.
Fest.
Als wollte ich nie mehr loslassen.
Vielleicht tue ich es auch nicht.
„Es sind viele,“
flüstere ich,
„aber ihr werdet Zeit haben.
Beeilt euch.“
Ich treibe sie an,
führe sie zum Durchgang,
küsse beiden Söhnen die Stirn.
Ihre Augen – rot,
ihre Münder – still.
Aber sie wissen.
Sie verstehen.
Ich sehe ihnen nach,
bis sie verschwinden.
Dann kippe ich die Kommode über das Loch.
Ein letztes Tor.
Ein letzter Schutz.
Zurück in der Küche.
Seldar liegt da.
Wie Schlaf.
Wie Abschied.
Ich streiche durch ihr Haar.
Einmal.
Sanft.
Dann richte ich mich auf.
Der Hammer.
Der Schild.
Der Helm.
Ich setze ihn auf,
mit einem Ausatmen,
so konzentriert wie ein Schwur.
Ich trete in die Gasse.
Schritte.
Kein Zögern mehr.
Zehn gepanzerte Zwerge.
Und ihr seltsamer, grinsender Rädelsführer.
Sie stehen da wie ein Urteil.
Die Gasse ist eng.
Ein Mann zur Zeit.
Es gibt eine Chance.
„Fast hättest du den Marsch der Schmiede verhindert,“
sagt der Rädelsführer,
seine Stimme triefend vor heiligem Gift.
„Mithra schaut ohne Wohlwollen auf die,
die versuchen, ihren Willen zu vereiteln.“
Er steht da wie eine Statue aus Überheblichkeit,
seine Robe schwer von Gold,
seine Augen leer von Gnade.
Ich blicke ihn an.
Kalt.
Emotionslos.
Wie Stahl,
bevor der Hammer fällt.
„Dein Blut ist der Preis,“
verkündet er mit dem Pathos eines Priesters,
der nie eine Seele geliebt hat.
„Und dann das deiner Familie.“
Feierlich.
Wie ein Urteil,
das längst gesprochen wurde.
Ich hebe den Hammer.
Langsam.
Bedächtig.
Nicht wie eine Waffe.
Wie ein Versprechen.
„Ihr wollt Blut?“
Meine Stimme ist ruhig.
Klar.
Unverrückbar.
Ich trete einen Schritt vor.
Das Mithril glänzt matt,
verkrustet mit dem Echo vergangener Kämpfe.
„Dann kommt…“
Noch ein Schritt.
Die Gasse verengt sich.
Der Wind hält den Atem an.
„Und verdient es euch.“
Der Satz hängt in der Luft,
schwer wie ein Fallbeil.
Und ich spüre,
wie die Welt sich strafft,
wie jeder Muskel,
jeder Blick,
jedes Herz
bereit ist.
Die Gasse wird zum Schlachthaus.
Kein Platz für Taktik.
Nur für Instinkt.
Für Zorn.
Für Tod.
Der erste Geldzwerg stürzt sich auf mich wie ein Keulenschlag aus Glauben.
Ich weiche nicht.
Der Hammer trifft seitlich,
zerschmettert Schulter, Kehle, Zähne in einem Zug.
Er fällt.
Ich gehe weiter.
Der zweite kommt sofort,
mit einem Gebet auf den Lippen und einer Klinge im Herz.
Ich ramme das Schild gegen sein Gesicht,
spüre das Knacken von Nasenknochen und Wahn zugleich,
dann der Hammer von unten –
ein Aufwärtsurteil.
Er kippt.
Blut spritzt.
Ich fühle es nicht.
Nur den heißen Rausch des Überlebens.
Der Dritte ist flink.
Zu flink.
Er trifft mich –
ein Schnitt quer über die Rippen.
Ich beiße die Zähne zusammen,
drehe mich,
schlage ihm das Bein weg.
Er fällt.
Der Hammer beendet,
was der Sturz begann.
Ich taumle, aber ich stehe.
Der Vierte kommt.
Ein schwerer Bastard mit einem noch schwereren Hammer.
Unsere Waffen krachen gegeneinander,
wie zwei Götter,
die vergessen haben, warum sie sich liebten.
Er drückt mich zurück.
Ich drehe das Handgelenk,
rutsche unter seine Deckung,
ein letzter Schwung –
sein Helm fliegt davon.
Sein Kopf gleich danach.
Fünf.
Sechs.
Meine Welt wird kleiner.
Nur Stahl, Fleisch, Schmerz.
Ein Schnitt in den Oberschenkel,
ein Stoß in die Seite,
mein Arm zittert.
Dann der Siebte.
Er ist kein Narr.
Er wartet.
Beobachtet.
Lächelt.
Ich greife an –
zu früh.
Er kontert.
Seine Klinge streift meine Flanke,
reißt den Stoff, die Haut, das Fleisch.
Ich taumle.
Der Hammer ist schwer.
Zu schwer.
Mein Knie gibt nach.
Er hebt seine Waffe.
Jetzt.
Dann –
ein Krach.
Nicht von vorn.
Von hinten.
Der Schädel des Geldzwergs platzt,
wie überreife Schuld.
Er fällt –
ich blicke auf.
„Dondir…“
Ein Stöhnen.
Ein Gebet.
Ein Dank.
Er steht da,
verbeult, blutig,
aber mit dem Blick eines Mannes,
der nicht gegangen ist,
weil ein Freund geblieben ist.
„Gemeinsam,“ knurrt er.
Ich nicke.
Es gibt keine Worte mehr.
Nur Taten.
Die letzten zwei stürzen sich auf uns,
verzweifelt,
fanatisch.
Wir schlagen zurück.
