Das Sechste Königreich by CrazyEddie | World Anvil Manuscripts | World Anvil

Die ersten Blüten

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Die Taverne Zum Garstigen Wildschwein war nicht zu übersehen. Nun, eigentlich schon, das Gebäude selbst war sehr unscheinbar neben all den anderen schönen Häusern, aber das Schild in Form eines sehr stacheligen Ebers, der mehr wie ein Igel denn wie ein Wildschwein aussah, war auffällig genug.

Gavín fühlte sich nun etwas wohler. Den schmalen Wintermantel aus Stoff und etwas Fell als Innenleben und ein paar Handschuhe hatte er für etwas unter einem Golddeut bekommen und hatte nun ein paar Kupferdeut als Wechselgeld.

Eindeutig eine bessere Investition, dafür gab er sein Geld gerne her. Und er würde sich nicht den Tod holen im Winter. Sein tiefer Beutel war zwar immer noch schmal, aber er musste auch leicht reisen. 

Die Tür zur Herberge schwang erstaunlich leicht auf, schlug ihm ein Schwall heißer Luft und der Geruch nach gebratenem Fleisch entgegen. Der Kamin brannte lichterloh und schickte Wärme durch den großen Schankraum und die Ebene darüber, wo sich bereits ein paar Leute aufhielten, einer der Männer an der Balustrade rauchte sogar eine Pfeife.

"Junger Mann.", sprach der Barmann hinter der Theke Gavín an. "Was darf es für Euch sein? Eine Schale Eintopf und ein Bier?"

"Ja zum Eintopf, aber ich würde ein Ale nehmen." Gavín zahlte die sechs Kupferdeut. "Sagt, kennt Ihr einen Mann namens Theo? Er soll sich hier aufhalten heute."

"Hm-hm." Der Barmann deutete nach oben. "Hintere rechte Ecke. Graues Haar, Augen wie ein Falke. Müsste noch da sein."

"Danke, ich schau mal, ob ich ihn finde." Gavín nahm die Schale und den Holzkrug und die Stufen nach oben. Er erblickte Theo fast sofort, wie er da im Halbdunkel im schwachen Schein einer Kerze über irgendwelchen Dokumenten brütete.

Aber anstatt sich direkt zu ihm zu gesellen, setzte sich Gavín an einen der runden Tische etwas abseits und begann zu essen. Der Eintopf war erstaunlich deftig und hatte sogar Stücke einer fetten, schmackhaften Wurst. Dabei beobachtete er den Mann. Irgendetwas an ihm kam Gavín seltsam vor, aber er wusste nicht, was das war. Aber wenn der Kommandant Theo empfohlen hatte... nun, der Druidenschüler würde nicht alles auf die Waage legen, über den Weg traute er Theo nicht direkt.

Langsam leerte er Eintopf und Ale. Währenddessen kamen immer mal wieder Leute zu Theo, sprachen leise mit ihm, bekamen entweder bestimmtes Kopfschütteln oder ein Stück Pergament, auf dem etwas geschrieben stand. Sogar ein elbisches Paar kam vorbei und Gavín verstand nur ein wenig von ihrem leisen Gespräch, aber offenbar war Theo eine Art Vermittler.

Irgendwie hatte Gavín immer noch kein gutes Gefühl bei der Sache. Aber er brauchte Arbeit und jede vergeudete Minute war eine Minute, die ihn weiter von der Aufnahme in der Universität entfernte.

Gavín trank den kläglichen Rest des Ales aus, fasste sich ein Herz, stand auf und ging auf den Mann zu.

"Wurde auch Zeit." Theo schaute hoch, er hatte die gleichen grauen Augen wie sein Schwager Lorsch. Seltsam eigentlich, aber ihm war aufgefallen, dass viele Leute in Dorstein graue oder blaue Augen hatten. "Hatte mich schon gefragt, wann du herkommst."

"Verzeihung?" Gavín blieb überrascht vor dem Stuhl stehen, auf den sich die anderen Leute gesetzt hatten.

"Du hast jetzt fast eine Stunde an deinem Eintopf rumgeknabbert, mich und meine Kunden beobachtet und nun stehst du hier vor mir." Theo lehnte sich etwas nach hinten und dabei fiel Gavín auf, dass der Mann deutlich kleiner war als angenommen. Von seinem Tisch aus hatte Gavín gedacht, der Mann wäre größer als er, aber sie waren höchstens beide gleich groß. "Also, du willst Arbeit, nehme ich an? Wer hat dich geschickt?"

"Lorsch."

"Wirklich?"

"Ja. Ich habe ihm mit einem Problem unter seinen Männern geholfen."

"Dem Husten?"

"Ja." Gavín runzelte die Stirn. "Woher wisst Ihr das?"

Theo lächelte und Gavín hatte das Gefühl, als würde ihn gerade ein Wolf hungrig angrinsen. "Und wieso konntest du helfen? Bist du Arzt? Oder hast du es ausgelöst?"

"Nein und nein. Ich bin Druidenschüler und es war ein Pilz, der sich in den Mauern festgesetzt hatte. Es war recht leicht, Ursache und Gegenmaßnahme zu bestimmen. Als Entlohnung hat Lorsch mich an Euch verwiesen."

"Das erste Mal in der Stadt?"

"Nein. Aber ich kenne mich trotzdem nicht aus, Dorstein liegt normalerweise nicht auf meinem normalen Weg."

"Hm. Druidenschüler, Kein Druide?"

"Nein, noch nicht. Ich stehe kurz vor meiner Weihe." Das entsprach sogar der Wahrheit, aber eben nicht in nächster Zeit. "Aber vorher möchte ich noch etwas arbeiten. Ein Jahr mindestens."

"Am besten gut bezahlt?"

"Nicht schlecht bezahlt würde mir erstmal reichen."

"Kannst du lesen und schreiben?"

"In vier Sprachen."

"Gleich vier?"

