Bluttreue by CrazyEddie | World Anvil Manuscripts | World Anvil

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32. Ophelion 7344 Vierte Ära NL

Kurz vor Mitternacht

Myrtax

 

 

"Los, aufstehen!", donnerte eine Stimme, starke Hände zerrten Myrtax aus dem Bett und warfen ihn zu Boden. "Hoch, Abschaum. Wasch dich, der Herr verlangt nach dir!"

"Der Herr?", nuschelte der Junge verwirrt, versuchte gegen die Schmerzen in den Beinen und in der Seite anzukämpfen und einen klaren Kopf zu bekommen.

"Hörst du schlecht?" Ein Tritt in die Seite. Der Mann klang nach Vampir, seine Aussprache war anders als die der Menschensklaven, was sich bestätigte, als Myrtax an den Schultern gepackt und nahezu mühelos hochgezogen wurde und ihn glühende Augen anstarrten. Die hassverzerrten Lippen offenbarten spitze Eckzähne.

Der Vampir ließ ihn wieder unsanft fallen, Myrtax hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten.

"Los.", zischte der Vampir wieder. "Nimm deine Sachen."

"Der Herr erwartet mich, ich habe es verstanden.", grummelte der Junge, erntete einen Tritt gegen sein Bein, öffnete seine Truhe und holte seine andere Garnitur hervor, bevor der Vampir ihn in den Waschbereich bugsierte. Er schien eine Wache zu sein, jedenfalls hatte Myrtax ihn noch nicht in der Nähe seines Herrn gesehen. Zugegeben, er war auch nicht sonderlich oft dort und die wenigen Momente, in denen sein Herr ihn brauchte, waren es nur Botengänge, die man ihm übertrug.

"Los, schneller, schlag keine Wurzeln!"

Myrtax wurde geschubst und stolperte leicht, beschleunigte seinen Gang zu den Waschkammern. Im Grunde war das schmale Haus nur ein besserer Stall, in dem andere Sklaven jeden Abend frisches Wasser in Bottiche füllten. Billige Seife lag meist daneben, selten wurden Trockentücher ausgegeben.

Um diese Tageszeit war niemand in der Waschkammer. Es war fast unheimlich still, nicht einmal Wasser tropfte irgendwo.

Der junge Sklave zog sich unter den wachsamen Augen der bleichen Vampirwache aus, wusch sich überall und kleidete sich in seine zweite Garnitur Kleider, die Haare musste er leider noch feucht in den Nacken streichen, da er wohl keine Zeit haben würde, sie trocknen zu lassen.

"Lass deine Kleider hier.", befahl der Vampir vor ihm leise, bevor er Myrtax unsanft am Arm packte und aus den Waschkammern bugsierte.

In der Nacht war das Ebenholzdickicht und das Anwesen seines Herrn Jilal Lachlidan, Sohn von Rovinna und Simar Lachlidan noch sehr viel schöner als am vampirlosen Tage. Der Tag war seine Lieblingszeit, weil nahezu alle Vampire - Sklaven oder nicht - das Sonnenlicht mieden und am Tage schliefen. Die Menschen waren meistens etwas nachsichtiger und weniger schnell mit Beleidigungen, Hohn, Tritten und Schlägen dabei.

Allerdings war nun Nacht und sowohl die riesigen Bäume des Ebenholzdickichts als auch das fast wie gewachsen aussehende Anwesen glühte vor Leben. Überall hingen Lichter in vielen verschiedenen Farben, wobei hier das sanfte Orange von Fackeln und Öllampen vorherrschte.

Myrtax hörte Sklaven hin und her eilen, um die Wünsche ihrer Herren oder die Notwendigkeiten ihrer Arbeit zu erfüllen. Wasser wurde geschleppt, Speisen gebracht, Kleider besorgt oder andere Erledigungen vollzogen.

Der Garten linkerhand mit den niedrigen Blumen, Büschen und Bänken wurde von einigen der hohen Herrschaften eifrig frequentiert. Leises Gelächter von Frauen und Männern war zu hören, ebenso das leise Klirren von Glas. Es duftete nach Brot, Rosen, gebratenem Fleisch und dem leichten Geruch nach Kupfer.

Blut.

Als Myrtax verstohlen den Blick schweifen ließ, sah er auch einige Sklaven, an denen sich Vampire gütlich taten. An einem der stärkeren Männer hing ein Vampirpaar, je ein Vampir auf jeder Halssseite. Der große Mann war oberkörperfrei, die Vampirfrau streichelte sanft über seine wohldefinierte Brust.

Der junge Sklave wandte den Blick wieder ab und nach vorne auf das Anwesen. Am Fuße des mehrere Dutzend Armlängen umfassenden Baumes lag das Haupthaus mit der großen Küche, der gut bestückten Bibliothek, der Säle und vielen anderen Räumen, die meist nur für Prunk, Gespräche oder andere Aktivitäten genutzt wurden.

