Kapitel 20 - Krieg

20. Krieg

Der Hammerschlag hallt durch die Schmiedehalle, ein dumpfes, vertrautes Echo, das sich tief in meine Knochen setzt. Die Hitze der Glut tanzt über meine Haut, lässt Schweiß über meine Schläfen laufen, während ich das Eisen auf dem Amboss wende. Der Rhythmus ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, aber heute fehlt etwas.

Ich blicke zur Seite, dorthin, wo Dwindel immer gestanden hat. Der Platz ist leer.

Mein Griff um den Hammer wird fester. Ich wusste, dass es heute schwer wird, aber ich habe mich nicht darauf vorbereitet, wie schwer.

Ein weiteres Klirren, dann das Zischen von glühendem Metall im Wasser. Ich drehe den Kopf und sehe Dondir und Melkior ein paar Bänke weiter. Sie arbeiten konzentriert, haben sich wieder als Team eingespielt. Aber da ist eine Schwere in ihren Bewegungen, die vorher nicht da war.

Die Nachricht über Dwindel hat eingeschlagen wie ein Hammer auf kaltem Stahl. Und auch wenn keiner von uns es laut sagt – wir alle fühlen es.

Der Platz neben mir bleibt leer. Und doch ist es, als würde ich Dwindels Stimme hören, sein schiefes Lachen, das Schimpfen, wenn ich die Hitze falsch einschätze, das Grummeln, wenn ihm die Hände nach einem langen Tag wehtaten.

Ich sehe zu Dondir. Sein Gesicht ist angespannt, aber er hält durch. Er hält durch.

Ich senke den Blick. Das Eisen vor mir glüht rotgolden. Ich atme tief ein, balle die Faust um den Hammergriff und richte mich auf.

Dwindel ist nicht mehr hier. Aber ich bin es.

Und solange ich diesen Amboss bemanne, werde ich dafür sorgen, dass wir hierbleiben.



Mein Blick bleibt an der Glut hängen, wie das Feuer auflodert, sich an die Luft klammert, sich wieder legt. Es erinnert mich an etwas. An damals.

Lotarm.

Nicht das Lotarm, das die meisten in Soranica kennen – nicht unser Distrikt, unser neues Zuhause. Nein, das wahre Lotarm. Der Berg. Die Tiefe. Die endlosen Tunnel, die wir geschlagen haben, die Gänge, die unser Blut, unseren Schweiß und unsere Geschichten in sich tragen.

Ich war jung, als ich das erste Mal zum Freikämpfen geschickt wurde. Ein alter Brauch, um zu testen, wer von uns das Zeug hatte, den Hammer zu führen und wer besser mit der Spitzhacke in der Mine blieb. Die Regeln waren einfach: Zwei Schmiedeanwärter, ein Ring aus Feuer, zwei Hämmer. Wer standhielt, durfte an den Amboss treten.

Mein Gegner war stark. Er hatte Arme wie Eisenstangen und einen Griff, der mir fast den Hammer aus der Hand riss. Aber ich hatte meinen Kopf, meine Füße – und den Willen, zu gewinnen.

Ich weiß noch, wie ich mit brennenden Lungen gegen die glühenden Steine taumelte, wie meine Knie einknickten, der Boden zu beben schien. Und dann – eine Stimme.

„Steh auf, du sturer Hund.“

Ich sah auf und blickte in ein Paar scharfer, kupferfarbener Augen. Eine Zwergin, kaum älter als ich, mit Armen, die genauso rußgeschwärzt waren wie ihre Wangen. Margdar.

Sie saß auf einer höhergelegenen Felsplatte, einen Krug in der Hand, als wäre das hier nur ein gewöhnliches Spektakel. Ihre Stimme war rau, aber nicht unfreundlich.

„Wenn du umfällst, bevor ich meinen Met ausgetrunken hab, brauchst du gar nicht erst in die tiefen Wege aufbrechen.“

Ich weiß nicht, warum gerade ihre Worte mich wieder auf die Beine brachten, aber sie taten es.