"Ja. Den Dialekt der Hochelben, die Variante der Sonnenelben, Zwergisch und offenbar auch unsere Sprache. Wanurim in Teilen, aber ich würde nicht sagen, dass ich sie spreche."

"Das war erstaunlich präzise." Er hob seine schmalen Augenbrauen. "Wie schaut es aus mit Mathematik?"

"Ich kann rechnen. Dividieren, multiplizieren, Prozent... aber alles, was ins mehr Abstrakte geht oder in Bereiche wie Statik habe ich nie gelernt."

"Gut, brauchst du auch nicht." Er kramte in seinem Stapel Pergamente herum und zog ein relativ neues Blatt hervor. "Dieser Posten gilt bis Ende von Grüner Hals. Solltest du dann weiterarbeiten wollen und der Kunde möchte dich auch behalten, könnt ihr euch unterhalten und eine Anstellung diskutieren."

Theo nahm seine Feder auf, schrieb VB ans Ende des Pergaments und reichte es Gavín.

"Verhandlungsbasis?", fragte Gavín. "Ihr habt den Preis nicht vorher ausgehandelt?"

"Nein. Normalerweise tue ich es, aber der Kunde macht es abhängig davon, was der Vermittelte kann." Theo lächelte schmal. "Du wirst einiges einbringen. - Was? Schau nicht so, natürlich kriege ich Provision."

"Aha..." Gavín begriff, dass Theo ein Vermittler war und vermutlich auch nicht wirklich der Schwager von Lorsch. Er senkte den Blick auf das Pergament, sah eine Adresse, einen Namen und ein Siegel. "Euer Siegel?"

"Richtig."

"Hm-hm. - Und wann soll ich vorstellig werden?"

"Sofort. Alle Ausgaben werden von dir getragen, die Provision vom Kunden. Komm wieder, wenn du eine neue Position brauchst. Unterkunft, Verpflegung und so weiter sind dein Problem, mein Bereich endet hier. Du musst einmal auf die andere Seite der Stadt nach Norden."

"Ah, danke." Gavín faltete das Pergament zusammen und steckte es in eine der Innentaschen seines Mantels. Er bedankte sich, brachte sein Geschirr nach unten zur Theke und nahm den Weg nach Norden. Was bedeutete, er musste um den gesamten Tempelbereich und den Palast herum. Eigentlich wollte er noch kurz in den Tempel, aber lieber erst seine Anstellung sichern; wer weiß, wie viele Vermittler der Kunde angestellt hatte.

Auf halbem Weg füllte er seinen Wasserschlauch mit Wasser aus einem Brunnen auf und kaufte sich an einer Ecke ein warmes Teilchen, welches er zum halben Preis bekam, weil der kleine Bauchladen fast ausverkauft war und der Tag sich auch schon dem Ende neigte, die Sonne verschwand fast hinter dem Palast, war nur noch durch einige Lücken zwischen den Türmen zu sehen.

Gavín klopfte an einem größeren Haus mit drei Stockwerken. Nur ein Schild mit einer Schreibfeder ließ vermuten, dass dort eine Schreibstube war, ansonsten sah das Gebäude selbst sehr herkömmlich und unscheinbar aus.

Niemand öffnete, aber hinter den bereits geschlossenen Fensterläden brannte noch Licht, also öffnete er die Tür ohne Widerstand selbst und trat in den kurzen Gang, der sich dahinter auftat. Aus den Zimmern flutete das Licht von Kerzen und eine Treppe führte auf der linken Seite des Gebäudes nach oben; auch dort brannte Licht, einige der Kerzen an der Wand waren fast heruntergebrannt.

"Hallo?", rief Gavín. Bewegung weiter hinten im Gang und eine schmale Frau mittleren Alters schaute um die Ecke, Tintenflecken auf der Schürze, die sie über ihrem Leinenkleid trug.

"Wer bist du?", fragte sie argwöhnisch, ein beleibter Mann mit strengem Blick und einer beginnenden Glatze folgte ihr. Er hatte einen Gehstock in der Hand, aber bei seinen Schritten merkte Gavín, dass er den Stock nicht unbedingt zur Unterstützung brauchte.

"He, wir kaufen nichts und aufhalten brauchst du dich hier auch nicht!", rief er mit tiefem Bass, was bei seinem beleibten Körper seltsam anmutete. Gavín hatte erwartet, dass er krächzen würde wie eine Krähe bei seiner Hakennase, aber das tat er nicht, also zog der Druidenschüler das Pergament aus seinem Mantel.

"Ich verkaufe nichts.", brummte er und war überrascht, dass so viele Leute annahmen, dass man ein Bettler oder ein Verkäufer war, wenn man in ihre Richtung kam. "Theo schickt mich."

"Theo?" Der Mann kam näher und abgesehen von einer leichten Note Schweiß roch er nach Seife und Holz. Er entriss Gav das Pergament förmlich, ließ die feisten Augen über die Schrift fliegen. "Du kommst von Theo."

"Ja." Gavín sparte sich erstmal die Höflichkeit. "Ich bin weder Bettler noch Verkäufer noch Wegelagerer oder Dieb. Ich bin ein Druidenschüler kurz vor der Weihe, der arbeiten möchte. Theo schickt mich, denn ich beherrsche vier Sprachen, Teile der Wanurim und Mathematik, solange niemand Statik oder Wahrscheinlichkeitsrechnung von mir fordert."

"Grond nûn?"

"Nûn olla vara shrâk.", nickte Gavín, der Mann brummte nur leise, drehte sich zu der Frau um.

"Setzt du Tee auf? Es sieht aus, als hätten wir einen neuen Schreiber."

"Ja, Herran." Sie eilte rasch davon und Herran - offenbar der Geschäftsführer, wenn man das so nennen konnte - deutete Gavín ihm zu folgen. Sie gingen in das Büro, aus dem er gerade gekommen war und dirigierte ihn zu einem breiten Tisch, der so etwas wie sein Schreibtisch war, denn Pergamente stapelten sich darauf, eine Feder war rasch weggelegt worden und hatte ein paar Spritzer der Tinte auf einem leeren Blatt verteilt.