Jeder Hieb ein Aufschrei gegen den Tod.
Gegen die Götter.
Gegen Mithra.
Mit dem letzten Rest Kraft,
mit einem Fluch auf den Lippen
und der Erinnerung an Seldars Lächeln im Herzen,
beenden wir es.
Blut tropft.
Atem rasselt.
Stille.
Fast.
Dann – ein Wimmern.
Zwischen den Leichen,
klein, zerdrückt,
kaum sichtbar –
das Teufelsgeborene Mädchen.
Eingeklemmt unter der Leiche eines erschlagenen Geldzwergs,
ihr Gesicht nur Zentimeter entfernt
von einem gespaltenen Schädel,
aus dem noch Dampf aufsteigt.
Ihre Augen –
voll Tränen.
Nicht wie Schuld.
Wie Angst.
Wie ein Kind,
das zu früh in eine Welt gezwungen wurde,
die keine Gnade kennt.
Sie strampelt.
Vergeblich.
Ich atme.
Langsam.
Tief.
Eine Hand auf Dondirs Schulter.
Ein Signal –
kein Befehl.
Mein Verstand kehrt zurück.
Stück für Stück.
Mit dem Schmerz.
Mit der Erinnerung.
Ich nehme den Helm ab.
Mein Blick wandert zu ihr.
Nicht wie Richter.
Nicht wie Vater.
Einfach wie Mensch.
Und für einen Moment…
ist die Gasse still.
Und ich frage mich,
ob in dieser Hölle
noch Platz für mehr ist.
Ich zerrte sie unter dem Gewicht des toten Geldzwergs hervor –
klein, zitternd, blutverschmiert.
Mein Körper schrie bei jeder Bewegung,
aber ich zwang ihn zur Ruhe.
Nicht für mich.
Für sie.
Ich kniete mich hin.
Langsam.
Sanft.
Mit einer Langsamkeit, die ich mir nicht leisten konnte.
Aber sie brauchte keine Waffe.
Sie brauchte einen Moment,
der nicht vom Krieg versehrt war.
Ich strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
Staub, Blut, verknotete Strähnen –
und doch war sie nur ein Kind.
Ein Kind, das zu früh in eine Welt geworfen wurde,
die keine Gnade kennt.
„Es tut mir leid, Kleines“,
hauchte ich.
Nicht als Richter.
Nicht als Kämpfer.
Nur als Mann,
der zu spät verstanden hat.
Sie sagte nichts.
Aber ihre Augen wanderten.
Über die Leichen.
Ihre Kameraden.
Ihre Familie.
Meine Schuld.
Dann blickte sie mich an.
Nicht mit Hass.
Etwas Tieferem.
Etwas, das wehtat.
Enttäuschung.
Oder das, was übrig bleibt,
wenn ein Herz zu oft verraten wurde.
Ich folgte ihrem Blick –
hoch zur Sonne,
die sich mühsam durch den Staub der zerborstenen Welt schob.
Ein Moment, fast schön.
Fast.
Dann – das Stechen.
Nicht laut.
Nicht chaotisch.
Nur
plötzlich.
Ein Schmerz,
präzise wie ein Meißel.
Und seltsam warm.
Mein Atem stockte.
Ich blinzelte.
Spürte das Nass an meinem Hals.
Und als ich den Kopf drehte –
sah ich sie.
Den Dolch noch in der Hand.
Blut auf ihrer Wange.
Und Tränen in den Augen.
Sie zitterte.
Aber sie sah mich an.
Nicht wie ein Monster.
Nicht wie ein Opfer.
Wie beides.
„Monster…“
flüsterte sie.
Nicht über sich.
Nicht über mich.
Über uns alle.
Dann lief sie.
Kleine Beine,
aber ein Wille wie Stein.
Sie verschwand.
Ich blieb.
Ich taumelte.
Aber ich stürzte nicht.
Nicht sofort.
Ich war zu stur,
zu alt,
zu ich.
Ich schaffte es bis zur Wand.
Lehnte mich.
Presste eine Hand gegen die Wunde.
Das Blut –
heiß.
Rasant.
Unaufhaltsam.
Ich keuchte.
Jeder Atemzug ein letzter.
Jede Sekunde ein Geschenk,
das ich mir nicht verdient hatte.
„Mein Hammer…“
flüsterte ich,
„…mein Schild… meine Söhne…“
Wenige Worte.
Aber sie waren alles.
Was blieb.
Ich sah zu Dondir.
Seine Silhouette – verbeult,
verletzt.
Aber aufrecht.
Ein Sohn Lotarms,
auch wenn kein Blut in seinen Adern davon sprach.
„Lotarm… ist mehr als das hier“,
sagte ich leise,
die Stimme brüchig.
„Es ist die Pflicht…
der Älteren…“
Ich hustete.
Blut auf der Zunge.
Auf den Lippen.
„…die Jüngeren schützen.“
Mein Blick glitt dorthin,
wo das Mädchen verschwunden war.
Keine Wut.
Keine Angst.
Nur Müdigkeit.
Und dann…
die Bilder.
Margdar.
Die Jungen.
Seldar.
Ihr Lachen.
Ihr Trotz.
Ihr Blick, als sie sagte:
„Du bist wie ein Ritter, Papa.“
Ich fühlte sie.
Noch einmal.
Ganz.
Und etwas hob sich in mir,
wie ein Lied,
das niemand hört –
aber das in mir sang.
Meine Lippen zuckten.
Ein letzter Hauch von Lächeln.
Schwach.
Aber wahr.
„Ich werde dich nicht allein lassen, Seldar“,
flüsterte ich.
Und dann –
Dunkelheit.
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