Kapitel 17 - Mein Atem

Kapitel 17 – Mein Atem



Ich hasse Warten.

Es fühlt sich an, als würde jeder Nerv in meinem Körper sich aufreiben, als würde meine Tech heißlaufen. Mein Bein wippt rastlos gegen den Boden der Werkstatt, während ich mit einem Werkzeug spiele, das ich gar nicht brauche. Wir haben alles getan, was wir konnten – jetzt bleibt uns nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dass Coraline uns findet.

Das kotzt mich an.

Noch mehr kotzt mich an, dass ich Sylvana heute alleine in die Händlergilde gehen ließ. Ich hasse es, wenn sie sich in Gefahr bringt. Ich hasse es, dass ich nichts dagegen tun konnte. Und am meisten hasse ich, dass sie Recht hatte das ich da drin mehr Problem als Hilfe gewesen wäre.

Ein tiefer Atemzug.

Mein Blick fällt auf die Pläne des Golems, die sie akribisch ausgebreitet hat. Ich weiß, dass sie nicht aufhören wird, daran zu arbeiten, bis ihre Hände zittern und ihre Augen brennen. Ich reibe mir die Stirn. Vielleicht sollte ich sie davon abhalten, bevor sie sich selbst völlig ausbrennt.

Dann rieche ich etwas.

Ein Duft. Warm, süß, vertraut.

Ich blinzele und rieche noch einmal. Zimt, Vanille, ein Hauch von Honig.

Ein Lächeln zuckt mir über die Lippen.

Ich stehe auf und folge dem Geruch durch die Hallen. Zwei Gänge weiter betrete ich die von Lady Melody bereitgestellte Küche. Die Luft ist erfüllt von dem wohligen Aroma frisch gebackener Muffins. Der Ofen ist noch warm, die Flammen knistern leise hinter den gusseisernen Türen.

Und da steht sie.

Sylvana, mit dem Rücken zu mir, den Blick gesenkt auf die gebackenen Muffins vor ihr.

Ich lehne mich in den Türrahmen, verschränke die Arme. „Du weißt schon, dass wir gerade gejagt werden, oder? Nicht unbedingt die beste Zeit, um den Ofen anzuwerfen.“

Sie antwortet nicht.

Mein Lächeln verblasst ein wenig.

Ich trete näher, lege eine Hand auf ihre Schulter. „Hey, Syl.“

Langsam dreht sie sich zu mir um.


Tränen.

Sie glänzen in ihren Augen, schwer und unausgesprochen. Ein Ausdruck von Schuld und Erschöpfung liegt auf ihrem Gesicht, und ich spüre, wie mein Herz einen Schlag aussetzt.

Scheiße.



„So schlecht können sie nicht geworden sein, oder?“

Ich versuche, die Situation aufzulockern, doch der Versuch fällt flach, noch bevor die Worte richtig aus meinem Mund kommen.

Sylvana lächelt leicht – ein schwaches, müdes Lächeln –, aber es erreicht ihre Augen nicht. Sie wendet den Blick ab, als könnte sie ihn nicht halten.

Dann kommt es.

„Cy… du hast deine Werkstatt verloren. Deine Heimat. Etwas, das du über Jahre auf die Beine gestellt hast.“ Ihre Stimme ist leise, brüchig. Ich sehe, wie sich ihre Finger um das Küchentuch in ihrer Hand verkrampfen. „Und jetzt laufen die Geldzwerge mit einer verfickten Beschreibung von dir rum, weil du dich heimlich fast umbringst, nur um mir irgendeinen Krimskrams zu besorgen.“

Ihre Schultern beben. Sie presst die Lippen zusammen, kämpft mit den Tränen, doch es hilft nichts.

„Und das ist…“ Ein Schluchzen bricht aus ihrer Kehle. „Das ist alles meine Schuld.“


Ich spüre es. Zum ersten Mal sinkt es wirklich in meine Knochen. Die Kälte dieser ganzen verdammten Situation. Mein Herz pocht schwer in meiner Brust, meine Hände zittern leicht.

Doch ich lasse sie nicht fallen.

Ich greife nach ihr, ziehe sie sanft zu mir. Sie zögert nicht, lehnt sich in meine Arme, als wäre das der einzige Ort, an dem sie für diesen Moment sicher ist.

„Wir haben das verloren, Syl.“ Meine Stimme ist rauer, als ich es erwartet hatte. „Aber vor dir war das nie ein Ort von Wert für mich.“

Sie schluchzt leise gegen meine Brust, und ich streiche mit der Hand durch ihr Haar.

„Und du hast den genialsten Fund der Stadt gemacht.“ Ich lasse ein trockenes Lachen aus meiner Kehle gleiten. „Nur leider auch den gefährlichsten.“

Sie hebt den Kopf ein Stück, die Augen noch voller Schuld und Schmerz.

