Kapitel 35 - Zerschlage das Brett
35. Zerschlage das Brett
Der Rauch der Rebellion schiebt sich wie ein dunkler Vorhang über den Horizont – träge, aber unaufhaltsam. Ich stehe auf dem Balkon meines Anwesens, den Blick hinab auf die Grenze zwischen Hammerfall und Lotarm. Dort, wo sich die Flammen wie ein Riss durch die Stadt graben. Eine Brandspur, geboren aus Wut, genährt von Wahrheit – oder dem, was sie dafür halten.
Die ersten Gassen Hammerfalls stehen bereits in Flammen. Ich sehe die Schatten marschieren, höre die dumpfen Trommelschläge ihrer Stiefel auf Pflasterstein, das nie für Aufruhr gemacht war. Und dennoch bleibe ich stehen. Regungslos. Das Kleid makellos, das Haar perfekt geflochten, als würde ich auf ein Konzert warten, nicht auf einen Bürgerkrieg.
Paul steht neben mir. Mein ältester Diener. Nicht schwach, nur langsamer. Ein Mann, der zu adelig für seine Herkunft wirkt und zu loyal, um sich je zu verkaufen. Er sagt nichts, bis der Rauch uns erreicht – bitter und schwer wie ungelöste Schulden.
Dann dreht er sich zu mir.
„Milady… seid Ihr nervös wegen der Rebellen?“
Ich atme tief durch. Nicht um mich zu beruhigen – sondern um ihn zu erinnern, wer hier das Sagen hat.
„Die Stadtwache von Hammerfall ist gut bezahlt.“ Meine Stimme schneidet durch die aufkommende Stille wie ein schmaler Dolch. „Und sehr verlässlich.“
Er nickt kaum merklich. Ich sehe sein Profil, als er den Blick wieder in die Flammen lenkt. Es ist nicht Angst, was ihn bewegt. Nur Sorge um meine Konzentration.
„Und Inquisitor Golodorn“, fahre ich fort, kälter, entschlossener, „wird niemals zulassen, dass seiner Investition etwas zustößt.“
Ich könnte schwören, ich höre ihn atmen da unten. Spüre den Riss, der sich durch das Machtgefüge der Stadt zieht. Es ist sein Atem, der unter den Straßen bebt. Seine Finger, die durch Schatten greifen. Jeder Aufrührer, der einen Schritt zu weit geht, marschiert bereits in ein Grab.
„Sie werden es nicht bis hierher schaffen.“
Nicht, solange ich hier stehe.
Ich lasse meinen Blick noch einen Moment auf dem brennenden Rand der Stadt ruhen. Die Zerstörung kriecht wie ein Gedanke durch Hammerfall – langsam, aber entschlossen. Und ich frage mich, wie viele von ihnen wohl glauben, dass das hier ihr Moment ist. Ihr Aufbruch. Ihr Lied der Freiheit.
Sie irren sich.
Denn um Freiheit zu verlangen, muss man mehr sein als laut.
Man muss jeden anderen überleben.
Ich mache ein paar Schritte zur Seite. Die kühle Steinplatte unter meinen Füßen knirscht leise, als ich mich dem kleinen Tisch nähere, auf dem sie liegt – die Zeitung, sorgsam gefaltet, genau dort platziert, wo ich sie gelassen habe. Natürlich habe ich sie längst gelesen. Aber ich hebe sie noch einmal auf, wie man ein altes Urteil prüft. Eine Geste des Innehaltens. Der Bestätigung.
Mein Gesicht ziert die Titelseite, eingefroren in kaltem Schwarz-Weiß. Wie Lady Melody und die Geldzwerge Lotharms Erbe verkaufen.
Eine Schlagzeile wie ein Urteilsspruch. Oder eine Kriegserklärung.
Ich mustere sie – nicht mit Wut. Mit einer Müdigkeit, die tiefer sitzt als Schlaf je heilen könnte.
„Wie der Vater, so der Sohn“, sage ich leise. Feststellend. Kein Urteil. Kein Lob.
Paul sagt nichts. Er steht ein paar Schritte hinter mir, wie immer eine Silhouette aus Kontrolle und Erinnerung. Ich spüre seinen Blick, wie er auf mir ruht, wachsam.
Dann, leise:
„Hat er Euch überrascht, Lady Melody?“
Ich schweige für einen Moment. Nicht, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll – sondern weil ich es mir erlaube, ihn für diesen Moment zu sehen:
Lavender.
Wie er da sitzt, mit seinem Grinsen, dieser verdammten Münze zwischen den Fingern, während die Welt unter ihm zu brennen beginnt.
