Kapitel 1 - Die Tüftlerin

  1. Die Tüftlerin

Die Werkstatt riecht nach altem Metall, Schmieröl und einem Hauch verbranntem Kupfer. Das Licht der Gaslaternen wirft lange Schatten auf die wild zusammengewürfelten Maschinen, deren einziger gemeinsamer Nenner das Chaos ist. Zahnräder, halbfertige Pläne und nutzlos gewordene Werkzeuge türmen sich auf jeder freien Fläche – nicht dass es viele davon gibt.

Ich sitze auf einer Werkbank, einen Stapel alter Schrottteile vor mir, und reibe mir langsam die Schläfen. Ich sollte eigentlich konzentriert arbeiten, aber alles, woran ich denken kann, ist die Zahl in meinem Kopf. Die verdammte Pacht.

Edgar lehnt sich mit beiden Ellenbogen auf den Tresen, sein schmieriges Grinsen irgendwo zwischen bemitleidend und belustigt. Seine Mütze sitzt schief auf seinem Kopf, und als er spricht, blitzt eine Lücke zwischen seinen Zähnen auf.

“Tut mir leid, Syl, aber du kennst die Regeln. Ich bin kein Wohltäter. Und außerdem - Schulden sind hier unten eine Lawine. Du trittst sie einmal los und sie überrollen dich früher oder später.”

Ich seufze. “Edgar, wenn ich eine Wohltat wollte, würde ich mir einen Priester suchen und nicht dich.”

Er lacht. Trocken, kehlig. “Schön wär’s, wenn wir uns Priester leisten könnten. Wobei… von denen hat hier unten auch keiner Geld.”

Cyrus ignoriert uns. Oder er tut so. Sein bulliger Körper ist zur Hälfte unter einer schief zusammengezimmerten Maschine verschwunden, die sich mit einem surrenden Geräusch dreht, klackt und dann wieder stehen bleibt. Ein unförmiges Ding aus Metall, das mehr an ein kaputtes Zahnradgehäuse erinnert als an irgendetwas Funktionales.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. “Soll das was können, Cy?”

Seine Stimme hallt aus dem Inneren der Maschine. “Sollte. Tut’s aber nicht.”

Ich schüttle den Kopf und schiebe ein paar nutzlose Zahnräder beiseite. “Sag mal, Edgar… Wenn ich dir sage, dass ich doppelt zurückzahle? In zwei Wochen.”

Er lacht wieder, diesmal kürzer. “Und wenn du’s nicht kannst?”

Ich lehne mich zurück, lasse die Schultern an den kalten Stahl der Werkbank sinken. Ich bin müde. Nicht körperlich – daran bin ich gewohnt –, sondern müde von dieser immer gleichen Unterhaltung.

“Ich kann’s.”

Er mustert mich. Edgar ist ein Aasfresser, aber kein schlechter Kerl. Seine Augen sind wachsam, berechnend. Vielleicht rechnet er aus, ob sich die Investition lohnt. Vielleicht wartet er nur, um zu sehen, wie weit ich noch gehe. Dann schüttelt er langsam den Kopf.

“Syl, du bist eine der besten Tüftlerinnen, die ich kenne. Aber du bist auch verdammt schlecht darin, zu bluffen. Ich hab nichts für dich.”

Ich spüre, wie meine Finger sich fester um die Kante der Werkbank krallen. Mein Blick wandert über den Tisch, über die rostigen Bolzen, die gesplitterten Pläne. Zu wenig. Ich hab diesen Monat zu wenig gefunden, und nächste Woche kommt der Pachtmeister.

Mein Magen zieht sich zusammen. Ich hasse dieses Gefühl.

Ich atme aus, langsamer als nötig. Dann hebe ich den Kopf. “Ich geh in die Tiefen.”

Das Grinsen auf Edgars Gesicht gefriert. Es dauert eine Sekunde, bevor er sich wieder fängt, aber ich habe den Moment gesehen. Er lehnt sich zurück, zieht die Mütze tiefer ins Gesicht.

“Ist grad kein guter Ort zum Rumschnüffeln, Syl.”

Ich sage nichts.

Er setzt sich aufrechter hin. “Ich meine es ernst. Da unten gibt’s Gänge, die du seit Wochen nicht mehr betreten kannst. Giftiges Gas in der Ostkammer, faulende Decken über den Brunnenschächten. Und…” Er hält kurz inne, dann zuckt er mit den Schultern. “Die Geldzwerge sind unten. Irgendwas suchen sie.”

