Kapitel 23 - Der Tisch

23. Der Tisch

Ich sitze immer noch vor dem Golem, die Worte hallen in meinem Kopf nach wie ein Echo in einer leeren Halle. Das Kerzenlicht wirft flackernde Schatten auf die Runen, die sich in das Metall eingeätzt haben, und für einen Moment frage ich mich, ob sie sich bewegen. Ob sie atmen.

Ich will es nicht sehen. Also blinzele ich, zwinge mich zur Ruhe. Doch das dumpfe Gefühl in meiner Brust bleibt.

„Also.“

Cyrus’ Stimme durchbricht die Stille. Er sitzt auf der Werkbank, ein Bein angewinkelt, die Arme locker auf den Knien. Doch ich kenne ihn zu gut, um mich täuschen zu lassen. Seine Finger trommeln unruhig auf das Holz.

„Ich nehme an, du willst jetzt sofort auf diesen Vash Del’rel Knopf drücken und herausfinden, was passiert?“

Ich schnaube leise. „Glaubst du wirklich, ich wäre so dumm?“

Er zieht eine Braue hoch. „Ich hab dich schonmal aus einen Müllcontainer gezogen, nachdem du dich dadrin selbst in die Luft gejagt hast.“

Ich verziehe den Mund. „Das war ein kontrollierter Test.“

„Du hattest drei gebrochene Rippen.“

„Fast kontrolliert.“

Cyrus schüttelt den Kopf und lehnt sich mit einem Seufzen zurück. „Also, was jetzt?“

Ich blicke auf den Golem. Die Linien der Runen sind verblasst, die Magie ruht. Aber es fühlt sich nicht vorbei an. Es fühlt sich an wie ein Atemzug vor einem Sturm.

„Cora hat uns die Entscheidung überlassen,“ sage ich leise. „Und ich habe keine Ahnung, ob ich sie treffen sollte.“

Cyrus schweigt. Ich spüre seinen Blick, spüre, wie er mich mustert. Dann höre ich das leise Kratzen, als er ein Messer aus seiner Tasche zieht und es zwischen seinen Fingern dreht.

„Du willst ihn aktivieren.“

Es ist keine Frage.

Ich schließe die Augen. „Ich will wissen, was er ist.“

Ein leises Lachen. Nicht spöttisch, eher… müde.

„Ohje. Na komm. Ich habe aufgegeben, dir Sachen auszureden. Ich bin bei dir, auch wenn der große Metallmann gleich magische Blitze furzt.“

Ich öffne die Augen und sehe ihn an. Sein Blick ist ernster, als ich erwartet hätte.

„Und du weißt nicht, wann du manchmal romantisch die Klappe halten könntest.,“ kontere ich.

Ein Grinsen zuckt über seine Lippen. „Stimmt wohl.“

Ich lehne mich zurück und starre auf die Werkstattdecke.

„Cyrus, wir haben uns mit Lady Melody eingelassen. Wir haben einen Golem mit Eldarin-Runen in der Werkstatt. Und jetzt weiß ich, dass meine Schwester genau weiß, was wir tun.“ Ich lasse die Worte sacken, dann seufze ich. „Wann genau ist unser Leben so abgefuckt geworden?“

Cyrus zuckt die Schultern. „Wahrscheinlich in dem Moment, als wir beschlossen haben, nicht den Rest unseres Lebens Scheiße fressen zu wollen.“

Ich schnaube. „Vielleicht hast du recht.“

Ein Moment vergeht. Dann dreht sich Cyrus das Messer noch einmal durch die Finger, bevor er es beiläufig zurücksteckt.

„Also, was machen wir jetzt?“

Ich blicke wieder auf den Golem.