Ich streiche mit meinem Daumen über ihre Wange, fange eine einzelne Träne auf und wische sie fort.

„Aber du weißt, damit…“ Ich lächle, und diesmal ist es echt. „Damit komme ich klar.“


Die plötzliche Wut in ihren Augen trifft mich härter als jede Faust.

„DANN HÖR AUF, DICH UMZUBRINGEN, WENN DU KLARKOMMST!“

Ihre Stimme zittert, doch sie donnert mir die Worte entgegen, während ihre Faust gegen meine Brust trommelt. Ich spüre nicht den Schmerz, sondern die Verzweiflung dahinter.

Ich stolpere einen Schritt zurück.

„Syl, ich…“ Ich atme schwer aus, kämpfe gegen die Enge in meiner Kehle. „Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll, wenn du in Gefahr bist.“ Meine Stimme ist leiser jetzt, brüchig, ehrlicher als ich es wollte. „Du bist ein verdammtes Genie. Du kannst dieser Stadt noch so viel geben. Aber ich?“ Ich lache trocken, bitter. „Ich bin ein Wrack. Mir hat die Stadt gezeigt, dass ich wertlos bin, seitdem ich geboren wurde.“

„Aber nicht für mich, Cyrus!“

Ihre Stimme bricht, ihr Gesicht ist nass von Tränen.

„Ich BRAUCHE dich! Verstehst du das denn nicht?“

Die Worte sind wie ein Schnitt durch meine Brust.

Ich erstarre.

Die Luft scheint aus dem Raum gezogen zu werden, als die Wahrheit über mich hinwegrollt wie eine Welle aus kaltem Wasser.

Ich… bin wichtig.

Für sie.

Ihr Wimmern bringt mich zurück in die Realität.

„Seit diesem beschissenen Job… seitdem du fast gestorben wärst.“ Ihre Stimme ist heiser, ein Flüstern, das gleichzeitig schreit. „ICH hab dir diese Tech eingebaut, weil ich es ohne dich nicht aushalte…“ Ihre Finger ballen sich in den Stoff meines Hemdes, als wollte sie mich festhalten, mich daran hindern, wieder zu verschwinden, so wie ich es immer tue. „Aber seitdem bist du nur NOCH härter zu dir selbst. Du bist NOCH unvorsichtiger.“

Ihr Blick ist brennend, flehend, ein Feuer, das mich nicht loslässt.

„Du darfst nicht sterben, Cyrus.“ Ihre Stimme bricht. „Für mich. Bitte.“

Ich höre sie.

Ich höre sie wirklich.

Sie war so allein.

Sylvana zittert in meinen Armen, und ich kann es nicht mehr ertragen.

Ich ziehe sie an mich, verschlinge ihre Lippen mit einem Verlangen, das so roh ist wie alles, was wir durchgemacht haben. Es ist kein sanfter, zögerlicher Kuss. Es ist verzweifelt, fordernd – als könnte ich all die unausgesprochenen Worte, all die dummen, selbstzerstörerischen Entscheidungen einfach wegküssen.

Ihre Finger graben sich in meinen Nacken, als würde sie mich festhalten müssen, als würde sie mich sonst verlieren. Der Moment ist unbeholfen, intensiv. Aber nichts davon spielt eine Rolle. Ihr warmer Atem scheint das Einzige zu sein, was mich am Leben hält.

Mir entkommt eine einzelne, verdammte Träne.

„Es tut mir so leid, Sylvana…“ Meine Stimme ist brüchig. Ich halte sie fest, meine Hände streifen über ihren Rücken, als müsste ich mich vergewissern, dass sie wirklich da ist, dass wir beide noch hier sind.

Sie atmet gegen meine Lippen, ihre Stirn an meine gelehnt. „Dann versprich mir, dass du nicht gehst.“

Ich schlucke schwer. Dann lächle ich – müde, aber ehrlich.

„Ich bleibe bei dir. Bis du mich nicht mehr willst.“

Ihre Augen funkeln – und dann küsst sie mich erneut, als wäre es ein Pakt, den wir in unsere Seelen brennen.

Als die Zeit aufhört stillzustehen, löst sie sich langsam von mir, ihr Atem noch unruhig, ihre Augen glänzend – aber da ist etwas Neues in ihrem Blick. Etwas Spielerisches, etwas, das ich nicht gewohnt bin.

Dann schnaubt sie leise, ein Lächeln zuckt über ihre Lippen, während sie nach meinem Kinn greift und es leicht zwischen ihren Fingern hält.

„Ich hab dir deine Muffins gemacht, Arschloch.“

Ich lache, rau und ehrlich, während ich meine Stirn gegen ihre lehne. Sie sieht mich an, und da ist dieser leicht unbeholfene Hunger in ihrem Blick, als wäre sie sich selbst noch nicht ganz sicher, was sie gerade fühlt.

