Kapitel 36 - Geständnisse
36. Geständnisse
Die schweren Türen knarzen hinter mir zu, und für einen Moment klingt selbst das Dröhnen der Rebellion wie ein ferner, vergessener Traum. Der Rauch, der draußen die Gassen erstickt, hat es nicht hierher geschafft. Noch nicht. Hier drin brennen Kerzen in altgoldenen Leuchtern, wie stumme Wächter aus einer anderen Zeit. Ihr Licht flackert an marmornem Stein, an stillen Gesichtern, an Altären, die mehr Göttern gewidmet sind, als es Gläubige in dieser Stadt gibt.
Ich hasse diesen Ort. Zu sauber. Falscher Frieden.
Mein Blick streift über ein Paar Adlige, die knien – still, ergeben, als könnten sie sich mit ein paar frommen Worten von dem freikaufen, was draußen gerade passiert. Ich seufze. Tief. Müde.
Dann gehe ich.
Die Beichtkabine ist dort, wo sie sein sollte. Dritter Alkoven links, hinter der Statue von Ferona, Göttin der Reinheit. Ausgerechnet. Ich schiebe die Tür auf, trete hinein, lasse sie hinter mir zufallen. Dunkles Holz, eingerahmt von Goldverzierungen. Es riecht nach Räucherwerk und altem Staub. Ich setze mich. Und spüre ihn.
Noch bevor er spricht, weiß ich, dass er da ist.
Lavender.
Seine Präsenz ist wie immer – schwer zu greifen, aber unmöglich zu ignorieren. Warm und kühl zugleich. Wie ein samtener Dolch an der Kehle.
„Danke, dass du aufgetaucht bist, Bre“, sagt er.
Und seine Stimme… sie klingt anders. Weich. Roh.
Verwundbar.
Ich schließe für einen Moment die Augen.
„Lav…“, flüstere ich.
Meine Hand liegt auf dem Oberschenkel, Finger still, keine Spielkarte, keine Münze. Nichts, das ich drehen kann, um mich zu verankern.
Ich will ihn fragen, ob er wahnsinnig ist. Ob er weiß, was draußen gerade passiert. Ob er es genießt, der Grund zu sein, dass die Stadt brennt.
Aber stattdessen frage ich das hier.
„Wusstest du es?“
Stille.
Nur unser Atem, getrennt von einer dünnen Wand.
„Was du lostreten würdest?“ sage ich schließlich. Leiser, als ich wollte. Ehrlicher, als ich sollte.
Ich höre kein Lachen. Kein Ausweichen. Nur das Rauschen seines Atems. Und ich weiß – wir stehen beide an einem Punkt, an dem es kein Spiel mehr ist. Keine Masken. Keine Manöver.
Nur Wahrheit.
Oder ihr Echo.
„Ich verstecke mich nicht mehr, Bre“, sagt er – und für einen Moment klingt seine Stimme wie ein Schwur. Keine Maske. Kein Lächeln. Nur Stahl.
Ich presse die Lippen aufeinander. In mir brodelt es.
Dann: „Und du bist der, der das entscheiden darf?!“ fahre ich ihn an.
Die Enge der Beichtkabine, das dumpfe Echo meiner Worte im Holz, machen meine Wut nur schärfer. „Wirst du morgen in Lotarm von Tür zu Tür laufen und den Leuten erklären, warum Vater und Mutter nicht heimkommen? Wirst du den Kindern sagen, dass der Mann mit dem hübschen Mantel beschlossen hat, dass ihre Familie der Preis war?“
Ich höre ihn atmen – ruhig. Zu ruhig.
„Ich werde die Stadt nicht belügen“, antwortet er. Klar. Ruhig. Unverschämt ruhig.
„Denn die Wahrheit ist: Wenn Melody gewinnt, dann fällt Soranica in den Schoß meines Vaters. Und wenn es eine Person gibt, die versteht, was das bedeutet… dann bin ich das.“
Ich spüre, wie meine Fingernägel sich in das dunkle Holz graben. Aber ich sage nichts. Ich kann nichts sagen.
„Also ja, Bre“, flüstert er schließlich.
„Ich bin der, der es entscheiden muss. Das ist einfach, wie die Welt sich dreht.“
Ich… weiß nicht, was ich erwartet habe. Einen Rückzieher? Eine Entschuldigung?
Stattdessen spüre ich nur das Schweigen in mir. Schwer. Lang.
Als hätte die Welt selbst den Atem angehalten.
Als hätte sie keine Worte mehr übrig. Nur Konsequenzen.
„Skit ist dabei, Bre. Und morgen hole ich Sylvana raus, Cy raus… und sorge dafür, dass Melodys Einfluss endet.“
Seine Stimme klingt fester jetzt, entschlossener. Aber dann, fast brüchig:
„Aber dafür brauche ich jede Person, der ich vertrauen kann. Und ich weiß nicht, wem ich mehr vertraue als dir.“
Es sticht. Weil ich weiß, dass er es meint. Weil ich spüre, wie aufrichtig er klingt. Und wie gefährlich das ist.
„Lav…“ Ich lehne meinen Kopf kurz zurück, schließe die Augen. „Ich mag dich. Aber das morgen?“
Ich atme tief ein.
„Das ist ein verdammtes Himmelfahrtskommando.“
Ich spüre seine Präsenz hinter der Trennwand. Diese Stille, in der Hoffnung stirbt.
„Ich muss mich um meinen Opa kümmern.“
Eine Pause. Lang. Leise.
„Also nein. Ich bin raus. Ich gehe morgen ganz normal arbeiten und komme heim.“
Ich weiß, er versteht nicht, was ich wirklich gesagt habe. Noch nicht.
Aber irgendwann wird er’s begreifen.
„Es tut mir leid.“
Meine Stimme ist kaum mehr als ein Hauch.
„Aber ich werde mein Urteil bilden, wenn die Karten fallen.“
Und mit diesem Satz endet etwas in mir.
Nicht wir.
Nur mein Zögern.
Mein Entschluss steht.
„Ich versteh das, Bre“, sagt Lavender leise, fast wie ein Seufzen. „Vielleicht nicht deine Bindung zu ihm. Aber das, was ich immer in dir finde. Egal wie sehr du mich herausforderst… oder stichelst.“
Er schweigt kurz. Und für einen Moment klingt sein Atem schwerer, seine Worte vorsichtiger.
„Ich weiß, du versuchst das Richtige zu tun. Deswegen… bist du mir wichtig.“
Mein Atem stockt.
Nicht weil es schmeichelhaft ist.
Sondern weil es wahr klingt.
Weil es sich anfühlt, als würde ich in einen Spiegel blicken, dessen Bild ich nicht erwartet habe.
„Du bist… wirklich nicht wie die anderen Adeligen, Lavender Mareau.“
Ein Lächeln huscht über meine Lippen – schmal, schmerzerfüllt, fast… liebevoll.
„Pass auf dich auf, Breanna.“
Ich höre, wie er sich erhebt. Seine Schritte, leise, fast scheu.
Dann ist er weg.
Und zurück bleibt nur das Schweigen.
Ein stiller Raum, gefüllt mit dem Nachklang von etwas, das hätte mehr sein können oder alles war.
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