„Wir haben eine Entscheidung zu treffen.“


Cyrus schnaubt leise und lehnt sich wieder nach vorne, die Ellenbogen auf die Knie gestützt. „Weißt du, was mir gerade nicht gefällt?“

Ich blicke von den Runen auf. „Wahrscheinlich einiges.“

Er hebt eine Hand und zählt an den Fingern ab. „Erstens: Ein verdammter Golem mit Eldarin-Runen in unserer Werkstatt. Zweitens: Deine Schwester weiß, was wir tun. Drittens—“ Er hält inne, seine Augen verengen sich. „Nein, das sollte eigentlich auf Platz eins sein: Wir folgen Lavender Mareaus Plan.“

Ich verschränke die Arme und lehne mich gegen die Werkbank. „Logisch. Wir haben diesen Deal mit Melody, weil er uns da reingezogen hat.“

„Ja, und vielleicht sollten wir uns fragen, ob das so verdammt klug war.“ Er dreht sein Messer in den Fingern, sein Blick auf die Klinge gerichtet. „Lavender ist schlau. Viel schlauer, als es ihm guttut. Und er spielt immer ein Spiel, Syl. Ich frage mich nur, ob wir seine Verbündeten oder einkalkulierte Verluste sind.“

Ich beiße mir auf die Lippe. „Er hätte uns einfach sterben lassen können. Er hat uns rausgeholt.“

„Hat er. Und dann hat er uns bei Lady Melody abgeliefert, weil es ihm in den Plan gepasst hat.“ Cyrus sieht mich an, seine Augen sind dunkler als sonst. „Du weißt, was für Leute so spielen wie er. Sie retten dich nicht, weil sie gutherzig sind. Sie retten dich, weil du ein verdammtes Investment bist.“

Ich halte seinem Blick stand.

„Und wenn wir ihn jetzt aktivieren, machen wir genau das, was er von uns will,“ sage ich leise.

Cyrus nickt. „Genau.“

Ich starre auf den Golem. Seine Oberfläche ist dunkel, glatt, uralt. So viel, das wir nicht verstehen.

„Also, was schlägst du vor?“ frage ich schließlich.

Cyrus zuckt die Schultern. „Es ist genug Platz am Tisch. Zeit den Mantel abzulegen und uns zu setzen.“

Ein langsames Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht. „Und wie machen wir das?“

Er lehnt sich mit einem verschwörerischen Funkeln in den Augen näher. „Indem wir ihm einen verdammten Schritt voraus sind.“

Ich starre Cyrus an, mein Herz hämmert in meiner Brust.

„Lass mich raten.“ Meine Stimme ist leise, messerscharf. „Du willst, dass wir Melody den Golem zeigen. Ihr vor Augen führen, dass wir ihn aktivieren können, damit sie glaubt, wir wären ihr goldenes Ticket in eine neue Ära.“

Cyrus lehnt sich zurück, ein zufriedenes Funkeln in den Augen. „Sie wird und für Genies halten.“

„Und dann?“ Ich verschränke die Arme. „Sollen wir ihr erzählen, dass Lavender uns beauftragt hat, ihn zu stehlen, sobald er läuft?“

„Richtig.“ Er hebt eine Hand, dreht beiläufig eine Münze zwischen seinen Fingern. „Weil Melody das hören will. Wenn sie glaubt, Lavender wollte sie ausspielen, gibt es nur eine logische Reaktion.“

„Sie stellt ihm eine Falle.“

Cyrus schnippt die Münze in die Luft und fängt sie wieder auf. „Und ein Mann wie Lavender wird sich darauf einlassen. Entweder, weil er nichts merkt – oder weil er längst damit rechnet.“

Ich ziehe langsam die Stirn kraus. „Melody ist schlau. Sie wird ihn nicht einfach so umlegen. Aber wenn sie denkt, er hat sie verraten, wird sie die Stadt auf den Kopf stellen, um ihm eins auszuwischen. Die Geldzwerge, die Händler, die Adeligen – es wäre Chaos.“

„Chaos,“ wiederholt Cyrus und lehnt sich mit einem zufriedenen Lächeln nach vorne, „das groß genug ist, damit wir ihn schnappen und verschwinden können.“

Ich lasse seinen Plan auf mich wirken. Mein Blick wandert zu dem Golem, zu den Runen, die wir kaum verstehen.

„Und was, wenn es schiefgeht?“ frage ich schließlich.