Das lässt mich aufhorchen.

Cyrus taucht endlich aus seinem Haufen Maschinenschrott auf, wischt sich mit der ölverschmierten Hand über die Stirn. “Die Zwerge sind unten?”

Edgar nickt langsam. “Hab’s gehört. Kein Plan, was sie da machen, aber sie waren nicht nur einmal da.”

Ich tippe mit den Fingern auf das Holz, langsam, nachdenklich. Ich kenne die Tiefen. Ich habe mein ganzes Leben damit verbracht, Karten dieser verdammten Gänge zu zeichnen, Wege zu finden, die selbst die Ältesten vergessen haben. Ich weiß, wo die Decken stabil sind und wo man nur ein Mal zu tief atmen muss, um tot umzufallen.

Ich weiß, wo ich sein kann.

Ich weiß, wo ich nicht sein sollte.

Und genau da sind die Geldzwerge. In meinem Revier.

Ich mustere Ed kurz. Seine abgetragenen, muffigen Klamotten, seine bescheuerte Mütze und seine klaffende Zahnlücke.

„Weißt du, Ed – die Leute im Aces erzählen ziemlich verrückte Scheiße über dich. Aber du willst mir nicht mal was leihen und warnst mich vor den Zwergen. Kein Plan, warum dich alle für so gefährlich halten.“

Edgar lacht leise, seine Schultern zucken kaum merklich.

„Ich bin eine hässliche, hauslose Ratte und verdiene meine Münzen mit Informationen. Leute lieben Schubladen. Aber du bist vernünftiger als die meisten.“

Sylvana steht auf, zieht ihre Handschuhe über und klopft ihm beim Vorbeigehen auf die Schulter.

„Unterschreib das nicht zu früh.“

Cyrus beobachtet mich, seine Arme verschränkt, sein Gesicht eine Mischung aus Was zur Hölle hast du jetzt vor? und Ich hab keinen Bock, dir hinterher zu rennen.

Edgar lehnt sich wieder auf den Tresen, sein Grinsen ist zurück, aber diesmal ist es schiefer. “Du wirst nicht hören, oder?”

“Ich kenne meinen Weg.”

“Du bist verdammt stur, Syl.”

Ich zucke mit den Schultern. “Und du bist verdammt pleite. Lass uns einfach beide unser Leben führen.”

Cyrus seufzt. “Du kommst morgen wieder, oder? Und du willst nicht, dass ich mitkomme?”

“Es ist ein Schrottgang, Cy. Ich geh nicht auf Dämonenjagd.”

Er mustert mich, dann lehnt er sich wieder zurück gegen seine Maschine, verschränkt die Arme. “Also schön. Aber wenn du nicht spätestens morgen Abend wieder hier bist, dann grab ich dich aus der verdammten Kanalisation aus.”

Ich ziehe meine Laterne aus der Halterung an der Wand, prüfe die Flamme. “Deal.”

Edgar schüttelt langsam den Kopf. “Manchmal wünschte ich, du würdest weniger Wert auf Prinzipien und mehr auf Überleben legen, Syl.”

Ich grinse schief. “Dann wär ich nicht ich.”

Ich drehe mich um, trete in die Nacht hinaus. Die Luft ist kalt, feucht. Ein guter Kontrast zu dem, was mich da unten erwartet.

Ich weiß nicht, was die Geldzwerge suchen.

Aber ich weiß, dass ich es vor ihnen finden muss.

Die stickige, feuchte Luft der Kanalisation liegt schwer in meinen Lungen, begleitet vom allgegenwärtigen Gestank von Fäulnis und Abfall. Jeder Schritt lässt das brackige Wasser unter meinen Stiefeln schmatzen, während das schwache Licht meiner Laterne unruhig an den schmierigen Wänden tanzt. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mich durch diese düsteren Tunnel bewege – und vermutlich auch nicht das letzte. Der Distrikt der Hauslosen birgt viele Geheimnisse, die meisten davon wertlos. Aber manchmal… manchmal findet man etwas, das die Mühe lohnt. Aber wie lange bin ich jetzt schon hier unten?

Wir könnten diese Woche wirlich etwas Glück gebrauchen

Ich seufze und beuge mich über einen Haufen rostigen Metalls, wühle mit einem langen Eisenhaken darin herum. Nur kaputte Rohre, verbogene Schrauben, zerbrochene Zahnräder. Nichts, was den Aufwand wert wäre.