Herran grummelte in seinen nicht vorhandenen Bart, nahm den Tintenlöscher zur Hand und führte das halbrunde Gerät über das Pergament. Fast alle Tinte wurde aufgesogen und nur noch bleiche Umrandungen der Spritzer waren zu sehen.

"Wird genügen müssen." Ächzend ließ er sich auf den Stuhl fallen, das Schreiben von Theo vor sich auf dem Tisch liege. "Hat er dir gesagt, wie lange?"

"Bis Ende Grüner Hals."

"Richtig. Wir beginnen bei Sonnenaufgang und hören zwei Stunden nach Sonnenuntergang auf. Ja, das ist nicht gerecht aufgrund von Sommer- und Winterzeit, aber je nachdem wird eben auch bezahlt. - Wir bezahlen eine Grundsumme pro Woche und einen variablen Anteil auf Basis deiner geschriebenen, übersetzten oder vervielfältigten Schriftstücke. Danke, Frieda."

"Danke.", sagte auch Gavín artig zu der müde aussehenden Frau, nahm den bleichen Tee entgegen. "Wie wird denn die Bezahlung berechnet?"

"Nach Umfang, also Wortzahl und Aufwand. Schreibst du nur in unserer Sprache, setzen wir unseren normalen Faktor an; schreibst du Elbisch, einen Faktor von Eins Komma Fünf, bei Sonnen- und Mondelben Eins Komma Sieben und bei Zwergen einen Faktor von Eins Komma Neun. Wanurim liegen dazwischen."

"Was ist mit Lapira und Kulthari?"

"Solche Schriftstücke haben wir bisher nicht, sind aber eingepreist mit Zwei Komma Null."

"Nur gerecht."

"Wie du meinst." Herran schlürfte seinen Tee. "Deine Vergütung liegt als Basis bei drei Silberdeut pro Woche zuzüglich deines variablen Anteils. Tinte, Feder und Pergament bekommst du von uns. Kost und Logis trägst du selbst, wir können dir aber eine günstige Herberge am Ende der Straße empfehlen. Erwarte aber keinen Luxus."

"Ich habe mein Leben auf der Straße verbracht, Kranke behandelt, im Kampf gegen die Wanurim versehrte Soldaten versorgt und in einem fahrenden Wagen verbracht. Jedes Bett, was sich nicht bewegt, ist schon mehr Luxus als ich eigentlich brauche.", erwiderte Gavín und versuchte nicht so aggressiv zu klingen wie er sich fühlte. Er mochte Herran nicht und das lag nicht nur an der Hakennase und dem Gehstock.

"Gut, gut. Aber damit beeindruckst du mich nicht. Wie heißt du eigentlich?"

"Gavín."

"Gut. Wann kannst du anfangen?"

"Morgen früh direkt, ich habe sonst nichts vor."

"In Ordnung." Herran schaute zu Frieda, die immer noch neben ihnen stand. "Bereitest du ihm seinen Schreibtisch für morgen vor?"

"Ja, den von Torben?"

"Genau den. Eine normale Ausstattung sollte reichen."

"Mache ich."

"Gut." Er schaute wieder Gavín an, als Frieda davon eilte und in einem anderen Zimmer rumorte. "Sonst noch Fragen?"

"Muss ich sonst etwas wissen oder jemanden kennen? Pausenzeiten, falls ihr welche habt, wer empfängt potentielle Kunden, halte ich mich zurück, wird von mir nur das Schreiben erwartet?"

"Also erstmal geben wir hier keinen feuchten Deut auf dieses hochnäsige Ihr und Euch. Das machen wir nur gegenüber Kunden, bis sie uns etwas anderes sagen. Ansonsten macht jeder Pause, wie er will oder arbeitet halt durch. Mir ist es egal, wie du es machst, solange deine Arbeit von dir erledigt wird.

Die meisten Kunden empfangen normalerweise Frieda und ich. Neben mir und Frieda musst du niemanden kennen, es kann aber nicht schaden. Wir sind etwa zwanzig Schreiber und haben den Tag über genug zu tun, also lieber keine Freundschaften schließen. Was du allerdings nach Feierabend machst, ist dir überlassen.

Und was ich erwarte", er beugte sich etwas vor, "ist, dass du deine Arbeit machst. Wenn du so gut bist, wie du sagst, erwarte ich eine Menge von dir. Bei guter Leistung erhöhen wir dann auch deinen Lohn."

"Was ist eigentlich, wenn ihr mich haben wollt nach dem Grünen Hals?"

"Du meinst eine Festanstellung?" Herran schnaubte. "Grundsätzlich ja, aber komm dir mal nicht selbst zuvor. Wir werden sehen, wie gut du bist und dann können wir über eine Festanstellung reden. - Eins noch. Der morgige Tag dient der Probe. Unsere Kunden bewegen sich zwischen Händlern bis zum Adel über den ganzen Kontinent, manchmal sogar der König. Dann gehen wir persönlich in den Palast."

Die Augen des Mannes wanderten abschätzig über Gavín. "Hast du noch andere Kleidung?"

"Nie gebraucht, nein. Höchstens als Wechselkleidung, aber auch diese sieht so ähnlich aus."

"Hm. Nun gut, während der drei Monate wirst du hoffentlich keine feineren Stoffe brauchen." Eine der schmalen Augenbrauen hob sich. "Hast du etwas dagegen, wenn wir deine Schriftstücke als die Arbeit der Gruppe ausgeben? Bei entsprechender Entlohnung?"

"Bei angemessener Entlohnung sollt ihr das machen.", schmunzelte Gavín und kam sich seltsam gönnerhaft vor. Ein unangenehmes Gefühl, ehrlich gesagt.