In den hohen Fenstern leuchteten Lampen oder Kerzen, was dem Anwesen und dem hohen Baum dahinter das Aussehen eines beinahe erloschenen Lagerfeuers gab. Die Krone des Baumes, mehrere Dutzend Meter über dem Boden, war auch mit vielen Laternen und anderen Lichtern behangen, die unten am Grund aussahen wie Glühwürmchen.

"Schlafgemach, los.", zischte sein Wächter hinter ihm. "Schlaf nicht ein, der Herr wartet nicht gerne!"

Ich weiß, dachte Myrtax bei sich. Jilal war nicht für seinen Langmut bekannt, genauso wenig wie sein Vater Simar. Die Mutter Rovinna hatte mehr Geduld, war aber auch für ihre ausgeklügelten Bestrafungen berühmt-berüchtigt. Eher berüchtigt.

Sie betraten das Anwesen. Auch hier eilten Sklaven herum, die allerdings besser gekleidet waren als die Sklaven draußen. Myrtax war einer der wenigen Außensklaven, die eine zweite, bessere Garnitur Wäsche hatten, damit er auch den Herrschaften und Damen im Anwesen unter die Augen treten konnte.

Der polierte Boden glänzte warm im Lichte der Lampen, es roch nach Holzpolitur, die wenigen Steine bildeten die tragenden Säulen in den Ecken, Kupferschalen waren an Ketten aufgehängt und brannten munter vor sich hin.

Der Gang, dem Myrtax folgte, war breit. Überall zweigten weitere Gänge, Zimmer und Säle ab, bevor sie in den hinteren Lichthof traten, der von einer Glaskuppel überspannt wurde. Sowohl die Kuppel als auch das Anwesen endeten nur wenige Schritte vor dem Eingang in den großen Baum, der sich dräuend über ihnen erhob. Das Gemach seines Herrn befand sich im letzten Drittel des gewaltigen Stamms.

Die Wache brauchte nichts mehr sagen, denn Myrtax begann den Weg eigenständig. Seine mittlerweile gut ausgebildeten Beine erklommen die Stufen, die für seine Füße noch etwas zu groß waren. Er musste fast immer zwei Schritte tun für eine Stufe. Hinter ihm klimperte die Wache in ihrer mit Metallplättchen beschlagenen Lederrüstung.

"Warte.", befahl der Vampir, dessen Name Myrtax noch nicht genannt wurde, als sie vor der großen Tür des Gemachs standen. Auch hier leuchteten Lampen in den Gängen, eine Öllampe hing über dem Türsturz.

Die Wache trat an Myrtax vorbei und klopfte dreimal kräftig an das schwarze Holz.

Drei Herzschläge.

Vier Herzschläge.

"Herein!", tönte es dumpf hinter der Tür hervor. Der Vampir schaute Myrtax an, seine wütenden glühenden Augen starrten den Jungen an, als hätte er mit seiner Schwester geschlafen oder seinen Lieblingssklaven getötet. Myrtax fragte sich, wie er soviel Hass verdient hatte von einem Vampir, den er nicht einmal kannte.

" Mach keine Dummheiten.", war das einzige, was zwischen den schmalen Lippen hervorkam, als die Vampirwache die Tür aufstieß. Leise knarrend öffnete sie sich, Myrtax wurde unsanft hineingestoßen und senkte sofort den Blick auf den harten Boden, der nur am Bett herum Teppiche aufwies.

"Wie Ihr verlangt habt, Herr." Die Wache verneigte sich vor Jilal Lachlidan. "Der Sklave Myrtax, gewaschen und gekleidet."

"Gut." Die leise Antwort hörte sich flüssig an, als würde er gerade etwas trinken. Myrtax hielt den Blick gesenkt. Er durfte ihn nicht heben, wenn es die Herrschaften nicht erlaubten. "Warte draußen."

"Herr." Der Vampir verneigte sich erneut, seine Rüstung klimperte leise. Knarzend schloss sich die Tür und fiel dann leise klirrend ins Schloss.

Myrtax sprach nicht, schaute nicht hoch, traute sich kaum zu atmen. Jilal konnte manchmal wegen Kleinigkeiten sehr aufbrausend sein.

"Komm her.", hauchte es leise, etwas schmatzte und Myrtax hörte noch jemanden atmen. "Du kannst schauen. - Ja, bleib am Teppich stehen."

Myrtax tat wie ihm befohlen und hob erst den Blick, als er an dem fliederfarbenen Teppich stand.

Jilal war gekleidet in ein weißes Leinenhemd und eine dünne Stoffhose. Sein schulterlanges, braunes Haar hing offen an ihm herab, seine tiefblauen Augen glänzten beinahe gierig. Die spitzen Eckzähne hatte er in den Hals einer menschlichen Sklaven vergraben, die Myrtax nur vom Sehen her kannte. Ihr Kleid war unordentlich, ihre beinahe milchigen Beine schauten aus einem Gehschlitz heraus, die Knie waren gerötet und an wenigen Stellen sammelte sich Blut, als wäre sie über den Boden gekrochen. Ihr weich aussehender Busen lag in den Händen von Jilal, der seinen Spaß damit zu haben schien. Zwei Blutfäden liefen an ihrem Hals entlang an der Brust in ihr Kleid, aus der Wunde an ihrem Hals pulste in schwachen Schüben noch Blut nach, als der Vampir von ihrem Hals abließ. Ihre hellbraunen Augen schauten Myrtax apathisch an, ihr Atem erschien ihm flach, aber sie lebte.