Ich kämpfte weiter.

Ich gewann.

Und als ich endlich, mit zitternden Beinen und einem brennenden Arm, an den Amboss treten durfte, stand sie dort und grinste mich an.

„Gar nicht mal so übel.“

Das war das erste Mal, dass ich sie traf. Und verdammt, es sollte nicht das letzte Mal sein.

Ich schüttle den Kopf, kehre zurück in die Gegenwart. Der Hammer in meiner Hand ist alt, aber er hat mich durch Jahre getragen. Wie Margdar. Wie unsere Kinder.

Ich blicke auf den leeren Platz neben mir.

Wir opfern alles für Lotarm.

Und solange ich atme, werde ich nicht vergessen, woher ich komme.

Das rhythmische Schlagen der Hämmer war das Fundament dieser Halle. Der Herzschlag unseres Handwerks, der uns zusammenhielt, egal was draußen in der Welt passierte. Doch dann – eine Pause.

Unruhige Stimmen durchbrechen den Takt.

Ich drehe mich um.

Zwei Gestalten stehen im Eingangsbereich, kräftig gebaut, mit blauen Tätowierungen, die ihre Haut zieren wie alte Kerben in Metall. Geldzwerge.

„Dondir.“

Der Jüngere von uns erstarrt. Melkior bewegt sich als Erster, stellt sich wortlos zwischen ihn und die Ankömmlinge.

„Er schuldet euch nichts.“

Der vordere Geldzwerg schnaubt. „Das ist nicht deine Entscheidung.“

Melkior schnauft, tritt vor und schubst ihn heftig.

Eine Geschreie beider Seiten beginnt, während die Schmiede anfangen den Raum und die Eintreiber einzunehmen.

Ich will eingreifen, aber noch bevor ich mich ankomme, sehe ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung.

Thalmdir tritt nach vorne, hebt eine Hand und drängt sich zwischen die Fronten.

„HALT! Kein Blut muss heute vergossen werden.“ durchbricht Thalmdir den Lärm.

Dann Stille.

Keiner bewegt sich.

„Lass uns doch erstmal in Ruhe darüber reden, was überhaupt das Problem ist.“ Thalmdirs ganzer Körper ist angespannt, aber er versucht Ruhe zu bewahren.

„Euer kleine Dondir da drüben schuldet uns Geld. Der Inquisitor hat uns beauftragt, eine Nachricht zu überbringen.“

„Aye. Dann senkt alle einmal eure Fäuste und wir lassen die zwei reden.“

Thalmdir dreht sich in Richtung der Geldzwerge und nickt, dann zurück zu uns. Er öffnet seinen Mund, als plötzlich ein Dolch seinen Schädel von hinten durchbohrt. Sein Blut spritzt auf Melkior, der beginnt zu brüllen.

„THALMDIR!“ Keuche ich entsetzt. Ich stolpere in richtung seines regungslosen Körpers.


Instinkt.

Der Eintreiber sieht selbst etwas geschockt aus, als er zu seinem Begleiter schaut, der gerade seinen Dolch aus Thalmdirs Schädel reißt.

Melkior schreit als er seinen Hammer ergreift und losschwingt. Noch eine kleine Sekunde der Realisation des Geldzwergs, bevor sein Schädel in tausend Stücke zerplatzt. Sein Körper knallt mit einem stumpfen Schlag zu Boden, als das Blut und die Reste seines Hirns über den Boden fließen.

Der andere wischt seinen Dolch an seinem Lederhandschuh ab und mustert uns kaltblütig.

„Das war ein Fehler.“

Dann dreht er sich um – und sprintet aus der Halle.

Die Schmiede war still. Unnatürlich still.

Kein Hämmern. Kein Rufen. Kein Lachen. Nur das Knistern der Kohlen, die niemand mehr schürte.

Thalmdir liegt da.