"Ah, ich sehe schon, mein Schwager hat einen interessanten Burschen geschickt." Herran erhob sich wieder ächzend, Gavín tat es ihm gleich und trank rasch den schwachen Tee aus.

"Wartet." Er machte ein nachdenkliches Geräusch. "Theo ist nicht wirklich dein Schwager und auch nicht der von Lorsch, oder?"

"Ha!", lachte der Mann trocken. "Du hast es begriffen. Komm, raus mit dir, wir schließen. Morgen früh bei Sonnenaufgang wieder hier. Und sei pünktlich."

"Kein Problem.", grinste Gavín, als er seinen Mantel schloss und in die Kälte hinaustrat. Normalerweise war er viel früher wach als die Sonne überhaupt aufgehen konnte, gerade im Winter.

Das war doch ein erfolgreicher Tag. Nun hieß es, eine Unterkunft zu finden. Einfach die Straße runter und dort zur Herberge? Konnte doch nicht so schwer sein.

Aber es gab mehrere Herbergen und Gavín fragte sich durch, bis die Besitzerin des Goldstücks nickte und lächelte. "Ja, Herran kann manchmal fordernd sein, aber er meint uns."

Die Herberge war aus Holz, in die Jahre gekommen und sah so günstig aus wie sie sich angehört hatte. Trotzdem, für Gavín immer noch mehr Luxus als die Jahre auf der Straße. Sie hieß Mira, war knapp über dreißig Jahre alt, dunkelgraue Augen - hatte in Dorstein irgendwie gefühlt jeder, konnte das sein? - und dunkelblonde Haare in einem geflochtenen Zopf bis zur Hüfte.

Der Preis war auch in Ordnung, ein halbes Silberdeut pro Woche mit einem Frühstück und einem Abendessen, wenn noch etwas in der Küche war. Waschwasser gab es dazu, heißes Wasser kostete einen Kupferdeut. Völlig in Ordnung für Gavín, der sich und seine Kleidung fast immer mit kaltem Wasser wusch.

"Herran möchte, dass ich immer bei Sonnenaufgang auftauche. Habt ihr denn so früh überhaupt Frühstück?", fragte er zweifelnd, was Mira nur lachend abnickte.

"Aber natürlich." Sie schaute ihn von oben bis unten an. "Du bist also Schreiberling?"

"Druidenschüler und Schreiberling, glaube ich.", grinste er schief. "Wieso?"

"Es kommen regelmäßig Leute her, die etwas niedergeschrieben haben wollen. Gegen einen kleinen Betrag natürlich. Würdest du das auch machen?"

"Kommt drauf an. Wenn ich abends noch eine bis zwei Stunden Zeit habe, dann sicher." Das war ein richtiger Glücksfall. Ein Einkommen war gut, zwei Einkommen waren besser.

Mira nickte wieder, sie duftete nach Kräutern, als würde sie die Kräuter in der Küche selbst schneiden. "Ich werde sehen, was ich für dich aushandeln kann. Welche Sprachen sprichst du?"

"Das Elbisch der Hochelben, das der Sonnenelben, normales Zwergisch, unsere Sprache und Teile von Wanurim, allerdings würde ich es nicht nennen wollen, da ich nur ein paar Wörter kenne."

"Oh, das ist mehr als erwartet.", lachte die Frau hell. "Sehr schön, die meisten Leute werden allerdings nur jemanden brauchen, der ihre Worte aufschreibt, da sie kaum lesen und schreiben können. Wir sind halt nicht so begehrt bei dem gebildeten Volke."

"Ach was, gemütlich habt ihr es hier." Gavín rutschte vom Hocker, als er seinen Krug mit verdünntem Met ausgetrunken hatte. "Welches Zimmer ist meins?"

"Gang hoch, links halten, am Ende auf der linken Seite." Sie reichte ihm einen schweren Eisenschlüssel, an dem sich etwas Rost gebildet hatte. "Schlaf gut."

"Danke." Gavín warf ihr ein Lächeln zu und nahm die Treppe nach oben und fand sein Zimmer rasch. Ein schmales Bett, ein noch schmalerer Tisch, ein in die Jahre gekommener Holzschrank und ein Nachttopf, mehr gab es nicht. Und mehr brauchte er auch nicht. Keine Truhe, keine Spielsachen, einfach einen Ort zum Schlafen und Ausruhen. Alles andere würde sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen.

Aber eines war sicher: den Duft nach Holz, Schlaf, Essen und die Gesellschaft von Mira mochte er jetzt schon.

~~

 

 

Gavín war am ersten Tag überpünktlich, bedeutete, er war etwa zehn Minuten vor der Öffnung vor der Tür der Schreibstube. Er wurde empfangen, durfte einen zwergischen Text und dann einen elbischen Brief übersetzen, den Herran überprüfte und abnickte.

Dafür bekam er ein paar Kupferdeut, was angesichts der Aufgabe und seiner Geschwindigkeit leider nicht so viel war. Die Faktoren, die Herran angedeutet hatte, stimmten zwar alle, aber die Preise der Schreibstube waren alle relativ günstig, was Gavín nach ein paar Wochen in der Stadt durch Gespräche herausfand. Das hatte wohl damit zu tun, dass Herran versuchte, durch wenig Aufwand möglichst viel Gewinn zu erzielen. Was nichts Schlechtes war, im Gegenteil, das war einfach unternehmerisches Denken, wurde aber auf dem Rücken der Mitarbeitenden ausgetragen und den Aufwand, den Gavín mit den fremdsprachigen Schriftstücken hatte, stand in keinem guten Verhältnis zur Bezahlung.

Am Ende des Monats Grüner Hals hatte Gavín zwei Golddeut erwirtschaftet, nach Abzug aller Kosten, sei es neue Kleidung, eine eigene Schreibausstattung mit Tintenfass und etwas Papier oder einfach nur Essen.

