Kapitel 24 - Kontrolle

24. Kontrolle



Ich habe mir diesen Tag genommen, um Fragen zu stellen.

Das Anwesen lief auch ohne meine Anwesenheit. Ich hatte meine Bediensteten gut erzogen – sie wussten, wie man einen reibungslosen Ablauf garantierte, ohne mich mit Belanglosigkeiten zu behelligen. Aber heute wollte ich Antworten.

Ich hatte sie alle nacheinander gerufen, die Diener, die Wachen, selbst die Küchenmädchen. Niemand hatte etwas gesehen. Niemand hatte etwas gehört. Niemand wusste irgendetwas über die Gestalt, die in der letzten Nacht drei meiner Männer bewusstlos geschlagen hatte.

Serana war die Letzte auf meiner Liste.

Die Tür öffnet sich, und sie tritt ein, leise und geschmeidig wie immer. Ihre Haltung ist aufrecht, ihre Augen ruhig – aber ihre Finger sind ineinander verschränkt, und der Druck ihrer Knöchel ist ein Hauch zu stark.

„Setz dich“, sage ich, ohne meinen Blick von ihr zu nehmen.

Sie gehorcht, aber nicht ohne Zögern.

Für einen Moment herrscht Stille. Ich lasse sie wirken, lasse sie schwer in den Raum sinken, sehe, ob sie sich selbst brechen würde, bevor ich es tun müsste.

„In der letzten Nacht“, beginne ich schließlich, meine Stimme sanft, aber bestimmt, „wurden drei meiner Wachmänner bewusstlos geschlagen.“

Serana blinzelt, aber hebt den Blick nicht.

„Sie hatten Wunden. Blutergüsse. Doch keiner von ihnen konnte sich erinnern. Nur an eine Gestalt, zu schnell, um sie zu fassen.“

Ich lehne mich leicht vor.

„Ich frage mich… hast du etwas gesehen?“

Ein leises, kaum merkliches Zittern geht durch ihren Körper. Dann, nach einem Moment, hebt sie ihren rechten Arm und krempelt den Ärmel hoch.

Ein dunkler Bluterguss schimmert auf ihrer Haut.

„Die Angreiferin hat mich ebenfalls überwältigt“, sagt sie leise. „Ich… sie war auf dem Weg in die Werkstatt.“

Ich mustere sie, lasse meinen Blick kurz auf der Verletzung ruhen. Ein Schatten in der Form einer Hand.

„Warum hast du mir das nicht eher gesagt?“

Eine Sekunde vergeht. Dann noch eine. Seranas Lippen öffnen sich, doch für einen Moment kommt kein Laut.

„Ich hatte Angst.“

Ich neige leicht den Kopf. „Angst… dass sie zurückkehrt?“

Ein Nicken. Dann zögert sie.

„Oder dass Ihr…“

Der Satz bleibt unvollendet.

Ein dünnes Lächeln zeichnet sich auf meinen Lippen ab.

„Ich verstehe.“

Ich nehme die Taschenuhr auf meinem Schreibtisch, öffne sie mit einer ruhigen Bewegung. Die Zeiger stehen still, wie seit Wochen. Ich habe sie noch immer nicht reparieren lassen.

„Sag mir, Serana…“ Meine Stimme ist leise, fast nachdenklich. „Wie hat sie sich bewegt?“

Serana schluckt. „Schnell. Präzise. Wie…“ Sie sucht nach Worten. „Wie eine Klinge im Dunkeln.“

Das Ticken in meinem Kopf hallt nach, auch wenn die Uhr längst verstummt ist.

„Und doch hat sie dich nicht getötet.“

Serana schüttelt langsam den Kopf.

Ich klappe die Uhr mit einem leisen Klack zu.

„Interessant.“

Dann stehe ich auf, streiche meinen Mantel glatt.

„Dann wollen wir doch sehen, was unsere Gäste mir noch verschweigen.“

Serana hebt den Blick, aber ich bin bereits an der Tür. Ein Lächeln auf meinen Lippen, das nur ich wirklich verstehe.


Lady Melody – Ich-Perspektive

Die Luft in der Werkstatt riecht nach Öl, Metall und einer unterschwelligen Nervosität, die in feinen Nuancen in der Atmosphäre liegt. Cyrus und Sylvana stehen bereit, ihre Gesichter geübt neutral, aber ihre Augen zu wach.