Dann schmunzle ich.
„Das hat er.“
Ich lasse den Blick nicht von der Zeitung.
„Ich hätte nicht erwartet, dass er … dass er die Stadt in Brand setzen würde, um das zu bekommen, was er will.“
Ein kurzes Schnauben. Vielleicht ist es Lachen. Vielleicht ist es etwas anderes.
„Vielleicht hatte Scott recht. Ich habe ihn wirklich unterschätzt.“
Paul sagt nichts. Aber ich sehe es in seinem Blick. Er wusste, dass ich das nicht leichtfertig zugebe.
„Also denkt Ihr, er ist verantwortlich für das hier?“ fragt er schließlich und deutet auf das Papier in meiner Hand. Und weiter – auf den Rauch am Horizont, der sich wie ein schwarzes Versprechen in den Himmel windet.
Ich antworte nicht sofort. Ich sehe dem Rauch beim Wandern zu – wie er kriecht, Schicht um Schicht in die feinen Straßen Hammerfalls hineinfrisst, noch fern und doch unaufhaltbar.
„Natürlich ist er das.“
Ich halte die Zeitung etwas fester.
„Das Timing. Der klug gewählte Winkel des Angriffs. Eine Geschichte, die man weder beweisen, noch vollständig widerlegen kann…“
Ein Atemzug. Kontrolliert. Kalt.
„Es trägt seine Handschrift. Und ich habe sie viel zu lange ignoriert.“
Der Rauch hängt noch immer wie ein Schleier über dem Horizont, als ich mich von der Brüstung abwende. Meine Finger gleiten über die gefaltete Zeitung, als könnte ich mit einer einzigen Geste das Narrativ zurücknehmen, das sich wie ein Gift in die Straßen frisst. Ich höre Pauls Atem, ruhig wie immer – und dennoch spüre ich die Frage, die in der Luft hängt, bevor sie sich in Worte kleidet.
„Er denkt außerhalb der Norm, das muss man ihm lassen“, sage ich. Kühl. Klar.
„Aber er überschätzt die Macht des niederen Volkes.“
Ich gehe langsam ein paar Schritte, lasse den Saum meines Gewands leicht über den Boden gleiten.
„Er wird morgen Abend siegessicher hier aufkreuzen. Mit leuchtenden Augen und großen Worten. Und alles, was er bewirkt haben wird, ist, dass die Straßen im Blut Unbeteiligter ertränkt wurden.“
Ein Atemzug.
„Er schickt eine Bewegung ins sichere Verderben – mit nichts außer Idealen und Träumen.“
Ich bleibe stehen, nur ein paar Schritte von Paul entfernt, mein Blick auf ihm.
„Aber das reicht nicht.“ Meine Stimme ist sanft.
„Um als Außenseiter eine Partie zu gewinnen, brauchst du mehr. Eine gute Strategie. Einen Überraschungsmoment. Und einen Favoriten, der das Wichtigste übersieht.“
Ich drehe mich halb zur Seite und lächle. Nicht grausam – sondern mit der Gleichgültigkeit dessen, der die Wahrheit kennt und nicht länger zögert, sie auszusprechen.
„Ich nehme an, Ihr werdet keine Gnade zeigen, Milady?“ fragt Paul. Da ist etwas in seinem Ton – kein Zweifel, aber… ein Hauch Bedauern vielleicht. Für einen jungen Mann, der glaubte, es besser machen zu können.
Ich senke den Blick wieder auf das Papier in meiner Hand. Auf dieses Gesicht, das meinem eigenen gegenübersteht.
„Nicht einmal ich konnte das tun, was er wohl versucht“, sage ich leise.
Ich denke zurück. Wie lange Paul mich bereits begleitet. Wie wir uns aus der Obskurität hierhergebracht hatten.
„Das Brett zerschlagen. Die Macht zurückgeben.“
Ein letztes Mal sehe ich zum Horizont, wo der Rauch wie eine Krone aus Asche über der Stadt hängt.
„Morgen wird für ihn eine Lehrstunde sein.“
Es ist seltsam, Lavender. Ich möchte fast wieder an diese Flausen glauben, die dich inspirieren müssen.
Ich meine wozu? Den Golem?
Eine Zielscheibe.
Die Tüftler?
Unmöglich. Wer würde sein Leben für etwas so törichtes riskieren?
Und doch schreitest du voran.
Zeig mir deinen besten Zug.
Lavender Mareau.
Denn wenn nicht, ist neben diesen Idealen sicherlich genug Platz, für ein weiteres Begräbnis.
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