Drei Monate, zwei Golddeut. Er hatte damit vier Gold- und ein paar Silberdeut. In der Geschwindigkeit würde er es nicht schaffen, die geforderte Menge von dreißig Golddeut zu erarbeiten. Von den zwei Überfällen wegen angeblich wichtiger Schriftstücke mal abgesehen. Glücklicherweise hatte er ein Gros seines Geldes in einem kleinen Sack unter der Bodendiele seines Bettes versteckt.

Unterm Bett suchen? Ja.

Im Schrank, auf dem Schrank, unter anderen Bodendielen? Auf jeden Fall. Aber welcher Dieb schaute unter dem Bett nach einer losen Diele? Die wenigsten.

Dennoch war sein Schatz kaum gewachsen und er brauchte eine neue Anstellung, die besser bezahlte. Er würde dafür auch in den Minen arbeiten, wenn es sein musste.

Aber die Minen waren bald vergessen. Das Ende des Monats nahte und bisher hatte er keine Alternative gefunden, die ihn einstellen würde. Gelegentliche Krankheiten zu behandeln war nicht lukrativ genug, auch nicht beim Militär.

Es gab auch wenig Alternativen für einen angehenden Druiden ohne weitere handwerkliche Kenntnisse. Erst, als er bei einem Alchemisten anfragte, der sein Geschäft in der Nähe eines kleineren Marktplatzes hatte, machte ihn dieser auf die Vergnügungsstadt Methellona aufmerksam.

Gavín wusste, was Methellona war. Ursprünglich eine Stadt des Glaubens, nun ein mehr oder weniger rechtsfreier Raum, nur kontrolliert durch den Turm nahe der Teufelsklaue. Von innen hatte er die Stadt nur noch nie gesehen, denn bisher hatte ihn kein Auftrag dahingeführt. Auch seine Mutter war mit ihm dort nie gewesen, jedenfalls nicht, soweit er sich erinnern konnte.

Also lehnte er das Angebot von Herran ab, welches kaum großzügiger war als die alte Anstellung und machte sich auf die Suche nach einem Händler, einer Kutsche oder einer anderen Art von Reisegesellschaft, die nach Westen, Süden oder direkt nach Methellona fuhr.

Als die Sonne am höchsten stand, gab Gavín es auf. Entweder hatte er sehr viel Pech oder Methellano war doch nicht so begehrt wie angenommen. Also kaufte er sich von seinem schmalen Geldbeutel Proviant, füllte seinen Wasserschlauch auf und begann die Reise zu Fuß. Etwas anderes blieb ihm schließlich nicht übrig, der Sand rann durch die Uhr und jeder in seinen Augen verschwendete Tag brachte ihn weiter weg von der Aufnahme an der Universität.

 

~~

 

Nach der ersten Woche auf der Straße begannen seine Vorräte zur Neige zur gehen. Was nicht schlimm war, denn er fand immer wieder Reisende oder kleine Gehöfte, die einen Rat, ein wenig Heilung oder einfach die Gesellschaft eines Druiden - und sei es nur ein Schüler - suchten. Geld gab es dafür nichts, aber meistens ein warmes Mahl oder zumindest eine Dauerwurst, Käse oder Brot als Dank und das war für Gavín gerade mehr als er verlangen konnte. Es brachte ihn zumindest in die Nähe von Methellona und als er bereits den markanten Turm sehen konnte, der die Stadt überblickte, fühlte er neben leicht schmerzenden Füßen auch ein gewisses Maß an Erleichterung.

Die Stadt war im Süden umschmeichelt von etwas Wald, der sich in den Forst der Mondelben verwandelte, welcher den Namen Finsterforst trug aufgrund der fast schwarzen Bäume. Der Rest der Stadt war von Farmen umgeben, seien es Vieh, Getreide, Kartoffeln oder andere Bodenfrüchte, durchbrochen von breiten Hauptstraßen und schmaleren Nebenstraßen zu den Farmen selbst.

Ein einziges Mal noch übernachtete er auf einer Getreidefarm, wo der Bauer ihn bat, sich seine Frau und die Katze anzuschauen, brachte ein warmes Mahl auf den Tisch und ließ ihn auf dem Heuboden schlafen. Das Leben eines Druiden und Gavín würde es sehr vermissen.

Am nächsten Tag kam ihm die Erkenntnis, dass es gar nicht sein musste, sein Leben als Druide aufzugeben. Die Weihe war nur aufgeschoben und wenn er irgendwann den Rang erreichen würde, seine eigenen archäologischen Untersuchungen anzustellen wie Balthasar, so war das doch sehr ähnlich. Und er konnte beides ausüben. Das war nichts schlechtes.

Grinsend machte er sich auf den Weg, nachdem er die Katze gestreichelt hatte, ein schwarz-weiß gestreiftes schlankes Wesen mit einem langsamen Gemüt. Das hieß, sie bewegte sich kaum und ließ es mit sich machen, bevor sie leise anfing zu schnurren.

Der restliche Weg nach Methellona war matschig und kalt bis frühlinghaft kühl, auch wenn nach Zeitrechnung eigentlich der Sommer hätte anfangen sollen. An manchen Tagen musste er seinen Mantel noch eng geschlossen halten, an anderen trug er ihn über der Schulter.

Die Stadtmauer war erstaunlich niedrig. Gavín hatte sie sich höher vorgestellt, sie war gerade zwei Mann hoch und die Torhäuser nur ein weniges höher. Die niedrigen Türme schienen für guten Schutz der Bogenschützen sorgen zu können, soweit Gavín es einordnen konnte.

An den Wachen kam er recht einfach vorbei, er wies sich als Druidenschüler aus - zumindest sagte er es, sie glaubten ihm nicht, aber das war in Ordnung - und sagte wahrheitsgemäß, dass er Arbeit suchen würde und wo denn eine günstige Herberge ihren Platz hätte. Sie wiesen ihn zwei Straßen weiter zur Schwarzen Krähe, was irgendwie doppelt gemoppelt war, Krähen waren fast immer schwarz.