„Nun?“ Ich falte die Hände hinter meinem Rücken, mustere sie aufmerksam. „Wie laufen die Fortschritte?“

Sylvana ist diejenige, die antwortet – wie erwartet.

„Wir sind weitergekommen.“ Ihre Stimme ist ruhig, überlegt. „Die Runen auf dem Golem reagieren bereits, und wir verstehen mittlerweile den Mechanismus dahinter. Aber die Aktivierung…“ Sie wirft einen kaum merklichen Blick zu Cyrus. „Es fehlt uns noch ein letzter Schritt. Ein Detail in der Entzifferung.“

Ich lasse mir einen Moment Zeit, neige leicht den Kopf.

„Aber… habt ihr beiden diesen Golem nicht konstruiert?“ Meine Stimme bleibt ruhig, fast wohlwollend. „Warum müsst ihr ihn entschlüsseln?“

Ein harter Schnitt. Keine Fluchtmöglichkeit.

Sylvana blinzelt, aber ihre Miene bleibt gefasst. Dann nickt sie leicht, als hätte sie eine logische Erklärung erwartet.

„Die Architektur ist unser Werk, aber für das Kernsystem haben wir eine sehr fortschrittliche Form von Eldarin-Runen genutzt“, sagt sie ruhig. „Sie sind… hochkomplex. Ich habe sie in das Design integriert, aber sie sind nicht meine Muttersprache. Um ihn wirklich funktionsfähig zu machen, müssen wir die letzte Verbindung verstehen.“

Ich beobachte sie genau. Keine Unsicherheit in ihrer Stimme. Kein Zögern.

Es ist eine gute Lüge.

Oder vielleicht sogar die Wahrheit.

Ich halte ihren Blick für einen Moment. Dann schnaube ich leise und wende mich dem Golem zu.

„Nun…“ Meine Finger streichen sanft über das kalte Metall der Luke. „Dann wird es euch ja sicherlich nichts ausmachen, wenn ich diesen Knopf drücke?“

Eine unsichtbare Anspannung. Cyrus’ Atmung verändert sich, er ist angespannt, aber nicht panisch. Sylvana hält sich bemerkenswert gut.

Dann nickt sie.

„Natürlich nicht.“

Ich drücke den Knopf.

Nichts.

Stille.

Keine Reaktion, kein Flimmern von Magie, keine mechanische Bewegung.

Ich lächle leicht.

„Interessant.“

Mit einer gleichgültigen Geste lasse ich vom Golem ab, trete zurück.

„Ihr habt noch eine Woche.“ Meine Stimme ist sanft, aber endgültig. „Danach erwarte ich Ergebnisse.“

Ich drehe mich um und verlasse die Werkstatt, meine Gedanken bereits woanders.



Zurück in meinem Arbeitszimmer wartet Serana bereits. Sie salutiert nicht – sie ist keine Soldatin – aber ihr Blick ist aufmerksam, fast abwartend.

Ich nehme mir einen Moment, meine Handschuhe abzulegen, lege sie sorgfältig auf den Schreibtisch.


„Serana.“ Meine Stimme ist ruhig, kontrolliert. „Du passt vielleicht nicht perfekt in dieses Anwesen. Deine Methoden, deine Haltung… nicht ganz das, was ich bevorzuge.“

Ich lasse eine Pause.

„Aber eins schätze ich mehr als alles andere: Loyalität.“

Ihre Kehle bewegt sich leicht, als sie schluckt.

„Ich bin loyal, Lady Melody.“

Ich nicke langsam.

„Dann beweis es mir. Finde heraus, wer diese Frau ist.“

Serana hält meinem Blick stand, dann verneigt sie sich leicht und tritt aus dem Raum.

Ich lehne mich in meinen Stuhl zurück, falte die Finger voreinander.

Sylvana und Cyrus haben mir nicht alles gesagt.

Und jetzt ist es nur eine Frage der Zeit, bis ich herausfinde, was.

Diese hauslosen Ratten dürfen nicht vergessen, in wessen Anwesen sie zum Tanz bitten.

Zeit das sie verstehen, wer die Kontrolle hat.


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