Cyrus zuckt die Schultern. „Dann sind wir tot.“

Ich stoße ein trockenes Lachen aus. „Beruhigend.“

„Wir sterben so oderso, Syl.“ Er sieht mich an, dieses raubtierhafte Funkeln in seinen Augen. „Die Frage ist nur, wie lange wir die Würfel rollen lassen, bevor wir uns selbst einen verdammten Vorteil verschaffen.“

Ich atme langsam aus. Die Idee ist waghalsig. Gefährlich. Aber vielleicht… vielleicht ist es die beste Chance, die wir haben.

Ich lege eine Hand auf den kalten Metallkörper des Golems und spüre das Gewicht der Entscheidung auf mir lasten.

„Dann brauchen wir einen verdammt guten Plan.“

Cyrus lehnt sich nachdenklich zurück, fährt sich mit einer Hand durch die Haare. „Also spielen wir sie gegeneinander aus. Aber vor allem brauchen wir eine Situation, die in unsere Stärken spielt, Syl. Wenn wir uns irgendein neunmalkluges Manöver ausdenken, ist das schön und gut. Und ich sage gar nicht, dass wir das nicht tun werden—aber was haben wir, das niemand anderes, der involviert ist, hat?“

Ich beobachte, wie er seinen Blick senkt, einen Moment nachdenkt. Dann hebt er langsam den Kopf. „Schätze, wir sind die Einzigen, die wissen, wie der Golem aktiviert wird. Nur Lavender weiß außer uns, dass wir ihn nicht erfunden haben und das er vermutlich weitaus mächtiger ist, als die Stadt erwartet.“

Ich nicke zufrieden. „Korrekt.“ Mein Blick gleitet über das unfertige Konstrukt vor uns, die eingeätzten Runen, die sich in seiner Panzerung verbergen. „Und wir haben noch eine Sache, die deutlich wertvoller ist. Wir haben noch eine volle Woche und alle Ressourcen dieses Ortes. Keiner weiß, dass wir ihn jederzeit anschalten können. Also spielen wir auf Zeit und optimieren unsere Chancen.“

„Wir geben das Tempo vor,“ murmelt Cyrus, als würde er es für sich selbst wiederholen. Dann hebt er den Blick zu mir und sein Grinsen ist gefährlich, fast herausfordernd. „Das ist die einzige wahre Macht, die wir haben.“

Ich spüre, wie mein eigenes Lächeln sich breiter zieht. „Ganz genau.“

Cyrus’ Augen funkeln amüsiert, doch in seinem Blick liegt etwas Schärferes, Nachdenklicheres. „Also auf das große Chaos setzen?“

Ich lehne mich vor, stütze die Hände auf den Tisch. „Wir sind vielleicht nicht so gut im Lächeln, Lügen und von hinten die Kehle aufschlitzen. Aber diese in Samt gehüllten Sesselfurzer werden sich einscheißen, wenn wir diesen Distrikt am schlechtesten Zeitpunkt für sie in ein Pulverfass verwandeln.“

Cyrus lehnt sich zurück, das Grinsen auf seinen Lippen verzieht sich zu etwas Nachdenklichem. Seine Finger trommeln gegen die Tischplatte. „Also haben wir einen Plan B, wenn Lav uns doch verkauft?“

Ich seufze leise, lasse meinen Blick über den Golem wandern. Die Runen scheinen mir immer noch entgegenzuleuchten, selbst jetzt, wo sie nicht aktiv sind. „Ich will Lavender wirklich vertrauen, Cy. Aber wir können uns nicht mehr blind darauf verlassen, dass er uns rettet, wenn die Sache mit Melody schiefgeht.“ Ich drehe mich zu ihm, sehe ihn fest an. „Also bereiten wir einen Zug vor. Und wenn Diplomatie nicht fruchtet, zünden wir die Lunten.“

Cyrus’ Lächeln kehrt zurück, diesmal mit einer Spur von dunkler Vorfreude. „Jetzt klingt es wirklich nach einem Plan, den ich mögen könnte.“

Ich lächele kurz, doch ein Funken Zweifel krallt sich in mein Unterbewusstsein.
Das wir das Tempo kontrollieren. Das wir eine Woche schneller fertig geworden sind.

Hätte Lavender das erahnen können?
Wir geben uns Mühe, aus den Mustern auszubrechen. Unberechenbar zu sein.

Aber vielleicht war das genau was er wollte.


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