Bluttreue by CrazyEddie | World Anvil Manuscripts | World Anvil

In den Donnerbergen

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37. Cervore 7347 Vierte Ära NL

Früher Morgen

Myrtax

 

 

 

 

Myrtax hatte immer noch Fieber. Rhihura versuchte in ihrer hochnäsigen Art ihr Bestes, um das Fieber zu senken und Wundbrand zu verhindern. Sie hatte wohl keine Magie von ihrem Erschaffer Renklah bekommen, was den verwundeten Menschen zwar wunderte, er sie aber auch nicht beneidete. Er wusste, wie es sich ohne Magie anfühlte.

Hilflos zu sein, nicht einmal stark genug zu sein für sich und andere. Er wollte nicht sterben. Er wollte weiter leben. Die Welt sehen. Sich an den Vampiren rächen. Und nicht in die Dunkelheit gehen, wo auch nur wieder Vampire auf ihn warten würden. Oder sogar die Infernalé.

Sein Magen knurrte und er drehte sich leicht auf die Seite. Das Gras kühlte sein Gesicht noch etwas, aber bald würde wieder die Sonne aufgehen und die Donnerberge in einen dampfenden Ofen verwandeln. Rhihura war verschwunden. Dort, wo sie gesessen hatte, lagen nur ein paar abgenagte Knochen um einen Fleck heruntergedrückten Grases herum.

Hoffentlich war sie auf der Jagd und würde Nahrung bringen. Wasser hatten sie mittlerweile ein wenig durch zwei Amphoren, die sie in einem abgelegenen Dorf gestohlen hatten und füllen konnten, aber Lebensmittel waren rar gesät. Also, sogar fast gar nicht gesät.

Myrtax versuchte sich aufzurichten, ohne seinen Rücken besonders zu reizen, aber stöhnend fiel er wieder ins Gras. Trotz der Heilung durch den Dämon, trotz der Zuwendung durch das weibliche Konstrukt. Mit ihr war zu reden war... anstrengend.

"Bleib liegen.", grummelte er sich selbst an. Wenigstens war es nicht nur harte, nackte Erde, auf der er lag. Durch den Wildwuchs war das Gras lang und weich, die härteren Halme gab es nur in den Ebenen. Zum Glück. Ob die Lachlidan ihn suchen würden? Schließlich war er Jilals Sklave gewesen. Wahrscheinlicher würden sie erst ihre Toten begraben und ihn dann suchen. Hoffentlich waren sie dann dort, wohin auch immer Rhihura ihn auf Geheiß von Renklah führte. Hoffentlich weit, weit weg.

Wenigstens das Laken mit seinen Habseligkeiten und der Urne war noch da. Wenigstens seine Eltern waren noch da, wenn auch nur in der Form.

Es war das erste Mal seit Jahren, dass Myrtax um seine Eltern trauern konnte. Das erste Mal, wo die Tränen fließen konnten und er seinen Schmerz ausweinen und in die Welt hinausschreien konnte. Es dauerte Stunden, wo sein Hals wund wurde, die Pein im Rücken wie Feuer brannte und die Sonne auf ihn herabschien. Er konnte sich kaum bewegen und die nächsten Bäume waren noch weit.

"Was ist denn los?" Rhihura stapfte von der Seite her an, ihre Schuppen in der Farbe von Bronze glänzten wie frisch poliert. "Tut immer noch weh, hm?"

"Du hast ja keine Ahnung.", schniefte der junge Mann, versuchte gar nicht erst, seine Schwäche und die Tränen zu verbergen. Wie auch?

"Nein, habe ich nicht. Aber ich habe uns Fleisch besorgt." Sie hielt zwei fette Hasen hoch, die mit gebrochenem Genick in ihrer Hand baumelten. "Komm, steh auf, wenn wir unter den Bäumen sind, gibt es Futter."