„Natürlich, Sylvana“, murmele ich vor mich hin und richte mich wieder auf. „Die Arbeit der großen Tüftlerin. Alte Rohre und stinkender Müll.“

Ich bin sogar für meine Verhältnisse tief eingedrungen heute. Weiter oben ist allerdings auch kaum noch etwas übrig. Und definitiv nichts, was uns gerade weiterhilft.

Ich trete einen Schritt zurück und reibe mir den Schweiß von der Stirn. Mein Blick gleitet durch den Tunnel, vorbei an den abblätternden Wänden, die von unleserlichen Symbole überzogen sind. Das Geräusch von tropfendem Wasser hallt durch die Leere, begleitet vom entfernten Quietschen einer Ratte, die wohl schlauer ist als ich. Die weiß, wann man aufgeben sollte.

Ich setze meinen Weg fort, lasse die Laterne weiter nach vorne schwenken und mustere jeden Winkel, jeden Schrotthaufen, als wäre er eine Schatztruhe. Minuten vergehen, vielleicht Stunden – Zeit hat hier unten keine Bedeutung mehr. Gerade, als ich mir selbst eingestehen will, dass es diesmal nichts gibt, sehe ich etwas.

Ein Lichtreflex, schwach, kaum sichtbar, aber da. Mein Herzschlag beschleunigt sich, und ich bleibe stehen. Das Licht meiner Laterne wirft einen flüchtigen Glanz zurück von etwas, das unter einer dichten Schicht aus Schmutz und Metallteilen verborgen liegt.

Ich beuge mich hinunter, lege die Laterne ab und beginne, die Teile beiseitezuschieben. Meine Hände ziehen rostige Rohre und verbogene Bleche weg, ein dumpfes Klirren begleitet meine Bewegungen. Der Schimmer wird stärker – und dann sehe ich es.

Metall. Glatt und sauber, wie ein Spiegel, der unmöglich hier unten liegen könnte. Es ist ein Gesicht. Oder zumindest etwas, das wie eines aussieht. Eine Maske aus Eisen und Stahl, durchzogen von seltsamen Rillen und Linien, die sich über die Oberfläche ziehen. Der Rest des Körpers – falls man ihn so nennen kann – liegt darunter, ein Wirrwarr aus Metallgliedern, die wie ein groteskes Abbild eines Menschen wirken.

Ich knie mich näher heran, meine Finger fahren zögernd über die kalte Oberfläche. Kein Rost, keine Abnutzung, als wäre es erst gestern hier hingelegt worden. Doch es ist still. Regungslos.

„Was bist du nur?“, flüstere ich, mehr zu mir selbst als zu dem Ding vor mir. Es sieht aus wie eine Maschine, aber keine, die ich je zuvor gesehen habe. Nicht aus Lotarm, nicht aus irgendeinem Distrikt, den ich kenne. Es ist … anders. Diese Materialien. Ich kann sie nicht einmal identifizieren. Meine Gedanken rasen.

Wenn das hier ein Relikt der alten Welt ist, sollte es nicht hier sein. Wir sind tief in der Kanalisation, ja. Aber kann das wirklich Zufall sein? Scheiße - ist das wonach die Zwerge suchen?

Ich lege die Hände auf die Knie und wische mir Schweiß von der Stirn.

Oder ist es eine geplante Übergabe? Verdammt. Ich muss schnell handeln.

Die Patrouillen der Geldzwerge haben sich seit letztem Monat verdoppelt. Ihre dämliche Kathedrale soll doch auch hier unten sein – aber mehr als einen Distrikt weiter. Ich habe genug Zeit.

Ein scharfer Tropfen Wasser klatscht auf das Metall, und ich zucke zusammen. Instinktiv greife ich nach meinem Eisenhaken und spähe in die Schatten. Niemand ist hier, aber das flaue Gefühl in meinem Magen bleibt.

Ich starre das Ding an, meine Gedanken rasen. Was auch immer es ist, ich kann es nicht einfach hierlassen – aber allein kann ich es unmöglich tragen. Ich schüttle den Kopf, schiebe meinen Ärmel hoch und beginne, es wieder mit den Schrottteilen zu bedecken. Stück für Stück verschwinden die metallenen Glieder und das maskenhafte Gesicht unter rostigen Rohren und Blechen. Es fühlt sich falsch an, aber ich habe keine Wahl.