Die Herberge war eigentlich nur eine Taverne mit zwei Zimmern für die Nacht und wirklich günstig. Gavín trank dort ein schlechtes Ale und fragte nach Arbeit, dort wies man ihn aber ab. Also, eigentlich versuchte man ihn zu überfallen, aber Gavín schlug einem der beiden Halunken den Knauf seines Dolchs gegen das Knie und dem anderen bohrte er seine Finger in das Nervengeflecht auf dem Brustkorb. Dabei verstauchte er sich beinahe die Finger und merkte, dass er nicht kampferprobt war und es auch nie wollen würde.

Den beiden Männern würde es eine Weile schlecht gehen und danach wieder besser, dennoch verfluchten sie ihn, besonders der, den Gavín das Sonnengeflecht eingedrückt hatte. Ein guter erster Eindruck in dieser Stadt und Gavín verließ die Taverne geschwinden Schrittes, schlug ein paar Haken in den ihm unbekannten Straßen. Es herrschte erstaunlich viel Betrieb, das hatte er nicht erwartet. Nicht so viel wie in Dorstein, aber dennoch. Und das trotz der Mittagszeit.

Dieses Mal fragte er auf einem der kleinen Märkte nach Arbeit und einer günstigen Möglichkeit zur Übernachtung. Dabei begutachtete er die nächste Stadtmauer, die sich um den herrschenden Turm und die Verwaltung drumherum spannte.

Hinweise für Arbeit bekam er viele. Eine Menge sogar. Er ging allen Hinweisen nach. Er fragte an jeder Adresse, an jedem Haus und an jeder Taverne und an jedem Lager, welches man ihm genannt hatte.

Es gab dabei zwei Probleme. Das erste war: er hatte keine Erfahrung. Das zweite war, dass er nicht jede Arbeit machen würde. Er hatte seine Prinzipien. Beispielsweise würde er kein lebendes Wesen eigenhändig umbringen, sei es Mensch, Elb, Zwerg oder Tier. Nicht einmal für Nahrung, wenn es sich vermeiden ließ.

Ja, er aß Fleisch und wusste auch, woher es kam und wie, aber er wollte kein lebendes Wesen töten, wenn es nicht notwendig war, Punkt.

Als die Nacht hereindämmerte, hatte er weder eine Arbeit noch eine vernünftige Taverne gefunden, die er auch bezahlen wollte oder konnte. Er hatte einen Apfel vor einer Stunde gegessen und etwas Brunnenwasser getrunken, was leicht metallisch geschmeckt hatte, aber sonst bekömmlich war für den Moment. Wenn er nichts fand, müsste er an seine eigenen schwindenden Rationen gehen.

Was er nicht tat, aber er fand sich in einer Seitengasse neben einem Gebäudekomplex wieder, welchen er im Dunkeln nicht genau einschätzen konnte. Die logische Herangehensweise wäre wahrscheinlich nachzufragen oder in den halboffenen Eingang zu gehen, hinter dem noch Licht brannte. Aber er wollte sparen, also wickelte er sich so gut es ging in seinen Mantel und setzte sich in eine Lücke zwischen ein paar Kisten.

Hoffentlich waren sie windgeschützt.

~~

 

 

Gavín saß noch immer zwischen den Kisten, als die Sonne die Dachfirste der Stadt und die oberen Stockwerke des gewaltigen Turms in Brand steckte. Der Turm selbst war nicht glatt, bei weitem nicht. Aus der Ferne sah er wohl so aus, aber je näher man kam, umso mehr sah man die Balustraden, Erker und Balkone und die floralen Muster, die sie bildeten. Ob es noch weitere Verzierungen gab, konnte er nicht sagen, er war nicht nah genug am Turm, um es sagen zu können.

Seine Augen wanderten bis nach unten, bis er auf die Mauer traf und die Basis des Turms davon verdeckt wurde. Als nächstes schaute er in blau-graue Augen, deren Iris von einem goldenen Ring umrandet waren. Diese Augen steckten ihn einem elbischen Gesicht mit schlanken, dunkelblauen Hörnern, die etwa am Haaransatz begannen und in einem sanften Schwung nach hinten wuchsen. Schwärzlich-graue Haare umrahmten den neugierig-ernst zur Seite geneigten Kopf, welcher auf einem schlanken Hals saß und sich an einen ebenfalls schlanken Elbenkörper anschloss.

"Ähm...", machte Gavín wenig intelligent, als er beinahe zu breit grinste. Vor ihm stand eine Mondelbin und musterte ihn neugierig.

"Die gleiche Frage stelle ich mir auch gerade, Mensch." Ihre Stimme war klar und in den menschlichen Worten schwang ihre elbische Modulation mit, als würde sie versuchen nicht zu singen.

"Eine Frage?" Gavín richtete sich auf, rutschte an den Rand der Kiste und merkte, dass es sich wieder abgekühlt hatte und er seine Füße nicht mehr spüren konnte.

"Ja. Ich frage mich, was du zwischen unseren Kisten machst und du fragst dich, warum eine Mondelbin dich anschaut."

"Was hat mich verraten?"

"Nichts. Es war nur offensichtlich." Ihr schien die Kälte nicht so viel auszumachen, denn sie stand nur in Hose und einem Hemd bekleidet vor ihm, von den Lederstiefeln mal abgesehen. "Also, was willst du hier?"

"Ich... habe ehrlich gesagt nur einen Ort zum Schlafen gesucht. Gestern war nicht so erfolgreich wie erwartet..." Er hob eine Schulter, rutschte dann von der Kiste. "Verzeiht, ich wollte Euch und Eure Kisten nicht behelligen."

"Was hast du denn gesucht?"

"Vor allem Arbeit. Ich bin gestern erst in der Stadt angekommen." Er neigte den Kopf. "Gavín, Druidenschüler."