"Herr." Myrtax verneigte sich aus der Hüfte heraus, eine Strähne seines immer noch feuchten Haares fiel nach vorne und wurde rasch von ihm wieder nach hinten gewischt.

"Kennst du sie?"

"Herr?"

"Kennst du sie? Du hast ausgesehen, als würdest du sie kennen." Der junge Vampir konzentrierte sich für einige Momente und leckte der Sklavin über die Wunde, welche sich mit einem leisen Schmatzen schloss.

"Nein, Herr. Nur gesehen."

"Verstehe." Jilal drückte den Busen der Frau, aber bis auf ein träges Blinzeln war ihr keine Reaktion zu entlocken. "Verdammt, schon wieder."

Mit einer einfachen Bewegung warf er die junge Sklavin zu Boden, wo sie regungslos liegen blieb, doch Myrtax konnte sie atmen sehen. Die Wunden an ihrem Knie begannen wieder zu bluten, auch wenn es nur feine Tropfen waren.

"Nimm sie gleich mit.", befahl der Vampir, wischte sich über die Lippen. "Weißt du, warum du hier bist?"

"Nein, Herr.", antwortete Myrtax rasch. Es hatte ihm niemand etwas gesagt und die meisten Vampire fanden es unerträglich, wenn Sklaven anfingen zu denken oder Vermutungen anstellten.

"Gut." Jilal erhob sich, ging zu einer Kommode in der Nähe des Bettes und goss sich eine goldene Flüssigkeit in ein Kristallglas ein, die im Licht der Lampen und Kerzen schimmerte. "Denn ich habe eine Aufgabe für dich und ich erwarte keine Klagen, Versäumnisse oder Versagen."

"Was muss ich tun, Herr?" Myrtax straffte sich. Wenn es eine Aufgabe war, die ihn aus den Latrinen herausbrachte, dann war er zu allem bereit. Auch dazu, die Sklavin am Boden vor seinem Herrn zu töten.

"Du wirst mir dienen."

"Dienen, Herr?"

"Ja."

"Aber ich diene Euch doch schon."

"Nein, du verstehst nicht." Jilal drehte sich um, sein schmales Gesicht trug ein beinahe hämisches Grinsen zur Schau. "Du wirst mir dienen. Ich habe mit meinem Vater gesprochen und er lässt es zu. Du wirst mein mir persönlicher Diener sein, mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen. Bei Nachtanbruch stehst du vor meinem Bett, bei Tagesanbruch verlässt du mich wieder."

Der Vampir kam näher. "Wenn ich aus dir trinken will, bist du gefügig. Wenn ich von dir verlange, jemanden zu töten, bist du gefügig. Wenn ich einen Wunsch oder einen Befehl habe, tust du alles, um ihn zu erfüllen. Ich werde dich vor allen anderen zu meinem Sklaven machen, mit dem ich verfahren kann, wie es mir beliebt.

Hast du...ein Problem damit?" Die gelächelte Frage hatte genau den gleichen Giftgehalt wie ein Biss einer der Schlangen im Wald. Ein falsches Wort, eine falsche Geste oder auch nur den Hauch von Abneigung im Gesicht konnte ihn das Leben kosten.

"Nein, Herr." Myrtax zwang sich ein leichtes Lächeln auf. "Es wäre mir eine besondere Ehre, Euch persönlich dienen zu können."

"Du hast viel gelesen, höre ich. Eine gute Antwort, beinahe wie aus dem Lehrbuch." Er warf einen Blick zur Seite und behielt dann Myrtax gefangen, der Geruch des Alkohols im Glas war beinahe betäubend.

"Ich werde es verlauten lassen. Ich erwarte dich bei Einbruch der Nacht vor der Tür. Bist du nicht pünktlich, ergeht es dir wie ihr und ich werde nicht aufhören zu trinken." Die offensichtliche Drohung war offensichtlich. "Geh. Und nimm dieses Stück Fleisch mit. Sie soll essen und trinken, damit sie bald wieder genug Blut hat."

"Ja, Herr."

"Nun geh."

"Ja." Myrtax verneigte sich hastig und versuchte die junge Frau hochzuheben, was gar nicht so leicht war. Sie versuchte zu helfen, aber dabei war sie mehr Hindernis als Hilfe.

Als der junge Sklave wieder an seinem schmalen Bett stand, die Urnen mit der Asche seiner Eltern auf dem Schrank und der zerknautschten Decke, konnte er sein Glück und sein Unglück kaum fassen.

Er war der Vertraute von Jilal Lachlidan.

 

 

 

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