Als ich fertig bin, richte ich mich auf und ziehe ein Stück Kreide aus meiner Tasche. Mit einer schnellen Bewegung zeichne ich unser Symbol – einen Kreis mit einem Kreuz – an die Wand direkt daneben. Das sollte reichen, um den Ort wiederzufinden.

„Cyrus“, murmele ich leise, meine Gedanken bereits den Weg zurück konstruierend.

Ich nehme meine Laterne und mache mich auf den Rückweg. Der vertraute Gestank der Kanalisation und das Geräusch von tropfendem Wasser begleiten mich bis zum Ausgang. Als ich schließlich in die kühle Nacht hinaustrete, bleibe ich für einen Moment stehen und atme tief ein.

Selbst wenn wir nichts über dieses Ding herausfinden, die Materialien allein sind wertvoll. Doch etwas daran lässt mich nicht los – etwas an den Linien und der glatten Oberfläche. Ich bin neugierig, fast mehr, als mir lieb ist. Aber das kann warten. Jetzt zählt nur, Cyrus zu holen.

Ich sehe schon durch die Außenfenster, dass die Werkstatt immernoch genauso aussieht wie immer. Der metallische Geruch von Schmieröl hängt schwer in der Luft, und das Klirren von Werkzeugen mischt sich mit der tiefen Stimme von Cyrus, die dumpf durch die schlecht abgedichtete Tür hallt. Warum hatte ich erwartet das er aufräumen würde?

„Das hier, mein Freund,“ sagt Cyrus, die mächtigen Hände in die Hüften gestemmt, während er mal wieder Edgar gegenübersteht, „ist ein echtes ondoranisches Rohr. Direkt aus der Kanalisation der Hauptstadt! Reinster Stahl, hält ewig. Die Ondoraner wissen eben, wie man Qualität liefert.“

Ich stoße die Tür auf, und der scharfe Klang des knarzenden Holzes lässt die beiden herumfahren. Cyrus steht wie immer in seiner üblichen Pose – breitbeinig, mit Schrott in der Hand und einem selbstbewussten Grinsen, das nur er tragen kann. Ich muss mich zusammenreißen, nicht die Augen zu verdrehen.

„Onderianisch“, korrigiere ich, ohne anzuhalten. „Und hör auf, Edgar wieder Blödsinn zu erzählen, Cy. Du weißt genau, dass das nur ein normales Rohr ist, das du aus einem Schrotthaufen gezogen hast.“

Cyrus blinzelt überrascht, dann lacht er. „Sylvana! Immer direkt zur Sache. Aber du weißt doch, ein bisschen Übertreibung gehört zum Geschäft.“

Edgar schaut zwischen uns hin und her, sichtlich verunsichert, ob er nun betrogen wird oder nicht. Er ist ein schräger Vogel. Kommt seit Wochen ständig hierher und verhandelt mit Cyrus über wertlosen Schrott. Cyrus meint, er bezahlt gut. Schwer zu glauben, wenn ich in unsere Taschen schauen, aber ich ignoriere ihn, packe Cyrus am Handgelenk und ziehe ihn ein Stück zur Seite.

„Cy, ich hab was gefunden“, flüstere ich, meine Stimme so leise, dass der Kunde es kaum hören kann. „Was Großes. Wir müssen sofort los.“

„Groß?“ Cyrus hebt eine Augenbraue, sein Ton ist skeptisch. „Groß wie ‘ne alte Lotarm-Maschine, oder groß wie das letzte Mal, als du einen rostigen Zahnradkasten als ‘unersetzlich’ bezeichnet hast?“

„Cy, das meine ich ernst.“ Meine Stimme wird schärfer. „Das hier ist anders. So anders, dass ich es nicht mal hierher schleppen konnte. Und wir dürfen keine Zeit verlieren.“

Edgar beugt sich leicht vor. Seine blutdurchschossenen Augen blitzen auf.