"Nuriel. Mir und meiner Frau gehört das Haus der Vampire. Vielleicht magst du kurz reinkommen und dich aufwärmen?"

"Vampire...?"

"Nicht, wie du denkst. Wir haben hier keine Vampire. Also?" Mit ihrem nackten Arm deutete sie auf eine Tür ein paar Meter weiter in der Mauer des Gebäudekomplexes.

"Ja, warum nicht? Etwas Wärme könnten meine Füße sicherlich gebrauchen." Und ein Frühstück, ein wenig Geld und Arbeit, aber das wollte er ihr nicht so vor den Kopf werfen. Schließlich lud sie ihn zu sich ein, was keine Selbstverständlichkeit war.

Gavín trat durch die Tür in einen Lagerraum, der gefüllt war mit Kisten, Gläsern und Säcken. Nuriel hatte sich eine der Kisten gegriffen und sie in den Raum getragen beziehungsweise trug sie immer noch in den Händen. Entweder war sie sehr stark oder die Kiste aus Holz sehr leicht.

"He, Shav!", rief sie und öffnete die nächste Tür mit ihrem Hinterteil. "Schau mal, was ich gefunden habe."

"Eine Kiste? Und einen Menschen?" Eine ältere Mondelbin lehnte auf der langen Theke, ihre silbernen Haare flossen um ihre Arme und ihren Oberkörper. "Klebte der Mensch an der Kiste oder warum bringst du ihn mit?"

"Nein, er saß drauf. Nein, wirklich!", rief Nuriel lachend aus, als sie die Kiste hinter die Theke stellte und die ältere Mondelbin sie stirnrunzelnd anschaute.

"Ich würde dir gerne eine Predigt halten, dass du nicht dauernd herumstreunende Menschen oder Tiere aufsammeln sollst, aber das ist erst das zweite Mal, also lasse ich dich noch erklären."

"Zu gütig, mein Mondstrahl." Nuriel küsste die andere Frau und deutete Gavín, sich auf einen der acht Barhocker zu setzen. "Der Mensch hier ist Gavín. Er sagt, er ist ein Druide auf der Suche nach Arbeit."

"Druidenschüler. Ich habe die Weihe noch nicht abgelegt.", unterbrach er rasch, bevor wieder jemand dachte, er wäre vollständig ausgebildet und würde deswegen eine andere Erwartungshaltung gegenüber Gavín haben.

"Noch nicht? Wirst du es tun?"

"Ja.", nickte er und meinte es auch so. Irgendwann würde er die Weihe ablegen. Wahrscheinlich. Zuerst musste er noch mit seiner Mutter darüber sprechen oder direkt an den Erzdruiden herantreten.

"Hm."

"Und das", Nuriel stupste die andere Mondelbin mit der Schulter an, "ist meine Frau Shavenna."

"Eine Freude, Euer beider Bekanntschaft zu machen unter diesen merkwürdigen Umständen." Gavín neigte wieder den Kopf, da er sich so schlecht auf dem Hocker verbeugen konnte. "Nuriel war so freundlich, mich zum Aufwärmen in Euer Haus einzuladen. Von dem ich verstanden habe, dass es hier keine Vampire gibt."

Die Mundwinkel von Shavenna hoben sich dabei etwas. "Nein, wir haben hier keine Vampire." Ihre Stimme war etwas dunkler als die von Nuriel, hatte aber auch diesen melodischen Singsang im Hintergrund ihrer Worte. Als würde sie mit zwei Stimmen sprechen.

Die jüngere Elbin stellte Gavín einen Teller mit etwas Graubrot, geschnitten Wurst, etwas Käse und frischem Quark auf die Theke, dazu ein Becher kalten Tees, was ihr einen mürrischen Blick ihrer Frau einbrachte. Einen Elben mürrisch zu sehen war sehr interessant, auch das sah im Vergleich zu Menschen sehr hübsch aus, trotz krauser Stirn und gerunzelter Nase.

"Was?" Nuriel schob ihr ein Stück Karotte zwischen die Lippen. "Beim Aufwärmen kann er auch etwas essen. Und wenn ich mir seinen Mantel so ansehe, wird er sicher drei oder fünf Kupferdeut für uns haben."

"Habe ich.", nickte Gavín. "Ich war auf der Suche nach Arbeit und einer günstigen Unterkunft, aber habe weder das eine noch das andere gefunden, daher habe ich auf den Kisten übernachtet. Wo Eure Frau Nuriel mich gefunden hat."

"Was aber immer noch nicht erklärt, warum sie dich hergebracht hat." Shavenna schluckte den Rest der Karotte hinunter.

"Er sucht Arbeit."

"Und? Er ist ein Druidenschüler. Wir haben keine Kranken und ich glaube nicht, dass er als Begleiter arbeiten will."

"Begleiter...?", fragte er, aber Shavenna winkte ab.

"Einen weiteren Kellner brauchen wir auch nicht.", fuhr sie fort, aber Nuriel grinste nur.

"Frag ihn doch einfach, was er arbeiten möchte. Mir schwebt da ein Grauer Bote vor."

"Jemanden, den wir nicht kennen, noch nie gesehen haben, keinerlei Reputation hat, soll ein Grauer Bote werden?"

"Ja." Die blau-grauen Augen mit der goldenen Iris leuchteten. "Niemand kennt ihn. Er ist niemandem verpflichtet, ist in keinem Netz aus Bekanntschaften versponnen und er möchte arbeiten."

"Aber nur arbeiten wollen heißt nicht, dass er zum Grauen Boten taugt..."

"Warum fragt ihr beide mich nicht einfach?", warf Gavín ein, schluckte den Rest des Quarks hinunter. "Ich muss schließlich auch wissen, worüber ihr redet."

Shavenna warf ihm einen kalten Blick aus ihren grün-blauen Augen mit der goldenen Iris zu. "Kennst du die Silberfische?"

"Sind das nicht Insekten?"