Myrtax stöhnte. Er wollte weder aufstehen noch weitere Schmerzen haben, aber er hatte Hunger und gebratener Hase war wirklich...

"Ja doch.", murrte er, versuchte sich irgendwie aufzurichten, ohne seine Wunden aufzureißen, schaffte es aber nur leidlich, in dem er eine Art Rolle auf ein Bein versuchte und sich dann erhob. Eine der Wunden ging trotzdem auf, was ihm ein Zischen entlockte. Das schöne Hemd...

Rhihura rollte mit den Augen, warf ihm ein schelmisches Grinsen zu und hob das zusammengeknotete Laken auf, welches sie sich über die Schulter hängte. Erstaunlich sanft sogar, damit die Urne darin nicht zerbrach.

"Ich trage dich aber nicht.", bestimmte sie. "Nun komm, der Weg ist weit und wir müssen noch einige Schritte gehen."

"Fliegen wäre einfacher.", seufzte Myrtax und wunderte sich, dass Renklah nichts mehr gesagt hatte, seit sie aus dem Ebenholzdickicht geflohen waren. Vielleicht sprach er auch nur zu seinem Konstrukt. Ehrlich gesagt hatte es Myrtax nicht so richtig verstanden und war immer noch der Ansicht, dass ein eigens für ihn konstruiertes Lebewesen echt zu viel des Guten war. Dennoch war er beiden dankbar, dass sie ihm geholfen hatten.

Am späten Nachmittag, als sie endlich der Gluthitze des Tages unter riesigen, urtümlichen Bäumen entkommen konnten, nutzte Rihura das wenige Wasser, um die Wunden zu reinigen. Sein Fieber war noch nicht abgeklungen und er fühlte sich müde, überhitzt, schweißgebadet und ganz und gar eklig. Wirklich genießen konnte er den fetten Hasen auch nicht, aber es war gut, mit vollem Bauch einschlafen zu können.

 

 

38. Cervore 7347 Vierte Ära NL

Früher Morgen

Myrtax

 

 

 

"Was passiert mit dir, wenn du deinen Auftrag erfüllt hast?", fragte Myrtax nach dem kargen Frühstück und einer Flucht vor einem Jäger der Nacht.

"Ich warte." Sie lächelte schmal und es war erstaunlich, wie identisch Gestik und Mimik zu einem Menschen oder Vampir waren. "Mein Auftrag endet dann nicht. Aber darüber darf ich dir nichts sagen."

"Hm, na gut." Myrtax war versucht, sich an die harte Borke der riesigen Schwarzeiche zu lehnen, aber er vermutete, dass sich die Heilung seines Rückens noch weiter verzögern würde. Wundgift und Belastungen waren nicht gut für Verletzungen. "Wohin führst du mich?"

"Wirst du sehen."

"Was sieht dein Herr in mir?"

"Das weiß ich nicht. Ich führe nur seinen Befehl aus."

"Hmpf. - Wenn ich dich bitten würde, sie alle zu töten, würdest du es tun?"

Sie schien in sich hinein zu horchen und hob eine Schulter. "Manche, nicht alle."

"Hm, gut. - Wie weit ist es noch?"

"Nur noch ein paar Tage. Ich werde später nach Kräutern suchen, um dir zu helfen."

"Danke. Gibt es noch andere Dörfer in der Gegend? Ich könnte neue Kleidung gebrauchen."

"Nein, aber nach unserer Ankunft kann ich mal schauen, ob ich etwas für dich finde."

"Danke. Kannst du sonst noch Sachen? Fliegen?"

"Nein, ich bin, was ich bin. Ich besitze weder Flügel noch Magie. Ich bin nur ich."

"Ich wünschte, ich hätte Magie..." Er schluckte leicht. "Ich habe immer noch nicht verstanden, wie Menschen oder Vampire Magie erhalten. Die Fähigkeit, sie zu benutzen. Die Altvorderen haben viel geschrieben, aber darüber haben sie kein einziges Wort verloren. Oder ich habe nicht das richtige Buch gefunden."