Ich werfe ihm einen schnellen Blick zu, dann ziehe ich Cyrus noch ein Stück weiter in die Ecke der Werkstatt, weg vom Kunden. „Verdammt, er hört mit“, zische ich. „Cy, wir müssen gehen. Jetzt. Was ich gefunden habe … es ist nicht einfach nur Schrott. Es ist wertvoll. Wahrscheinlich extrem wertvoll.“

Cyrus legt den Kopf schief, sieht mich kurz an und dann zurück zum Kunden, dessen Ohren sich beinahe strecken, um jedes Wort aufzufangen. „Wertvoll, ja? So wertvoll das Ed es nicht hören darf?“, murmelt Cyrus, und sein Ton wird ernst. „Okay, ich bin dabei. Aber wenn das Ding nicht so spektakulär ist, wie du tust, kriegst du morgen meine Werkstatt sauber gemacht.“

Ich stöhne und rolle die Augen. „Komm einfach mit.“

Cyrus greift nach seinem Werkzeuggürtel, schnallt ihn um und folgt mir zur Tür, wo er auch Ed abesetzt. Soll er doch denken, was er will. Es ist keine Zeit für Ablenkungen.

Die Luft der Kanalisation ist noch stickiger, als ich sie in Erinnerung habe, und jeder Schritt lässt die Feuchtigkeit und den Gestank an uns kleben wie eine zweite Haut. Cyrus trottet hinter mir her, sein Werkzeuggürtel klimpert bei jedem Schritt. Er ist skeptisch, das kann ich in seinem ganzen Auftreten spüren, aber er sagt nichts – noch nicht.

„Also, lass mich das klarstellen“, beginnt er schließlich, seine Stimme hallt in den engen Wänden wider. „Du hast mich aus der Werkstatt gezerrt, weil du etwas gefunden hast, das groß genug ist, um meinen Abend zu ruinieren. Aber du kannst mir nicht mal sagen, was es ist?“

„Weil du es sehen musst, Cy“, antworte ich, die Laterne hochhaltend, um den Weg vor uns zu beleuchten. „Es ist nicht irgendwas. Es ist … anders. Glaub mir einfach.“

Er grummelt etwas Unverständliches und schiebt sich einen Zahnstocher zwischen die Zähne – ein nerviger Tick von ihm. „Du sagst ‘anders’ jedes Mal, wenn du irgendwas findest, das nicht sofort auseinanderfällt.“

Ich ignoriere ihn und halte an einer markierten Wand an. Mein Symbol – ein Kreis mit einem Kreuz – leuchtet schwach unter dem Ruß und Schmutz der Kanalisation hervor. „Hier“, sage ich knapp und beginne, den Schrott zur Seite zu räumen. „Hilf mir.“

Cyrus seufzt, schiebt den Zahnstocher zur anderen Seite seines Mundes und tritt näher. Gemeinsam schieben wir rostige Rohre, verbogene Bleche und zahllosen Müll zur Seite, bis das glatte, fremdartige Metall darunter sichtbar wird. Ich höre, wie sein Atem stockt.

„Heilige Scheiße“, murmelt er, als das Gesicht des Mannes aus Eisen und Stahl sichtbar wird. Seine Finger strecken sich zögernd aus, als wollte er es berühren, doch er hält inne, als ob er Angst hätte, es könnte sich plötzlich bewegen. „Das … ist kein Lotarm-Schrott. Wo hast du das gefunden?“

„Genau hier“, antworte ich, während ich die restlichen Schrottteile entferne und den vollen Umfang des metallenen Körpers sichtbar mache. „Es lag einfach da. Kein Rost, keine Kratzer. Als ob es hier nicht hingehört.“

Der Golem liegt vor uns wie ein stiller Wächter aus einer vergangenen Ära. Die Dunkelheit der Kanalisation schließt sich eng um uns, nur unterbrochen vom matten Glimmen meiner Laterne, das über die glatte, makellose Metallhaut des Konstrukts tanzt.

Ich knie mich langsam hin, streiche mit den Fingerspitzen über die Oberfläche. Ich spüre das Echo von etwas Altem in der Luft. Ein Gewicht, das nichts mit seiner Größe zu tun hat.

„Sag mal, Syl…“, höre ich Cyrus‘ Stimme über mir.

Er lehnt an einem feuchten Rohr, die Arme locker vor der Brust verschränkt, sein Blick skeptisch, aber auf eine Art, die mir sagt, dass er bereits weiß, wie das hier enden wird.