Melkior kniet neben ihm, eine Hand auf seiner Schulter, als könnte er ihn so zurückhalten. Aber er ist schon fort. Die Hitze der Esse kann ihn nicht mehr wärmen.

Mein Herz schlägt schwer in meiner Brust, als ich mich langsam zu Melkior geselle. Ich will etwas sagen. Muss etwas sagen. Doch es gibt keine Worte, die reichen.

Melkior starrt reglos auf Thalmdirs leblosen Körper. Sein Gesicht ist ein leerer Schatten dessen, was er einmal war. Als hätte man ihm gerade sein Leben genommen – nicht nur seinen Freund.

Ich spüre heiße, dicke Tränen in meinen Augen. Ein Schluchzen zieht durch meinen Körper.
Unmöglich. Es muss ein schlechter Traum sein.

„Genug.“

Seine Stimme ist rau, kaum mehr als ein Flüstern.

Ich schlucke, fühle, wie die Worte auf meiner Zunge brennen. „Melkior—“

„Genug, Sigmund.“ Er richtet sich langsam auf, seine Faust bebt. „Das war’s.“

Ich schüttle den Kopf, spüre die Verzweiflung in meiner Brust. „Wir müssen klug sein, Melk. Das war ihre Botschaft. Das ist genau, was sie wollen.“

Melkior dreht sich langsam zu mir um. Sein Blick brennt, unerschütterlich. „Und was? Wir lassen sie einfach?“

„Ich habe nicht gesagt, dass wir nichts tun—“

„Du hast genau das gesagt!“ Melkior tritt auf mich zu, seine Stimme bebt vor unbändiger Wut. „Seit Jahren gehst du diesen Weg. Redest, vermittelst, weichst aus. Aber das hier? Das hier können wir nicht einfach hinnehmen, Sigmund!“

Ich zwinge mich, ihm in die Augen zu sehen. „Wenn du alleine handelst, Melk, verdammst du jeden Schmied Lotarms mit dir. Wir beide wissen, was Krieg bedeutet. Aber nicht alle von ihnen.“

„Und ich weiß, was Ehre bedeutet!“ Er packt mich am Kragen. „Ich werde nicht einfach abwarten, bis sie den Nächsten holen. Bis wir sie alle einzeln begraben!“

Seine Worte treffen mich wie ein Hammerschlag. Ich spüre die Wahrheit darin, den brennenden Zorn, der auch in mir tobt.

Ich packe seine Handgelenke, löse seinen Griff. Mein Blick bleibt fest. „Du willst kämpfen?“ Meine Stimme ist ruhig, aber schwer. „Dann sag mir: Wie viele werden sterben? Wie viel Blut soll an unseren Händen kleben?“

Melkior atmet schwer. „Es spielt keine Rolle.“

„Alles spielt eine Rolle. Jede Entscheidung, die wir treffen, hat das Gewicht von Leben.“

Er presst die Zähne zusammen. Seine Augen flackern – Wut, Schmerz, Zweifel.

„Ich will keine weiteren Gräber schaufeln, Melkior.“ Meine Stimme bricht fast.

Stille.

Sekunden verstreichen wie Stunden.

Dann tritt Melkior zurück. Sein Blick ist noch immer finster, aber sein Atem zittert.

„Ich kann das nicht akzeptieren, Sigmund.“

„Ich weiß.“

Er nickt langsam. Ein Abschied, ein Bruch. Dann dreht er sich um und geht.

Ich bleibe zurück. Mein Blick fällt auf Thalmdir.

Mein Freund.

Mein Bruder.

Ich weiß, dass Melkior nicht aufhören wird. Dieser Marsch. Er kommt.

Der Geruch des Blutes. Die Hitze der Schmiede. Für einen Moment spüre ich das Gewicht meines alten Helms. Meinen Schild und meinen Hammer.
Dann kehre ich in die Realität zurück.

Ich balle die Fäuste.

Wie viele?
Welchen Preis wird unsere Freiheit kosten, Thalmdir?


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