Sylvana mustert mich, ihre Augen voller Wärme, als ihre Hände sanft meinen Nacken umschließen. Ihre Finger fahren leicht über meine Haut, als würde sie sich in diesem Moment verankern wollen.


„Aber ich denke… sie sollten noch eine Weile auskühlen“, flüstert sie, ihre Stimme ein kaum hörbares Versprechen.

Ich spüre, wie mein Herz einen harten, verlangsamten Schlag setzt. Die Spannung zwischen uns, die sich seit Tagen – vielleicht seit Jahren – aufgebaut hat, zieht sich enger, heißer, zwingender zusammen.

Meine Finger finden ihre Taille, ziehen sie näher, bis kaum noch Luft zwischen uns passt. Ihr Körper ist warm, fester als er aussieht, geschmiedet aus derselben ruppigen Entschlossenheit, die mich an ihr von Anfang an verrückt gemacht hat.

„Dann müssen wir die Zeit wohl irgendwie überbrücken“, murmle ich gegen ihre Haut, als meine Lippen an ihrem Kiefer entlangfahren.

Ein kaum hörbarer Laut entweicht ihr – kein Widerstand, kein Zögern, sondern eine Stille, in der ich spüre, wie sie die Kontrolle abgibt. Sie, die immer alles im Griff hat, die immer ein Ziel, einen Plan, eine verdammte Strategie verfolgt.

Jetzt aber … jetzt lehnt sie sich in mich.

Ich küsse sie, langsam zuerst, tief und ruhig, als hätte ich alle Zeit der Welt. Doch als ihre Finger sich in meine Haare graben, als sie meine Jacke packt und mich mit einer Ungeduld an sich zieht, die mir den Verstand raubt, ändert sich alles.

Ich drehe sie gegen die Küchenzeile, spüre, wie ihr Atem schärfer wird, während ich sie dort halte, meine Hände an ihrer Hüfte, meine Lippen an ihrem Hals, ihrem Schlüsselbein. Ihr Kopf fällt leicht nach hinten, und als ich die weiche, nackte Haut unter ihrer Kehle küsse, höre ich, wie sie meinen Namen ausatmet – leise, kaum ein Wort, eher ein Gefühl.

Hitze jagt mir durch die Adern.

„Syl“, murmele ich an ihrer Haut, während ich mit einer Hand unter ihren Oberschenkel greife, sie ein Stück anhebe, gegen mich presse.

Ihre Finger graben sich fester in meinen Rücken, und ich weiß, dass wir hier nicht bleiben werden. Nicht hier, wo der Duft von geschmolzener Schokolade in der Luft liegt, wo das Licht der Küche viel zu hell und zu ungeduldig ist.

„Runter“, raune ich gegen ihre Lippen, bevor ich sie hochhebe.

Sie schlingt ihre Beine um meine Taille, ihre Arme um meinen Nacken, und ich trage sie aus der Küche, ihre weichen, warmen Lippen an meiner Haut, ihr Atem heiß gegen mein Ohr. Ein sanftes Lächeln auf meiner Haut.

Die Werkstatt empfängt uns mit ihrer vertrauten Dunkelheit, dem metallischen Geruch von Öl und Stahl. Ich setze sie auf einer der Werkbänke ab, meine Hände auf ihren Oberschenkeln, meine Stirn gegen ihre gelehnt.

„Wir müssen das nicht tun“, murmle ich, weil ich es sagen muss.

Ihre Finger wandern zu den Knöpfen meines Hemds, öffnen sie langsam, Stück für Stück, während sie mich ansieht. Ihr Blick ist klar, intensiv, wissend.

„Doch“, flüstert sie. „Ich will dich, Cy.“

Etwas in mir zerbricht – oder vielleicht setzt es sich auch endlich zusammen.

Ich küsse sie erneut, diesmal tiefer, härter, während ihre Hände mich näherziehen, unsere Körper aneinanderschmiegen, kein Raum mehr zwischen uns. Ihr Atem ist ungleichmäßig, ihr Puls rast gegen meine Fingerspitzen, als ich sie weiter auf den Tisch schiebe, bis sie genau da ist, wo ich sie haben will.

Ihre Hände wandern unter mein Hemd, über meine Haut, erkunden die Linien meiner Muskeln, meine Narben, jede verborgene Schwäche. Und ich lasse sie.

Heute Nacht gibt es keine Geheimnisse mehr.

Nur Hitze.

Nur uns.

Meine Hände wandern über ihren Rücken, über den Stoff ihrer Kleidung, der langsam zu viel wird. Ich will sie spüren. Ihre Wärme, die mich längst aus dem Innersten heraus verzehrt.