„Ja?“

„Hast du mal dran gedacht, dass es Dinge gibt, die man einfach in Ruhe lassen sollte?“

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Was zum Beispiel?“

Er macht eine wage Geste. „Na ja… Unheilige Artefakte. Verfluchte Waffen. Mechanische Leichen aus der Scheiß-Unterwelt.“

Ich schnaube. „Meinst du so wie die Glocke von Ashwyn? Oder den Runen-Safe in Lotarm? Oder dieses Buch, das du von einem Magier in Mithrandir geklaut hast und das sich dann in der Nacht von selbst entzündet hat?“

Er zieht einen Mundwinkel hoch. „Zumindest haben wir das Buch in Ruhe gelassen, als es angefangen hat, über meine Mutter zu flüstern.“

„Ich fand’s nett, dass es interessiert an dir war.“

„Syl.“

Ich drehe mich zu ihm um, sehe das leichte Zucken an seinem Kiefer. Nicht wirklich angespannt, aber auch nicht so gelassen, wie er sich gerne gibt.

„Ich meine das ernst. Manchmal fühlt sich was einfach… falsch an. Und dann sollte man’s lassen.“

Ich schweige einen Moment, drehe mich wieder um, sehe in das ausdruckslose Gesicht des Golems.

„Ich wüsste nicht, wann ich das jemals gekonnt hätte.“

Es ist eine ehrliche Antwort. Und das weiß er auch.

Er seufzt. „Ja, das dachte ich mir schon.“

Ich fahre mit den Fingerspitzen über eine feine Einkerbung an der Schulterplatte. Sie fühlt sich fast warm an, als hätte sie noch Erinnerung an die Kraft, die einmal durch sie geflossen ist.

„Was glaubst du, was das ist?“ frage ich leise.

„Ein Problem.“

Ich lächle. „Ein großes Problem.“

Cyrus schnaubt, tritt näher, mustert das Ding mit einem Blick, der eine Mischung aus Respekt und Resignation ist.

„Und du willst es mitnehmen.“

„Natürlich.“

Er seufzt, aber es ist das Seufzen eines Mannes, der die Entscheidung längst akzeptiert hat.

Dann hören wir Schritte. Und die Welt um uns herum hält den Atem an.



Es ist das Knirschen von Schritten auf Metall, gedämpft durch die Wände der Kanalisation, aber eindeutig näherkommend. Ich schnappe nach Luft und sehe zu Cyrus, dessen Hand instinktiv zu einem Schraubenschlüssel an seinem Gürtel wandert. Diese engen Gänge bieten wenige Möglichkeiten sich zu verstecken.

Die Schritte werden lauter, und dann höre ich eine Stimme. „Da seid ihr ja“, sagt jemand mit triefender Selbstzufriedenheit.

Aus dem Schatten tritt Edgar, die Mütze tief ins Gesicht gezogen, begleitet von zwei massigen Gestalten, deren Gesichter hinter Masken verborgen sind. Knochenbrecher der Geldzwerge, die blauen Tattoos an ihren Armen verraten sie. Ihre bulligen Silhouetten füllen den schmalen Tunnel, und die Waffen in ihren Händen glitzern bedrohlich im Schein meiner Laterne.

„Ich wusste, dass du irgendwann liefern würdest, Syl“, sagt er und grinst schief. „Meine guten Freunde hier suchen schon eine Weile etwas verlorene Fracht. Und jetzt…“ Er deutet mit einem Nicken auf den metallenen Körper. „Gehört das da uns.“

„Edgar… Scheiß Verräter. Du arbeitest für die Zwerge?“, knurrt Cyrus, seine Haltung steif, die Knöchel um den Schraubenschlüssel weiß vor Anspannung.

Ich trete einen Schritt zurück, meine Gedanken rasen. Die Geldzwerge sind nicht nur gefährlich, sie sind skrupellos. Wenn sie beschlossen haben, dass sie etwas wollen, dann bekommen sie es – oder lassen niemanden zurück, der sich erinnert, dass es mal jemand anderem gehört hat.

„Denk garnicht dran deine Tech zu benutzen!“, zische ich zu Cyrus, ohne die Männer aus den Augen zu lassen. „Wir müssen hier weg. Mit ihm.“ Mein Blick gleitet zum Mann aus Metall. Wir dürfen ihn nicht hierlassen, egal was passiert.

Die Knochenbrecher machen einen Schritt nach vorne, und mein Griff um die Laterne wird fester. Cyrus spuckt den Zahnstocher aus, greift den Schraubenschlüssel mit beiden Händen und zieht ihn schützend vor sich. „Also gut“, sagt er leise, sein Blick stählern. „Dann kommt und holt es euch.“

Die Luft der Kanalisation ist drückend, und die Situation wird mit jeder Sekunde gefährlicher. Edgar grinst selbstzufrieden, während die beiden Knochenbrecher näher treten, ihre bulligen Gestalten die engen Wände des Tunnels beinahe ausfüllen. Cyrus hält den Schraubenschlüssel wie eine Keule, aber ich kann die Anspannung in seiner Haltung sehen.