"Die Altvorderen waren auch nur... naja, keine Menschen. Oder Vampire." Rhihura hob ihre Schultern, was seltsam ungelenk wirkte. "Ich kann sie dir nicht geben."

Es hörte sich an, als wollte sie noch etwas hinzufügen, aber es kam nichts mehr und Myrtax fiel es in seinem fiebrigen Kopf auch nicht auf.

Die Frau mit Schuppen und Schwanz stand nach einer Weile auf und verschwand in den Wäldern, um Kräuter zu suchen. Myrtax wusste nichts mit sich anzufangen und sein Körper ließ auch kaum etwas zu. Er rollte sich neben einer Wurzel ein und versuchte zu schlafen, während die schwüle Hitze des Sommers Schweiß über seinen erschöpften Körper rinnen und ihn kaum ausruhen ließ.

Diese Flucht war alles andere als geplant ausgeführt worden. Ob Rhihura die Bedürfnisse von Menschen bedacht hatte? Wahrscheinlich nicht.

Er spürte gar nicht, dass sie wiedergekommen war noch, dass sie ihn mit zerstampften und notdürftig ausgewaschenen Bandagen behandelte. Er spürte kaum, wie sie ihn und seinen Sack aus Laken aufhob und mit ihm durch die Bäume stapfte, hoch und höher in die Donnerberge hinein.

Allmählich wurde es kühler. Myrtax bemerkte es an der kühlen Brise, die seinen erhitzten Kopf streichelte. Die Luft wurde auch dünner und er merkte durch den Schleier in seinem Kopf, dass er nicht mehr so gut atmen konnte. Schatten und Licht wechselten sich vor seinen Augen ab, während die starke Schuppenfrau nicht nur sein Habe, sondern auch ihn trug.

Am Abend sprach sie mit ihm, aber der junge Mann war zu erschöpft und zu stark im Delirium, dass er zwar ihre Worte hörte, aber nichts damit anfangen konnte.

Licht und Dunkel wechselten sich ab, Sterne zogen über ihm dahin, die Bäume schienen mit ihm zu sprechen. Auch ihre Worte waren unverständlich, aber sie sprachen weder im Vampirischen noch in der allgemeinen Handelssprache. Ihre Stimmen waren tief und langsam, das Gesprochene hörte sich an wie das Knarzen uralter Borke.

Wasser nässte seine Haut, kühlte ihn. Er schwamm durch einen Ozean, den er noch nie gesehen hatte. Schaute schwimmende Lebewesen mit hundert Augen und leuchtenden Extremitäten, die blubbernde Weisheiten murmelten, die Myrtax für richtig und wichtig befand, im selben Moment aber nickend wieder vergaß.

Dann wieder flog er durch weiße und graue und schwarze Wolken. Blitze und Donner zogen an ihm vorbei - hatte die Hügelkette daher ihren Namen? -, in ihnen Vögel mit schwarzen Schwingen, so dunkel wie die Nacht und Augen so hart wie Eisen.

Auf einem von ihnen ritt Jilal, auf einem anderen Marseille. Beide waren in sehr unpraktische Rüstungen gehüllt, die mehr zeigten als verbargen und eventuelle Angreifer einluden, auf die viele ungeschützte Haut zu zielen. Myrtax runzelte die Stirn, als die beiden vor ihm landeten und ihn ansprachen. Aus ihren Mündern kamen bunte Blasen, in denen die Worte schwebten, die für Myrtax, als sie barsten, keinen Sinn ergaben.

Zufrieden mit sich und ihrer unverständlichen Ansprache flogen sie beide mit einem gehässigen Grinsen weg. Die Vögel schrien, als würde man sie bei lebendigem Leibe braten, dann donnerte es wieder so laut, dass es seine Knochen zermalmte.

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