"In dem Fall nicht." Die ältere Mondelbin nickte nachdenklich, was ihr schwarz-graues Haar in Wallung brachte, dann schaute sie Nuriel an. "Gib ihm ein Zimmer, heißes Wasser und nachher ein Abendessen. Ich werde eine Nacht darüber schlafen."

"Nur eine Nacht?"

"Ja, mein Stern, aber nur, weil du mich sonst die nächsten Monate damit drangsalierst und der Mensch völlig woanders ist in der Zeit. Oder sogar tot bis dahin."

"Aber du müsstest..."

"Nuriel, nein." Shavenna hob einen Finger. "Eine Nacht."

"Ja." Nuriel atmete ein und aus, dann lächelte sie Gavín an, der seinen Tee langsam leerte. Ihr Lächeln war wie der Mond, schön, kühl und beruhigend. "Nun denn, dann komm einmal mit, junger Gavín."

"Ich bin fast achtzehn Jahre...", warf er ein, aber Nuriel lächelte nur.

"Ich nicht. Nun komm. Magst du auch etwas Gesellschaft haben?"

"Gesellschaft?"

Gavín folgte ihr durch den großen, aktuell fast leeren Schankraum. Ein paar verstreute frühe Vögel saßen müde oder wach an ihren Tischen über ihrem Frühstück, schauten ihm und Nuriel nur kurz hinterher. Da sah Gavín, dass der Raum deutlich größer war als angenommen, er hatte sogar eine halbrunde Bühne mit dunkelblauen Samtvorhängen, die zu glitzern schienen.

Eine Treppe führte nach oben und verbreiterte sich dann zu einem Gang, an dem sich links und rechts Zimmer anschlossen, aus denen manchmal leises Schnarchen, Gespräche oder Gelächter oder andere Geräusche zu vernehmen waren.

"Ach, die Gesellschaft.", murmelte Gavín und fühlte sich richtig dumm und unerfahren in dem Moment. Nuriel sagte dazu nichts, aber er konnte sich vorstellen, dass sie wie alle anderen Elben ein gutes Gehör und ihn somit vernommen hatte.

Fast in der Mitte der Zimmerreihen blieb Nuriel stehen und öffnete eine Tür. "Nur hereinspaziert."

Gavín trat an der deutlich größeren Elbin vorbei in das Zimmer und lächelte breit. Es gab einen schmalen Tisch am Fenster, das Bett war deutlich breiter als das, was er im Wagen seiner Mutter gehabt hatte. Die Laken waren weiß und glatt, sahen sehr weich aus, die Decke zurückgeschlagen.

Gegenüber des Bettes gab es eine Kommode, etwa hüfthoch, auf dem ein runder Spiegel stand, begleitet von zwei Kerzenhaltern mit je einer weißen Kerze darin. Am Ende des Bettes stand eine Truhe, auf die man sich setzen und in die man seine Habseligkeiten hineinlegen konnte.

Direkt rechts von der Tür schmiegte sich ein schmaler Schrank aus Buche in die Ecke, dazu gesellte sich ein Schemel und ein Stiefelknecht, außerdem stand neben dem Bett noch ein Nachttopf aus Kupfer.

"Und was bekommt ihr dafür?" Gavín hatte recht schnell gemerkt, dass die beiden Elben sich nicht viel aus der Höflichkeit machten, die er ihnen entgegenbrachte. Sollten sie es allerdings wünschen, würde er wieder auf das Ihr und Euch umsteigen.

"Für die heutige Nacht nichts. Alles andere..." Sie hob die Schultern und breitete die Arme aus, als würde sie sagen wollen, dass es an ihrer Frau lag, was er zu bezahlen hätte. "Hast du irgendwelche Unverträglichkeiten?"

"Keine, von denen ich wüsste."

"Sehr gut." Damit verließ sie das Zimmer. "Du kannst dich frei bewegen und gerne runterkommen, wenn du das möchtest. Eine Preisliste unserer Dienstleistungen und unseres Angebotes findest du in der ersten Schublade in der Kommode."

"Ihr habt eine Preisliste?"

"Ja. Wir finden, ein wenig Transparenz kann nicht schaden. Und es gibt keine Überraschungen." Nuriel lächelte leicht und zeigte dabei ihre ebenmäßigen weißen Zähne. "Weder für uns noch die Kunden. Ich kann die Noodle Snoodles empfehlen."

"Die... was?"

"Lass dich überraschen.", winkte sie mit einem Finger ab. "Und wenn du sonst etwas brauchst, einfach Bescheid sagen."

Damit verschwand sie und ließ einen Druidenschüler zurück, der noch nicht so ganz wusste, wie ihm geschah. Das Zimmer roch leicht nach Holz, das Fenster konnte geöffnet werden, das Bett war nach einer kurze Sitzprobe angenehm weich und ein Netz mit Lavenderblüten unter dem Kissen verströmte einen sanften Duft, den er zuerst nicht wahrgenommen hatte.

Zuerst legte er seinen Mantel auf die Truhe und fühlte sich direkt sehr viel leichter und auch deutlich weniger wärmer. Daneben seinen Beutel und das erste, was er tat, war das Fenster zu öffnen und über die Stadt zu blicken, so gut er eben konnte.

Das Haus der Vampire war nicht größer als andere Häuser, aber es bot einen fantastischen Blick auf den Turm von Methellona. Ob er einen Namen hatte? Einfach nur Turm war doch irgendwie einfallslos von den Elben.

Gavín atmete die frische Luft ein und schmeckte das Meersalz auf der Zunge. Noch konnte er die Teufelsklaue nicht sehen, aber alle drei namensgebenden Teile würde er gerne besuchen wollen.

Gestern obdachlos mit wenig Geld, nun hatte er zwei Mondelbinnen kennengelernt, die ihm Obdach gewährten und sich sogar Gedanken um ihn machten.

Das Glück schien dieses Mal auf seiner Seite zu sein.

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