„Ihr werdet nirgends hingehen“, spuckt er durch seine Zahnlücke, seine Stimme kalt. „Entweder ihr gebt uns, was ihr gefunden habt, oder wir holen es uns.“

Mein Herz schlägt schneller, und meine Gedanken rasen. Kampf ist keine Option – nicht gegen diese Leute, nicht mit so wenig Platz und dem Ding aus Eisen, das wir mitschleppen müssen. Ich greife instinktiv in meinen Beutel, und meine Finger finden, was ich suche. Ein kleiner, metallener Zylinder, kaum größer als eine Apfelsine, mit einem pechschwarzen Ass daraufgemalt. Die Tests liefen gut. Aber ein Prototyp.

„Cyrus“, flüstere ich, meine Stimme kaum hörbar, „wenn ich dir sage, dass du rennen sollst, dann renn. Und schnapp dir das Ding.“

Er wirft mir einen kurzen Blick zu, sein Gesicht versteinert, doch er nickt knapp.

Ich trete einen Schritt vor, die drei im Tunnel fixierend. „Letzte Warnung“, sage ich, meine Stimme schärfer, als ich mich fühle. „Geht, oder ihr werdet es bereuen.“

Ed lacht rau. „Süße, du kannst uns nicht einschüchtern. Was hast du vor? Einen Feuerball auf uns schießen? Mir Zittern die Knie, oh mächtige Magierin der Kanalrohre!“

„Magie?“ Ich lasse den Zylinder in meiner Hand aufblitzen. „Nein. Das hier ist Forging, Arschloch.“

Mit einem leisen Stoßgebet drücke ich den Mechanismus. Die Erfindung surrt kurz, dann zischt sie, als ich sie auf den Boden vor den drei Männern werfe. Ein Funke sprüht auf, und plötzlich schießt der Zylinder in die Luft, dreht sich wie ein Feuerwerkskörper und explodiert mit einem lauten Knall. Ein greller Blitz erhellt die Dunkelheit.

Dann öffnet sich die innere Kapsel, und eine klebrige, ätzende Flüssigkeit spritzt in alle Richtungen. Ein stechender Geruch durchzieht die Luft, begleitet von den Schreien der Knochenbrecher, die sich die Hände vor die Augen schlagen. Ihre Kleidung beginnt zu dampfen, als die Flüssigkeit das Material zerfrisst, und der Kunde schreit und taumelt rückwärts, als ihm blutige Fetzen seiner Haut durchs Gesicht fließen.

„Jetzt, Cy!“ rufe ich und greife nach dem metallenen Mann. Cyrus zögert keinen Moment. Gemeinsam packen wir den Körper aus Eisen und Stahl, der schwerer ist, als ich gehofft habe, und ziehen ihn durch den Tunnel davon.

Hinter uns hallen die Schreie der Männer durch die Kanalisation, doch ich weiß, dass wir nicht viel Zeit haben. Die Geldzwerge sind hartnäckig, und sie werden nicht aufgeben, nur weil sie ein bisschen Säure abbekommen haben.

„Verdammt, Syl!“ schnauft Cyrus, als wir uns durch das knöcheltiefe Wasser kämpfen. „Was war das für ein Ding?“

„Nenn es einfach Wissenschaft“, keuche ich, mein Griff um den Arm des Metallmannes fest. „Und hör auf zu fragen. Lauf einfach!“

Das Adrenalin treibt uns voran, und ich spüre, wie sich die Dunkelheit um uns her zieht, während wir tiefer in die Kanalisation flüchten. Noch sind wir nicht in Sicherheit, aber wir haben einen Vorsprung. Und das ist alles, was ich jetzt brauche.

Die Luft ist stickig und heiß, als Cyrus und ich endlich die schmale Seitentür seiner Werkstatt erreichen. Wir stolpern hinein, keuchend und mit schweißnassen Gesichtern, während das massive Gewicht des Eisenmanns an unseren Armen zerrt. Mit einem letzten Ruck bringen wir ihn in die Mitte des Raumes und lassen ihn auf eine alte Werkbank fallen. Der metallene Körper klingt dumpf, als er das Holz trifft, und ich sinke auf die Knie, um Luft zu holen.