Sylvana packt mein Hemd und zieht es mir über den Kopf, ihre Finger gleiten über die vernarbte Haut meiner Brust, während ihr Blick sich in meinen brennt. Sie streicht über die Linien meiner Mechanik, die harten Kanten dort, wo Fleisch und Metall ineinander übergehen, und ich halte den Atem an.

Doch sie zögert nicht.

Sie sieht mich an, wie sie es immer getan hat – als wäre ich ganz.

Dieser Moment, dieses Gewicht in meiner Brust, als sie sich zu mir lehnt und ihre Lippen sachte gegen eine der alten Narben auf meinem Schlüsselbein drückt. Ich falle und finde mehr von mir.

Ich will es nur fühlen.

Und das tue ich, als ihre Hände sich an mein Gesicht legen, als sie mich wieder zu sich zieht, als unsere Münder sich finden und wir die letzten Zentimeter zwischen uns auflösen.

Ihr Atem ist hitzig, ihr Körper schmiegt sich gegen meinen, und als ich ihre Kleidung Stück für Stück über ihre Schultern schiebe, spüre ich, wie sie leicht erzittert. Nicht aus Unsicherheit, sondern aus Verlangen.

„Verdammt, Syl“, murmle ich, meine Stimme rau, bevor ich meinen Mund an ihre Kehle setze, spüre, wie sie bebt, während meine Hände ihre Taille umschließen, sich an ihr entlangtasten.

„Cyrus…“ Mein Name verlässt ihre Lippen wie ein gehauchtes Gebet, und ich bin verloren.

Ich hebe sie hoch, trage sie von der Werkbank auf den Boden, wo die Hitze zwischen uns unerträglich wird.

Sie zieht mich zu sich, und ich gebe nach, dringe tief in sie ein, unsere Haut heiß und schweißglänzend aneinander. Ihre Beine schlingen sich um meine Hüfte, ihre Finger graben sich in meinen Rücken, und ich kann nicht mehr denken, nicht mehr zweifeln.

Es gibt nur noch uns.

Nur das hier.

Ihre Haut gegen meine.

Ihr Atem, ihr Herzschlag, das leise Zittern ihrer Lippen, als sie meinen Namen wiederholt, diesmal dringlicher.

„Ich liebe dich“, raune ich an ihren Mund, weil ich es spüren will, wie sich diese Worte zwischen uns verankern.

Ihre Augen sind weit, ihre Pupillen dunkler als die Nacht um uns herum. Dann streicht sie mir durch das Haar, zieht mich zu sich und flüstert:

„Ich weiß.“

Und dann gibt es keine Worte mehr.

Nur Hitze.

Nur das Gefühl, als wir uns endlich ganz und gar verlieren.

Unsere Bewegungen sind ein Flüstern gegen den kalten Boden der Werkstatt, ein leiser Rhythmus, nur unterbrochen vom Rauschen unseres Atems, dem Zittern unserer Stimmen, wenn wir uns näher und näher an diesen einen Punkt ziehen, an dem nichts mehr existiert außer uns.

Sylvana hält mich fest, als hätte sie Angst, dass ich verschwinden könnte, als wäre ich etwas, das sie in den Fingern zerreiben könnte, wenn sie nicht stark genug zudrückt. Ich weiß, dass ich genauso an ihr festhalte.

Als der Moment uns schließlich trifft, ist es wie ein Stromschlag, wie ein Funken, der von meiner Haut auf ihre überspringt und sich in unseren Rücken gräbt. Ich spüre ihr Beben, spüre, wie sie mich mit sich zieht, höre meinen Namen auf ihren Lippen, kurz bevor sie sich an meiner Schulter festbeißt, um ihr eigenes Echo zu dämpfen. Ich glühe heiß wie der Dampf in meinen Lungen, als ich sie zittern spüre. Dann hält sie mich, als ich mich verliere.

Wir fallen in die Stille danach wie in ein warmes Bett. Atmen rau, unsere Körper glühen noch, während die kalte Luft der Werkstatt über uns streicht.

Sylvana lacht leise, atemlos.

„Ich glaube… die Muffins sind jetzt kalt.“

Ich schnaube, drücke meine Stirn gegen ihre und kann mein Grinsen nicht verbergen. „Verdammte Verschwendung.“

Sie schiebt mir eine feuchte Strähne aus der Stirn, ihre Finger gleiten über meine Schläfe, langsam, vertraut. Dann zieht sie mich in einen sanften Kuss, einer, der nichts mit Hitze zu tun hat, sondern mit all dem, was unausgesprochen bleibt.

„Dann müssen wir sie wohl später essen“, murmelt sie, und ich kann spüren, dass sie noch nicht will, dass dieser Moment endet.

Also bleibe ich einfach liegen.

Bleibe, wo ich hingehöre.


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