Cyrus wirft die Tür ins Schloss und dreht den Riegel um. „Heilige Scheiße, Syl! Ich hab ja einiges von dir erwartet, aber das da…“ Er deutet auf den reglosen Mann aus Eisen. „Das ist nicht nur ‘wertvoll’. Das ist ein verdammtes Todesurteil!“

„Ich weiß.“ Ich lege die Hände auf meine Knie und zwinge mich, aufzustehen. „Aber wir hatten keine Wahl. Die Geldzwerge hätten uns nicht in Ruhe gelassen, ob wir es zurückgelassen hätten oder nicht.“

Cyrus läuft aufgebracht hin und her, sein Blick wandert immer wieder zu dem Eisenmann. Seine Finger ziehen unruhig an einem losen Schraubenschlüssel an seinem Gürtel. „Und jetzt? Denkst du, die lassen es dabei, nur weil wir sie abgehängt haben? Die werden mehr schicken. Wahrscheinlich sind sie schon unterwegs.“

Ich lasse meinen Blick durch die Werkstatt schweifen. Die Regale voller Werkzeuge, die halb zerlegten Maschinen, der chaotische, vertraute Ort, den Cyrus über Jahre aufgebaut hat. Hier hat er gelebt, gearbeitet, sich ein Stückchen Freiheit im Distrikt der Hauslosen geschaffen. Jetzt würden wir alles zurücklassen müssen.

„Cyrus…“ Meine Stimme ist kaum mehr als ein Flüstern. „Es tut mir leid.“

Er seufzt schwer, dann zieht er seinen Gürtel fester und nickt. „Wir haben keine Zeit für ‘tut mir leid’, Syl. Hol, was du brauchst, und dann verschwinden wir. Und den da—“ Er deutet auf den Eisenmann. „—nehmen wir mit. Sonst war alles umsonst.“

Wir packen das Nötigste: ein paar Werkzeuge, etwas Proviant, und dann stemmen wir den Eisenmann erneut zwischen uns. Die Geräusche draußen werden lauter – Stimmen, die Befehle brüllen, das Scheppern von Metall. Wir haben keine Zeit.

„Hinterausgang“, keucht Cyrus, und wir drängen uns durch eine schmale Tür, die in eine der Gassen führt. Der kalte Nachtwind schlägt uns entgegen, und wir ziehen den reglosen Körper mit uns, während wir in die Dunkelheit laufen.

Doch die Verfolgung lässt nicht lange auf sich warten. Hinter uns hallen Rufe durch die Straßen, begleitet vom schweren Stampfen von Stiefeln und dem Klirren von Waffen. „Da vorne! Sie haben den Golem!“

„Verdammt“, zischt Cyrus. „Sie nennen das Ding einen Golem? Das macht’s nicht besser.“

Die Jagd wird hektisch. Wir weichen durch schmale Gassen, springen über Müllhaufen und kämpfen uns durch den schmutzigen Nebel des Distrikts der Hauslosen, doch die Geldzwerge bleiben dicht hinter uns. Die Hauptstraße kommt in Sicht, die hell erleuchteten Laternen werfen lange Schatten auf das Pflaster.

„Wir müssen da rüber!“ rufe ich, mein Atem schwer. „Vielleicht können wir sie in der Menge verlieren!“

Wir erreichen die Straße, stolpern beinahe über eine Kiste, und dann passiert alles auf einmal. Eine schwarze Kutsche, gezogen von zwei schimmernden Rappen, schießt aus einer Seitenstraße heran und hält direkt vor uns. Die Tür fliegt auf, und ich sehe ein bekanntes Gesicht vor mir.

Ich bleibe stehen, meine Augen verengen sich, als ich aufblicke. „Das ist jetzt nicht dein Ernst.“

„Syl,“ unterbricht mich Cyrus, sein Ton klar, „wir haben keine Zeit für Diskussionen.“

Ich sehe auf, mein Herz noch immer rasend, und blicke in das Gesicht des jungen Mannes. Er ist groß, drahtig, und sein lilafarbener Mantel mit floralen Mustern passt so wenig in die schmutzige Dunkelheit der Stadt wie die Kutsche, in der wir sitzen. Doch diese dunkle, leuchtende Haut, dieses selbstgefällige Lächeln - ich erkenne ihn sofort.

Lavender Mareau.


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